Vom Mut in der Politik

Eine Groll-Kurzgeschichte von Erwin Riess.

Groll und sein Freund, der Dozent, befanden sich auf dem Weg zu einem Postamt in Floridsdorf. Herr Groll wollte ein Plakat an Freunde in Graz senden. Nach einem zweistündigen Fußmarsch langten sie am Trillerpark, dem Gelände der ehemaligen Lokomotivfabrik, an.
 
Dort befindet sich das letzte Postamt in hundert Kilometer Entfernung.

Sagte Herr Groll, der den ganzen Weg auf die Regierungen schimpfte, die den Menschen durch Privatisierungen die öffentliche Infrastruktur stehlen, um einigen Shareholdern Extraprofite zu ermöglichen. Es handle sich dabei um einen Fall von systemischer Regierungskorruption, behauptete Groll.
»Andere sagen Neoliberalismus dazu«, meinte der Dozent.
»Mit der Teilprivatisierung der Post wurden in Floridsdorf drei Viertel der Postämter geschliffen und vier Fünftel der Briefkästen aufgelassen. Das alles angeblich im Dienst der Kunden. Außer fünftausend Supermärkten, die zu überhöhten Preisen die ewig gleichen Waren feil bieten, gibt es am Marchfeldkanal keine öffentliche Infrastruktur mehr. Pardon, ich vergaß den Schießstand in den Weinbergen, der bei Ostwind hunderttausend Leute mit Schlachtenlärm versorgt, und das noch dazu gratis!«
»Sie sollten dankbar sein, daß sie hin und wieder zu langen Fußmärschen oder Handrallyes gezwungen werden«, erwiderte der Dozent. »Das stärkt das Immunsystem, was uns wiederum die Auswürfe des FPÖ-Führerleins besser ertragen lässt.«
»Der Mann glaubt zu wissen, was er tut«, bekräftigte Groll. »Bei den oberösterreichischen Landtagswahlen hat sich die Harakiri-Politik der FPÖ bezahlt gemacht, sie konnte ihren Abstieg bremsen und ermöglichte einem noch weiter rechts stehenden Haufen den Einzug in den Landtag. Wetten, daß die beiden bald fusionieren?! Wenn man die Wahlergebnisse der FPÖ und ihrer Zwillingspartei über die Karte der Impfzahlen legt, wird man feststellen, daß überall dort, wo die Rechtsbraunen starke Positionen und Bürgermeister halten, die Impfzahlen besonders niedrig sind.«
»Mittlerweile hat diese Erkenntnis sich bis in die Mainstream-Medien durchgesprochen«, pflichtete der Dozent bei.
»In Oberösterreich nicht, so berichten jedenfalls Freunde und Freundinnen aus dem Land ob der Enns« widersprach Herr Groll. »Die Angst vor den Kickls ist zu groß«, bestätigte Herr Groll und lagerte das Paket auf den Oberschenkeln um.
»Die Situation Oberösterreichs in der Corona-Politik zeugt von einem politischen Totalversagen«, fuhr er fort. »Die politischen Repräsentanten reden die Lage in einem grotesken Ausmaß schön. Dazu gesellt sich ein Fiasko in der politischen Kommunikation. Der Landeshauptmann, in der ZIB 2 zum Interview gebeten, ist zu feig zu erscheinen, sein FPÖ-Vize, der das Kunststück zuwege brachte, infolge einer Covid-Infektion auf einer Intensivstation gerettet werden zu müssen und sich bei seinem Ärzte- und Pflegeteam dafür bedankte, indem er ihnen öffentlich auf den Kopf schiß und die Corona-Infektion weiterhin als harmlos abtat, ist ebenfalls zu feig. Nur so kann er weiter in seiner Partei von Kryptonazis aller Schattierungen den verwehten Grüß-August geben. Tatsächlich hat er seinerseits Schiß vor seinem geifernden Parteiobmann, der Corona mit Wurmpräparaten für Pferde bekämpfen will.«
»Also schickten die beiden mutigen Politiker, die jederzeit zu ihrer Verantwortung stehen, nur nicht dann, wenn es gilt, eine völlig überforderte Beamtin, die sich mit jedem Satz widersprach und nicht wußte, ob sie weinen oder davonlaufen sollte.« »Geschätzer Groll! Ich frage Sie: Ist das Dummheit oder Überforderung oder beides?«
»Weder noch, verehrter Dozent. Tatsächlich entsprechen die an der Oberfläche erscheinenden Verrücktheiten der Landespolitik einem strategischen Kalkül. Das Ziel der Landes-ÖVP und der Landes-FPÖ ist es mitnichten, die Pandemie zu bekämpfen. Das Ziel der beiden Herren und ihrer Hintermänner ist ein anderes: Machterhaltung auf Pandemieflügeln. Im übrigen: Haben Sie je einen Satz von der oberösterreichischen Gesundheitslandesrätin gehört? Ist sie verreist oder nach einer Schiffskreuzfahrt im Donaudelta verschollen?«
»Ich habe recherchiert«, sagte der Dozent. »Die Gesundheitslandesrätin Magistra Haberlander ist eine begabte Ämtersammlerin und kommt aus Enns.«
»Auch sie ist nicht zum Interview mit Armin Wolf erschienen.«
»Natürlich nicht!«
»Sie können Ihren Bericht jetzt beenden«, sagte Groll. »Es reicht.«
»Diesem Wunsch komme ich gern nach.«
Die beiden näherten sich dem Postamt. Der Dozent deutete auf Grolls Rundpaket.
»Was zeigt das Plakat?«
»Darüber, verehrter Freund, sprechen wir ein andermal«, erwiderte Herr Groll.