Space Race der Superreichen

Svenna Triebler über die Weltraumambitionen von Bezos, Musk, Branson & Co.

»Captain Kirk fliegt ins All.« Für Fans der Science-Fiction-Kultserie Star Trek ist diese Nachricht ein alter Hut; für Amazon-Chef Jeff Bezos hingegen die werbeträchtige Schlagzeile, auf die er spekuliert haben dürfte, als er William Shatner zu einem Flug mit seinem Raumfahrtunternehmen Blue Origin einlud. Das Abenteuer sei dem mittlerweile 90-jährigen Schauspieler von Herzen gegönnt, auch wenn der rund zehnminütige Trip in etwa 100 Kilometern Höhe, den er Mitte Oktober an Bord des weitgehend automatisierten Raketensystems »New Shepard« absolviert hat, kaum mit den fiktiven Reisen durch die unendlichen Weiten des Weltraums zu vergleichen ist, die er vor einem halben Jahrhundert in seiner Rolle als Kapitän des Raumschiffs Enterprise unternahm.
Man kann ihm auch kaum übelnehmen, dass er sich auf diese Weise für einen PR-Gag im neuen »Space Race« hat einspannen lassen, in dem sich derzeit diverse private Raumfahrtunternehmen zu übertrumpfen versuchen. Immerhin bekam er den Flug spendiert – wer könnte zu einer solchen Gelegenheit schon Nein sagen?
Was Shatners zahlende Mitreisende, der frühere Nasa-Ingenieur Chris Boshuizen und der Unternehmer Glen de Vries, für den Weltraumhüpfer hingeblättert haben[1], ist nicht bekannt, aber wenig dürfte es nicht gewesen sein: Ein Ticket für den ersten Flug von »New Shepard« mit Passagieren an Bord – darunter Jeff Bezos persönlich – im Juli dieses Jahres ging bei einer Auktion für 28 Millionen US-Dollar weg; das Konkurrenzunternehmen Virgin Galactic, das seinen touristischen Betrieb bereits einige Tage vor Blue Origin aufnahm, stellt für seine Kurztrips ins All ab 2022 immerhin noch Preise von rund 450.000 Dollar in Aussicht.

Auch Virgin-Galactic-Gründer Richard Branson ließ es sich nicht nehmen, sich persönlich an Bord des Raumfahrzeugs »VSS Unity« an den Rand des Weltraums kutschieren zu lassen. Wer in dieser Aufzählung der Raumfahrt-Milliardäre dagegen noch fehlt, ist Elon Musk. Dessen Unternehmen SpaceX ist mittlerweile erfolgreich in der professionellen Raumfahrt tätig, etwa mit Flügen zur Internationalen Raumstation, und übertrumpfte im September auch im touristischen Bereich die Konkurrenz mit der Mission »Inspiration4«.
Im Gegensatz zu den bereits erwähnten Flügen handelte es sich dabei nicht um einen kurzen Ausflug in jene 100 Kilometer Höhe, die als Grenze zum Weltraum definiert werden, sondern um eine richtige Reise in den Orbit, bei der eine Crew-Dragon-Kapsel mit vier Personen an Bord drei Tage lang die Erde umrundete. Musk selbst allerdings verzichtete auf eine Teilnahme, was die Frage aufwirft, wie weit er der Technik der eigenen Firma vertraut. Er hat stattdessen einen Flug bei Virgin Galactic gebucht.

Planlos im Weltraum

Es wird jedenfalls langsam unübersichtlich, wer sich da alles von welchen Reiseveranstaltern zum privaten Vergnügen in den Weltraum oder zumindest weltraumnahe Höhen befördern lässt. In naher Zukunft wird diese Form des Tourismus vermutlich nur noch eine Meldung wert sein, wenn sich – was unausweichlich scheint – irgendwann einmal ein Unglück ereignet. Zeit also, zu fragen, was das Ganze eigentlich soll und wie sich dieser Wirtschaftszweig weiter entwickeln wird.
Auf den ersten Teil der Frage ließe sich natürlich ganz einfach antworten: Weil man es kann. Oder auch: Weil es offenbar genug abenteuerlustige bzw. gelangweilte Multimillionäre gibt, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Solange diese besondere Form von Fernreise nicht zum Massenphänomen wird, dürfte das immerhin noch weniger klimaschädlich sein, als das Vermögen in Bitcoin anzulegen.
Da sich »Spaß für Superreiche« aber schlecht als PR-Argument eignet, versprechen Bezos, Branson & Co. ihren Passagieren nicht weniger als ein transzendentales Erlebnis, den sogenannten »Overview-Effekt«. Mit diesem Begriff werden die Erfahrungen von Raumfahrenden bezeichnet, die durch den Blick aus dem Weltall auf die Erde eine neue, umfassende Perspektive auf den Planeten, die Menschheit und die Natur entwickeln. Der frühere sowjetische Kosmonaut Boris Volynov etwa beschrieb es so: »Während des Weltraumflugs wird die Psyche jedes Astronauten neu geformt; nachdem man die Sonne, die Sterne und unseren Planeten gesehen hat. Man fängt an, alle lebenden Dinge mit größerer Ehrfurcht zu betrachten, man wird netter und geduldiger im Umgang mit Menschen.« Und dem US-Astronauten Leland Devon Melvin verschlug es regelrecht die Sprache: »Es ist so unfassbar schön, dass man eigentlich neue Worte bräuchte, die das beschreiben können. Man ist überwältigt.«
Nun lässt so ein kurzer Atmosphärenhüpfer, den man ohnehin nur mit viel gutem Willen als Raumfahrt bezeichnen kann, kaum Zeit für kontemplative Betrachtungen, zumal, wie Videos von den Flügen zeigen, die paar Minuten Schwerelosigkeit ja auch noch für Purzelbäume und andere Mätzchen ausgenutzt werden wollen. Zumindest aber William Shatner zeigte sich nach der Landung angemessen ergriffen und sprach von der »tiefgreifendsten Erfahrung, die ich mir vorstellen kann«.
Während er noch versuchte, seine Gefühle in Worte zu fassen, wurde er allerdings von niemand anderem als Jeff Bezos unterbrochen, dem es wichtiger war, die Champagnerkorken knallen zu lassen. Dass sein eigener Flug dem Amazon-Gründer nicht unbedingt zur inneren Einkehr verholfen hat, demonstrierte Bezos auch schon im Juli nach seiner Rückkehr mit dem zynischen Dank an seine Beschäftigten: »Ihr habt für das alles bezahlt.«

Die dürfen sich schon mal darauf einstellen, dass sich der Arbeitsdruck in Zukunft weiter verschärfen wird, denn ihr Chef braucht Geld für noch höherfliegende Pläne – wortwörtlich: Im Oktober kündigte Bezos den Bau einer privaten Raumstation an. »Orbital Reef«, so der Name, soll offenbar eine Mischung aus schwebendem Luxushotel und Labor für zahlende Kunden aus Forschung und Industrie in 500 Kilometern Höhe darstellen.
Für die Zukunft der von staatlichen Raumfahrtagenturen betriebenen Internationalen Raumstation dürften das schlechte Nachrichten sein. Zwar haben die beteiligten Staaten im vergangenen Jahr einen Weiterbetrieb bis 2028 oder sogar 2030 zugesagt, aber zum einen ist das nicht mehr lange hin, und zum anderen sinkt durch die Aussicht auf eine nagelneue, als Public Private Partnership betriebene Station der Anreiz für längerfristige Planungen mit der ISS. Wie gedeihlich sich die wissenschaftliche Arbeit gestaltet, wenn man von Bezos Gnade abhängig ist und einem ständig irgendwelche planlosen Weltraumtouristen mit »Ich habe dafür bezahlt!«-Mentalität im Weg rumschweben, steht auf einem anderen Blatt.

Freies Unternehmertum statt »Enterprise«

Auch die altehrwürdige ISS selbst ist schon längst nicht mehr sicher vor dem Trend zur Kommerzialisierung des Weltalls. Eine Direktive der Nasa aus dem Jahr 2019 sieht ausdrücklich privatwirtschaftliche Aktivitäten auf der Station vor, was sowohl Forschung und Produktion als auch Marketing und last but not least eben auch Tourismus beinhaltet; umgerechnet rund 31.000 Euro werden als Preis für eine Übernachtung genannt. Als einer der ersten Gäste hat sich Tom Cruise samt Filmcrew angemeldet: Der Dreh im All war eigentlich für diesen Herbst geplant, wurde aber auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben.
In einer Art späten Genugtuung für den verlorenen Wettlauf zum Mond kamen dadurch die Russen den USA zuvor: Nach zwölftägigen Dreharbeiten auf der ISS für den Film »Wysow« (Herausforderung) kehrte das Filmteam am 17. Oktober wohlbehalten zur Erde zurück. Nebenbei könnte man das Projekt der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos und des staatlichen Senders Perwy Kanal auch als Fingerzeig verstehen, dass die private Raumfahrt nicht immer die Nase vorn hat. Letzteres führt ja insbesondere Elon Musks Fangemeinde gerne als Vorteil des freien Wettbewerbs im All an.[2]
Der reichste Autoverkäufer der Welt will bekanntlich noch weiter hinaus: Bis 2050 plant er, eine Million Menschen auf dem Mars anzusiedeln – die Kosten nennt er allen Ernstes als Argument, warum er auf gar keinen Fall Steuern zahlen könne, und hält sich dabei offenbar tatsächlich für einen Wohltäter der Menschheit. Philanthrop, der er ist, verspricht er auch, weniger Begüterten die Reise zu ermöglichen; die Schulden sollen sie dann eben in seiner Privatkolonie abarbeiten. Das einzig Utopische an dieser, nun ja: Vision ist, dass sich wohl in erster Linie Musks Anhängerschaft aus Libertär-Nerds und Blockchainflöten davon verlocken lassen dürfte, deren Scheitern man dann von der Erde aus mit einer Tüte Popcorn in der Hand verfolgen könnte.[3]

Die Tech-Gurus von heute scheinen jedenfalls eher die Dystopien der 80er und 90er Jahre für Blaupausen einer erstrebenswerten Zukunft zu halten als jene Gesellschaft ohne Mangel, Konkurrenz und Geld, in deren Namen Captain Kirk einst durchs All reiste. Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war.
 

[1] Unbekannt ist auch, ob der ebenfalls mitgeflogenen Vizechefin von Blue Origin, Audrey Powers, die Reisekosten vom Gehalt abgezogen werden. Ganz auszuschließen wäre das angesichts Bezos Umgang mit seinen Beschäftigten jedenfalls nicht.
[2] Wobei einer – wenn auch nicht der einzige – der Gründe für die Schwerfälligkeit von Nasa-Projekten auch der ist, dass bei staatlichen Aufträgen ja immer all die gut mit der Regierung vernetzten Unternehmen jener Branche versorgt werden wollen, die einst unter dem Begriff »militärisch-industrieller Komplex« subsumiert wurden.
[3] Von allen erwartbaren soziologischen und technischen Problemen abgesehen: Die demografische Zusammensetzung dieser Klientel dürfte die Etablierung einer Kolonie, die langfristig auch unabhängig von der Erde lebensfähig wäre, schon allein wegen des Frauenmangels schwierig machen.