Begriffs-Kritik

Linz ist UNESCO City of Media Arts. Armin Medosch gratuliert.

Linz ist UNESCO City of Media Arts. Dazu kann man nur gratulieren, denn es kommt sicherlich nicht unverdient. Seitdem zum Anlass der ersten Ars Electronica 1979 der Roboter SPA 12 über den Hauptplatz stolperte und Passanten verunsicherte, indem er mit ihnen eine Konversation aufnahm, war festgeschrieben, dass aus der Stahlstadt eine City of Bits werden würde.

Mit dem Creative Cities Programm unterstützt die UNESCO kulturelles Branding von Städten als Teil ihrer Standortpolitik und anderer Strategien, kulturelles Kapital zu entwickeln. Das Creative Cities Programm ist nach acht verschiedenen Sparten aufgeteilt, wozu neben Musik oder Design auch Gastronomie zählt. Insofern hat es Linz nicht so schlecht erwischt, und das ganz frei von Ironie gesprochen. Media Arts klingt vergleichsweise zukunftsorientiert und entspricht der Langzeitstrategie der ehemaligen oder immer noch Industrie-Stadt.

Weniger klar ist allerdings die Orientierung, die mit diesem Titel verbunden ist. Eine Frage, die sich aufdrängt, wäre, ob Linz wirklich Stadt der Medienkünste ist, ob die Bevölkerung besonders in diesen versiert ist oder ein besonderes Interesse daran zeigt. Um das beantworten zu können, müsste man aber empirische Studien machen oder auf solche zurückgreifen können. Allerdings würde das den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Eine weitere Frage, die mit dieser Orientierungsfrage verbunden ist: Werden nun die Förderungen für jene Institutionen erhöht, die eine selbst gemachte digitale Kultur zu entwickeln helfen, die niederschwellig und emanzipatorisch ist, und nicht nur auf Spektakeln beruht?

Die Medienkunst wurde in Linz immer im Zusammenhang mit der Klangwolke verkauft. Hatte diese im ersten Jahr noch ein Mitmach-Element, so glich sie zunehmend jener Form von Massenveranstaltung, wie sie Walter Benjamin im Nachwort zu seinem berühmten Text über »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« kritisierte. Die politischen Massenveranstaltungen der Nazis, organisiert von Albert Speer, auf Kamera festgehalten von Leni Riefenstahl, hatten die »Ästhetisierung des politischen Lebens« zum Ziel, die Massen sollten durch ästhetische Überwältigung in »den Kult des Führers gezwungen« werden. Guy Debord hat diese Kritik in den 1960er Jahren aktualisiert und argumentierte in seiner Kritik der Gesellschaft des Spektakels, dass den Menschen darin nichts anderes vorgeführt werde als ihre eigene Entfremdung.

Mit diesen Hinweisen auf die Vergangenheit soll den Organisatoren der Klangwolke natürlich nicht unterstellt werden, rechtsextremem Gedankengut zu huldigen. Was aber sehr wohl zur Debatte steht, ist die Form dieser Mediengesellschaft, ob sie auf ästhetische Vergewaltigung des Publikums besteht, oder dieses als aktiven und gleichwertigen Partner einzubinden versucht. Walter Benjamin wünschte sich in den 1930er Jahren Künstler_innen als Produzent_innen. Am Beispiel der nachrevolutionären russischen Kunst, insbesondere der Produktivisten, forderte Benjamin, dass Künstler nicht nur ihre eigene Ausdrucksweise entwickeln, sondern als Teil der Praxis auch anderen helfen, das zu tun.

Was damals als nachrevolutionäre Utopie entwickelt wurde, ist heute, technisch gesehen, kein Problem mehr. Die Medien wären vorhanden für eine globale, partizipative Wissensgesellschaft. Stattdessen haben wir eine brutale neoliberale Wissensökonomie, mit einer starken hierarchischen Organisation an deren Spitze die Finanz-Polit-Oligarchie steht, wobei das gerade die Demokratie auszuhebeln beginnt. Der extreme Glaube an die liberale Utopie der Märkte hat in den 1930er Jahren den Faschismus ermöglicht, wie Karl Polanyi analysierte (siehe Versorgerin #102). Ohne als Untergangsprophet aufzutreten, ist zumindest die Tendenz klar, dass es in einem Europa in der Dauerkrise einen weiteren Rechtsruck geben könnte.

Programme wie Creative Cities entspringen einem größeren gesellschaftspolitischen Kontext. Creative Cities beruht einerseits auf Diskursen zur Stadtentwicklung und Standortpolitik und kulturellem Kapital als symbolisches Kapital. Richard Florida steht exemplarisch für den Typ des, ist aber beileibe nicht der einzige, »Happy Urbanist.« Eine weitere Ebene bildet das Programm von Lissabon, das sich die EU schon 2000 verordnet hat und das in kaum veränderter Form zur Agenda 2020 mutierte. Dahinter steht ein Diskurs über einen techno-ökonomischen Paradigmenwechsel von oben.

Demzufolge müssen die ehemaligen Industrieländer zu Wissensgesell-schaften werden, die vor allem »intangibles« produzieren, also immaterielle Güter, während die materielle Produktion ausgelagert – und damit die Macht der Arbeiter geschwächt wird. Zugleich ist es Teil dieser Ideologie der Informationsgesellschaft, dass manuelle Arbeit immer schlechter bewertet und bezahlt wird, während man versucht, den ehemaligen Kultursektor in einen Sektor Kreativwirtschaft umzubauen. Kulturelles Kapital, ein Begriff, der auf den linken Soziologen Pierre Bourdieu zurückgeht, wird nun routinemäßig als Argument in der Standortpolitik eingesetzt, ob für Tourismus oder Luxuskonsum.

Man könnte glauben, dass wir in einer neuen Belle Epoque leben, geht man nach der Zahl neuer Museen für moderne oder zeitgenössische Kunst, Design und vieles anderes mehr. Doch die Zahl der Museen wird nur noch übertroffen vom Anstieg der Einkommens-Ungleichheit. Die Welle der Museumsneubauten erfolgte noch in der letzten wirtschaftlichen Expansionsphase. Inzwischen wird der Diskurs um die Kreativwirtschaft benutzt, um die Kulturlandschaft zu Recht zu stutzen.

In Ländern wie den Niederlanden oder auch Schottland wurde das gesamte Fördersystem bereits umgestellt. Kunstförderung gibt es tendenziell nur mehr für Museen und andere große Institutionen, der Rest muss in der Kreativwirtschaft seine Haut zu Markte tragen. Das ist besonders bitter für kritische und unabhängige Kunst und Kulturproduktion, die damit praktisch wieder zum Hobby wird.

Zugleich löst die Kreativwirtschaft selbst ihre Versprechungen immer seltener ein. Statt zum neuen Wachstumsmotor zu werden, führt sie letztlich für viele ins Prekariat. Das Erschreckende daran allerdings ist, dass immer mehr Leute das scheinbar alles normal finden. Als flexible, kreative Ich-AG mit der entsprechenden Fähigkeit zur Selbstunterdrückung und -ausbeutung bestückt, marschieren sie in die Zitronenpresse der Kreativwirtschaft.

Dahinter steht allerdings ein großes Missverständnis der politischen Klasse über die Begriffe Kunst und Kreativität. Was die EU mit dem Programm von Lissabon möchte ist, dass im Sinn der Theorien Joseph Schumpeters die Kreativ-Bürgerinnen und Kreativ-Bürger die nächste Welle des wirtschaftlichen Aufschwungs in Gang bringen. Laut Schumpeter braucht es kreative Zerstörer_innen, die mit ihren Innovationen neuen kapitalistischen Aufschwung erzeugen können. Die New Economy der 1990er Jahre – US-amerikanische IT-Imperien und deren Gründer – werden gerne als Beispiel genommen.

In Europa hat man sich gedacht, wir sind nicht so erfolgreich in der New Economy, weil wir nicht kreativ genug und auch nicht neoliberal genug sind. Wer ist kreativ? Künstler_innen sind kreativ. Nun muss man sie also entweder direkt in die Produktion einspannen, oder man muss sich von ihnen eine Scheibe abschneiden und diese zum Produktionsfaktor machen. Diese Scheibe war/ist der Mythos Kreativität verbunden mit der Frage künstlerischer Autonomie.
 
Die Mobilisierung der Kunst als vermeintlicher Faktor im Wirtschaftszyklus ist ein Denkfehler der, scheint es, nicht sehr informierten Eliten. Kreativität und Kunst sind weit weniger verwandt als EU-Bürokrat_innen glauben. Die Kunst kann als Teil der Kreativwirtschaft gesehen werden, Museen verursachen Umsätze, das ist keine Frage. Aber auf einer inhaltlichen Ebene sind Kunst und Kreativwirtschaft von Grund auf verschieden.

Der entscheidende Unterschied ist die Freiheit der Kunst, ihr Privileg, nicht utilitaristisch sein zu müssen. Die zeitgenössische Kunst, wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dominante gesellschaftliche Haltungen und Narrative zu hinterfragen. Dabei ist allerdings eine wachsende Kluft zwischen Medienkunst und zeitgenössischer Kunst entstanden. Der technologische Fortschrittsoptimismus ist in die Medienkunst eingeschrieben wie eine Art Restposten der Moderne. Außerdem hat sich die Medienkunst nur unzulänglich von dominanten Narrativen des informationellen Kapitalismus distanziert.

In vieler Hinsicht hat die Medienkunst versucht, auf dem Fortschrittsmythos aufbauend eine hegemoniale Position unter den Künsten zu erlangen. Das ist aber gescheitert und innerhalb der kritischen, zeitgenössischen Kunstströmungen geht ein nicht ganz unberechtigtes Vorurteil um, demzufolge die Medienkunst zu sehr von zentralen Mythen des westlichen Infokapitalismus vereinnahmt ist. Diskurse um Medienkunst oder auch digitale Kunst haben ein eingebautes techno-utopistisches Moment, das wie ein kleines Teufelchen, ein »demon« im Betriebssystem sitzt.

Dieser Dämon ist heute weniger offensichtlich utopisch, aber letztlich wird mit dem Spektakel Medienkunst immer noch der Mythos von der Informationsgesellschaft verkauft. Die »digitale Zukunft« ist immer noch das Metathema all dieser Veranstaltungen, ob Transmediale oder Ars Electronica. Dabei stellt sich zusehends die Frage, ob City of Media Arts nicht eigentlich die Projektion einer digitalen Zukunft aus der Vergangenheit ist. Einer der mythischen Aspekte der Medienkunst war, die Widersprüche des Industriezeitalters zu lösen. Doch wie sich anhand der prolongierten Krise Europas zeigt, ist diese Strategie nicht aufgegangen.

Die Wissensgesellschaft in ihrer derzeitigen Ausformung hat eine viel zu unausgewogene Einkommensverteilung, was sich auch in den niederen Einkommen im Kultursektor manifestiert. Selbst diejenigen, die an den Mythos der Kreativwirtschaft glauben, kommen vor lauter Miete, Steuer und SVA zahlen kaum dazu, ihre Kreativität zu entwickeln. So reiht sich City of Media Arts ein in eine jener Narrative, durch welche die Wissensgesell-schaft abgestützt werden soll, was aber bislang nur sehr unzureichend gelingt, so lange man die politische Ökonomie nicht miteinbezieht. Anstatt über echte Innovation nachzudenken, wie z.B. das bedingungslose Grundeinkommen und eine andere Einwanderungspolitik, werden, so steht zu befürchten, nur weitere Schlagworte produziert.

Media-demon wants you!