Samstagsnachmittag, einen Strich namens Landstraße abschreitend, von der Oper (oh!), unter der die U-Bahn tobt (ui!), vorbei an stupiden Wegwerf-Geschäften, bis zum finalen Punkt, den beiden angedachten Alterswohnsitzen des Lieblingsstadt-Verehrers. Überall besenreiner Beton, alles wirkt wie ein mit Kameras überspanntes Trash-Einkaufs-tempel-Disneyland, Missverständnisse in menschlichen Hüllen mit noch mehr Fülle, 3D-Lokalkolorit erdrosselt den letzten positiven Gedanken.
Dabei kriecht dann schnell eine ähnliche Wut hoch, wie sie die »Gnackwatsch‘n« in ihren sechzig Kolumnen seit 2001 versprüht, nun gesammelt als »Edition Gnackwatsch‘n« (Kulturplattform OÖ) erhältlich. Die Redaktion der KUPF sucht sich verdiente Superschurken aus dem reichen Fundus an geballter Kleingeistigkeit im Lande ob der Enns, keine leichte Wahl, und verteilt als »Bestrafung« für »besonders dumme oder dreiste Leistungen im Bereich der Kulturpolitik«, und darüber hinaus, ebenjenen Genick-Kuss, manchmal werden kollektive Karateschläge verabreicht, oder Schergen des A-Lands gemaßregelt. Durch diese 13 Jahre Rückblick wird nicht nur der (Ab)Fluss von (Kultur-)Politikern sehr gut sichtbar: Verschleppen, Hinauszögern bis zum Stillstand, der Keim muss erstickt werden, weil sonst bleibt das Mittelmaß, der Volksdurch-schnitt auf der Strecke – darum gehen ja die, die sich das nicht antun wollen, übrig bleiben die, haha, Alten, Dummen und Schiachn...
Ein Schwarzbuch, das Entwicklung und Demontage von Kulturarbeit und -politik (vor allem) in OÖ dokumentiert. Vergleichbar mit dem »Dolm der Woche« (Falter) oder dem »Kacktor des Monats« (Zeiglers Wunderbare Welt des Fußballs). Verdichtete, meistens ins Schwarze (!) treffende Episoden des regionalen Grauens. Ungeheuerlichkeiten, die man bereits vergaß, oder gar vergessen wollte, so schämt man sich dafür, oft schmerzhaft ins Gedächtnis zurücktransformiert, bedrohlich und irgendwie komisch zugleich. Ein Sittenbild, das vom Inferno des globalen Wahnsinns direkt ins absolutistische Reich der Provinzprinzen traumwandelt. Die »Gnackwatsch‘n« zieht wie ein rostiger Pflug Furchen durch den Morast dieser gemeingefährlichen Status-Quo-Bande, man kann förmlich den Herzschlag einer flüchtenden Feldmaus spüren, die man vielleicht selbst darstellt. Kompendium für rege Kulturschaffende, um zu wissen, wo Bärenfallen stehen oder der Bartel den Most herholt, also der LH seine Steuern und Stimmen.
Unter diesen, oft vor Wortgewalt strotzenden Provokationen stecken kollektive Überlegungen der KUPF-Redaktion, wechselnd anonym verfasst, teilweise gehen dann auch mal die Pferde durch... In den, für diese Buchausgabe verfassten Liner Notes werden gelegentlich selbstkritische Töne angeschlagen (»...dieser rückblickend doch sehr schlechten Verlegenheitskolumne...«), oft steht die Frage im Raum, ob dies überhaupt die geeignete Form sei. Manchmal fließt die Kolumne übers Ziel hinaus, wie beim Hochwasser-Damm in Urfahr, was nachträglich betont wird. Unter dem Schlagwort »Autoaggression« finden sich selbstreflexive Auseinandersetzungen, Zweifel an Watschn an sich, wegen der eigenen pazifistischen Grundhaltung, und der von vielen Kulturvereinen, die die KUPF ja als Interessenvertretung vertritt. Der respektlose Weg gibt ihnen recht, von wegen »Keine Gewalt«: Gewalt wird ja rings um uns real praktiziert, permanent, was ist da schon ein verbaler Watschen-baum, der von einem Hund angepisst wird? In vielen Glossen hört man die Peitschenhiebe deutlich, das Seziermesser wird am Nacken angesetzt, da kann dann schon manchmal so was wie Blut spritzen, oder?
Meinungsfreiheit mit allen Mitteln, u.a. bei Karikaturen und natürlich auch bei Texten, als »geschriebenen Karikaturen«. Eine Aufgabe der Satire ist es, die Krankheiten der Gesellschaft aufzuzeigen, gerade das Widerlichste muss beim Namen genannt werden. Und das nicht erst seit den Anschlägen auf und den Diskussionen um Charlie Hebdo. Je perverser der Zustand, desto blendender muss der Spiegel sein, der vorgehalten wird: Stirb Zombie, stirb! Hosen müssen runtergezogen und Gnackwatsch‘n angedroht werden, wahrlich ein harmloses Kaliber im Vergleich, jedoch nicht minder unwichtig. Freie Meinungsäußerung verschwindet zusehends, da zu viele Angst haben, Gesetze oder Blattlinen es verbieten. »Ist die Feder wirklich mächtiger als das Schwert? Vielleicht. Langfristig«, so Stephan Roiss im Intro zum Buch, »apokalyptisch« vor den Anschlägen von Paris geschrieben. Zum Thema findet sich die Jesus-»Besudelung« von Gerhard Haderer von 2002 wieder, wo über die Freiheit der Kunst gesprochen wird, aktueller denn je. Überhaupt zählt das »Christen-Bashing«, neben OÖvpN und rechten Knappen zu den Lieblingsthemen der »Gnackwatsch‘n«. Unter dem Titel »Der geheime Katholerer« findet sich ein Kleinod an Christen-Antiverstehertum: Argumente knallen in komprimierter Wucht auf diese Geschwüre, auf dass man sie platzen hört und hiermit allen Gebetsbüchlein fett über den Einband geschrieben.
Und immer wieder finden sich in den Kolumnen Polemiken auf die uns allumgebende zynische Boshaftigkeit, wie sie z. B. die OÖN praktizieren, dieses seit jeher katholisch-konservativ verankerte Bollwerk. Wäre vielleicht alles nicht so schlimm und irgendwie egal, wenn außer den »freien Medien« nicht so ziemlich alles an Medien hierorts unter ebensolchen Fittichen stehen würde, gemischt mit einer rechten »Normalität«, und somit einfach alles zugunsten von Kulturtratsch totschweigen und verhindern muss, das gewagt, innovativ oder gar »aufmüpfig« ist. Der längste Beitrag hält die Geschehnisse der Demozerschlagung vom 1. Mai 2009 und alle Ungeheuerlichkeiten rundherum fest, wie vieles hier zum Nachschlagen anempfohlen. So auch meine Lieblingsanekdote zu Linz: der Kompromiss bei der Namensgebung des Mona-Lisa-Tunnels, benamst nach den Gattinen von Dobusch und Scharinger. Ja, der aristokratisch sein Zepter schwingende Mister Burns von Grottenbahnhausen weiß, seinen Lodenmantel wie einen Nerz strahlen zu lassen.
Das in Burgunderrot gehaltene Büchlein zeugt von einem guten Jahrgang (der Kritik), wohl dem Lieblingsgetränk der Redaktion geschuldet, da sickert spürbar schwerer Rotwein durch die Zeilen. Das ist alles gut so, bitte zukünftig gleichfalls in Rage geraten, die Krallen ausfahren und über Glas kratzen lassen, auch wenn‘s wehtut. Folgenden Pokal würde ich zukünftig einmal im Jahr an den aufdringlichsten Adressaten vergeben: Kybele, Göttin der Kultur, schlägt eine Knacka (Knackwurst) auf das Gnack eines niederknienden Kackhäuferls voll Elend, alles in zeitlosem Braun gehalten.