Schriftsteller, Komponist, Regisseur, Musiker, Zeichner. Max Müller ist in vielen Künsten bewandert, in erster Linie seit 1986 als Sänger der »Postpunk«-Band Mutter bekannt. Durch ihre beharrliche Komplettverweigerung sind sie nur einer überschaubaren Schar an Eingeweihten ein Begriff. Musik für Randgruppen, wie das eben so ist mit sogenannten Kult-Bands. Mutter lässt sich wie Müller nirgends einordnen, was gefällt ist Programm. Musikalisch schwer zu fassen, am ehesten in Gefilden wie Ton Steine Scherben unterwegs, sich erfrischend von deutschsprachigem Diskurspop oder Betroffenheitstexten abhebend, ging es nie darum Karriere zu machen. 1994 gelang ihnen mit »Die Erde wird der schönste Platz im All« jedoch fast so was wie ein Hit. »Die Band Mutter ist ein Phänomen. Ihre Musik ist laut und brachial und im nächsten Moment zart und flüchtig. Damit schlagen sie ihr Publikum und so manchen Produzenten in die Flucht.« (Selbstbeschreibung) Müllers Gesang ist stets präzise, klar und direkt, die Konzentration aufs Wesentliche ist allgegenwärtig. Anti-Heldentum, ohne großes Pathos darum. Eine legendäre Type, wie man in seiner Heimat Kreuzberg zu sagen pflegt.
Die überraschende, sanftmütig klingende neue Platte »Text & Musik« (2014, Clouds Hill/Rough Trade) verweigert sich abermals sämtlichen Genre-Zuschreibungen, neben Diskoanklängen gibt es Noiserock und Pop, die Songs verströmen locker-luftige Arrangements. Müller ist nicht nur Komponist und Texter, er spielt zudem Gitarre und Keyboard – und hat das Cover-Gemälde beigesteuert. Mit den Texten zu Mutters wohl zugänglichsten Platte beweist er abermals, wie elegant er die, eigentlich holprige, deutsche Sprache einsetzen und Alltagsbeobachtung mit dosiertem Gefühl ausstatten kann. Wichtig ist es ihm, Ballast an Worten abzuwerfen, nicht ins Faseln zu kommen. Die Spex-Redaktion wählte »Text & Musik« zu einer ihrer Platten von 2014, für Schachinger vom Standard ist Müller »der beste Songtexter Deutschlands«, und der langjährige Verehrer Jochen Distelmeyer (Blumfeld) meinte: »Dieses Album (Anm. »Europa gegen Amerika«) hätte ich gerne gemacht«. Allein schon die Titel einiger bisheriger Tonträger sprechen eine Sprache, die ihresgleichen sucht: »Ich schäme mich Gedanken zu haben die andere Menschen in Ihrer Würde verletzen«, »Hauptsache Musik«, »Europa gegen Amerika«, »Nazional« oder »Trinken Singen Schießen«. Allesamt großartige Beispiele dafür, wie Musik mit cleveren deutschen Texten perfekt harmoniert, ohne in Schwärmereien, Kitsch oder gar martialische Dummheiten versinken zu müssen. Für Rocko Schamoni ist das »eine Geheimproduktionsstätte, die nach anderen Regeln funktioniert und sich nicht darum schert, wie man das so machen muss.« Einen guten Einblick ins Gesamtschaffen Mutterns bringt der sehenswerte Dokumentarfilm »Wir waren niemals hier«, 2005 auf der Berlinale präsentiert.
Zusammen mit seinem Bruder Wolfgang (kurz war Max mit ihm bei der berüchtigten Künstlergruppe »Die Tödliche Doris«), prägte er maßgeblich die interdisziplinäre Bewegung der »Genialen Dilletanten«, einer Berliner Gruppe von Künstlern, Musikern, Literaten und Filmemachern, was bis heute in seinem Schaffen sichtbar bleibt. Hervorzuheben wären natürlich auch seine (musikalischen) Solo-Projekte, wo er dann (wirklich) alles in die Hand nimmt, wie bei seinem elektronischen Lo-Fi-Album »Die Nostalgie ist auch nicht mehr das was sie früher einmal war« (2008) auf dem Wiener Label Angelika Köhlermann, oder als Komponist für Film und Theater.
Ab 19. März gibt es nun im Rahmen von NEXTCOMIC in der STWST die Möglichkeit, einen Einblick in Max Müllers vielfältiges Schaffen zu bekommen: Neben einer Ausstellung aktueller Zeichnungen, wird er Texte lesen und zusammen mit Tex Rubinowitz, dem letztjährigen Bachmann-Preisträger, Karikaturisten und Partner-in-Crime, als DJ-Team in Aktion treten. Seine Zeichnungen, zumeist Porträts, ob mit Tusche, Öl, Kuli, Filz-, Blei- oder Farbstift gefertigt, beschäftigen sich mit Schauspielern, klassischen Horrorfilmen, Femme fatales, Film Noir – oft sind es Bösartigkeit verströmende Karikaturen, das Grauen ist greifbar nahe, es lauert um die Ecke und kann jederzeit zuschlagen. Aber nicht immer, auch hier lässt er sich nicht festnageln. Entfernt erinnern sie an Raymond Pettibon oder an verstörende Porträts von George Grosz, dem grandiosen Zeichner, Maler und Provokateur, der die Großstadt Berlin in all ihren Abseitigkeiten und Gegensätzen zeigte. Müllers Bilder sind um einen ziemlich klaren Ausdruck bemüht, ähnlich wie er das mit seinen Texten praktiziert, jedoch mit einem Funken Distortion durchzogen. Rubensfiguren, verzerrrt mit einem Schlankmacher-Effekt. Schraffierte Flächen unterstreichen den Schrecken, der jederzeit explodieren kann. Wegen all dieser Dinge passt er perfekt ins Konzept von NEXTCOMIC, nicht nur Ausstellungen von klassischen Comics zu zeigen, sondern auch Überschneidungen von »Punk Art«, »Fine Art«, Illustration, Karikatur und allem dazwischen.
2001 erschien sein bisher einziges Buch »Musikcafé Wolfsburg« (Verbrecher Verlag), eine Sammlung von Kurzgeschichten und Gedichten, illustriert mit eigenen Zeichnungen. »Im seichten Boulevardstil plätschern seine Geschichten los, doch die Sprachklischees und verbrauchten Wortspielereien verlieren ihre Harmlosigkeit, wenn sie eklige und schockierende Vorgänge beschreiben müssen«, schrieb Christiane Rösinger (Lassie Singers, Britta) in der FAZ. Dramen ohne Happy End, blutgetränkte Realsatiren, Gewalt und Schizophrenie, an Splatterfilme erinnernde Geschichten. In »Musikcafé Wolfsburg« findet sich eine so surreale Erzählung wie »Das Bernsteinzimmer«, wo eine Prostituierte und ihr Freier im Puff gleichzeitig an einem Stromschlag krepieren und alles in einer unterirdischen Gebärfabrik endet. In den Tusch-Zeichnungen zum Buch tauchen immer wieder Charaktere aus Horror-Klassikern auf, wie Frankenstein oder Lon Chaney Sr. als »Phantom der Oper«. »Dieses Buch ist wie die darin abgebildeten Bilder: genau, aber freundlich«, so der süffisante Einleitungstext.
Also bitte diese einmalige Gelegenheit nützen, einen der ganz Großen der »Underground-Szene« Berlins im »interdisziplinären Rahmen« kennen zu lernen!