Um etwas auf den Begriff zu bringen, ist es sinnvoll, sich zunächst davon ein Bild zu machen.
In der Filmsprache wird die Auswahl eines Bildausschnittes als Cadrage (resp. Framing) bezeichnet, während mit Mise en Scène dessen gestalterischer Aufbau gemeint ist. Für die Darstellung einer Stadt auf Plänen ließen sich analog die Ausdrücke Kartenrand und Kartenfeld verwenden. Anhand dieser Struktur lässt sich eine Stadt – etwa in Form von Katasterkarten – bildlich erfassen. Der Begriff Einstellung wiederum wird gängigerweise sowohl für die kleinste Einheit eines Filmes, als auch die Prädisposition einer Person gebraucht. Wer über einen längeren Zeitraum hinweg in einer Stadt lebt und sich einigermaßen aufmerksam durch die Umgebung bewegt, bemerkt unweigerlich Veränderungen. Lebensräume verändern sich jedoch nicht nur durch das nur lose koordinierte Zusammenwirken der Tätigkeiten von in ihnen lebenden Menschen: Im doppeldeutigen Ausdruck Stadtentwicklung ist neben diesen Zufälligkeiten auch das Moment gezielter Planung enthalten. Diese Ebene entgeht der beiläufigen Beobachtung, die zudem nur sehr oberflächliche Tatsachen bemerken kann: Wenn Geschäftsräume leerstehen, ist das meist sichtbarer, als im Falle von Wohnungen. Ein größerer Ausschnitt bedarf gezielter und systematischer Erforschung, die einerseits im Blick hat, wie sich Sozial- und Stadtstruktur ineinander übersetzen und andererseits die Dimension von Erleben, Erfahrung und Bedeutung mit einbezieht.
Avanti Anti Anti (das alternative »Triple A« zur Bewertung von urbanem Raum) ist – kurz gefasst – ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das die Methoden empirischer Sozialforschung mit künstlerischen Mitteln und Darstellungsformen kombiniert, sowie dessen einstweiligen Ergebnisse zwischendurch in Leerständen präsentiert. Mittlerweile ist es zur Auswertung der Befunde in das Folgeprojekt BETA BETA BETA übergegangen und wurde dafür unlängst mit dem Förderpreis der Stadt Linz für innovative Stadtkulturarbeit ausgezeichnet. Im Kern wird es von Anatol Bogendorfer, Florian »Husbert« Huber und Andreas »Anti« Mayrhofer durchgeführt und entstand ursprünglich aus der Idee, in Leerständen Konzerte zu veranstalten. Den Hintergrund dafür wiederum bildete die – bis 2011 existierende – Veranstaltungsreihe StopSpot!, deren Konzerte immer in einen inhaltlichen Kontext eingebettet waren. Bei der Konzeption von Avanti Anti Anti trat die veranstalterische Komponente zugunsten der Frage, was Leerstand als Indikator für Stadtentwicklung bedeutet aber bald in den Hintergrund. Die interdisziplinäre Ausrichtung verdankt sich nicht zuletzt den biographischen Hintergründen der Beteiligten: Während sich Anatol Bogendorfer und Andreas Mayrhofer eher aus künstlerischer Perspektive annäherten, brachte Florian Huber als Soziologe mit Schwerpunkt Stadtforschung empirisch-wissenschaftliche Zugänge mit ein. Die Frage, wie das Thema Leerstand in Linz wahrgenommen und verhandelt wird, umfasst einerseits den allgemeinen Strukturwandel und damit verbundene Entwicklungen auf städtischer Ebene. Andererseits geht es darum, wie die Bevölkerung vor Ort den lokalen Leerstand wahrnimmt, ihn sich erklärt und damit umgeht. Von Interesse ist, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Wissensbeständen über Leerstand zwischen der stadtpolitischen Ebene und der Bevölkerung vor Ort bestehen. Diese leitende Kernfrage ging nicht – wie in der empirischen Sozialforschung sonst üblich – mit einer konkreteren Ausgangshypothese einher: Dieser – eher ethnographische Zugang – ermöglichte eine gewisse Offenheit im Erschließen bestimmter (und auch neuer) Themen und deren flexiblere Gewichtung. Nachdem Avanti Anti Anti den Anspruch hat, wissenschaftlich-empirische und künstlerisch-experimentelle Ansätze zu verbinden, um so zu einem qualitativ neuen Zugang zu kommen, liegt die Frage nahe, wie dies konkret umgesetzt wird. Anders gefragt: Worin besteht nun konkret die Synthese? Der empirische Zugang fand bei Avanti Anti Anti auf zwei Ebenen statt: Einerseits wurde mit unterschiedlichen Expert_innen, Menschen aus der Stadtpolitik, sowie Interessenverbänden gesprochen. Parallel dazu kamen Bewohner_innen ausgewählter Gebiete zu Wort. Die Auswahl – sowohl der interviewten Personen, als auch der untersuchten Viertel – war einerseits davon bestimmt, welche Quellen in dieser Hinsicht ergiebig sein dürften, andererseits aber spielten – da es sich weniger um desk-, als mehr um fieldresearch handelte – auch der Zufall und das gezielte Umherstreifen vor Ort eine wichtige Rolle. Diese Gespräche wurden vermittels Photo und Video nicht nur dokumentiert und geschnitten, sondern durch kontrastierende Montagen gestaltet, also argumentativ zusammengesetzt. Der Kommentar findet allein auf Ebene der Kameraperspektive statt und muss daher bei der Betrachtung expliziert und interpretiert werden.
Die Dokumentation der Gespräche ist nicht allein ein Hilfsmittel, sondern integraler Bestandteil des forscherischen Zugriffs. Der sozialwissenschaftliche Zugang bei den Interviews wurde bei der Verarbeitung des »Datenmaterials« durch einen künstlerisch-experimentellen ergänzt. Die Fusion inhaltlicher und ästhetischer (auch im Sinne der Wortherkunft wahrnehmungsbezogener) Komponenten durchbricht die methodologischen Grenzen und macht Spannungsfelder im Material sichtbar, die den isolierten Disziplinen verborgen geblieben wären. Aufschlussreich sind die – durch die konfrontative Anordnung der Interviews deutlich hervortretenden – Unterschiede bei Aussagen und Diktion zwischen städtischen Verantwortlichen und Menschen vor Ort: Während etwa von offizieller Seite her die unterirdische Verlegung der Straßenbahn im Bereich Wienerstraße stadtplanerisch als Erfolg verbucht wurde, hoben Gewerbetreibende eher den Nachteil des Verlustes von Kundschaft hervor. Ein weiterer Aspekt sind in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Einschätzungen migrantisch geprägter Viertel: Diese schwanken zwischen Furcht vor Konkurrenz und Ghettoisierung einerseits und Bereicherung städtischen Lebens andererseits. Während die migrant businesses der Wienerstraße von Seite des Linzer City Ring als Ausdruck kultureller Diversität dargestellt werden, gelten ihnen diejenigen im Neustadtviertel – da dieses in das Zentrum integriert werden soll – als eher problematisch. Für die Menschen im Neustadtviertel schließen sie hingegen eine Lücke in der Nahversorgung und ersetzen ein Angebot, das sonst kaum mehr vorhanden ist. Bei allen Unterschieden überlagern sich die Einschätzungen allerdings auch: Eine Gemeinsamkeit besteht darin, dass die meisten der Befragten dem Thema Verkehr (und besonders dem Pendeln) hohen Stellenwert einräumten und Trassenverlegungen als maßgeblichen Faktor für Leerstände wahrnahmen, weshalb die Rede immer wieder auf die neuralgischen Punkte Rudolf-, Waldegg- und Humboldtstraße kam. Eine Frage, die bei der Beforschung von Leerstand beinahe zwangsläufig auftaucht ist die, inwieweit das stattfindet, was als Gentrifizierung bezeichnet wird. Dies spielte bei Avanti Anti Anti zwar im Ausgang keine Rolle, klang aber im Verlauf des Projektes immer wieder an. Ohne weitere Forschung lassen sich dazu allerdings nur vage Aussagen machen: Linz ist eher für lokale oder regionale Investment-Gruppen von Interesse und die Aufwertungsprozesse finden eher auf kleinräumiger Ebene (einzelne Straßenzüge) statt. Strategischen Leerstand gibt es zwar (ein Beispiel dafür wurde im Verlaufe des Projektes dokumentiert), er hält sich aber eher in Grenzen. Prekariumsverträge bei Zwischennutzungen sind dabei kein hinreichender Indikator für strategische Leerstände: Einerseits kann diese Unverbindlichkeit von den Nutzer_innen durchaus gewollt sein, weil es eine gewisse Freiheit bietet und besser ist, als in Kreativcluster – im Sinne olympischer Dörfer für Kreativschaffende – integriert zu werden; andererseits werden Verträge oft problemlos verlängert. Problematisch ist hingegen der derzeitige Hype um die Zwischennutzung, hinter dem die Idee steht, Linz als creative city zu positionieren: Da sollte eher der tatsächliche Bedarf geklärt werden und zudem das Augenmerk eher auf strukturelle Probleme gelegt werden. Ratsam ist außerdem – gerade für diejenigen, die ein »Recht auf Stadt« proklamieren – eine breite Einbeziehung der Bevölkerung bei Ideen zur Stadtentwicklung, um diese nicht zum Elitenprojekt zu machen. Die einstweiligen Ergebnisse von Avanti Anti Anti wurden bei Zwischenpräsentationen öffentlich gemacht: Juli 2014 im Neustadtviertel, September im Makartviertel und im Dezember am Grünmarkt. Bei den gut besuchten Veranstaltungen konnte das interessierte Publikum die Interviews anschauen und darüber diskutieren. Diese Partys dienten aber nicht nur zur Darstellung, sondern beinhalteten auch das politische Moment gestalterischen Eingriffs, da Menschen – um sich einen Eindruck machen zu können – an Orte gebracht wurden, die abseits des Zentrums liegen, an denen sonst nach Ladenschluss die Gehsteige hochgeklappt werden. Insofern hat sich mit diesen Veranstaltungen der Bogen zu der Ursprungsidee wieder geschlossen. Informationen und Rohschnitte einiger Videos auf: https://avantiantianti.wordpress.com