Als 1989 nach mehr als zehn Jahren medialer Abwesenheit ein pensionsreifer Lieutenant Columbo, gespielt wie stets von Peter Falk, mit der Episode »Columbo Goes to the Guillotine« ins Fernsehen zurückkehrte, war das auch szeneographisch ein Déjà-vu: Wie schon in »Now You See Him«, einer Folge aus der fünften Staffel von 1976, fungierte als Columbos Gegenspieler ein Zauberer, dessen Mystifikationstalent ihm bei der Verschleierung eines Verbrechens nützt. Doch der Typus des Zauberers hatte sich verändert: Die frühe Folge präsentierte mit dem Varieté-Star Santini einen Handwerker alter Schule, der sich durch Verwandlungsfähigkeit, Geschicklichkeit und technische Tricks ein scheinbar perfektes Alibi für den Mord an einem Nachtclub-Besitzer verschafft. Dieser hat ihn mit dem Wissen um seine Vergangenheit erpresst: Santini ist in Wirklichkeit ein deutscher Ex-Nazi, der auf der Fahndungsliste israelischer Behörden steht. In der späteren Episode dagegen steht ein akademisch approbierter Hellseher im Mittelpunkt, den der US-amerikanische Geheimdienst anwerben möchte und der, um den letzten Eignungstest erfolgreich zu absolvieren, einen ehemaligen Freund ermordet, der ihn hätte auffliegen lassen. In einer langen Rekonstruktionsszene stellt Columbo am Ende, selbst in der Rolle des Hellsehers, den Betrug nach, mit dem die Geheimdienstmitarbeiter getäuscht worden sind.
Während die frühe Episode das damals virulente Thema der Nazis aufgreift, die sich durch Namenswechsel und Auswanderung ihrer Strafe entziehen konnten (Santini wurde in der deutschsprachigen Erstausstrahlung für die ARD daher kurzerhand zum Drogenhändler), macht die zweite Episode inmitten des Zerfalls von Sowjetunion und Warschauer Pakt ein Sujet des Kalten Kriegs zum Gegenstand: die Zusammenarbeit US-amerikanischer Sicherheitsbehörden mit Parapsychologen, Hellsehern und vermeintlich telepathisch Begabten, die in den Fünfzigern zwecks Bekämpfung des kommunistischen Feindes einen Höhepunkt erreichte, aber auch für spätere Jahre dokumentiert ist. Die Parapsychologen intensivierten im ersten Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkriegs ebenfalls ihre Öffentlichkeitsarbeit, nicht nur in den Vereinigten Staaten. Dort wurde 1957 in Durham, North Carolina, die Parapsychological Association (PA) gegründet, um die Parapsychologie zur international anerkannten Wissenschaft zu machen. Angeregt worden war die Gründung durch den Psychologen Joseph B. Rhine, der bereits Mitte der dreißiger Jahre an der Duke University in Durham parapsychologische Laborexperimente unternommen und die Parapsychologie mit seinem 1937 erschienenen Buch »New Frontiers of the Mind« sowie dem von ihm herausgegebenen Journal of Parapsychology popularisiert hatte. In der Bundesrepublik wurde 1950 von dem Parapsycho-logen Hans Bender in Freiburg im Breisgau das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) geschaffen, das mittels Labortests Fälle von Spuk und Psychokinese – so wird die Fähigkeit genannt, physikalische Prozesse »mental« zu beeinflussen – untersuchen sollte. Das Institut besteht noch heute und widmet sich der »interdisziplinären Erforschung« von »Anomalien an den Grenzen unseres Wissens«, wofür es wohl tatsächlich keinen geeigneteren Ort als Freiburg gibt.
Der Siegeszug der Parapsychologie in den fünfziger Jahren ist indessen nicht zu verstehen, solange die Affinität zu ihrem scheinbaren Gegenspieler, der damaligen Leitideologie des Positivismus und Pragmatismus, nicht erkannt wird. Die bedeutenden US-amerikanischen Wegbereiter der Parapsychologie in den dreißiger Jahren, neben Rhine Karl Zener und William McDougall, waren mehrheitlich Vertreter der behavioristischen Psychologie, die die Psychoanalyse durch Eskamotierung der Triebtheorie und der Erkenntniskritik zu einer instrumentellen Verhaltenswissenschaft heruntergebracht hatte. Trotz der verstiegen-idealistisch anmutenden Vorstellung von außersinnlicher Wahrnehmung, Seelenwanderung, Magnetismus und Telepathie ist das Weltbild der Parapsychologen einem ebenso kruden wie manipulativen Materialismus verhaftet, der alle seinem mechanistischen Verständnis von Bewusstsein und Geist inkommensurablen Phänomene blind rationalisiert, eben dadurch in Irrationalität umschlägt und zum wissenschaftlich rationalisierten Aberglauben wird. Dass die Wirkungsgeschichte der modernen Parapsychologie vom Positivismus über den Behaviorismus und die esoterisch-hippieske Körperpsychologie der späten Sechziger bis zur Neuropsychologie und Neuropädagogik der Gegenwart reicht, ist insofern nur konsequent.
Dieser Zusammenhang kristallisiert sich in der Biographie eines Schriftstellers, den die politische Historiographie vor allem als Prototypus des Renegaten kennt, der aber mehr als ein Drittel seines Lebens der Verteidigung der Parapsychologie gewidmet und nebenher eine der frühesten theoretischen Begründungen des Begriffs der Kreativität geliefert hat: Arthur Koestler, bekannt als Freund George Orwells und Autor des antisowjetischen Romans »Sonnenfinsternis« (»Darkness at Noon«, 1940). Neben dem ersten Bruch in Koestlers Biographie – seiner unter dem Eindruck der stalinistischen Schauprozesse vollzogenen Abwendung vom Kommunismus, für die das Jahr 1938 steht, in dem er mit Willi Münzenberg die antifaschistische und antistalinistische Zeitschrift Die Zukunft gründete – gibt es in Koestlers Leben eine zweite, weniger bekannte, aber ebenso entscheidende Zäsur: seine Abwendung von der politischen Belletristik hin zu Parapsychologie und populärer Naturwissenschaft, die mit dem Roman »Die Nachtwandler« (»The Sleepwalkers«, 1959) endgültig vollzogen war. Das Buch ist Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung Koestlers mit Galileo Galilei und der Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes. In ihm demontiert Koestler den um Galilei betriebenen Wissenschaftsmythos nicht, um dem akademischen Kultus um die große Einzelpersönlichkeit entgegenzuarbeiten – im Gegenteil stellt er Galilei als geltungssüchtiges Genie dar, dem es statt um Erkenntnis um Durchsetzung seiner privaten Welterklärung geht –, sondern er verfolgt, wie Koestler im Vorwort schreibt, das Ziel, der »Legende« entgegenzuwirken, »dass die Wissenschaft eine vernunftmäßige Betätigung« sei.
Dabei geht es Koestler – anders als Thomas S. Kuhn in seiner in den frühen sechziger Jahren, also nur wenige Jahre später, vorgelegten Theorie wissenschaftlicher Revolutionen – nicht um den Nachweis, dass bei der Entstehung naturwissenschaftlicher Weltdeutungen Phantasie, Einbildungskraft, Kontingenz und andere außerrationale Impulse eine Rolle spielen, sondern um die Proklamation einer »ganzheitlichen« Weltanschauung, die Natur- und Geisteswissenschaft, Rationalität und Imagination als bloße Derivate desselben Prinzips versteht: der »Kreativität«. In Koestlers fünf Jahre nach »Die Nachtwandler« vorgelegten Studie »Der göttliche Funke« (»The Act of Creation«, 1964) wird der Begriff der Kreativität mit erschöpfender Ausführlichkeit entfaltet. Leitend dafür sind zwei Termini, die wie eine Vorwegnahme postmodernen Jargons klingen, »Matrix« und »Bisoziation«. Die »Matrix« wird als »Hierarchie von flexiblen Systemen mit fixen Spielregeln« bestimmt, die aus vorhandenen Codes durch Rekombination immer neue Systeme generiert. »Bisoziation« nennt Koestler im Gegensatz zur »Assoziation« Gedanken- und Vorstellungskombinationen, die nicht innerhalb eines Systems ablaufen, sondern widersprüchliche Codes aufeinander beziehen. Aus solchen Überlappungen von Codes, die einander stören und konterkarieren, erklärt er die Logik von Witz und Humor. Zugleich wird die »Bisoziation« als Prinzip der »Kreativität« bestimmt, die Vernunft, Reflexion und Poesie, ja das »Neue« in der Welt überhaupt hervorbringe. Entsprechend erklärt Koestler, als hätte er höchstpersönlich den die Welt beseelenden göttlichen Funken erhascht, mit der »Bisoziation« nicht nur den Übergang zum heliozentrischen Weltbild, sondern auch die Erfindung des Buchdrucks und die Entstehung der Evolutionstheorie.
Nun braucht niemand auch nur philosophische Grundkenntnisse, um einzusehen, dass schon die »Assoziation« nur eine ist, sofern sie eine Verbindung zwischen zwei nicht identischen Vorstellungen stiftet, dass also das, worin sich die »Bisoziation« von ihr unterscheiden soll, selbst bereits die »Assoziation« kennzeichnet. Das pseudobegriffliche Brimborium, das Wissenschaftlichkeit suggeriert, wo Tautologie und Willkür herrschen, antizipiert in toto die Hochstaplerterminologie der Postmoderne, für die das Amalgam aus geistes- und naturwissenschaftlichen Metaphern charakteristisch ist. Und wie die Postmoderne auf unteilbare Wahrheit ebenso verzichtet wie auf historische Urteilskraft, erklärt Koestler die Wirkungsmacht der »Kreativität« damit, dass diese den »Verzicht auf bewusste Kontrolle« voraussetze, um den »Intellekt« von seinen »Beschränkungen« zu befreien und den »schöpferischen Aufschwung« zu ermöglichen. Bis hinein in die pseudobiologischen »Erklärungen« dieses Prozesses ist in Koestlers Buch die trübe Mischung aus Metaphysik und Materialismus, Positivismus und Spekulation angelegt, die die heute beliebte Varianten der »Bewusstseinsphilosophie« kennzeichnet, welche den freien Willen leugnen und den Wahrheitsbegriff verabschieden.
Hinweise darauf, dass Koestler selbst eine technische und philosophische Ausbildung genossen hat – er studierte ab 1922 in Wien nicht nur Ingenieurswissenschaften, sondern auch Philosophie und Literatur –, können den Obskuran-tismus seiner späteren Texte ebenso wenig erklären wie die von ihm in die Welt gesetzten Privatmythen: So behauptet er in seiner Autobiographie, 1937 während der Gefangenschaft im Spanischen Bürgerkrieg, den der zunächst vom Zionismus, seit den frühen dreißiger Jahren vom Kommunismus beeinflusste Sohn österreichisch-ungarischer Juden als Kriegsberichterstatter begleitete, ein Erlebnis gemacht zu haben, das die Wendung des späteren Antikommunisten zur Parapsycho-logie vorwegnimmt: In der Todeszelle habe er in Form einer mystischen Wesensschau Euklids Beweis der Unendlichkeit der Primzahlen rekonstruiert. Tatsächlich stellt sich Koestlers Biographie als drastische Ausprägung der Aporien jener Spielart des Antitotalitarismus dar, die in Reaktion auf die Barbarei des Stalinismus nicht nur den Kommunismus, sondern gleich die gesamte Tradition des historischen Materialismus preisgab und die eigene transzendentale Obdachlosigkeit durch einen Eklektizismus ausglich, der den Abhub von Metaphysik mit dem Abhub des Positivismus kombinierte. Dass dieses Denken heute eine alle politischen Richtungen übergreifende Alltagsreligion geworden ist, zeigt sich an der Karriere, die die »Kreativität« in Kunst, Philosophie und Pädagogik seither gemacht hat. Columbo dagegen wusste, dass Phantasie das Ergebnis geduldiger Beschäftigung mit den Gegenständen der eigenen Arbeit ist, während nur faule Zauberer, die im Namen der Vernunft entlarvt werden müssen, »kreativ« genannt zu werden verdienen.