Gesucht: 900.000 Euro. Das ist der Betrag, den die Krautreporter innerhalb eines Monats zusammenbekommen wollen, um damit ihre Vorstellung von Onlinejournalismus mit Qualitätsanspruch umzusetzen. Der Name weist dabei nicht nur darauf hin, dass es sich um ein deutsches Projekt handelt, sondern auch darauf, dass das Geld mittels Crowdfunding, in Vor-Internet-Zeiten »Spendensammeln« genannt, hereinkommen soll. Zu diesem Zweck müssten sich bis Mitte Juni 15.000 Menschen bereit erklären, je 60 Euro für ein »Jahresabo«, an anderer Stelle auch »Mitgliedschaft« genannt, zu zahlen. Dafür soll es ihnen dann möglich sein, Beiträge nicht nur zu lesen, sondern auch zu kommentieren, sich in die Recherche einzubringen und noch so einiges mehr.
In der Twitter- und Blogosphäre stößt der Plan auf Skepsis und Kritik – allerdings nicht so sehr wegen des Geschäftsmodells, sondern wegen der Zusammensetzung der angehenden Redaktion: Zu männlich, zu weiß, so der Tenor. Nun ist es allerdings auch nicht das Ziel der Krautreporter, sich zu Vorreitern in Sachen Gleichstellung, Diversity, etc. zu machen, sondern eben: Journalismus zu betreiben. Die demographische Struktur des Teams dürfte dabei ganz gut diejenige der Branche insgesamt widerspiegeln. Die Krautreporter selbst haben mittlerweile Besserung gelobt. Andere Kritiker mäkeln, das Projekt sei »elitär«, oder auch, die Unterzeichner kauften »die Katze im Sack« (Andreas Theyssen, opinion-club.com). Nun ja, Letzteres ist geradezu ein Erkennungsmerkmal von Crowdfundingaktionen – so klingt wohl einfach der Neid mehr oder minder talentierter Hobbyblogger darauf, dass sich Menschen anmaßen, mit ihrem erlernten Beruf Geld verdienen zu wollen.
Ob das Ganze nun aber Aussicht auf Erfolg hat? Dem niederländischen Vorbild De Correspondent gelang es im vergangenen Jahr immerhin, die ebenfalls angepeilten 15.000 Unterstützer innerhalb von nur acht Tagen um sich zu scharen (Stand Krautreporter nach sechs Tagen: 4.260). Andererseits sind Qualität und namhafte Mitarbeiter kein Garant dafür, dass das Publikum dies auch angemessen honoriert, wie das Beispiel der Ruhrbarone zeigt: Hier bloggen ebenfalls professionelle Journalisten über Themen aus dem Ruhrgebiet. Zwar setzen auch sie (neben Werbeeinnahmen) auf Crowdfundingkampagnen, leben können sie davon bisher jedoch nicht – auch wenn es wünschenswert sei, zumindest denen, die viel für das Blog schreiben, monatlich 400 – 500 Euro zahlen zu können, wie Chefredakteur Stefan Laurin der Autorin auf Anfrage hin mitteilte. Und auch die Lokaljournalisten des Hamburger Onlinemagazins Mittendrin, das vor allem durch seine Vor-Ort-Berichterstattung über die Proteste gegen die Einrichtung eines polizeilichen Gefahrengebiets Anfang des Jahres größere Bekanntheit erlangte, bitten um Spenden, um nicht nur die Infrastruktur, sondern auch angemessene Honorare und feste Mitarbeiter bezahlen zu können.
Aber Crowdfunding beschränkt sich bei weitem nicht nur auf die schreibende Zunft. Auf Startnext.de, dem größten deutschsprachigen Portal für publikumsfinanzierte Vorhaben, werben Filmschaffende, Solarbaukastenbastler, Bands und Modedesigner um die Gunst der potentiellen Geldgeber, also kurz: so ziemlich alles, was sich unter dem Begriff der Kreativwirtschaft zusammenfassen lässt.
Dass so etwas funktionieren kann, beweisen die Erfolgsgeschichten der Filme »Iron Sky« und »Stromberg«; letzterer spielte nach erfolgreicher Vorfinanzierung so viel ein, dass die Kleininvestoren sogar Geld zurückbekamen. Zwar nur 50 Cent pro verkaufter Kinokarte, aber immerhin. Allerdings zeigen diese Beispiele auch, welche Voraussetzungen man mitbringen muss, wenn die Online-Bettelei gelingen soll: Bei »Iron Sky« war es die zugkräftige Kombination von Ufos und Nazis, während der »Stromberg«-Film auf der gleichnamigen TV-Serie basiert und somit bereits eine treue Fangemeinde mitbrachte. Der Teufel scheißt nun einmal auch in diesem Fall stets auf den größten Haufen. Kleinere, ambitionierte Nischenprojekte hingegen dürften, da sich die vielbesungene Schwarmintelligenz in den allermeisten Fällen doch eher als Schwarmdummheit herausstellt, kaum eine Chance haben. So hat die geplante Zeitschrift N#MMER - Magazin für Autisten und AD(H)Sler trotz intensiver Werbung auf allen Social-Media-Kanälen bisher – Stand: 19. Mai - gerade einmal 212 Unterstützer (entsprechend 294 Euro) gewonnen – das nimmt sich neben den Fans der ungefähr gleichzeitig gestarteten Krautreporter dann doch eher bescheiden aus. Insgesamt ergibt eine Stichprobe auf Startnext, dass sich das Format »Comedy« offenbar am besten verkauft, sei es als Buch, Hörspiel oder Film – selbst dann, wenn die Idee wie im Fall von »Prinz Blechleber und der Fluch der Ahnen« explizit als »lustige Komödie« angepriesen wird. Exakt null Unterstützer hat dagegen, obwohl bereits im Februar gestartet, ein sinnvolles Vorhaben wie das Buchprojekt »Realistische Unfall- und Notfalldarstellung«, das Maskenbildnern und Mimen eine Handreichung für die Arbeit in der Ausbildung von Rettungskräften bieten soll.
Die Nichtbeachtung des Publikums ist aber nicht in allen Fällen ein Verlust für die Menschheit. Das gilt etwa für das Streetart-Projekt »Raumverstrickungen«, das gerne ein Dorf aus »selbstgestrickten Tipis« in der Kölner Innenstadt aufbauen möchte. »Die meditativ-kreative Herstellung verweist auf uralte Traditionen, auf die Stabilität und Machart eines Gewebes«, erklären die Macher den ... – nun ja: Sinn des Vorhabens, und irgendwie soll damit die Welt durch die »individuelle Erlebbarkeit« von »neuen Wege im Gewebe« schöner, sozialer undsoweiter werden. Dass sich nur eine Handvoll Leute von diesem esoterisch angehauchten Hippiegeschwurbel zu einer Spende motivieren lässt, stimmt dann doch schon wieder hoffnungsvoll. Und auch ohne all die angedrohten Filme, in denen »junge Kreative« ihr aufregendes Leben als »junge Kreative« dokumentieren wollen, kann die Welt sicherlich ganz gut leben.
Überhaupt ist eine der nervtötendsten Begleiterscheinungen des Crowdfundingwesens die inflationäre Verwendung des Begriffs »kreativ«. Zwar ist dessen Gebrauch bei den meisten der zu Markte getragenen Ideen sachlich nicht falsch, aber das gilt auch für das Kastanienmännchenbasteln im Kindergarten. Und dass hier frisch der Kunsthochschule entsprungene, hoffnungsvolle junge Menschen gezwungen sind, große Teile ihres möglicherweise tatsächlich vorhandenen schöpferischen Talents auf das Marketing in eigener Sache zu verwenden, macht das Ganze auch nicht besser – auch dann nicht, wenn sie dabei beispielsweise von der »Hamburg Kreativ Gesellschaft, Förderagentur für Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt Hamburg« (die dudenwidrige Schreibweise soll vermutlich auch irgendwie für Kreativität stehen) unterstützt werden.
Diese betreibt unter anderem »Nordstarter«, eine an Startnext angeschlossene Crowdfunding-Plattform für Irgendwasmitkreativmacher aus Hamburg. Anfangs vergab sie auch noch zusätzliche 2.500 Euro an dasjenige Projekt, das innerhalb eines gegebenen Zeitraums die meisten Mikro-Mäzene versammeln konnte; inzwischen hat sie diese Variante des »Wer hat, dem wird gegeben«-Prinzips offenbar aufgegeben. Ob hier die Befürchtung wahr wird, dass Crowdfunding auf Kosten der staatlichen Kulturförderung geht, oder ob es einfach daran liegt, dass in der Elbphilharmonie noch ein paar Klobrillen vergoldet werden müssen, war leider nicht in Erfahrung zu bringen.
Ist es der Kultur nun aber zuträglicher, mit freiwilligen oder, in Form von Steuergeldern bzw. Rundfunkbeiträgen, unfreiwilligen Gaben der Öffentlichkeit unterstützt zu werden? Theoretisch haben der Staat und seine Medien die Möglichkeit, Projekte fern des Mainstreams zu fördern, die beim Crowdfunding keinerlei Chancen hätten. In der Praxis zeigt allerdings ein Blick auf das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm oder die Meterware, die etwa mit den Mitteln der deutschen Filmförderung fabriziert wird, dass es kaum einen Unterschied macht, ob nicht-massenkompatible Ideen nun der Schwarmignoranz oder derjenigen der (Programm-)Politik zum Opfer fallen.
Zu guter Letzt noch ein Rat für diejenigen, die ein bisschen Kleingeld übrig haben und sich nun fragen, wo dieses denn sinnvoll angelegt wäre. »Crowdfunding« ist zwar eine noch junge Wortschöpfung, das Prinzip jedoch hunderte, wenn nicht tausende Jahre älter und funktioniert auch ganz ohne Internet: Schaustellertruppen, Straßenmusiker und Bettler gibt es schließlich nicht erst seit gestern. Letztere haben den Spendern als Gegenleistung immerhin ein gutes Gewissen zu bieten. Reflektiertere Zeitgenossen, denen dieser Gedanke wiederum ein schlechtes Gewissen macht, sollten sich vor Augen führen, dass ihre in den Hut geworfenen Münzen den durchaus praktischen Nutzen haben können, die Gentrifizierung eines Stadtviertels zu verlangsamen. Und wer am Verwendungszweck seines Gelds zweifelt, möge herausfinden, wo jener junge Punk anzutreffen ist, dessen Foto vor kurzem auf Twitter die Runde machte – mit nicht nur einer, sondern gleich vier Sammelbüchsen, feinsäuberlich aufgeteilt in »Alk«, »Kiffen«, »Essen« und »Hund«. Von so viel finanzieller Transparenz kann sich so manches Crowdfunding-Projekt noch eine Scheibe abschneiden.