Spätestens seit dem 19. Oktober 2016, als der 49-jährige Wolfgang P. einen Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) im mittelfränkischen Georgensgmünd tödlich verletzte, sind die Reichsbürger in der deutschsprachigen Öffentlichkeit präsent. Wolfgang P. hatte sich gegen eine behördlich angeordnete Hausdurchsuchung zur Wehr gesetzt; er erkennt weder den Verwaltungsapparat noch die Vollstreckungsbeamten der Bundesrepublik Deutschland (BRD) an, begreift sich als Statthalter seines eigenen Reichsgebildes und erklärte seinen Schusswaffengebrauch dadurch, dass er die Hausdurchsuchung als Übertritt auf fremden Staatsboden, dessen Schutz und Verteidigung er sich zur Aufgabe gemacht hat, ansah.
Damit handelte Wolfgang P., dessen Logik schon längst nicht mehr die eines Staatsbürgers war, sondern zu einer des Staates wurde, konsequent und nicht etwa extrem oder radikal. Denn welcher Staat würde auf die Verletzung von territorialen Ansprüchen – vorausgesetzt, er sieht seine weitere Machtausübung dadurch bedroht – eines ihm fremden Staates nicht versuchen, mit Gewalt zu reagieren? Der Bürger hingegen würde über den Rechtsweg versuchen, eine vermeintlich illegitime Hausdurchsuchung anzufechten.
Wolfang P. ist nur einer unter vielen, zahlreiche Reichsgründungen erfolgten in den letzten Jahren.1 Im Begriff des Rechtsextremismus gehen, wie es beispielsweise in der konkret2 angenommen wird, die Reichsbürger nur schwer auf. Auch ist es zu beliebig, Reichsbürger und ähnliche militanten Querulanten als Anhänger einer Weltverschwörung zu sehen. Zweifelsfrei rekurrieren diese Leute auf Verschwörungstheorien, spinnen zuweilen auch ihre eigenen, doch die Annahme, dass die Verschwörungstheorie Selbstzweck sei, lässt außer Betracht, dass sie alle äußerst konkrete Autarkiebestrebungen hegen, oder besser gesagt: dass diese Bestrebungen und die Weltverschwörungstheorien einander bedingen.
Wolfgang P., der durch seinen Übertritt vom bundesrepublikanischen Staats- zum frei flottierenden Reichsbürger eine Quasi-Staatssetzung vollzog, imaginierte dadurch nicht nur sein Reich, sondern konstituierte es tatsächlich, indem er der zur Erscheinung gezwungenen Souveränität in Form des Staates in Form eines »Gegensouveräns« (Manfred Dahlmann) kriegerisch gegenübertrat, der allerdings in seinen Dimensionen im Vergleich zu anderen Gegensouveränen, die die Gewalt übergreifender zu entfesseln wagen (beispielsweise in Gestalt des Djihads), geradezu lächerlich wirkt.
Die Polizei fand nach der erfolgreichen Festnahme bei ihm 31 Waffen und einen Jagdschein. Noch im Januar 2016 versuchte er auf dem Amt der etwa 6700-Seelen-Gemeinde, seine Personaldokumente zu retournieren. Damit wollte er seiner eigenwilligen Auffassung nach die Staatsbürgerschaft aufgeben – vergebens, denn die Staatsbürgerschaft ist kein Recht des Einzelnen, das er nach Belieben entäußern kann, sondern obliegt letztlich immer der Entscheidungsbefugnis des Staates. In der Logik seines eigenen Wahns war das wiederum nur konsequent: sieht er sich doch in seinem reichsbürgerlichen Bewusstsein nicht als Staatsbürger seinem Staat unterworfen, wie er es wirklich ist, sondern als Souverän vor anderen Souveränen stehend.
Er meldete, obgleich er weiterhin Hauseigentum im Ort besaß, seinen Wohnsitz ab, demontierte den Briefkasten, um weitere Postzustellungen zu verhindern. Finanzielle Forderungen besäßen für ihn keine Gültigkeit mehr. Die BRD, so erklärte er, sei inexistent und damit seien auch behördliche Schreiben und Anordnungen hinfällig. Seit Frühjahr 2012 liefen die Geschäfte seines Kampfsportstudios schlechter, vier Jahre später kündigte er das Gewerbe auf. Im August 2015 sollte er eine Versicherung (wahrheitsgetreue Vermögensauskünfte gegenüber einer amtlichen Behörde) an Eides statt abgeben, er selbst erschien vor dem Amtsgericht nicht, einer abermaligen Vorladung des Amtsgerichts entzog er sich und teilte mit, dass er sich in seinem eigenen souveränen Reich befände und damit nicht den bundesrepublikanischen Behörden unterstellt sei.
Austrittserklärung
Die Verkennung des Gewaltmonopols zeigt sich bereits darin, dass der Reichsbürger den Souverän nur als Firma wahrhaben möchte, um sich ihm gegenüber selber als der eigentliche Souverän zu imaginieren. Wie viele andere reimt auch Wolfgang P. sich zusammen, dass das Präfix Personal in Personalausweis belegen würde, dass der Besitzer jenes Ausweises Personal der BRD sei, die daher kein Staat, sondern ein Unternehmen darstelle – oftmals reduziert auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (‚BRD GmbH‘). Diese Staatlichkeit sei einer Fiktion geschuldet und sobald die Bürger solcher vorgeblichen Staatsbürgerschaft nur entsagen, sei auch die BRD hinfällig. Unter Rekurs auf diese Argumentationsfigur, die für die konsequenten Souveränisten maßgeblich ist, erklärte er, handschriftlich dokumentiert und im Internet verbreitet, durch eine ‚Lebendmeldung‘, seinen Staatsaustritt. Wolfgang P., der den Staat als Firma apostrophiert, kündigt damit, wie er es meint, sein Dienstverhältnis auf.
Genauso wenig wie das Geld als Gegenständlichkeit existiert, denn nur die Münze mag dem Einzelnen sinnlich gegenübertreten, nimmt der Staat keine sinnlich wahrnehmbare Gestalt an, nur Beamte erscheinen als konkrete Individuen, die wiederum auch nur als Repräsentationsfiguren oder »Charaktermasken« (Karl Marx) auftreten. Da aber die bürgerliche Gesellschaft einen solchen übermächtigen Funktionszusammenhang bildet, dass der Unterschied zwischen der Handlung des Einzelnen und dem Ganzen, das nur als Verselbstständigungszusammenhang der Einzelnen existiert, nichtig zu werden droht, existiert gerade auch dann der Staat, wenn der Einzelne ihm entsagt.
Ohne diesen Leuten das Wort reden zu wollen, und darin liegt in Anbetracht der allzu geläufigen journalistischen und politikwissenschaftlichen Widerlegungen der Reichsbürger die wirkliche Schwierigkeit und das eigentliche Kunststück, sagt der Wahn der Reichsbürger doch auch etwas aus über den Wahn der Normalbürger, die mit dem aktuellen Inhaber des Gewaltmonopols konform gehen.
Zum Wahn des Reichsbürgers gehört aber nun, dass er sich einerseits als ein eigener Staat gegenüber der Firma BRD als Pseudostaat verhält, andererseits als Bürger eines der Firma BRD übergeordneten Reichs, das aus der Vergangenheit abgleitet wird. In diesem doppeldeutigen Sinn argumentiert er mit dem Hinweis auf sogenannte völkerrechtliche Bestimmungen, die angeblich ein höheres Maß an Gültigkeit als nationalstaatliche Regelungen besäßen. In aller Regel werden dann Behörden mit Verweis auf das internationale Recht, für das es keinen überstaatlichen Garanten (etwa einen Weltstaat) gibt, der dieses Völkerrecht – wie es ausschließlich im deutschsprachigen Raum heißt – durchsetzen könnte, geleugnet. So werden Vordrucke auf esoterisch anmutenden Internetpräsenzen oder Seminaren der Reichsbürger feilgeboten, die dann an die staatlichen Institutionen adressiert werden. Im behördlichen Jargon wird das Phänomen des massenhaften Adressierens von Schreiben mit allerhand absurden Erklärungen an staatliche Behörden zuweilen als paper terrorism bezeichnet. Ziel ist es, der erzwingenden Erscheinungsform von Souveränität in Form des Staates zu entsagen, um die Zahlung von Steuer- und Bußgeldern guten Gewissens abzuwenden.
Wolfgang P. gründete sein – wie er es nennt – eigenes Reich, Ausweis soll das Wappen sein, das seine Hausfassade fortan schmückt. Er erklärt sich selbst zum Reichsbürger, zum Bürger seines Reichs, auf seinem Grundstück. Das alles und noch viel mehr veröffentlicht er auf Facebook und auf Youtube. Als Querulant erhält er von anderen breite Solidaritätsbekundungen, zuweilen auch Besuche von Gleichgesinnten. Seine Reichszelle ist über das Internet vernetzt, sein Reich strebt nach Autarkie.
Vom Begriff des Reiches scheinen die Souveränisten schlichtweg fasziniert, erinnert sie das Reich noch an die Großmacht eines einstigen starken, noch souveränen Deutschlands, ob als Heiliges Reich Deutscher Nation, Königreich Preußen oder Drittes Reich. Doch nur der glamourös schimmernde Begriff erinnert an die Großmacht. Die Reichsgebilde der modernen Monarchen, die mehr Fürstentümer darstellen, zerfielen zuweilen in untereinander rivalisierende, die noch keine geeinte Reichsverflechtung konstituieren konnten, dennoch hielt jeder Reichsstatthalter fest an dem Reichsbegriff, damit er sich schließlich als oberster Souverän setzen kann. Und so auch der heutige Reichsbürger. Alles andere, wie beispielsweise die Setzung als Fürst, der sich unter einen König unterordnen müsste, würde ja auch den Verzicht auf die alleinige Vertretungsberechtigung als oberster Souverän eines (König-)Reichs bereits vorab bedeuten.
Eine ausführlichere Version des Artikels ist in der kommenden Ausgabe der Zeitschrift sans phrase zu lesen.
In der nächsten Ausgabe der Versorgerin gibt es eine Fortsetzung, die sich mit der österreichischen Variante der Reichsbürger (Freemen und andere) beschäftigt.