Virtuelle Linzer Vogelschar

Die Stadtwerkstatt ist mit Fadi Dorningers Beyond The Water zu Gast in Hamburg

Noch bis Mitte Juni bevölkern unbekannte Vogelstimmen ein ausgedehntes Areal der Hamburger Hafencity. Der Linzer Komponist, Produzent und Soundkünstler Wolfgang Fadi Dorninger hat ein virtuelles Klanguniversum geschaffen. In seinem Linzer Studio erzählte er Silvana Steinbacher unter anderem von seiner Vorliebe, Welten für den öffentlichen Raum zu kreieren.

Ich sitze in einem hübschen Liegestuhl und genieße den Blick auf die Elbe. Das Wetter zeigt sich an diesem Freitagabend – es ist der 5. Mai –  zwar von seiner unangenehmen Seite, doch ich beschließe, auf meinen geschützten Platz im Freien nicht zu verzichten. Ich fühle mich entspannt, meine Wahrnehmung und meine Aufmerksamkeit sind, wie immer im Ausland, wesentlich geschärfter als auf den schon ausgetretenen, gewohnten Orten und Plätzen. Ich versuche das durchdringende Gelächter an meinem Nebentisch auszublenden und höre die Hafen- und Wassergeräusche, das Gekreisch der Möwen, die sich plötzlich in der Nähe der kürzlich fertiggestellten Elbphilharmonie am rechten Ufer der Norderelbe zusammenrotten. Was hat sie denn so aufgeschreckt? Als sie ziemlich bald wieder abziehen, bemerke ich auch andere Vogelstimmen, doch ich kann die Vögel nirgends entdecken, kenne diese Vogelstimmen auch nicht, mir scheint sogar, ich hätte ähnliche noch nie gehört. Doch ihr Klang umhüllt mich, so bilde ich es mir zumindest mit einem Drink in den bereits etwas klammen Fingern ein, und das soeben Gehörte bereichert mich um ein ungewohntes Erlebnis in der Abenddämmerung.

Ich muss gestehen, ich war leider seit mehreren Jahren nicht mehr in Hamburg, doch irgendwann, es wird wohl in der letzten halben Stunde unseres Treffens gewesen sein, muss bei den Schilderungen von Wolfgang Fadi Dorninger dieses innere Bild in mir entstanden sein. In seinem Studio in der Linzer Freistädterstraße versuchte er mir seine neue Arbeit näherzubringen.
Jenseits des Wassers/Beyond The Water v.5 ist eine Elf-Kanal-Klang- Installation zwischen Landungsbrücken, Elbphilharmonie und Elbbrücken in der Hamburger Hafencity: Ein Projekt, produziert von der Linzer Stadtwerkstatt mit dem Kunstschiff Stubnitz und der Hamburger Galerie Genscher als Partner, finanziert durch die Stadt Hamburg. Überträgt man die Reichweite dieses Klangprojekts auf unsere regionalen Verhältnisse, so würde sich zwischen dem Linzer Hauptplatz und der Unionkreuzung ein synthetisches Vogelparadies ausbreiten. Dazwischen prangt das Linzer Musiktheater; in der rund 1 800 000 Einwohnerstadt Hamburg ist es die Elbphilharmonie.
Noch bis zum 18. Juni bevölkern täglich eineinhalb Stunden Wolfgang Fadi Dorningers fremde Vogelkulturen das Hamburger Hafenareal. Der Linzer Komponist, Musiker und Produzent hat für sein Projekt eine Soundinstallation in der Länge von genau 21 Minuten hergestellt, die täglich im Loop für eineinhalb Stunden erschallt.
Im Gegensatz zu seinen bisherigen Klanginstallationen innerhalb seiner Beyond The Water-Reihe hat Dorninger diesmal ausschließlich synthetische Klänge produziert. »Die Klanginstallation im öffentlichen Raum folgt eigenen Gesetzen, es entsteht ein Bruch zu den bisherigen Hörgewohnheiten. Der Klang überrascht ja die Zuhörenden in den meisten Fällen, sie bezahlen keinen Eintritt, sitzen nicht im Konzertsaal.« Dorningers 25 Vögel aus der Apparatewelt von Eulen über Eissturmvögel bis zu Silbermöwen haben in Hamburg mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen.
Seit 2008 entsteht im Bezirk Hamburg-Mitte die sogenannte Hafencity. Auf einem Areal von rund 157 Hektar sollen bei diesem einzigartigen Vorhaben Wohneinheiten für rund 14 000 Personen entstehen, ein Prestigeobjekt der Stadt.  
Zwar sind die Baugeräusche der entstehenden City, die auch die Tiere in ihrem Lebensraum massiv bedroht, beim Start der Installation um 20 Uhr 30 nicht mehr vorherrschend, doch Dorningers Klangwelt muss mit den Hafen- und Umweltgeräuschen konkurrieren. »Sie ist im Wettbewerb mit Natur, Technik und Klima.« Der Soundkünstler möchte auch mit seinem jüngsten Projekt zu Diskussionen und Fragen anregen, allerdings nicht im Sinne einer inszenierten Performance, sondern auf möglichst subtile Weise. Die synthetische Vogelwelt könnte die Flanierenden, Caféhausbesucher, Nachhause-Eilenden idealerweise in Gedanken über die »Entfernung des Menschen zwischen Natur- und Medienerlebnis und die Thematik des Fremden versetzen«.
Wie lässt sich dieser ausgedehnte Raum bespielen, wie ist es technisch überhaupt machbar, überlege ich als Laie, während ich Wolfgang Fadi Dorninger zuhöre. »Das war kein Problem«, antwortet er auf meine diesbezügliche Frage und erklärt, dass sich bei seiner Klanginstallation drei Druckkammerlautsprecher in Hornform – zu je 100 Volt –  an den Landungsbrücken elbeabwärts und 8 Lautsprecher auf dem 2500-Tonnen-Stahlschiff Stubnitz befinden.
Die Stubnitz, ein vor mehr als 50 Jahren erbautes Kühl- und Transportschiff, entwickelte sich ab 1992 zu einem Podium für Veranstaltungen, Performances und Installationen. Seit 2015 gibt´s wieder eine rege Zusammenarbeit zwischen der Linzer Stadtwerkstatt und der Stubnitz. Innerhalb eines Residency- Programms sollen Linzer Künstler/innen künftig auf dem Schiff arbeiten können. In der Kulturwerkstatt auf der Stubnitz erwerben Interessierte auch Kompetenzen als Organisatoren und Mediengestalter.

In seinen Beyond The Water-Klanginstallationen schöpfte Wolfgang Fadi Dorninger, so scheint mir, eine Fülle möglicher Klänge aus und hat reale, hybride und virtuelle Welten produziert. Beim ersten Beyond-Projekt innerhalb der Landesgartenschau 2011 – Ansfelden waren etwa hybride, also gekreuzte authentische Wasserfälle zu erleben, ab seiner 4. Beyond-Version nur noch 15 Prozent hybride Klänge, und für Hamburg setzte Dorninger nur noch auf synthetische Vogelwesen.
Der Linzer Künstler legte sich innerhalb seiner künstlerischen Arbeit nie fest. Er arbeitet sowohl fürs Theater, als auch im Bereich der Interaktiven Performance, kreiert Rauminstallationen, aber auch Outdoor-Soundklänge. Die Vogelgesänge, ob authentisch, hybrid oder virtuell, dominieren viele seiner Klanginstallationen im Freien. Wolfgang Fadi Dorninger erzählt mir aber, dass er sich bei den verschiedenen Vogelarten nicht auskenne, ihn fasziniere jedoch die Unnahbarkeit und die Freiheit der Vögel, ihr Flug. Sie zeigten uns Barrieren auf, entzögen sich meist unserem Bestreben, sie zu Nutztieren zu degradieren. Während der Soundkünstler erzählt, erinnere ich mich an die oft unheilverkündende Symbolik der Vögel im Film – klar, Hitchcock, nicht besonders originell, ich weiß –, an die Bedeutung der Vögel in der Mythologie – der Adler als göttliches Wesen, sage ich pathetisch – und ende bei Edgar Allen Poes Der Rabe. Doch bevor ich zu sehr abhebe, erzählt mir Wolfgang Fadi Dorninger von seinem Rabenerlebnis.
Innerhalb des Linzer Eisrausches erschuf er von Ende November 2010 bis Ende Jänner 2011 auf dem Dach der Linzer City Parkgarage ein Universum mit Geräuschen aus der Natur: Wölfe, Vögel und Wind begleiteten die Eislaufenden bei ihren Runden. Auch authentische nordamerikanische und sibirische Raben leisteten ihnen akustisch Gesellschaft, und was dann eintrat, verblüffte den Soundkünstler: In Scharen kamen nämlich die heimischen Raben angeflogen und schienen auf das heftigste zu protestieren. Die Laute der österreichischen Artgenossen, die Dorninger beim nächsten Mal erschallen ließ, ignorierten sie allerdings. »Klarer Fall von Ausländerfeindlichkeit«, bilanziert Wolfgang Fadi Dorninger lächelnd.

Bei seinen Beyond The Water-Konzepten rückt der Klangkünstler Dorninger durch seine hybriden oder virtuellen Tierstimmen auch unsere zunehmende Kluft zwischen Naturerlebnissen und Ereignissen aus zweiter Hand, insbesondere solche medialer Natur, in den Vordergrund. Ich frage ihn also, ob er sich perspektivisch vorstellen könnte, etwa bei Beyond The Water v.6 die Vogelschwärme ziehen zu lassen und mit seinem Computer einen gewagten Sprung vom Tier zur Stimme des Menschen zu wagen. Doch Wolfgang Fadi Dorninger verneint meine Frage sofort. »Die menschliche Stimme reizt mich in diesem Kontext nicht, sie ist für mich auch nur in Kombination mit Text interessant, es gibt ja darüber hinaus auch schon so viele faszinierende Gesangsprojekte. Was sollte ich dem hinzufügen?«
Momentan aber sind weitere Projekte ohnehin kein Thema, denn noch bis Mitte Juni bereichert Dorningers akustische Vogelwelt die Hamburger Hafencity. Eine Klangkulisse, die vielleicht sogar die rivalisierenden Möwen in ein paar Wochen vermissen werden.


Beyond The Water v.5, 2017, Wolfgang Dorninger. Elf-Kanal-Klang-Installation. Bis 18. Juni 2017, täglich von 20.30 bis 22 Uhr zwischen Landungsbrücken, Elbphilharmonie und Elbbrücken in Hamburg an der Norderelbe.
Ein Tipp des Künstlers: Starten Sie Ihren Soundwalk einfach ab 20.30 Uhr bei der Stubnitz.

 
dorninger.servus.at/soundart/

Beyond The Water v.5: 2017 auf dem Stahlschiff Stubnitz. (Foto: Franz Xaver)

Beyond The Water v.4: 2014 vor der Linzer Stadtwerkstatt (Foto: Franz Xaver)