Spitboy, jene all-female Hardcoreband aus Kalifornien, die mich während der 1990er Jahre als jugendliche Punkerin in Linz als dem Ort, der damals durchaus als österreichische Provinzhauptstadt des schnörkellosen Brüllpunks der härteren Gangart (aber eben hauptsächlich in seinen vielen eher männerlastigen Ausprägungen) gelten durfte, ohne Ende fasziniert und zu den wildesten Spekulationen (prä-Internet, just sayin) hingerissen hat, berief sich in ihrem Gruppennamen auf einen obskuren Schöpfungsmythos einer nordamerikanischen First Nation. Laut Überlieferung von Anne Cameron, einer weißen Autorin1, erzählen die Frauen der Nuu-chah-nulth der pazifischen Nordwestküste des heutigen Kanadas die Geschichte der Kreation der Menschen wie folgt: ein_e Schöpfer_in, »who is neither male nor female, man nor woman, but both« (Cameron 1981, 16) macht eine Frau, die ihr Dasein als einzige menschliche Bewohnerin der Erde mit Jagen, Fischen und Kontemplation ihrer Einsamkeit fristet. Nach einem kurzen Besuch von mehreren höheren Wesen ist sie so traurig, wieder allein zu sein, dass sie im wahrsten Sinn des Wortes Rotz und Wasser weinen muss.2 Auf Anraten der göttlichen Wesen mischt sie ihre Tränen und ihr Nasensekret mit Sand und platziert die Masse in den Schalen verschiedener Meerestiere, in denen letztendlich eine männliche, zumindest teilweise menschliche Kreatur heranwächst, mit der sie in weiterer Folge Tisch und Bett teilt: der Snotboy, bzw. (ein wenig eleganter) Spitboy.
Über Camerons Buch Daughters of Copper Woman, das 1981 in einem feministischen Kleinverlag publiziert wird und sich über die Jahre zum Underground-Überraschungserfolg in frauenbewegten Zusammenhängen des westlichen second wave feminism mausern kann, findet die Geschichte wohl auch ihren Weg zu den jungen Musikerinnen, als sie sich im Jahr 1990 zur feministischen Hardcoregruppe formieren. Obwohl ein direkter Verweis auf Cameron fehlt, macht Schlagzeugerin Michelle Cruz Gonzales sehr klar, dass die Band die Figur des Spitboy verwendet, um ihrerseits den Ursprung der Gruppe als eine Schöpfung aus eigener Kraft zu verdeutlichen. Das letzte Kapitel des schmalen Bandes (bezeichnender Weise betitelt als »Spitboy: The Creation Story«), endet mit folgenden Worten: »By the end of the second practice, we ... had completed writing our first song, ‚Seriously’ [...]. The song was tough, and vulnerable, and it had attitude. It sounded like something totally fresh and new, like the female punk band I had been waiting to hear, waiting to discover for some time, the band that I was now in with Karin [Gembus], and Paula [Hibbs-Reines], and Adrienne [Stone], the band that would soon be named after a female-body-centric creation story, a story that didn’t involve god, a rib, or a man« (128f).
Das Thema der bittersüßen Erschaffung eines Wesens zum Liebhaben aus dem eigenen Schlonz, in Isolation von den und zur Durchbrechung der – das alltägliche Leben umgebenden – teilweise feindlichen Kräfte, zieht sich als roter Faden durch Gonzales’ Erinnerungen. Besonders auffällig ist dabei die weitgehende Abwesenheit anderer musikschaffender Frauen als Vorbilder, Weggefährtinnen und Verbündete im Projekt »Feministischer Hardcore«, wie sie für Autobiografien jüngerer (dh in den 1980ern und 1990ern aktiven), amerikanischer Punk/Noise/Indie-Musikerinnen wie Kim Gordon oder Carrie Brownstein sonst typisch sind – was Anbetracht des historischen Kontexts von The Spitboy Rule, der Anarcho-HC-Szene der 1990er, allerdings nicht wunder nimmt. Gonzales beschreibt diese Szene sehr nahe an der empirischen Realität als eine, in der Spitboy jahrelang die einzige tourende Band war, in der Frauen Instrumente überhaupt angreifen durften. Dementsprechend sind die wesentlichen außerhalb der Gruppe als positiv und ermächtigend beschriebene Bezugspersonen ebenfalls überwiegend männlich, wie etwa die befreundeten Bubenbands Citizen Fish, Amebix, Paxston Quiggly, und Los Crudos, der (no na) Roadie Pete the Roadie, und eine Handvoll lokaler Metaljungs. Den traurigen Rest fasst sie lapidar als »regular bands, usually men« (104) zusammen, und geht nicht weiter auf sie ein.
Dieser Eindruck von Einzigartigkeit, wie er aus einem solchen Umfeld logischerweise erwächst, bringt Gonzales in eine schwierige erzählerische Position, die sich in den 22 knappen Kapiteln ihrer Bandgeschichte auch regelmäßig widerspiegelt. Ein Kollateraleffekt zB ist, dass ihre wenigen Schilderungen von Begegnungen mit anderen praktizierenden Musikerinnen bisweilen ins Seltsame abzurutschen drohen. »In Japan, a young woman, the drummer for An Apology Nature Arise and the human equivalent to Hello Kitty herself – small and cute and cartoonlike in dress – fell to her knees crying when she met me. [...] The second we were introduced, the ... tiny woman, shorter than me and much smaller-boned, with a pretty round face, a short skirt, and ribbons tied all in her hair, burst into tears, hugged me, and fell in a heap on the sidewalk. Not knowing what else to do, I helped lift her off the ground« (123f): eine Touranekdote, die in der Beschreibung ihres weiblichen Gegenübers eher an das sumpfige Rock’n’Roll-Universum einer Pamela des Barres erinnert, als an die anarchofeministische Welt der Spitboy-Lyrics.
Bemerkenswert ist auch Gonzales’ Verhandlung von Riot Grrrl als Abgrenzungsfolie. Kapitel 1, »Not a Riot Grrrl Band«, fasst die wesentlichen Unterschiede zwischen Spitboys emanzipatorischem Verständnis und jenem der sich ungefähr zeitgleich formierenden subkulturell-feministischen Bewegung um die Collegerock-Szene in Olympia, WA in Worten zusammen, die nicht klarer sein könnten: »...we stood for most of the same things, except there were three important distinctions: we had formed Spitboy in the Bay Area during the early days of their movement, we didn’t endorse separatism, and we didn’t want to be called girls« (9f). Dass das Überliefern eines solchen Dissens gut und produktiv sein kann, daran erinnert uns die postkoloniale Punk-Historikerin Mimi Thi Nguyen in ihrem Vorwort für Gonzales’ Memoiren (xvii). Immerhin war/ist Riot Grrrl eine feministische Bewegung, die ihre eigenen Ausschlüsse – oft anhand von bekannt heimtückischen Trennlinien wie Klasse und Rassifizierung – immer wieder mitproduziert (Nguyen 2012). The Spitboy Rule beschreibt einen besonders hirnrissigen Fall von white feminism / Entitlement-durch-Privileg im Kapitel »My Body is Mine« (86-90): Als die Band 1994 die Single Mi Cuerpo Es Mío veröffentlicht, beklagt ein weißes Riot Grrrl aus Olympia den spanischen Titel der Platte als unrechtmäßige kulturelle Aneignung – eine Geste, die Gonzales messerscharf als Unsichbarmachung ihres eigenen nicht-weißen Körpers analysiert.
Die Unsichtbarmachung bzw. schweigende Übergehung von Gonzales’ Xicana-Identität betrifft allerdings nicht nur Riot Grrrl alleine. Die Autorin erzählt von Unverständnis und Entfremdung auch in nächster Nähe, nämlich nicht nur innerhalb der Subkultur ihrer Wahl, sondern auch im innersten Inneren, der Band selbst. Detailliert beschreibt Gonzales den Eindruck des Anders-Seins, der sie gerade auch in Gesellschaft ihrer vermeintlich intimsten Verbündeten, ihren – weißen, größtenteils aus nicht-migrantischen Mittelklasse-Elternhäusern stammenden – Mitmusikerinnen befällt. The Spitboy Rule ist insofern auch eine Entwicklungsgeschichte, in der die Ich-Erzählerin graduell gewahr wird, dass dieses Anders-Sein auf das Wirken intersektionaler Differenzen und rassifizierter Identitäten zurückzuführen ist – auch wenn das in vermeintlich aufgeklärten, sich als politisch verstehenden subkulturellen Kontexten nicht gerne thematisiert wird.
Die zweite Schöpfungsgeschichte aus eigener Kraft, die Gonzales erzählt, ist demnach ihre Selbst-/Wieder-Erschöpfung als Xicana in der Isolation einer weißen Jugendsubkultur. Wie zu erwarten war, endet es mit einer solchen Einsicht in Hardcore und Punk nicht besonders gut. Eine der letzten Vignetten im Buch beschreibt ein Konzert der Los Crudos im Jahr 1998, bei dem Gonzales’ nicht-Punker-, nicht-Musiker-Ehemann aufgrund seines Aussehens von einem jungen weißen Fan als Bandmitglied angesprochen wird. Gonzales resümiert: »I suppose this was progress. In just a few years, Latinos in the Bay Area punk scene went from being invisible to mistaken for members of Los Crudos. Still, we went home that night and I didn’t return [...] for another thirteen years. ... [T]he scene, like America, could only change so much so fast, and I didn’t have the time or the patience to wait around and endure both« (119). Unser Verlust, Punks.
Michelle Cruz Gonzales (2016): The Spitboy Rule. Tales of a Xicana in a Female Punk Band. Oakland, CA: PM Press.
Weitere Quellen:
Anne Cameron (1981): Daughters of Copper Woman. Vancouver, BC: Press Gang Publishers.
Mimi Thi Nguyen (2012), »Riot Grrrl, Race, and Revival.« Women & Performance: A Journal of Feminist Theory, Vol.22 (2-3), 173-196.