Ankommen als offener Prozess

Mit »YU? [Why you?]« hat die Regisseurin Jerneja Zavec gerade einen Portraitfilm fertig gestellt, in dem die Geschichten von sechs Künstler*innen erzählt werden, die alle aus verschiedenen Regionen des ehemaligen Jugoslawien stammen. Melanie Letschnig hat ihn sich angesehen.

Wie es ist, wenn das Leben von einem Ort zum nächsten wandern muss, wie sich Vergangenheit und Gegenwart identitätsstiftend zusammenschließen und wie künstlerische Mittel in Anschlag gebracht werden, um zu vermitteln, was eine* tagtäglich beschäftigt, ist Thema von Jerneja Zavec’  Film YU [WHY YOU?]. Eröffnet wird er mit einem Zusammenschnitt kurzer Einstellungen, in denen die Protagonist*innen über ihr In-Österreich-Sein sprechen, das mitbestimmt wird von einer fluiden Existenz zwischen dem jetzigen Hier und einem früheren Dort. Einige von ihnen sind freiwillig nach Österreich gekommen, eine von ihnen ist hier als Tochter kroatisch-simbabwischer Eltern geboren, manche hat der Krieg hierher geführt. Aus den Anfangsstatements geht hervor, wie komplex sich Migrationsgeschichte lebt. Ein Changieren diverser biographischer Einschlüsse, die nun die Existenz in Österreich anleuchten, ist prägend und spiegelt sich im Tun jeder* Einzelnen wider.

Identität tätigen

Die Gesprächspartner*innen von Jerneja Zavec eint nicht nur die Herkunft – es war einmal Jugoslawien –, sondern auch das Performative, der Aktionismus als Arbeit und Lebensinhalt. Menschen brauchen die Kunst, sagt die Tänzerin Jerca Rožnik Novac an einem sonnigen Tag vor der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz, weil die Kunst uns Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt. Damit greift Rožnik Novac die Vielseitigkeit auf, die Identität neu arrangiert, wenn mensch mit dem Wechsel des Lebensmittelpunkts Grenzen überschreiten muss. »I am a Muslim« heißt es im Video CROSSING BORDER (2015)[1] von Ðejmi Hadrović, das in YU ausschnittsweise angespielt wird. Zu sehen ist die Künstlerin vor einer grauen Wand, bekleidet mit einer Bundfaltenhose, engem langärmligen Top und Kopftuch. Sie zündet sich eine Zigarette an, während das zitierte Credo als sich wiederholendes Mantra Zeile für Zeile auf ihren Körper projiziert wird und sie die Worte auch spricht, nachdem sie das Kopftuch zu einem Schal drapiert hat. Hadrović wiederholt den Satz, bis die Zigarette fertig geraucht ist und verdeutlicht durch die abwechslungsreiche Intonation, dass »I am a Muslim« nichts mit der Holzschnittlogik von Stereotypisierungen zu tun haben kann, sondern als Identität Gemeinschaft und Individualität gleichermaßen anspricht.

Thematisiert wird in YU auch eine bisweilen unerwartete Freiheit, zum Beispiel in Bezug auf sexuelles Begehren, das sich seinen Weg bahnen kann, weil es erkannt und lebbar wird. So beschreibt es Xhejlane Rexhepi, die mit ihrem Körper aktivistisch Fragen zu Biopolitik, Sexismus, Rechten von LGBT-Personen stellt. Sexualität offen leben zu können ist denn auch nur ein Beispiel für die Erweiterung des eigenen Aktionsradius. Ein weiteres Beispiel für die Ausdehnung der persönlichen Möglichkeiten gibt Dafina Sylejmani, wenn sie darüber spricht, wie ihre kosovarische Identität durch die Lebenserfahrungen, die sie seit dem Wechsel des Standorts gesammelt hat, aktualisiert wird. Nicht die Anpassung ist erstrebenswert, sondern ein Bei-sich-Bleiben.

Zusammenschlüsse

An einer Stelle des Films konstatiert Xhejlane Rexhepi auch, dass Kunst als Profession für Migrant*innen oft eine Möglichkeit darstellt, in Österreich Fuß zu fassen und dieses Sich-verankern durch Kooperationen maßgeblich gefördert wird. Im Fall von Rexhepi betrifft dies zum Beispiel die wiederholte Zusammenarbeit mit dem Verein maiz.[2] Dass Organisationen und Medien, die dezidiert Menschen mit Migrationsgeschichte ansprechen, wichtig sind, um sich zu vernetzen, sich nach eigenen Vorstellungen zu präsentieren und nicht durch eine ignorante Mehrheitsgesellschaft repräsentiert zu werden, verdeutlicht auch Elisabeth Mtasa Taruvinga, die über ihre beruflichen Anfänge bei M-Media (Diversity Media Watch Austria) und fresh berichtet, dem Magazin für Black Austrian Lifestyle, das 2014 gegründet wurde. Diese Sichtbarmachung ist auch zentrale Motivation für ein Projekt Taruvingas mit dem Titel fluoreszierendes schwarz, in dem sie die Geschichten jener Schwarzen in Österreich aufzeichnet, die ab den 1990er Jahren durch Polizeigewalt getötet wurden und in beschämender Weise zunehmend in Vergessenheit geraten.

Sich intersektional feministisch zusammenzuschließen, zu stärken und miteinander Dinge auf den Weg zu bringen, ist ein Projekt von Duffy Sylejmani aka Dacid Go8lin. Sie ist Gründerin des politischen Partykollektivs FEMME DMC, das seit ein paar Jahren die Clubs in Österreich um Rap, Beats und heavy dancing bereichert und so in eine Domäne vordringt, die allzu oft immer noch von Männern als Exklusivfeld angesehen wird. Auch Elisabeth Mtasa Taruvinga schmeißt mit ihrem Kollektiv Bad&Boujee Partys – mit Soli-Anspruch. Nicht immer ist dieses hart erarbeitete Potential abrufbar, oft mangelt es an finanziellen Mitteln, wie Selma Ljubijankic in Bezug auf Partyorganisation in Linz feststellt. Sie arbeitet oft mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten und stellt ganz klar fest, dass sich gesellschaftlich noch viel tun muss, damit Menschen in Österreich gleichberechtigt leben können. Dass gewählte Politiker_innen – der damals türkis-blauen Regierung – per Abwertungsrhetorik und durch konkrete soziale Maßnahmen, die Existenzen gefährden und zerstören, Geflüchtete zum primären Feindbild stilisieren, zieht sich als roter Faden auch in die jetzige Koalition der Kanzlerpartei mit den Grünen. Es ist die Zeit der Verachtung von Menschenleben als Regierungsbedingung.

Die Protagonist*innen von YU zeichnen vor der Kamera gemeinsam mit der Regisseurin Jerneja Zavec intime Bilder ihrer selbst. Sie geben große Stücke von sich preis, ich hänge an ihren Lippen, ihrer Mimik und Gestik, wenn sie ihre Lebensentwürfe und die Einflüsse darauf im Sprechen reflektieren. Ergänzt um Videoausschnitte, die ihr Schaffen dokumentieren, ergibt YU im Ganzen ein aufmerksames Portrait junger Frauen* und vieldimensionaler Lebenszusammenhänge, die sich durch Aktion und Selbstbestimmtheit auszeichnen.
Am 1. Februar 2020 hat YU im Rahmen eines von FIFTITU% organisierten Abends im Röda in Steyr endlich Weltpremiere gefeiert.

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[1] Das Video kann unter diesem Link angeschaut werden: https://vimeo.com/153306268, aufgerufen am 21. 2. 2020
[2] Etwa 2013 unter dem Motto »Eating Europe« im Rahmen der WienWoche. Eindrücke von der Prozession des Rebelodroms können hier gesammelt werden: https://www.youtube.com/watch?v=6ivzzE3VRLg, aufgerufen am 20. 2. 2020

Statement von Đejmi Hadrovic vor einem Still aus ihrem Film ZAHIDA IS A FEMINIST (2016) (Bild: Jerneja Zavec)
Dafina Sylejmani aka Dacid Go8lin (Bild: Jerneja Zavec)