Sprache im Antiquasimodus

Kaputte Linguisten arbeiten mit einem unfertigen Schreibbot: Ein Kurzbericht über ein STWST- Schreibbot-Projekt des vergangenen Jahres, ein Wort-Deep-Drilling und darüber, was »an der Schnittstelle« von Sprache und Medium alles »erfahrbar gemacht« werden konnte. Oder auch nicht.

Vorausgeschickt kann werden, dass der STWST-Schreibbot schon in seinen ersten Testläufen kein einziges Mal das Wort »Schnittstelle« ausgespuckt hat, ebenso wenig wie die Wortwendung »erfahrbar machen«. Deswegen könnte man meinen, dass der Bot als probater Schreibautomat aufgesetzt wurde, weil schließlich kaum bis gar nicht die Jargons und/oder sonstigen Bedeutungshülsen vorkommen, die im kulturellen Überbau (Unterbau, Nebenbau, Neubau) eine ganze Heerschar an menschlichen ProfessionistInnen ganz locker regelmäßig aus dem Ärmel schüttelt: Der Bot »berichtete« auch nicht von »Sprechorten«, »Verschränkungen«, »diskursiven Möglichkeitsräumen«, »adressierten Narrativen« oder sonstigem »verortendem« oder »auslotendem« Zeitgeist-Vokabular, sondern entwarf stattdessen auf Mausklick einen ganzen Kosmos von Neologismen, die, auf unterschiedlichen Kreativitätsleveln getuned, mal mehr, mal weniger vertraut, mal dumpf, mal erfrischend daherkamen. Er gab schon in seinem unfertigen Status Wortneuschöpfungen aus, wie »Schnittsynten«, »Sexität«, »Wortsake«, »Konsequenten«, »Konsequeller«, »Konformenten« usw, oder auch Kryptisches wie »Songschaft« und »Naturten« und viele weitere merkwürdige Sprachkomponenten, Wörter und Textteile. Es würde den Rahmen sprengen, hier in die Ergebnis-Vollen zu gehen. Sinn und Syntax in diesen Testläufen schienen jedenfalls oftmals haarscharf an den Wörtern und Satzkonstrukten vorbeizuzielen, die sie in ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen kulturellen Größe anklingen haben lassen. In Menge und Gestus offenbarten die Begriffe, non-grammatikalen Zusammenhänge und Satzkonstrukte eine gewisse Aura eines Wort-Nachhalls, bzw vielleicht sogar eines Wort-Nachwalhallas, und ließen nachgerade eine Art bizarre Sprachdämmerung am Horizont leuchten. Und warum hier auch gleich ein wagnerianischer Wahnsinn in Anschlag gebracht wird, liegt an einem zweigeteilten Kunstprojekt, das letztes Jahr umgesetzt wurde: Der erste Teil wurde »in hohler Phrase« ausgerufen und im Rahmen der letztjährigen Showcase-Extravaganza STWST48x5 präsentiert: »UNFINISHED LANGUAGE: Kaputte STWST-Linguisten arbeiten mit einem unfertigen Schreibbot. Eingespeiste Textredaktion, das Bot-Review im Vorfeld, das Medium Sprache oder auch nur: Sprache ganz daneben. DER QUASI-BOT AND THE UNFINISHED LANGUAGE: ‚Am Anfang war das Wort. Aber das Wort hat keine Kraft mehr‘«. Und damit zusammenhängend, zweiter Ansatz, »DEEP DRILLING FOR CONTRACTS / Soundloch Loop« – und der folgende Absatz ist mit einem tiefen, verlangsamten Atemzug auf einen dunkleren Paradigmenwechsel deutend, eben auf Rheingold bezogen: »Deep Drilling for Contracts: Wir graben einfach runter. Das Herausschlagen von Macht/BUSINESS aus der Natur als Kernkompetenz unserer frühen Industrie/KULTURgeschichte. 12 Sekunden metallisches Gehämmere als geloopte Soundessenz einer Ring-Mythologie, die im späten 19. Jahrhundert den Übergang der Vormoderne zur Moderne verhandelt: Zuerst runtergraben und Erz aus dem Berg schlagen, dann durch technologischen Voodoo einen goldenen Ring der Macht schmieden, es folgen Verträge und Kapital. Schon zu Beginn sind alle unglücklich. Viele Jahre später, jetzt: Smart. Individual. DEEP. Core. Das Ende der bisherigen gemachten Verträge. Business am Wendepunkt. Ausbeutung as ever. DEEP DRILLING FOR NEW CONTRACTS.« Soll heißen: Im Zeitalter der IT und ihrer neuen Verträge wird ab jetzt beim Lehensherrn wieder mit Blut unterzeichnet.

Neologos

Zurück zum Anfang des Schreibbot-Projekts: Es wurde ein Schreibbot programmiert (Python als Programmiersprache, Tensorflow als Machine-Learning-Element)[1] und danach mit etwa 10 Millionen Zeichen aus dem STWST-Kontext gefüttert, zu einem großen Teil aus Texten der Zeitung Versorgerin, um das neuronale Netz anzustoßen. Dieses Schreibbot-Projekt war anfänglich als »Eingespeiste Textredaktion und Bot-Review im Vorfeld« konzipiert. Ziel war es zuerst, automatisierte Reviews zu verfassen, allerdings bereits in Projektvorfeldern. Dies ist natürlich paradox und kritisiert als Idee die Automatisierungsprozesse von Sinnzusammenhängen. Um es auf die Spitze zu treiben bedeutete das in den konkreten Medias Res einen anvisierten Schreibbot-generierten »Ars-Electronica-Review im Vorfeld«. Dieser wurde schon vor längerer Zeit bei kommerziellen Anbietern angefragt, es folgten amüsante Mailverläufe über das tolle Vorhaben (jaja, die alte Medienkunstfestival-Tante Ars zieht immer noch), bzw vor allem kam es zum plötzlichen Abbruch der Kommunikation, wenn bemerkt wurde, dass man sich mit diesem Projekt in einem subversiven-Nullsummen-Spiel verfangen könnte – das es schließlich auch ist. Die Ars Electronica steht hier im Übrigen nur exemplarisch, bot aber einen schönen Unterboden für den Hype. Die Kritik, die damit zusammenhängt, ist größer: Es kursieren in den schönen neuen »Umgebungswelten« der »Changes« aller Art und des »Neuen« Unmengen von bestens aufbereitetem Text- und sonstigem Material, um die Entwicklungen in Stellung zu bringen und tatsächliche Auseinandersetzungen mit Inhalten gleich ganz allgemein vorauseilend in den Wind schießen zu können. Gegen so eine Herangehensweise bäumen sich zwar immer noch einzelne kritische kleine Menschlein auf. Fakt ist allerdings, dass Politiker, Investoren, Rektoren, Intendanten, CEOs und anderes Symbolisches-bis Reales-Kapital-Chefgesocks herumzieht wie sprechende Wolken und in überzeugender Weise eine ganze Entourage für sich arbeiten lässt, etwa Ideologen, Motivatoren, Multiplikatoren, Lobbyisten, oder Presse- und PR-Abteilungen, die – weitgehend losgelöst von Inhalten, die sie eigentlich behandeln sollten – in ihrem Phantasy-Sprech zunehmend Amok laufen. Ob Inhalte da immerhin noch »mitgemeint« sind? Man weiß es nicht.

In Anbetracht solcher Zusammenhänge, und auch im Anbetracht dessen, dass der künstlerische Impetus dieses Vorhabens sowieso nie eine Entwicklung von Sprach-KI nachzeichnen sollte, das in permanent verbesserten X.0-Versionen bereits von Industrie bis Startup angekommen ist, wurde eine reguläre Weiterarbeit mit dem Bot, im Sinne seiner stetigen Verbesserung durch neuronales Lernen, gleich zu Beginn wieder gestoppt und fallengelassen. Bzw sollte der Bot nach einer sehr bald einsetzenden Reflexionsphase des Vorhabens von Anfang an unfertig bleiben: Als Ziel des künstlerischen Projekts bestätigte sich vielmehr, vor allem mit den Sprachabweichungen weiterzuarbeiten, und auf die verschiedenen »Kreativitätsmodi« der potentiell in unendlicher Quantität auf Knopfdruck generierten Begriffe und »Texte« konkreter Kontexte anderer Projektvorhaben wieder aufzusetzen, bzw sich mit etwas zu konfrontieren, das zwischen Sprachgift und Sprachgegengift in einem permanenten Wechsel von JA/NEIN-Antworten schaltet. Wir befinden uns hier also in einem Prozess von Quasimodus und Antiquasimodus von Sprache: Auf eine bis zur Sinnentfremdung instrumentalisierte Sprache, bzw auf deren gereinigten Begriffe, die Widersprüche zurückweisen, antwortet der Nicht-Sinn. So wurden einige Mehrzeiler zu denjenigen Schlagwörtern generiert, die an sich schon unter die Gift-oder-Gegengift-Anführungszeichen gesetzt werden könnten, wie etwa »Heimat«: »Heimation, Heimatisch, Heimatiert«. Oder »Identität«: »Identität, als Songschaft des Geschwachsels und des Schwalfs«. Etwas brachialer und robuster wurden dann mit den Schlagworten »Sprache metallisch gehämmert« oder »Radical Art« weitere Neologismen ausgespuckt. In einem Teil des Projekts wurde mit Neologismen systematischer weitergearbeitet. Unter anderem wurde im Ansatz ein Neologismenwörterbuch konzipiert, dessen Erklärungen wieder vom Bot »geschrieben« wurden und neue Neologismen ins Spiel gebracht haben (»Naturten, die: 1. schlechoschale Naturten« … »Sexität, die: ursprünglich die Sexis betreffend«). Wen wunderts, dass das Wörterbuch nicht nur incomplete and unfinished geblieben ist, sondern wegen seines endless »Charakters« auch bald und mit entsprechender Verve zum Teufel gejagt wurde. Das Material blieb entmutigend in seiner Menge, es erweiterte sich permanent in noch tiefere Abgründe und mit attraktiv-desaströsem Vergnügen wurden in weiterer Folge Kurzlibretti und Songtexte für Sounds und Stücke destilliert und als Lesungen im kleinen Kreis organisiert: »Radical Art goes broker / Radical art goes broken Pack«. »Metallische Weeks von Nebelehren aus der Position«. »Wonne Konformierung Themen in den Tod, Mämmung Maschines«. »Vom Wert des Kapitalismus der Kontrovierung der Konstruierung von Konsequelder«. »Metallisches Gehämmere, assiert im Bergwerk aus sich herausschlagen«. »Es waren geringere Menschen mit dem Klassismus von Baller und Sache gegangener Technologie.« »Wenn ihm der ursprüngliche Antrieb freier Wahl genommen, steht der kritische Losgeher selbst den von oben bewilligten Opfern teilnahmslos gegenüber«. Letzter Satz stammt übrigens nicht vom Bot, sondern von Karl Kraus.

Später entstanden Textstücke, die nur mehr vom Bot inspiriert waren, quasi japanisch befreundet mit Maschinenkreativität entstanden sind. Hier wurde in einem autopoietischen Referenzrahmen und gleichzeitig mit weit auseinanderdriftenden Assoziationsketten hantiert. Innerhalb eines Schlaf-Themas wurde ein Textteil als grundsätzlich anders Gelagertes generiert: ein Quasi-Unbewusstes der Maschine wurde vom Schreibbot formuliert. Hier zeigten sich im Ergebnis Ähnlichkeiten und Ungereimtheiten zum Genre der experimentellen Literatur und der gesamte Ansatz wurde in eine künstlerische Gesamtkonzeption von Autopilot-Modi gestellt, die im Schlaf prozessiert werden. Wieder vom Schlaf weggehend wurden später Autoren und Autorinnen gelesen, die sich in Scifi, bzw. Non-Prosaformen mit dem Ende von Sprache beschäftigt haben, dann aber auch solche, die gar nichts mehr mit dem ursprünglich gestellten Thema zu tun hatten – und es bei den beteiligten kaputten Linguisten nur mehr um eine Lesetrance ging. Der Bot wurde damit komplett fallengelassen. Das Material blieb. Nach all diesen Prozessen wurde eine zufällig ausgesuchte Textauswahl kompiliert und eingesprochen, verschiedenen Aufnahme- und Abspielmodi unterzogen, bis die Ergebnisse schlussendlich deformiert genug waren, um sie als symbolisch-rituelle Wort-Tiefenbohrungen in umfassendem Rauschen enden zu lassen: Denn das alles wurde im Zusammenhang mit Sprache als »in den Untergrund zurückgedrücktes« Medium gestellt. Der Stehsatz in der Gruppe lautete, dass »die Sprache das Medium verlassen habe« und letzten Endes die Sprache, ebenso ein Stehsatz, wieder als »nach unten in die Erde geficktes Medium«, letztlich als mythologisch archaisch misshandelte Gaia und als ungeborener CHRONOS-NEOLOGOS[2]«, im Textloch innerhalb des Projektes »The Unfinished Language« abgespielt werden müsse. Dort ist der deformierte Sound auf das Gehämmere von Wagners Rheingold getroffen, innerhalb von »Deep Drilling for Contracts«, allerdings auch als bis in alle Ewigkeit geloopter und gestretchter Effekt: Es wurde die Stelle referenziert, wo die Zwerge im Untergrund in Nibelheim schuften.

Der größere Antiquasimodus

Das alles handelt davon, dass dem Menschen der Umgang mit seinen »ersten« Medien, denjenigen des Körpers und der Sprache und seiner Bedeutungen zunehmend entgleitet, bzw dass ihm die Vorstellungen einer bis in die Antike reichenden Kulturgeschichte und eines größeren Humanismus nachgerade aus dem Sinn geschlagen werden. Das ist ein grundlegenderer Paradigmenwechsel, als er in einem Totalzusammenhang von »Digitalisierung« zumeist beschönigend dargestellt wird. Dass ein Entgleiten von Sprache, die quasi im Reality-Check oft genug von ihrer eigenen Entmaterialisierung bis hin zur hochgelevelten Zweckgebundenheit ihrer eigenen Verwertungslogiken berichtet, alles in allem heutzutage an einen größeren Kontext der Kontexte, quasi an einen Superkontext der maximal auseinanderdriftenden Widersprüche eines kulturell-kapitalistischen Überbaus gebunden ist, der nicht mehr an herkömmliche Gegensätze gekoppelt werden kann, gleichzeitig aber über Begriffe und Lebensorganisation alle Widersprüche in sich vereinen und glätten soll, ist die größere Einbettung und das eigentliche Thema. Darin wird der einzelne Mensch zum Hologramm von Superzusammenhängen und seiner eigenen hyperhochgefahrenen einzelmenschlichen Erfahrung – die er kaum noch auszudrücken vermag, während sich aus dem Innen ein Gefühl seiner eigenen Entmaterialisierung einstellt, was sozusagen den Gewaltaspekt im Emoji darstellt.

»Der Mensch im Zeitalter der Digitalisierung« ist indessen zwischen aufgeschlagenen »Spannungsfeldern« oft banalisiert, etwa zwischen Kaspressknödeln und Heimat, oder auch zwischen 5G-Datenhighway und »Proof of Truth«. Im Sinne der Banalisierung bringen auch Begriffsreinigungen und Sprachregulierungen herzlich wenig – es ist unverständlich, auf weiteres Regelwerk zu setzen, wo es sich um konkrete Unterdrückungsmechanismen und ungeborene Emanzipation handelt. Dieses Regelwerk wird zudem ebenfalls in den Untergrund der Algorithmen gedrückt, und es ist eine Frage der Zeit, bis Algorithmen kulturell-emanzipatorische Sprachzeichen zu setzen beginnen, die den Menschen auf »etwas hinweisen« werden, um etwas »sichtbar und erfahrbar zu machen«, das sie real aber ohnehin in einem tatsächlich aufklärerischen Sinn sowieso nicht zu ändern gedenken: Probieren wir in diesem Sinne doch mal was Neues und nennen wir das Folgende eine kulturelle Verwunderungs-Markierung einer Sprache der Zukunft, von einem Zukunfts-Bot hergestellt – und das geht so: »Zwischen Synten*? und schlechoschalen* Naturten*? Sucht der Mensch? Auf der Galerne*? Nach seiner Branne* anderer Positionen*??????« Und somit verlassen wir Polemia auch schon wieder. Bleibt an dieser Stelle nur zu sagen: Die KI schafft die Arbeit. Und es werden alle von den Entwicklungen profitieren, die davon profitieren werden.
 

[1] Den Bot hat Gottfried Gaisbauer programmiert, der zu diesem Zeitpunkt für servus.at gearbeitet hat. Der Bot wurde bewusst unfertig gehalten.
[2] Gaia, die Titanen und Kronos – eine Geschichte für sich.

 

Tanja Brandmayr ist Künstlerin und Schreiberin, arbeitet in der Stadtwerkstatt. Die erwähnten Arbeiten von 2019: »The Unfinished Language« und »Deep Drilling for Contracts«. Die erwähnten kaputten Linguisten sind eine Handvoll SprachwissenschaftlerInnen und LeserInnen, die nicht namentlich genannt werden.
https://stwst48x5.stwst.at/the_unfinished_language
https://stwst48x5.stwst.at/deep_drilling_for_contracts
quasikunst.stwst.at