Frauenpolitik mit türkiser Brille

Das neue Frauen- und Integrationsressort – kritisch beäugt von Marina Wetzlmaier und Thomas Rammerstorfer.

»Warum das bei der ÖVP ist, ist mir rätselhaft. Inhaltlich hätte ich das viel lieber bei den Grünen gesehen«, meint Claudia Glössl, langjährige feministische Aktivistin aus dem oberösterreichischen Wels. Sie hätte sich auch wieder ein eigenständiges Frauenministerium gewünscht, der Bedeutung der Sache entsprechend: »Das Thema Frauen ist ja kein Minderheitenprogramm, sondern ein Mehrheitenprogramm.«

Von der neuen Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab erwartet sie sich wenig. Eine Meinung, die auch Migrantinnenorganisationen teilen. Nicht nur deshalb, weil Raab nicht unbedingt als Feministin bekannt ist (stattdessen lehnte sie es in einem Interview sogar ab, sich so zu nennen). Schon bei ihrer Nominierung war klar, dass unter ihr als Integrationsministerin die türkise Linie »Integration durch Leistung« weitergeführt werden wird. So steht es auch im Regierungsprogramm. Mit dem Thema Integration befasste sich Raab bereits im Team von Sebastian Kurz, als dieser noch Staatssekretär war. Später wurde sie im Außenministerium Sektionschefin der Abteilung Integration. An den Verschärfungen des Integrationsgesetzes inklusive Verhüllungsverbot sowie an der Entstehung des Islamgesetzes war sie beteiligt. So überrascht es nicht, als Raab eines ihrer Ziele für die ersten hundert Tage als Integrationsministerin nennt: Nämlich die Ausweitung des Kopftuchverbots auf Schülerinnen bis zum vollendeten 14. Lebensjahr.

So wird also die Zusammenlegung von Frauen- und Integrationspolitik verstanden. Weiterhin wird es darum gehen, »Frauen vor ausländischen, muslimischen Männern schützen zu wollen«, wie es die Mitarbeiterin einer Wiener Frauenorganisation formuliert. Oder wie Raab es nennt: vor »patriarchal geprägten Kulturen«, die in einem »hohen Ausmaß« zu uns kämen. Damit drückt die ÖVP indirekt aus, wie vermeintlich überlegen die »österreichische Kultur« gegenüber anderen Gesellschaften sei, wie liberal, aufgeklärt und vor allem frei von Gewalt gegen Frauen. Frauenhäuser und -organisationen widersprechen diesem einfachen Schwarz-Weiß-Denken, aber das passt nicht in das konservative heile Wertebild der Türkisen. Stattdessen gibt es verpflichtende Wertekurse für Migrant*innen, mit Inhalten von der Gewalten- bis zur Mülltrennung. Der Ausbau dieser »Integrationsangebote« steht auch im neuen Regierungsprogramm. Sanktionen bei »Verweigerung« inkludiert. In Bezug auf Gewaltschutz finden sich einige unerklärbare Punkte, wie die Forderung nach einem Verbot von Zwangsheirat und Frauenhandel: Die sind ohnehin verboten. Alte Anregungen aus dem Gewaltschutz lässt man hingegen aus, beispielsweise ein verpflichtendes Modul in der Richter*innen-Ausbildung zum Thema Gewalt gegen Frauen. Claudia Glössl meint, es stehe auch viel Positives im Regierungsprogramm, nur sei die Art der Umsetzung oft sehr vage angedeutet, viele Formulierungen recht allgemein gehalten. Ausnahme bilde die Senkung der Tamponsteuer.
Gerade der Ansatz, mit dem das neue Integrationsministerium Frauenpolitik betreiben will, ist nicht frei von patriarchalen Mustern. Ideologische Kämpfe werden am Körper der Frau ausgetragen. Der weibliche Körper wird instrumentalisiert, reguliert, zum Politikum gemacht und der öffentlichen Debatte ausgesetzt. Durch Kleidungsvorschriften ebenso wie durch Kleidungsverbote. Schon jetzt ist das Kopftuch im öffentlichen Diskurs mit negativen Assoziationen besetzt, was die Frauen zur Zielscheibe von Beschimpfungen und Diskriminierung macht. Einige nehmen ihr Tuch im Job mittlerweile ab, aus Angst vor schlechten Erfahrungen oder weil es ihnen unangenehm ist, als »anders« wahrgenommen zu werden. Andere setzen es »jetzt erst recht« auf.

Susanne Raab will ihr Hauptaugenmerk auf migrantische Frauen legen, nennt sie »Motoren der Integration«. Damit hat sie nicht unrecht. Dass Migrantinnen wichtige Multiplikatorinnen sind, wurde bereits in wissenschaftlichen Studien belegt und ist gelebte Praxis. Daher wurde es Zeit, anzuerkennen, dass Frauen eine wichtige Rolle in der Bildung und Integration ihrer Kinder, Familien und Communities spielen. Frauen geben laut Studien die Bildung, die sie erhalten, stärker an ihre Kinder und Enkelkinder weiter, als Männer dies tun. Daher müssten Maßnahmen zur Stärkung und Selbstbestimmung der Frauen über »die reine Symbolpolitik des Kopftuchverbots hinausgehen«, wie es die Wissenschafterin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien fordert. Nur so könnte Frauenpolitik für Migrantinnen auf deren Bedürfnisse ausgerichtet werden. Stattdessen bleibt die muslimische Frau im öffentlichen Diskurs nur über das Kopftuchthema sichtbar. Gilt als Opfer ebenso wie als Feindbild. »Ernstgemeinte Gleichstellungspolitik für Musliminnen müsste dort ansetzen, wo sie den Frauen zugutekommt«, sagt Kohlenberger. »Und zwar in Form von flächendeckenden Ganztagsschulen, einer fairen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.«

Positiv ist immerhin, dass das Regierungsprogramm den »Integrationsmaßnahmen für Frauen« ein eigenes Unterkapitel widmet und durchaus sinnvolle Ziele vorsieht. Mehr Deutschkurse mit Kinderbetreuung etwa oder mehr Sensibilisierung für Frauengesundheit, auch wenn es sehr vage bleibt, was unter »Sensibilisierung« verstanden wird. Frauenorganisationen und Wissenschafterinnen betonen, dass vor allem geflüchtete Frauen mehr psychosoziale Unterstützung brauchen. Nicht nur zur Bewältigung von Fluchttraumata, sondern auch um mit dem vielfachen Druck, der auf ihnen lastet, umgehen zu können. Sie stehen zwischen den Forderungen der Mehrheitsgesellschaft, sich »gefälligst zu integrieren«, und den Erwartungen des familiären Umfeldes.

Mehr Anregungen zu einer Frauenpolitik, die Migrantinnen ernst nimmt und tatsächlich inkludiert, gibt es, neben der Wissenschaft, auch von der Zivilgesellschaft. Die »Resolution zur Inklusion geflüchteter Frauen« der Plattform Menschen.Würde.Österreich enthält weitere Forderungen zu den Bereichen Gesundheit bis Arbeit. Gendersensible Dolmetscher*innen im Bildungs- und Gesundheitssystem und in Behörden beispielsweise oder die rasche Anerkennung von Abschlüssen. Denn zu den großen Herausforderungen gehört, dass gut ausgebildete Frauen wie etwa aus Syrien oder dem Iran oft unter ihrer Qualifikation arbeiten. Die Verknüpfung von Integration und Frauenagenden böte viel Potenzial, die Situation migrantischer Frauen tatsächlich zu verbessern. Doch dazu bräuchte es eine andere Sichtweise und Einstellung als bisher, und die Vorzeichen zu solchen Veränderungen stehen unter der neuen Integrationsministerin schlecht.

Ob jemand integriert ist oder nicht, wird weiterhin gerne an Oberflächlichkeiten und Äußerlichkeiten festgemacht. Dass verschiedene Identitäten möglich sind, wird man in Österreich wohl nie begreifen, auch nicht im neu geschaffenen Integrationsministerium. Dass es Frauen gibt, die zugleich religiös, muslimisch und österreichisch sind. Und emanzipiert! Oder dass man die eigene Herkunft nicht aufgeben muss, um sich in Österreich heimisch fühlen zu dürfen.
Raab sieht die Frauen durch die türkise Brille. Das Hauptproblem seien nicht bestehende Ungerechtigkeiten, gar Sexismus, sondern sei die Bedrohung durch das »Fremde«. Frauen mit Migrationshintergrund begegnet man mit gönnerhaftem Paternalismus. Will ihnen helfen, ohne nach ihren Lebensrealitäten und Bedürfnissen zu fragen. Eine »Frauenpolitik«, die weder dies- noch jenseits des Kopftuchs nützlich ist.

Exkurs: Das Frauenministerium in der Regierung

Die Geschichte beginnt 1979. Eine gewisse Johanna Dohnal wurde »Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen«. Dohnal kam aus schwierigen Verhältnissen, ein uneheliches Kind, aufgezogen von der Großmutter, Geld gab es nur für das Allernötigste, Schulbildung zählte nicht dazu. Der Hochzeit mit 18 Jahren folgte die Geburt zweier Kinder, Arbeitslosigkeit, aber auch das zunehmende Engagement in der SPÖ, speziell zur Situation der Frauen. In den 1970ern stieg sie zur führenden Frauenpolitikerin Österreichs auf, mit dem vorläufigen Karrierehöhepunkt Staatssekretärin in der Regierung Kreisky IV. 1990 folgte das »eigene« Frauenministerium, weltweit eines der ersten seiner Art. Vom Anfang an stand das Ministerium und speziell die Ministerin im Kreuzfeuer der erstarkenden FPÖ, aber auch der Reaktionäre der eigenen Partei, was letztendlich zu Dohnals Ablöse 1995 führte. Ersetzt wurde sie durch Helga Konrad, von der vor allem die »Ganze Männer machen halbe-halbe«-Kampagne in Erinnerung blieb. Barbara Prammer folgte ihr in der Regierung Klima, die mit der Bildung der ersten schwarz-blauen Koalition ihr Ende fand – ebenso wie das halbwegs eigenständige Frauenministerium. Die Frauenagenden wanderten in das neue »Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen«, wo sie bestenfalls eine Nebenrolle spielten. Kurzzeitig unter der Regie von Elisabeth Sickl (FPÖ), gefolgt von ihrem Parteikollegen Herbert Haupt, der somit als Österreichs erster Frauenminister galt. Der in vielerlei Hinsicht kuriose Haupt wurde 2003 erlöst. Die Frauen wanderten nun ins Gesundheitsministerium unter Maria Rauch-Kallat. Nach dem Ende von schwarz-blau/orange wurden die Fraueninteressen in der Bundesregierung wieder Sache der SPÖ. Gabriele Heinisch-Hosek, Sonja Hammerschmid, Sabine Oberhauser und schließlich Pamela Rendi-Wagner waren in unterschiedlichen Ressortkonstellationen dafür verantwortlich, namentlich im Kanzleramts-, Bildungs- und Gesundheitsministerium. Eine ministerielle Hauptrolle wie in den 1990ern war den Frauen nicht mehr vergönnt. Die Wandertage wurden unter türkis-blau fortgesetzt, zuständig war bis Jänner 2018 Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), bis zum Ende der Regierung nach »Ibiza« dann noch Kanzleramtsministerin Juliane Bogner-Strauß, gefolgt von Ines Stilling in der Beamtenregierung. Und nun: Susanne Raab.

Erinnerungen an ein eigenständiges Frauenministerium: Johanna-Dohnal-Platz (Bild: GuentherZ)