Die AFD stimmt als einzige Partei allen Forderungen des konservativen Bauernverbandes zu und organisiert Grillpartys und Veranstaltungen im ländlichen Raum. Nazistische Organisationen wie »Der dritte Weg« schneiden ihre Propaganda derzeit verschärft auf Bäurinnen und Bauern zu. Woher kommt dieser »Maoismus« der Rechten, was erwarten sie sich von dieser kleinen Schicht?
Vor allem knüpfen sie an alte Vorbilder an. Der »hessische Bauernkönig« Otto Böckel zog durch die Dörfer und hetzte vor allem kleinere Bauern gegen Juden auf. 1887 wurde er dafür in Marburg in den Reichstag gewählt. Die Nazis bauten auf seiner Propaganda auf. Ihre pseudorevolutionären, verquasten und romantisierten Vorstellungen von Landwirtschaft wirken in der Rechten bis heute. Sie haben im Bauern ihr Idealbild eines kernigen Typen. Auf Seiten der Linken hingegen waren maoistische, von Bauern getragene Bewegungen eher kein positiver Bezugspunkt. In den 70ern wurde Pol Pot das Sinnbild eines vollständig regressiven und genozidalen Bauernstaates, dem sich in den 1990ern mit dem Sendero Luminoso eine weitere Variante als blutige Karikatur hinzugesellte. Gestützt durch Marx’sche Polemiken über Bauern entstand eine marxistische Erzählung, nach der die Bauern erst »doppelt freie« Proletarier (rechtlich ungebunden, aber ohne Produktionsmittel) werden müssten, um zu wahrhaft revolutionärem Bewusstsein zu kommen. Mit dieser Strategie meinte man, hinter Leninismus und Maoismus zu einem orthodoxen Marxismus zurückkehren zu können, und vergaß doch das Kernelement der Marx’schen Philosophie: die aktuelle Geschichte nicht in den Masken vergangener Revolten aufzuführen.
Heute sind 1,5 Milliarden Menschen Kleinbauern. Sie stellen 50% der Hungernden und in manchen Ländern 70% der Bevölkerung. Das Industrieproletariat ist unter dem Druck von Robotisierung und Digitalisierung auf dem Rückzug und kann nicht mehr wie im England der Industrialisierung die »doppelt freien Lohnarbeiter« aufsaugen. Wie sich also Kleinbauern die globalen Verhältnisse erklären und dazu verhalten, ist von entscheidender Bedeutung.
Die konservative Grundstimmung der Bauern in Europa ist nicht Naturnotwendigkeit, sondern Resultat einer tausendjährigen Geschichte. Die ständische Ordnung wurde in Mitteleuropa seit Karl dem Großen forciert, die heidnischen Bauern ihrer Teilhabe beraubt und der konvertierte Adel gestärkt. Bauernaufstände waren die zwangsläufige Folge der unaushaltbaren Zustände dieses Systems. Die Grande Jacquerie in Frankreich 1358 legte hunderte Schlösser in Schutt und Asche, bis sie vom Ritterstand blutig niedergeschlagen wurde. 1381 folge die Peasants’ Revolt in England mit der Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft. In Schweden wurde 1434–1436 der Engelbrekt-Aufstand von bewaffneten Bauern getragen. 1476 mobilisierte der Prediger Hans Böhm in der Gegend um Würzburg eine religiöse Erweckungsbewegung zur Abschaffung des Standeswesens mit über 70.000 Anhängern. Der 1524 in Mitteleuropa ausbrechende »deutsche Bauernkrieg« hatte Dutzende von bedeutenden Vorläufern und Nachfolgern. Die ständische Ordnung wurde ständig von Bauern in Frage gestellt und schließlich gestürzt, obwohl keine einzelne Bewegung einen siegreichen Bauernstaat schaffen konnte. Es dauerte noch über hundert Jahre, bis in England 1689 die »Glorious Revolution« so etwas wie einen modernen Parlamentarismus durchsetzte und noch einmal exakt hundert Jahre, bis die Französische Revolution unter Beteiligung der Bauern die Forderung nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit weltweit verbreitete.
Dass Bauern sich durch die Geschichte hindurch immer wieder vergeblich gegen militärisch überlegene Unterdrücker erhoben, führte zur misstrauischen Vorsicht gegen sich anbahnende Revolten. Bäurinnen und Bauern revoltierten meist nicht, um eine Idee zu verbreiten, sondern wenn sie nichts mehr zu verlieren hatten. Das begünstigte die Abfuhr von Aggressionen auf Schwächere. So war in den Bewegungen früh und relativ häufig Antisemitismus zu finden: Die badische Bundschuhbewegung (1493-1517) propagierte beispielsweise die Plünderung und Vertreibung von Juden. Antisemitismus war allerdings auch in Adel und Klerus verbreitet. Bekämpft wurden die Bäurinnen und Bauern daher stets wegen ihrer fortschrittlichen Forderungen nach Abschaffung des Ständewesens. Der deutsche Bauernkrieg wurde nach der Niederschlagung systematisch verhetzt: Die Gräuelpropaganda Martin Luthers über die »Weinsberger Bluttat« kursiert unter manchen Marxisten immer noch als Beleg dafür, dass die Bauernkriege kein positiver Bezugspunkt sein dürften. Am 14. April 1525 drohte Graf von Helfenstein den 6000 vor den Toren der Stadt Weinsberg versammelten Bauern an, sie verbrennen zu lassen, wenn sie nicht abzögen. Die Bauern stellten der Stadt Weinsberg im Gegenzug ein Ultimatum, wurden aber beschossen. Sie eroberten die Burg, plünderten die Stadtbevölkerung, die sie über Generationen ausgebeutet hatte, und verurteilten Helfenstein und ein Dutzend Adeliger zum Tod durch Spießrutenlauf. Luther und die deutsche Obrigkeit waren von diesem Tabubruch gegen den Adel erschüttert – der »Bluttaten« selbst gar nicht abhold war, als er den Bauernführer Jäcklein Rohrbach später lebend verbrannte und den Aufstand ganz nach uralter Tradition mit barbarischer Gewalt brach. Im Gefolge von Luthers Lehren entstand die deutsche Ideologie des Bauern: fromm, konservativ, in allen Zeiten obrigkeitshörig soll der Landwirt sein und seine etwaig verbleibenden rebellischen Impulse lenkt die Kirche gegen Juden, das eigene Weib oder Gegner der Nation.
Von der maoistischen Hoffnung auf Bauern als revolutionärem Subjekt lässt sich unter dem erfolgreichen Einfluss dieser Strategie heute in Europa sicher ebenso völlig absehen, wie von der Hoffnung auf ein Industrieproletariat, das etwas anderes vertrete als seine partikularen Interessen. Die ländlichen Verhältnisse aber wurden revolutioniert. Auch in den Entwicklungsländern sind Kleinbauern häufig Nebenerwerbsbauern. Sie leisten Saisonarbeit in den Städten, erlernen mehrere Berufe, befassen sich mit hochkomplexen Produktionsabläufen zwischen Anbau, Verarbeitung und Vermarktung. So haben sie strukturell höhere intellektuelle Anforderungen an ihre Arbeit und einen besseren Einblick in Produktionsverhältnisse als klassische Industrieproletarier, die wenige Handgriffe in Serie verrichten.
In den industrialisierten Ländern wurden weite Teile des unteren Industrieproletariats exportiert und einer kleinen landwirtschaftlichen Schicht steht heute eine große bürokratische Schicht von urbanen Angestellten gegenüber. Landwirte sind heute Unternehmer, im Besitz ihrer Produktionsmittel und der Rohstoffe. Natur beuten sie mit selbstbetätigter Maschinerie ebenso aus wie das Landwirtschaftsproletariat, die Ernte-»helfer«-kolonnen. Und doch identifizieren sie sich trotz aller eingesetzter Hochtechnologie durch die tägliche körperliche Arbeit eher mit dem Industrieproletariat, dem sie meist einige Millionen Grund- und Maschinenbesitz voraus sind. Zentrale Strategie reaktionärer Propaganda ist nun, den ständigen Konkurrenzkampf der Großbauern gegen Kleinbauern zu verschleiern und Bauern anachronistisch als unterdrückte Schicht anzusprechen. Als Unterdrücker werden Naturschützer präsentiert, weil diese die Anwendung der Produktionsmittel einschränken und einen gesellschaftlichen Mitbesitz an Wasser und Artenvielfalt reklamieren. Sobald diese Ableitung scheitert, müssten sich Bauern mit ihren internen Klassenkonflikten befassen. Daher ist es für die sogenannte Agrarlobby von zentraler Bedeutung, die Komplizenschaft von Klein-, Mittel- und Großbauern durch forcierten Raubbau zu stärken. Speerspitze der Propaganda ist der Bauernverband Schleswig-Holstein: Er produziert seit Jahren systematisch Ideologie für Landwirtinnen und Landwirte, die meist vorab in den landwirtschaftlichen Magazinen und agrarwissenschaftlichen Instituten erprobt wurde. Mittels Fälschungen wird Bauern die Hauptschuld am Verlust von 70-80% der Biodiversität binnen 30 Jahren genommen und auf den Naturschutz projiziert. »Staat im Staate«, »Strippenzieher«, »geldgierig« und »reich« seien NABU[1] und BUND[2]. Dabei geht es nicht mehr um spezifische Konfliktgegenstände, etwa ein bestimmtes Schutzgebiet oder bestimmte Gesetze. Propaganda heute träumt vom vollständigen Rollback jeglicher Regelungen. Der Anspruch, mit dem eigenen Land zu tun und zu lassen, was man möchte, eint mit dem Neoliberalismus und den Rednecks gleichermaßen. Diese skrupellose Bereitschaft zu Fälschung und zu strukturell antisemitischen Projektionen signalisiert permanent Anschlussfähigkeit für die neue Rechte, die das Angebot dankend annimmt.
Aber auch in der marxistischen Linken finden sich Anschlusspunkte: zuvörderst die Wahrnehmung landwirtschaftlicher Arbeit als anachronistische Tätigkeit, obwohl diese heute relativ angenehm gestaltet werden kann und zu Recht auch Sehnsuchtsort einer urbanen Angestelltenkultur darstellt.
Wo in Nützlichkeitsabwägungen von Artenvielfalt gegen Getreide suggeriert wird, es wäre schon Planwirtschaft am Werk, verschleiern Marxisten das generelle Konfliktgefüge von Natur und Arbeit im Kapitalismus. In der Wunschprojektion von robotisierter Landwirtschaft, die im Kapitalismus nun einmal die Freisetzung von Arbeitern und nicht deren Befreiung von Arbeit zur Folge hat, ähneln sich manche linke Konzeptionen dem Antiindividualismus des Maoismus an, der in China Bauern in den dezimillionenfachen Hungertod trieb im Glauben, die im esoterischen Rausch erfundenen Züchtungen und Anbaumethoden würden Fantasieernten produzieren.
Dabei entstanden aus einer progressiven Linken heraus treffende Analysen des Klassenverhältnisses und sinnvolle Strategien zum Rückbau der Fehlentwicklungen. Vor allem der Umbau der EU-Subventionen für den Agrarsektor gilt zu Recht als Haupthebel, um das Höfesterben einzudämmen, Artenvielfalt zu stabilisieren und den Raubbau abzudämpfen. Daran haben aber Agrochemie, Discounter, Fleischoligopole, Agrargesellschaften und Großbauern im Unterbietungswettbewerb kein Interesse. Ihrer Propaganda sind alle Bauern heute fast schutzlos ausgeliefert. Wer dieses Getöse durchbrechen will, muss Bauern als prinzipiell aufklärungsfähige und zur Solidarität fähige Subjekte ansprechen und exakt aufzeigen, wo sie gegen ihre eigenen Interessen handeln.