Der letzte linke Kleingärtner, Teil 6: Sieben magere Jahre

Da schau einer an, die Bibel gibt Hinweise für das Hier und Jetzt. Man muss nicht an Gott glauben, um das biblische Gleichnis aus dem Alten Testament von den sieben fetten und sieben mageren Jahren zu begreifen. Da ist jeder Kleingärtner in seinem Element. Wenn es Brei regnet und der heimische Garten Bohnen oder anderes Gemüse und Früchte im Überfluss ausspuckt, muss man die Hand aufhalten. »Die Hand aufhalten« heißt schlichtweg Vorräte anlegen für die Zeiten mit mageren Ernten. Dies hat die international organisierte Landwirtschaft mit ihren nationalen und supranationalen Dependancen wie EU jahrelang vermasselt. Es brummte, aber man machte das System von Ackerfläche-Saatgut-Dünger-Vertrieb-Lagerung nicht ansatzweise »winterfest« für die mageren Jahre.

So kam es, wie es kommen musste. Der Putinsche Krieg gegen die Ukraine, die einer der weltweiten Hauptweizenlieferanten ist, führt bereits jetzt zu massiv steigenden Weizenpreisen, die auf zweierlei fußen: Zum einen können 25 Millionen Tonnen (!) Weizen aus den Silos in der Ukraine wegen zerstörter oder blockierter Häfen nicht geliefert werden und werden wohl verrotten, was ein unfassbarer Verlust wäre und zum anderen kann ein Teil der Saat für die nächste Ernte nicht ausgebracht werden. Also steigen die Preise mit katastrophalen Auswirkungen für arme Menschen. Das hat wenig mit den vermeintlich schuldigen Spekulanten zu tun, sondern ist normales zynisches Geschäft im Kapitalismus. Es ginge auch anders. Die Folgen des Ukraine-Krieges für die globale Lebensmittelversorgung wären deutlich geringer, wenn die Agrarpolitiker:innen weltweit ihre Hausaufgaben gemacht hätten und nicht alle Teile der Lebensmittelproduktion inklusive der Saatgutforschung privatisiert und durchkapitalisiert hätten. 

 

Der pharaonische Traum von den sieben fetten und mageren Jahren in der Weltchronik Fulda (Ende 14. Jhdt)

 

Die global organisierte Produktion von Lebensmitteln mit ihren empfindlichen Lieferketten ist hochgradig störanfällig, weil sie auf reduzierte Saatgutvielfalt, auf Monokulturen, auf wenige Sorten und einen exorbitant hohen Einsatz von Stickstoffdünger setzt. Letzterer wird vorwiegend in Belarus unter hohem Energieeinsatz mit Erdöl für den Weltmarkt produziert. Wenn alle Glieder in diesem hochsensiblen System funktionieren, dann stimmt statistisch zumindest der Output. Sobald es die kleinste Störung gibt oder mehrere Störungen zusammenkommen wie in Belarus mit der Düngerproduktion, in der Ukraine mit den kriegsbedingt fehlenden Transportmöglichkeiten für Weizen und dem durch die Corona-Pandemie verursachten Stau in der Containerschifffahrt (inklusive Seecontainern), die nicht dort sind, wo sie sein sollten, kollabiert das ganze hochgezüchtete System. Die Leidtragenden sind statistisch alle. Aber für ärmere Menschen – national wie global -, die jetzt bereits die Hälfte oder noch mehr ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, hat dies schnell existentielle Folgen. 

Wie könnte eine Lösung ausschauen? 
Die Alternativen sind bekannt: Die Landwirtschaft muss sich am Grundsatz der Ernährungssicherheit sowie Vielfalt und Regionalität orientieren und nicht auf Hochertragssorten setzen, die zwar unter konstanten Klima- und Wetterbedingungen und bei ebenso konstant hohem Düngereinsatz hohe Erträge bringen. Aber sobald eine Kleinigkeit in dieser hochsensiblen Kette fehlt, zerfällt das ganze System. Dazu braucht es flankierend eine Saatgutzüchtung in öffentlicher Hand und nicht wie bisher eine primär gewinnorientierte im Privatbesitz. In den seit Jahrzehnten global gespannten Lieferketten war es egal, wo etwas produziert wird, da der Transport kein großer Kostenfaktor war. Man 
braucht auch keine Fleischproduktion in Europa, die im Wesentlichen auf Soja aus Übersee fußt. Man kann eiweißhaltige Futtermittel auch »hier« produzieren. Dann gibt es halt ein bisschen Fleisch weniger und ich als Fußballfan esse dann am Spieltag nur noch eine Bratwurst. Das sollte machbar sein. Das würde ich tun, um das Klima, die Erde – und mich – zu retten. 

Theoretisch ginge ein Umswitchen auch innerhalb marktwirtschaftlicher Strukturen. Zukunftsfester im Sinne von »Nahrung für alle« ist es aber, wenn man auf eine globale demokratische Planwirtschaft hinsteuert. Oder der nächste Crash ist nicht eine Frage des ob, sondern nur des wann.

Aus der Ukraine zurück in meinen Garten: Es knallt und wächst wie doof, da sind sogar die Hühner leicht irritiert. Als Kleingärtner kann ich mal wieder Vollzug melden. Alles läuft wie geplant. Ich überlasse nichts dem freien Spiel der Marktkräfte, denen traue ich nicht, sondern plane, ordne, greife ein. So muss es sein. 

Praxistipps: 
1. Putin ist auch als Kleingärtner nicht zu gebrauchen. Er kann nichts. 
2. Flüchtlinge brauchen einen sicheren Hafen. Alle und immer. Aus der Ukraine und anderswo. 
3. »Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnams« rief Ernesto Che Guevara 1967 – Schafft zwei, drei, viele Gärten, meint der letzte linke Kleingärtner. Folge Che oder mir – als Kunde musst du dich entscheiden.

Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), einer allgemeinpolitischen NGO in Deutschland, die bundesweit arbeitet, u.a. zu Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus, Fairer Handel. Er mag den Begriff „Hobby“ nicht und lebt einen Teil seines Lebens als aktiver Fußballfan. Die Gartenkolumne erscheint auch in der Luxemburger Wochenzeitung WOXX .