Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung

Richard Schuberths »Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung« versammelt Essays & Cartoons zum Thema Identitätspolitik, die er in den letzten Jahrzehnten verfasst hat (einige davon für die Versorgerin). Die Schopenhauer-Paraphrase des Buchtitels mag aufgrund ihrer schelmischen tongue-in-cheekness bei Manchen für Augenrollen sorgen, ist aber dennoch – bzw. gerade deshalb – gut gewählt; und zwar aus mindestens zwei Gründen: Zum einen ist damit präzise der ideologiekritische Nenner benannt, den die Beiträge allesamt teilen. Zugleich ist die Gestalt umrissen, die die Doppelkritik am Bestehenden und dessen ideologischen Verarbeitungen bei Richard Schuberth annimmt. Wortspiele, Paraphrasen, Ellipsen und aphoristische Einschübe sind keine Ausweichversuche, um sich vor radikaler Kritik zu drücken, sondern Mittel der Distanzherstellung, um sie umso unmittelbarer nicht nur auf den Punkt, sondern auf den Begriff zu bringen. Verfremdung hat dort ihre Berechtigung, wo sie die realen Verkehrsformen der (post)bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft in ihren Bewegungen nachvollzieht. Theoretisch fundierte Kulturkritik & essayistische Leichtigkeit gehen Hand in Hand, ohne gleich Ringelpietz mit Anfassen zu spielen. Zwei Thesen hierzu: 

  • Grundmotiv ist, dass die geistigen, kulturellen und politischen (kurz ideologischen) Alternativen, vor die man vermeintlich gestellt ist, selbst Ausdruck genau jener Ideologie sind, die es zu kritisieren gilt – diese Kritik aber auch in Gang setzen können. 
  • Die Lust am Formulieren ist nicht Selbstzweck, sondern birgt das Bewusstsein, dass der sprachliche Ausdruck Teil des Auszudrückenden ist. Ziel ist nicht, Inhalt und Form in Deckung zu bringen und damit falsche Identität zu behauptet, sondern das Herstellen erkenntnisfördernder Anordnungen, die sich reiben und Funken schlagen. So entsteht durch die sprachliche Versiertheit Richard Schuberths das, was er an deutschsprachigen Debatten schmerzlich vermisst und im englischen wit, auf französisch esprit heißt. 

 

Das Buch ist ein Vademekum radikaler Kritik, die eben nicht kategorische Urteile für oder gegen etwas fällt, sondern unablässig den ideologischen Bedingungen nachspürt und kenntnisreich falsche Dichotomien hinterfragt, in die sie sich selbst zu verheddern droht. Sie besäuft sich nicht an der selbstgebrannten Geistigkeit und läuft nicht der eigenen Fahne hinterher.

Richard Schuberth: »Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung. Das identitätspolitische Lesebuch«, Drava, 2022