Die Punkaustria-Währungsreform

Ab 15. Juni ist der neue Gibling gültig. 10 Jahre nach seiner Gründung überlegt Franz XAVER, der den diesjährigen 11. Gibling konzipiert und gestaltet hat, ob die Communitywährung vor einer Währungsreform steht.

Der Gibling ist seit 2012 das Community-Währungssystem der STWST, wird von der Punkaustria herausgegeben und ist auf Papier im Umlauf. Das trifft auch auf die Giblinge der 11. Edition zu, allerdings ist jeder Gibling dieser Edition als NFP ein einzigartiges Bild und damit individuelles Geld. Zudem ist er mit einem System von Digitalwährung verknüpft. 


Der Gibling 2022 wurde von mir als Serie von »Not Fungible Pictures«, als NFP, konzipiert, als Auseinandersetzung mit neuen Werten in Digitalwährungen. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Digitalwährungen muss ich einen gewissen »digitalen Intellekt« voraussetzen. Unter diesem Begriff verstehe ich eine kritische, weil per se noch humanoide Perspektive auf die digitalen Entwicklungen unserer Gesellschaft. Es entstehen immer häufiger Verschwörungstheorien und andere absurde Wahrheitskonstruktionen. Dies geschieht meist über Randgruppen, die sich in der Informationsgesellschaft hilflos fühlen und gemeinsame Argumente konstruieren, um sich dann in einer Gruppe gegenseitig zu bestärken. Leider sind es aber nicht mehr nur Randgruppen, in denen das geschieht, diese Tendenzen finden wir inzwischen auch schon in den näheren Umfeldern von Kunst und Kultur. Ich kann mir diese Situation nur über einen fehlenden digitalen Intellekt bzw. ein größeres Bildungsversagen erklären. Aus diesem Grund möchten wir heuer, 10 Jahre nach Gründung unserer Communitywährung Gibling noch tiefer in diese Wunden bohren. Das heißt, wir wollen digitale Argumente in das an sich als Papier-Communitywährung gestartete System miteinbeziehen. Denn die Stadtwerkstatt wurde vor 40 Jahren gegründet, um auf Probleme unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen – und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. In der STWST waren es Anfang der 80er-Jahre noch analoge Technologien und Fragestellungen rund um Sender und Empfänger, mittels derer ein neuer demokratischer Zugang zu Medien gefordert wurde. Mit den digitalen Techniken der späten 80er- und beginnenden 90er-Jahre entstanden immer mehr computergestützte, rechnerisch bestätigte, unveränderbare, »logische« Tatsachen oder Wahrheiten. Diese digitalen Ergebnisse stellten uns vor völlig neue Herausforderungen im sozio-künstlerischen Umfeld. Mit dem Ausbau der globalen Informationsnetze verschoben sich Wahrheiten immer weiter von humanitären, künstlerischen, religiösen oder ethischen Argumenten zu belegbaren, logischen, globalen Tatsachen. Die Vielfalt an verfügbarer Information wird meist als positiv dargestellt, sie hat aber auch Kehrseiten – denn mit dem Informationsangebot entstanden auch verschiedenste Wahrheitsmodelle, die meist über beachtliche Kapitaleinsätze geschaffen worden sind.

Man vergisst gerne, dass die digitale Entwicklung im Kern nur von Mathematik getrieben wird. Aber selbst marktwirtschaftliche Interessen und jedwede argumentierte Wahrheiten können digitale Entwicklungen nicht stoppen oder verändern. Wir entwickeln uns in Richtung einer maschinellen, mathematischen Welt, in denen Wahrheiten von Computerprogrammen verifizierbar sein müssen. Und da das Internet niemandem gehört, d.h. immer weniger geregelt werden kann, werden menschliche, bzw. auch kapitalabhängige Wahrheiten nicht weiter ihre Gültigkeit behalten können. Ein erster Ansatz dafür ist in der Kryptografie einer Blockchain zu finden, sie entwickelte sich meiner Meinung nach bereits in diese Richtung. Die Basisfunktion ist sehr einfach: Tatsachen der Gegenwart werden mathematisch festgehalten, indem eine Prüfsumme gebildet wird, diese wird in Folge zur Bestätigung einer vergangenen Gegenwart. An diesen Prüfsummen vergangener Gegenwarten gibt es in Folge nichts mehr zu interpretieren.

Das Infolab der Stadtwerkstatt verfolgte diese Verschiebungen von Werten und Wahrheiten. Das war auch einer der Gründe, warum wir 2012 den »Gibling« als alternative Währung geschaffen haben.

Der Gibling 

Wir sind nun im elften Jahr unserer eigenen Währung. Ein kurzes Resümee: Durch die Umlaufsicherung der Währung muss jedes Jahr die alte Edition vernichtet werden und verschiedenste Künstler:innen wurden und werden jedes Jahr eingeladen, den neuen Gibling zu gestalten:

2012 Oona Valarie / 2013 Leo Schatzl / 2014 Deborah Sengl / 2015 Michael Aschauer / 2016 Judith Fegerl / 2017 Julius Deutschbauer / 2018 Eva Grün / 2019 Peter Weibel / 2020 OrtnerSchinko / 2021 Shu Lea Cheang

Diese Umlaufsicherung mit der damit verbundene Negativ-Zins ist ein gangbarer Weg, um ein dauerhaftes Währungssystem zu gewährleisten. Solch ein Schwundgeld kann einen kurzfristigen Werteersatz für Waren oder Arbeitsleistungen bieten. Es verhindert Spekulation oder eine Anhäufung von Geld. Teilweise wurde der »Gibling« bereits in bis zu 75 Betrieben in Linz, Wien und Graz als Zahlungsmittel akzeptiert. Der Gedanke eines umlaufgesichertes Geldes ist auch nicht ganz neu, und reicht vom alten Ägypten über mittelalterlichen Klosterwährungen bis zum solidarischen Anarchismus von Pierre-Joseph Proudhon. Die bekanntesten Versuche waren das WÄRA-Experiment von Schwanenkirchen (1929) und das Wunder von Wörgl (1932). Die Gedanken wurden teilweise über den Begriff der Zinsknechtschaft auch in die Ideologie der NSDAP hineininterpretiert und instrumentalisiert. Den Begriff des Freigeldes formulierte aber Silvio Gesell bereits 1916. Vielleicht aus immerwährenden eigenen Geldnöten haben sich Künstler:innen seit jeher mit verschiedensten Ideen beschäftigt, um Geld abzuschaffen oder es neu zu erfinden. Ein Versuch der letzten 10 Jahre war innerhalb des Gibling-Systems z.B. die »Bundeslade« der Stadtwerkstatt. Sie besteht aus einer Box, in der jeden Monat ein bestimmter Betrag an Giblingen deponiert wurde/wird. Alle Arbeiter:innen der Stadtwerkstatt haben die Möglichkeit, sich Giblinge aus der »Bundeslade« zu nehmen. Sie müssen lediglich Namen, Anzahl der Giblinge und den Zweck der Entnahme in eine Liste eintragen. Sowohl der limitierte Gesamtbetrag als auch das Gesamtsystem von Freiwilligkeit und Selbstkontrolle fördert die Solidarität untereinander. Abgesehen davon, gibt und gab es viele Künstler:innen, die eigene Ich-Aktien oder Geldscheine gestalteten. In der Versorgerin gibt es darüber mehrere Artikel, in denen man sich über die verschiedensten Sondereditionen des Giblings informieren kann. Erwähnt sei hier der 0-EURO-Schein von Michael Aschauer. 

 

Der Null-Euro-Schein von Michael Aschauer, 2015 (Bild: Michael Aschauer)

 

Der Givecoin

Auf der Suche nach Alternativen starteten wir bereits 2014 unsere eigene Kryptowährung, den »Givecoin«. Wir wollten uns mit der neuen Blockchaintechnologie auseinandersetzen, um im Sinn des digitalen Intellekts ein wachsames Auge auf die digitalen Entwicklungen unserer Informationsgesellschaft zu haben. Schnell war klar, dass diese »Proof of Work«-Technologie des Bitcoins für uns komplett sinnbefreit ist. Die kryptografischen Blöcke werden nur durch ein absurdes »Ratespiel von Zufallswahrheiten« erzeugt, das über einen künstlichen zugefügten Schwierigkeitsfaktor hinausgezögert wird. Das »Erraten« der Wahrheiten war und ist nur mit einer immer steigenden Rechenleistung möglich. Diese Rechenleistung braucht inzwischen absurd viel Energie. Reguläre Kryptowährungen sind bei einem Energieverbrauch eines mittleren europäischen Staates, um den nächstgültigen Kryptoblock des Bitcoins zu erraten. Nicht einmal die Energieverteuerungen der letzten Wochen haben dieses System ins Wanken bringen können. Die Ethereum-Blockchain, auf der die NF-Token basieren, ist dabei um nichts besser. Um uns aber trotz dieser Widernisse mit diesen Technologien auseinandersetzen zu können, haben wir die Blockchain des Givecoins in ein internes Netz verlegt und »schürfen« die Blöcke mit Hilfe von Sonnenenergie.

Ein Modell unserer Währungsreform

Mit der 11. Edition wollen wir nun die kryptografische Einzigartigkeit mit dem Gibling verknüpfen. Denn mit der kontinuierlichen Schaffung von kryptografischen Ereignissen entstand für uns die Möglichkeit, dieses Geschehen in einen Kontext mit Prozesskunst zu setzen. Die neue Edition des Giblings funktioniert hauptsächlich über Serienbilder. Auf jedem Gibling ist eine Seriennummer, sowie jeweils ein anderes Bild zu sehen. All diese Daten erzeugen die NFPs und sind in den jeweiligen Metadaten des Bildes gespeichert. Mit den Metadaten, Filenamen und dem Bildinhalt wird eine kryptografische Prüfsumme gebildet. Die Prüfsumme wird wiederum in die Metadaten des drauffolgenden Bildes geschrieben – und so fort. Diese Prüfsumme macht das vergangene Bild einzigartig, denn es können weder Bildinhalt, der Filenamen, noch die Metadaten geändert werden, ohne dass sich die Prüfsumme verändert. Dadurch entsteht eine endlose Serie von Bildern und Daten, die jeweils mit den vergangenen Bildern und Daten in einem unauflöslichen Bezug stehen.
Über die 4 verschiedenen Banknoten (1er, 2er, 5er und 500er) gibt es also vier verschiedene Verkettungen von Bildern und Daten. Jede Verkettung hat ein erstes Bild-File, das sogenannte Genesis-File. Dieses Genesis-File entsteht über eine Signatur in unserer Givecoin-Blockchain. Mit jedem Genesis-File entsteht eine Abspaltung von der Givecoin-Blockchain. Dafür gibt es auch einen kryptografischen Begriff – Die »Fork« einer Blockchain. Diese »Fork« kann dann wieder endlos fortgesetzt werden.
Auf der Rückseite jeder Banknote ist eine kryptografische Adresse des Givecoins zu finden. Mit dieser Adresse kann ein Bild (NFP) aktiviert werden, indem man diese Adresse über die Internetseite von punkaustria.at eingibt. Als Ergebnis bekommt man den Privat-Key und den genauen Zeitpunkt der Aktivierung. Alle aktivierten NFPs werden dort chronologisch nach dem Zeitpunkt der Aktivierung gereiht. Jede Aktivierung eines NFPs erzeugt aber auch zusätzlich ein weiteres NFP, in dem die Seriennummern aller bisher aktivierten NFPs über eine weitere Prüfsumme gespeichert sind.

Der Bildinhalt

Der wichtigste Bestandteil des Giblings als NFP ist der Bildinhalt. Die Bildinhalte sind Serienbilder und kommen aus unserem Alltag. Auf dem Ein-Gibling-Schein sieht man Feuer, auf dem Zwei-Gibling-Schein die Wellenbewegung des Wassers, und auf dem Fünf-Gibling-Schein vorbeiziehende Wolken. Die Zeitspanne, in der die Aufnahmen gemacht wurden, beträgt jeweils ca. eine Stunde. Pro Stunde wurden etwa 1000 Bilder generiert, das heißt, etwa alle 3 Sekunden entstand ein Bild. Da die Gegenwart mit etwa 3 Sekunden angenommen wird, entspricht diese Zeitspanne circa einer Gegenwartseinheit. Beim 500er-Gibling-Schein ist der Gegenwartsbegriff ein wenig verschoben, darauf ist nämlich das Bild der Erde aus dem Blickwinkel des Weltalls zu sehen. Aus dieser Perspektive verändert sich die Gegenwart der Erde sehr langsam – aus diesem Grund ist hier ein Bild der Erde zu sehen, das sich nur dreimal pro Tag ändert. Quelle dieser Sicht auf den Globus sind selbstempfangene Fax-Transmissionen eines Wettersatelliten aus dem Jahr 1994.

Insgesamt war wichtig, dass die Bildinhalte möglichst viel Entropie in sich tragen. Denn Entropie ist der Feind der neuen digitalen Ordnung und der Freund der Kryptografie. Denn nur daraus kann sich etwas neuformieren, bzw. in Formation gebracht werden. Dieses sogenannte »Chaos« beruhigt aber manchmal auch unsere Gedanken. Der Blick auf den Sonnenuntergang am Meer, das Rauschen der Brandung, die Regentropfen am Dachfenster, das Licht und das Knistern des Lagerfeuers oder sich ständig verändernden Wolkeninformationen: Das alles bringt ungeordnete Formationen in unsere Köpfe, die wir zwar nicht interpretieren können, aber die wir als angenehm empfinden. Aus ihnen können neue Gedanken entstehen und sie können Quellen unserer Kreativität sein.

Mehr Informationen zum Gibling: punkaustria.at, gibling.stwst.at

Der 2.0-Gibling als NFP, 2022: