Journalistischer Katechismus

Der Journalistische Katechismus ist eine Handreiche für all jene, die dauernd irgendwas mit Medien machen und darum keine Zeit haben, Machiavellis Il Principe zu lesen. Deshalb erscheint er auch häppchenweise in Serie.

Sechstes Hauptstück: Von dem Wege der Erleuchtung – oder von der Bedeutung, im publizistischen Feld eine möglichst einträgliche Nische zu besetzen. 

 

Was ist dieser Weg? 

Der Zustand, in welchen diejenigen eingehen, die alle journalistischen Sünden verlassen und die schwersten investigativen Laster gebändigt haben, und anfangen, den publizistischen Tugenden einen Geschmack abzugewinnen und sich darin üben. 

An welchen Zeichen erkennt man, daß es Zeit sey, diesen Weg anzutreten? 

Wenn Jüngere, Bissigere und Skrupellosere an dir vorbeiziehen, die die Mühen der Ebene, das ewige Klein-Klein akribischer Recherche scheuen, auf Einfach-, Doppel- und Trippelchecks verzichten, nicht aber auf Quadrupel-Schecks. Zweifel, Besonnenheit und Vorsicht sind der Dornenweg, den die Tüchtigen und Erfolgreichen im Vorbeigehen mit ihrer Flammenrede in Brand stecken und so in den Weg der Erleuchtung eintreten. 

Was hat man auf dem Wege der Erleuchtung hauptsächlich zu thun? 

  • Man muß diese drei Stücke beobachten: 
    Erstens mit Eifer Ergebnis-Building zu betreiben, mit dem Ziel einer Umwandlung der journalistischen persona in eine Meinungsfabrik mit unique selling point. Dies muss keine creatio ex nihilo sein, sondern kann als creatio ex negatio vonstatten gehen – es gilt, einfach das Gegenteil zu statuieren und dabei zu bleiben.
  • Zweitens muß man auch das Gemüth in eine Verfassung bringen, dass es seine Einzigartigkeit durch jede Pore transpiriert und das Abgefasste als ungetrübte Einsicht in den Weltgeist kenntlich macht. Mögen Parvenüs das Cool Aid ambitionsloser Skribifaxe schlürfen, werden hier die Bouteillen direkt an der Quelle der Weisheit abgefüllt und von echten Conoisseuren und Counaisseusen an die Lippen gebracht.
  • Drittens muß man sich nachdrücklich bewusst machen, dass das Evangelium nach Gonzo nicht nur über Auflage und Reichweite im engeren Sinn, sondern auch durch Glaubenskongregation und Adepten verkündet werden muss.

 

Welches sind jene wirksamen Mittel, die man als tüchtige Grundlagen des geistigen Gebäudes nöthig hat? 

Die vollkommene Einsammlung des Gemüthes, und der Ernst, in Allem sich selbst zu überwinden: Die eigenen moralischen Be- und Empfindlichkeiten sind gerade dann hintanzustellen, wenn der Meinungsmarkt nach etwas anderem verlangt. Personen, die ohnehin mit einem sehr flexiblen moralischen Kompass ausgestattet sind, haben hierbei einen Vorteil, da sie gewöhnt sind, ihr charakterliches Gepräge am currenten Magnetpol auszurichten. 

Welche Eigenschaften muß nun diese Einsammlung haben, um vollkommen zu seyn? 

Erstens muß sie allgemein seyn, und alle journalistischen Vermögen so einnehmen und vereinigen, dass sie sämtlich auf den größtmöglichen Effekt hin ausgelegt sind. Aus der breiten Masse herauszuragen erfordert commitment an die Rolle, die zu spielen geboten ist. Fatal wären Relativierungen ex post: Absurde Positionen und kraftmeierische Forderungen verlieren durch nachträgliche Einhegungen und Abschwächungen an Wirkung und vergraulen den fanclub – auch der lunatic fringe kündigt die Gefolgschaft auf, wenn er Schwäche wittert. 

Wodurch verliert man diese Einsammlung? 

Einerseits durch die fehlende Rollenpersistenz, zudem aber auch durch allzugroße Ausgießung des Herzens im Gespräche – sobald der Eindruck einer Divergenz entsteht, deren Überbrückung kognitive Dissonanz erzeugt (etwa zwischen dem coram publico deklarierten »das muss einmal gesagt werden« und einem vertraulich im Rahmen einer home story konzedierten »privat würde ich das so nie sagen«), wird dies zur Planke ins Haifischbecken einer enttäuschten Anhängerschaft. 

Welche Mittel dienen zur vollkommenen Einsammlung?

Vorzüglich diese drei: 

  • Die Bewachung des Mundes, indem man das Stillschweigen – und damit das Flair des Geheimnisvollen bewahrt. Wenig ist anregender und produziert mehr engagement als Spekulationen darüber, ob die Aussagen der tatsächlichen Position entsprechen oder kalkuliertes reaction baiting sind. Weiters 
  • die Liebe zur Zurückgezogenheit und Einsamkeit. Selbst wenn es schwerfällt, sich von zeremoniellen Zusammenkünften wie Pressebällen oder Preisverleihungen fernzuhalten, ist dies empfehlenswert, da die Gefahr besteht, zum journalistischen Adabei zu werden und die mühsam erworbene Outlaw-Gloriole zu verwedeln anstatt sie durch Obskuranz zu veredeln. Relevant sind derartige gatherings ohnehin eher für den journalistischen Nachwuchs, um networking zu betreiben und zu tratschen – etwa auch über jene, die den Weg der Erleuchtung erfolgreich beschritten haben (was deren Konsekration weiter vorantreibt). Zuletzt schließlich 
  • die Flucht unnöthiger Geschäfte. Bei aller inhaltlichen und persönlichen Vielfalt eint die Erleuchteten, dass sie sich aus dem journalistischen Tagesgeschäft (Pressekonferenzen abklappern, Recherchieren) weitestgehend absentiert haben und sich der hohen Form des Kommentars (siehe Hauptstücke zwei und drei) befleißigen, in der das ausgegossene Wissen ruhig etwas diffus sein kann. Oft genügt ein Zitat aus jenen Klassikern, die in einer erhabeneren Welt von einer ledergebundenen Suchmaschine aufgebracht würden, um jene geronnene Gelehrsamkeit zu demonstrieren, vor deren Autorität selbst fundierter Widerspruch die Waffen der Kritik zu strecken und sich zu fügen hat. 

 

Was erfordert die Sorgfalt, sich selbst zu überwinden, welche die Grundfeste des geistigen Gebäudes ist? 

Sie erfordert eine große Genauigkeit in der Beobachtung der Reaktionen – die in den publizistischen Äußerungen niemals kenntlich werden darf, da dies als jener Wankelmut ausgelegt werden kann, der die followers der Konkurrenz in die Arme treibt. Zudem bedarf sie einer peniblen Abwägung zwischen der Aufrechterhaltung der eigenen Marke und subtilen Änderungen, um auf Marktverschiebungen adäquat reagieren zu können. Wem diese Abwägung kompliziert erscheint, möge sich die Maxime zu Herzen nehmen, die in Anfragen zur Veröffentlichung bezahlter Inhalte in Form redaktioneller Beiträge empfohlen wird: »Im Beitrag selbst sollten Sie keine Erwähnung machen, dass es sich bei dem Artikel um bezahlten Content bzw. um Werbeinhalte handelt.« 

Das folgende Siebte Hauptstück handelt vom Wege der Vereinigung – anders formuliert: der Konzentration publizistischer Marktmacht.