Gehasst, verdammt, vergöttert

Anstatt sich heutzutage positiv oder negativ an den Popanz Patriarchat zu klammern, plädiert Tina Sanders dafür, Frauenhass im Westen als letztes Aufbäumen der Männerherrschaft zu begreifen.

And she shall have that. (Bild: Sasha Kimel (CC BY-ND 2.0))

 

Mal soll es weggeglitzert, mal getötet, mal penetriert werden. Trotz diverser Differenzen über seine Gestalt, Feindbilder, Wirkung und Bekämpfung ist es in aller Munde: Die Rede ist vom Patriarchat. Anstatt sich, in der Hoffnung auf die zukünftige Obsoleszenz des eigenen politischen Kampfes und somit der »Abschaffung des Patriarchats«, einzugestehen, dass dieses im Zerfall begriffen ist, wird es stets aufs Neue heraufbeschworen. Carina Korecky z.B. spricht aus den falschen Gründen richtigerweise von einem »immer wieder immer noch«. Denn für Liberalfeministinnen muss das Patriarchat als Argument für Frauenquoten, staatliche Förderungen, die Racketbildung von Girl Bosses und Identifikationsstiftung bei (potentiellen) Arbeitern und Konsumenten herhalten. Für radikale (Differenz-)Feministinnen ist es Anlass zum Klassenkampf gegen »den Mann« als Unterdrücker und die Sakralisierung »der Frau«. Selbst Queerfeministinnen engagieren sich im Rahmen ihrer NGO- und Hochschuljobs dagegen, obwohl Butler selbst nie vom Patriarchat und kaum von Frauen, sondern stets von heteronormativer Matrix und Gender spricht. Feministische Materialistinnen von Roswitha Scholz zu Koschka Linkerhand und Veronika Kracher machen Karriere, indem sie wie andere zuvor die aufgebauschten blinden Flecken der »alten, weißen Männer« Marx, Freud und Adorno abdecken und ihre Theorien »fruchtbar für die feministische Kritik und Praxis« machen.1 Deshalb verfehlt jeglicher Feminismus es, die spätkapitalistische Individuation z.B. heterosexueller Männer angemessen in den Blick zu bekommen und behandelt somit die Gründe für die anhaltende Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen und Homophobie bloß ahistorisch, ideologisch und dogmatisch.

Die Geschichte eines Begriffs

Der Terminus des Patriarchats geht bereits auf die Antike zurück und meinte immer schon ein männliches Oberhaupt. Ab dem 19. Jahrhundert wird er, nicht zufällig zur Zeit der Entstehung von bürgerlichem Staat und Kapitalismus, genauso von Sigmund Freud, z.B. in Totem und Tabu, wie auch der Pionierin der ersten deutschen Frauenbewegung, Louise Otto Peters, benutzt, um ein spezifisches Organisationsprinzip der modernen Gesellschaft (bzw. in Freuds Fall auch ihr Entstehen durch die vatermordende Bruderhorde) zu beschreiben. Primär meinte er damals »vaterrechtlich« – und benannte damit die Realität. Der bürgerlichen Louise Otto Peters selbst blieb der Universitätsbesuch ihr Leben lang versperrt, weshalb sie für höhere Bildung und das Recht auf Arbeit für Frauen plädierte.2 Da sie die Frau als vom Manne unterjocht erkannte, setzte sich auch die Sozialistin Clara Zetkin gegen den Willen ihrer Genossen und bei gleichzeitiger Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung für dasselbe ein.3 Erst 1918, nach dem Ersten Weltkrieg und 29 Jahre nach Zetkins Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongress zu Paris, wurde Frauen in Deutschland und Österreich das aktive und passive Wahlrecht zugestanden. Damals fielen Millionen von Männern an der Front, die Frauen strömten auf den Arbeitsmarkt. Dies wiederholte sich mit dem Zweiten Weltkrieg – und wer Teil der heimischen Produktivkräfte war, denen konnten mit Berufung auf den Geschlechtsunterschied nicht mehr länger Rechte auf juristische Mündigkeit, Wahlen oder Bildung vorenthalten werden.4

Diese wurden also nicht nur erkämpft, sondern viel eher zugestanden. Während 1968 auf der Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt beim Tomatenwurf deklariert wurde, die Genossen täten nicht genügend für die Befreiung der Frau, war diese also bereits in vollem Gange. Als 50 Jahre später diverse Hollywood-Schauspielerinnen im Zuge von #metoo bei den Oscar-Verleihungen mit »Time’s Up!« eine Kampfan-sage an ihre Kollegen richteten, war diese bereits so vollbracht, wie es die kapitalistisch-bürgerliche Gesellschaft zulässt. »Time’s Up« sollte eine future, die female sein wird, einläuten, obwohl dies eher einer adäquaten Beschreibung des Status Quo, der »vaterlosen Gesellschaft«,5 glich. Dies zeigte sich nicht zuletzt daran, dass Harvey Weinstein in einigen Fällen laut Aussagen der Betroffenen nach einem Korb zunächst geweint und auf seine vermeintlich abstoßende Hässlichkeit rekurriert hatte, bevor er sie überwältigte und zu sexuellen Akten zwang.

Das Patriarchat ist tot, …

Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 132.966 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt – die Zahlen steigen jährlich.6 Männliche Jugendkriminalität steigt. Das Angebot an Pick Up-Artists, Alpha Mentorings wie z.B. von Kollegah, oder Instagramseiten, die jungen Männer zeigen sollen, wie man erfolgreich, reich und ein »Frauenheld« wird, boomt. In den letzten Dekaden formierten sich Bewegungen wie die Identitären oder die Alt-Right und es radikalisierten sich muslimische Jungen auch in Europa zusehends. Sie alle verwenden politische, propagandistische, aktivistische und andere Formen, um die »Verweichlichung des Mannes« und die ökonomische, rechtliche und (zumindest scheinbare) sexuelle Emanzipation der Frau aufzuhalten. Femizide werden besonders häufig von (ehemaligen) Partnern verübt, ihnen geht fast immer physische, sexuelle und/oder körperliche Gewalt voraus. Diese wird für Frauen vor allem dann fatal, wenn sie ihre Partner verlassen – nicht auszuhalten sind die Kränkung und der Bruch mit den mittlerweile bloß imaginierten Besitzansprüchen der Mörder. In den USA stehen seit der Aufhebung von Roe VS Wade rechtskonservative Staaten, die Abtreibung verbieten, sieben Staaten gegenüber, die für eine Abtreibung keine zeitliche Grenze gesetzt haben.7

Es zeigt sich gesamtgesellschaftlich eine Simultanität: In Deutschland studieren seit 2021/2022 knapp mehr Frauen als Männer,8 im Sinne von Affirmative Action und Diversity werden Frauen bei gleicher Qualifikation in einigen westlichen Staaten in bestimmten Branchen bevorzugt, früher weiblich konnotierte Eigenschaften wie Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Empathie uvm. werden nun am Arbeitsmarkt allen abverlangt. Vielerorts gilt eine Frauenquote für Führungspositionen, in Österreich existiert ein »Pograpschparagraph«, Antidiskriminierungsgesetze gewinnen an Bedeutung. Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit werden im Westen immer anerkannter, während des Pride Month tunken alle ihre Firmenlogos in den Regenbogen, das Geschlecht soll genauso flexibel sein wie der Arbeiter. Die im Feminismus geforderte Gleichstellung der Geschlechter ist im Westen im Wesentlichen bereits erreicht – bis an ihre Grenze der immerwährenden und unauflösbaren biologischen Differenz, der ersten Natur, nämlich den männlichen Phallus und die weibliche Gebärfähigkeit. Bereits 2011 schrieb Tove Soiland über das deutsche Geschlechterregime als eines, in dem Geschlecht immer weniger eine Rolle spielt.9 Diese Geschlechtsblindheit ist aufgrund dieser Differenz z.B. bezüglich der Sozialpolitik, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder der Finanzierung von Frauenhäusern nicht immer von Vorteil.

Eine Ungleichheit der Geschlechter ist deshalb auch stets existent und Gleichstellung nicht mit Emanzipation gleichzusetzen; sexuell emanzipiert sind trotz bzw. wegen der Sexuellen Revolution weder Frauen noch Männer heutzutage. Tatsächliche Emanzipation ist im Rahmen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ohne Weiteres sowieso nicht möglich. 1967 sagt Adorno hierzu: »Sexuelle Freiheit ist in einer unfreien Gesellschaft so wenig wie irgendeine andere zu denken«, bezeichnet diese als »bloßen Schein« in der gegenwärtigen Gesellschaft und behauptet stattdessen eine Integration des Sexus. Dieser bedürfe nicht mehr patriarchaler Gebote, sondern »der an- und abgestellte, gesteuerte und in ungezählten Formen von der materiellen und kulturellen Industrie ausgebeutete Sexus wird, im Einklang mit seiner Manipulation, von der Gesellschaft geschluckt, institutionalisiert, verwaltet. Als gezügelter ist er geduldet. … Während der Sexus eingegliedert ward, bleibt, was an ihm nicht sich eingliedern lässt, das eigentlich sexuelle Aroma, der Gesellschaft verhasst«.10

… lang lebe das Patriarchat!

Zu prominent sind aktuell vermeintlich freiwillige Prostitution, OnlyFans, über Blowjobs rappende Frauen, Trad-Wife-Reels und Manic Pixie Dream Girls in Indie-Filmen, Kopftücher oder Phänomene wie Pick-Me-Girl-Verhalten und Frauenkonkurrenz, ein Trend zu submissiven und gewalttätigen Sexualrollen und -praktiken uvm. beim weiblichen Geschlecht. Vom männlichen ganz zu schweigen: Weiterhin werden eigene homosexuelle Triebe eher bei Umarmungen nach einem Tor im Stadion, heimlich als sexueller Fetisch auf präoperative Transfrauen ausgelebt und gewaltvoll auf als verweichlicht wahrgenommene und/oder schwule Männer projiziert, als dass Männer sich diese eingestehen. Der vom Spätkapitalismus und der ökonomischen, rechtlichen und politischen Emanzipation der Frau abgehängte, mittlerweile ebenfalls ohnmächtige und – aufgrund der Kastrationsdrohung – impotente Mann »realisiert, dass das patriarchale Spiel vorbei ist.«11 In k-punk schreibt Mark Fisher zum Rapper Drake: »Drake bestätigt, dass der Bad Boy von der Straße … die andere Seite des schrecklich einsamen kleinen Jungen ist, der heulend vor seinem Mutterersatz steht. … Frauen werden öffentlich verachtet und als Währung in einer homosozialen Angeberökonomie eingesetzt; im Privaten wiederum bittet man sie darum, die verletzten Männer wieder ganz zu machen.«12 Mann bemerkt, dass über das Triebobjekt nun nicht mehr frei verfügt werden kann, sondern man zur Erreichung des Triebziels von zumindest scheinbar sexuell emanzipierten Frauen abhängig geworden ist. Mann hänge laut Fisher aber »noch zu sehr an seinen Genüssen und Privilegien …, um sie aufzugeben.«13

Das Patriarchat – sei es verwildert und warenförmig, klassenförmig, vaterrechtlich oder androzentrisch definiert – befindet sich bereits seit Jahren im Untergang (oder hat noch nie existiert wie beschrieben). Der Körper der Frau, seine Differenz und die weibliche wie auch homosexuelle Sexualität sind somit auch im Westen das letzte verbleibende Schlachtfeld des Geschlechterkampfes. Sie werden – auch im Feminismus – entweder manichäisch sakralisiert oder verdammt, oder genauso wie die zumindest scheinbare Emanzipation vollkommen ausgeklammert, obwohl sie fürs Kapital, aber auch die Vergesellschaftung seiner ungleichen Subjekte stets eine Rolle spielen werden. Gewaltförmige oder juristische Angriffe auf den weiblichen Körper, die patriarchale Residuen darstellen, sind als Backlash, gekränkte Reaktion auf den Zerfall des Patriarchats und somit männliches Agoniestrampeln zu verstehen.

[1] Brown, Heather (2014): Marx on Gender and the Family (Summary), 19.06.2024, https://www.imhojournal.org/wp-content/uploads/Marx-on-Gender-and-the-Family.pdf

[2] Otto, Louise (1866): Das Recht der Frauen auf Erwerb. Blicke auf das Frauenleben der Gegenwart, Hamburg, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/que/normal/que113324.pdf.

[3] Zetkin, Clara (1889): Für die Befreiung der Frau! Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongress zu Paris, 19.07.1889, in: marxists.org, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1889/07/frauenbef.htm.

[4] Pohrt, Wolfgang (2013): Das allerletzte Gefecht. Über den universellen Kapitalismus, den Kommunismus als Episode und die Menschheit als Amöbe, in: Klaus Bittermann (Hg.) (2020): Wolfgang Pohrt Werke, Band 10, Berlin: Edition Tiamat, 2. Auflage, S. 238, 239. Pohrt, Wolfgang (2012): Kapitalismus Forever, in: ebd, S. 29.

[5] Ebd, S. 114.

[6] Siehe: Bundeskriminalamt (2024): Häusliche Gewalt. Bundeslagebild 2023, Juni 2024, https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/HaeuslicheGewalt/HaeuslicheGewalt2023.pdf?__blob=publicationFile&v=6

[7] Choi, Annette/Cole, Devan (2024): See where abortions are legal or banned. 28.06.2024, in: CNN, https://edition.cnn.com/us/abortion-access-restrictions-bans-us-dg/index.html

[8] Statista Research Department (2024): Frauenanteil unter den Studierenden an Hochschulen in Deutschland bis 2023/2024, 26.03.2024, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1083401/umfrage/frauenanteil-unter-den-studierenden-an-hochschulen-in-deutschland/.

[9] Soiland, Tove (2011): Zum problematischen Cultural Turn in der Geschlechterforschung, in: Casale, Rita [Hrsg.]; Forster, Edgar [Hrsg.]: Ungleiche Geschlechtergleichheit. Geschlechterpolitik und Theorien des Humankapitals. Opladen u.a. : Verlag Barbara Budrich, S. 17-32, 25f.

[10] Adorno, Theodor W. (1967): Sexualtabus und Recht heute. Fritz Bauer zum Gedächtnis, in: Tiedemann, Rolf et al (Hg.) (2021): Theodor W. Adorno. Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe, Stichworte, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 9. Auflage, S. 534f.

[11] Fisher, Mark (2013): Der Mann, der alles hat: Drakes Nothing was the same, in: Fischer, Mark (2020): k-punk, Ausgewählte Schriften 2004 – 2016, Berlin: Edition Tiamat, S. 342.

[12] Ebd, S. 340f.

[13] Ebd, S. 342.