Zur Lage der Agitation

In dieser Ausgabe pausiert der Journalistische Katechismus und räumt aus gegebenem Anlass das Feld einer Buchempfehlung.

»Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.«

(Theodor W. Adorno, Minima Moralia)

 

Es ist kein gutes Zeichen, wenn in der Auseinandersetzung mit dem Erstarken autoritärer Bewegungen und den Wahlerfolgen faschistischer Parteien ein über 75 Jahre alter Text aktuellen Debatten weit voraus ist – darum sei er an dieser Stelle nochmals empfohlen. Es handelt sich um Leo Löwenthals Untersuchung »Prophets of Deceit« aus dem Jahr 1948 (siehe Versorgerin #130 und #124), und obwohl – oder gerade weil – sie in einer Analyse von Reden faschistischer Agitatoren in den USA der 1940er Jahre besteht, sagt sie zugleich mehr über das Bewusstsein ihrer Anhängerschaft aus als heutige Meinungsumfragerei samt küchenpsychologischer Auswertung, wonach Menschen »nicht abgeholt« oder »nicht mitgenommen« würden, als wäre Politik tatsächlich jene Kindergarten-Fahrgemeinschaft, als die sie sich leider mitunter darstellt. Dagegen bietet das Buch eine psychoanalytische Fundierung, auf der Löwenthal von manifesten Inhalten der Reden auf latente Einstellungen schließt und so die Agitations-Mechanismen detailliert erläutert.

 

Der Erfolg faschistischer Agitatoren beruht darauf, dass sie wie jemand aus der Mitte ihres Publikums auftreten und dessen soziales Unbehagen zum Ausdruck bringen, gleichsam die innersten Gedanken aussprechen, bzw. diese für das Publikum ausagieren. Dessen diffuse Unzufriedenheit verweist zwar auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit, verschleiert und verzerrt sie aber. Löwenthal bezeichnet diesen Zustand als Malaise und sie ist weder eine Illusion des Publikums, noch eine Erfindung des Agitators, sondern das »psychologische Symptom einer bedrückenden Situation«.

 

Faschistische Agitatoren wollen dieses Gefühl der Desorientierung aber nicht überwinden, indem sie eine Verbindung zwischen Problemen und ihren Ursachen herstellen und damit die Situation in rationale Lösungswege überführen, sondern zielen darauf ab, Orientierungslosigkeit und Ohnmachts-gefühle noch zu verstärken. Deshalb wirken ihre Reden oft wie Tiraden von Besessenen: Da Agitatoren unterschiedslos alle möglichen – mehr oder weniger gewichtigen – Beschwerden (politische, wirtschaftliche, kulturelle, moralische) aneinanderreihen, erzeugen sie eine diffuse Kulisse scheinbar übermächtiger Bedrohung, gegen die anzugehen völlig aussichtslos wäre. Man mag sich darüber wundern, dass etwa Donald Trump in einer Minute vom zu niedrigen Wasserdruck in Duschen schwadroniert, um in der nächsten von der Bedrohung durch die chinesische Exportpolitik zu sprechen – in den Köpfen des Publikums erzielt das aber genau die gewünschte Wirkung unentrinnbarer Gefahr, gegen die nur diese Person Schutz gewährt. Auch in Herbert Kickls Suaden ist Entkommen nicht vorgesehen: Der Bevölkerung sollen Auto und Bargeld weggenommen werden, sie wird zwangsgeimpft und das Schnitzel wird ihr auch verboten.

 

Dass sich Kommentare in den Medien darüber lustig machen, zeigt nur, wie wenig sie diese unbewussten Mechanismen verstehen. So lächerlich die Schwurbeleien samt ihrer launigen Witzchen und Schmähungen (»Sleepy Joe Biden«, »Gruselbauer«) auch sind – sie wirken. Diese Clownereien und Absurditäten mischen sich mit Pathos und Verfolgungswahn. Wie »Märtyrer mit kugelsicherer Weste« gerieren sich die Agitatoren als Opfer von Verschwörungen (z.B: Kickl: Ich bin Staatsfeind Nummer 1), als Opfer von Zensur (obwohl sie ständig medial präsent sind), als Underdogs, die es dem »System« zeigen werden.

 

Löwenthal identifiziert vier emotionale Komplexe, die sich konstant durch die Beschwerden der Agitatoren ziehen: Sie bedienen darin das Misstrauen des Publikums gegenüber Phänomenen aus ihrem Alltag, von denen es sich bedrängt fühlt, die es aber nicht begreift. Sie spielen mit dem Gefühl der Abhängigkeit, das sie beim Publikum voraussetzen (gegen die es sich wehren, zugleich aber Teil einer starken Organisation sein möchte), sie suggerieren Vorenthaltungen (den Eindruck, um den gerechten Anteil gebracht, bzw. benachteiligt zu werden) und schüren Angst im Sinne der unspezifischen Vorahnung von Katastrophen, die das gesamte Leben umwälzen.

 

Mit dieser Suggestion des hoffnungslosen Ausgeliefertseins blockieren die Agitatoren unter dem Deckmantel des Protests zugleich den Weg zur Überwindung der Malaise und schwören das Publikum darauf ein, in ihr zu verharren und sich – in einer paranoiden Beziehung zur Außenwelt – mit dem Bestehenden zu arrangieren. Die Agitatoren appellieren an Gefühle des Betrogenseins durch dunkle Verschwörungen und fachen den Neid des Publikums auf die »Elite« und deren »Luxusexzesse« an.

 

Daran schließen sie aber keine Forderung nach dem guten Leben für Alle und dem Ende von Armut und Not an, sondern erzeugen Schuldgefühle für eben diesen Neid. Die Anhängerschaft hat gelernt, den eigenen Ansprüchen zu misstrauen und kommt gar nicht auf die Idee, von dem Überfluss etwas haben zu wollen. Den einzigen Ausweg, den die Agitatoren bieten, besteht in Form irrationaler Ausbrüche (Löwenthal vergleicht dies mit dem Rat, sich bei einer Hautkrankheit zu kratzen, was kurz Erleichterung verschafft, die Situation aber verschlimmert). Zudem wird der bessere Zustand in die Vergangenheit projiziert (»Make America Great Again«) und ist damit unerreichbar.

 

Da als Ursache der sozialen Übel nicht eine ungerecht eingerichtete Gesellschaftsform gesehen wird, sondern die Machenschaften bestimmter Personen oder Gruppen, identifizieren die Agitatoren entsprechende Feindbilder (»Die da oben«, »Sozialschmarotzer«, »Enemy of the people«) mit sich als Gegenentwurf, der als einziger aufseiten der Entrechteten steht (Haiders/Straches/Kickls »Sie sind gegen ihn. Weil er für euch ist.«)Dementsprechend ist wichtig, zu verstehen, dass gerade dann, wenn vom »System« die Rede ist – immer ein System von Personen gemeint ist, das zum Feind erklärt wird (Kickl sagt das einigermaßen unverblümt: Wenn er Zustände anprangert, kommt er sofort auf böswillige ‚Herrschaften‘ zu sprechen, die dafür verantwortlich seien). Löwenthal analysiert detailliert die vorgefundenen Feindbilder und auch wenn der antisemitische Wahn heute verklausulierter auftritt, bedarf es nicht viel Übersetzungsarbeit, um Brandreden gegen »Globalisten« entsprechend einordnen zu können.

 

Zusammengefasst: Die Vorstellung, dass man faschistische Agitatoren einfach nur »entlarven« müsse, bzw. sie sich »entzaubern«, blamiert sich an der Tatsache, dass wir es mit einer Komplizität zwischen Agitatoren und Publikum zu tun haben – die Verführung hat bereits stattgefunden, bevor noch die ersten Fact-Checks in Anschlag gebracht werden. Die Anhängerschaft ist eingeschworen und jede faktische Widerlegung wird als persönlicher Angriff wahrgenommen, weshalb das triumphierende »gotcha!« einfach abprallt, bzw. die Beziehung zu den Agitatoren noch gestärkt wird, da dies als Beleg für jene Verschwörung genommen wird, von deren Existenz sie überzeugt sind. Dementsprechend ist auch die Idee zu modifizieren, dass diese Versuche inhaltlicher Auseinandersetzung sich an die richten, die noch unentschlossen sind, da dies den Agitatoren eher neue Anhängerschaft zuführt. Statt in wirren Aussagenkonglomeraten herumzustochern und deren planvolle Irrationalität zu rationalisieren, wären genau jene Mechanismen zu thematisieren, um den Menschen ins Bewusstsein zu bringen, wie sie manipulierbar gemacht werden. Löwenthals damalige Erkenntnisse heute ernst zu nehmen, ist wohl die beste Chance, die wir haben, um Schlimmeres zu verhindern.

In der Versorgerin #144 setzt der Journalistische Katechismus mit dem siebenten Hauptstück zum tüchtigen Presseführer fort.