Trollen gegen Trolle

Bernd Lederer über Strategien im digitalen Informationskrieg am Beispiel NAFO.

„NAFO“ nennt sich eine selbstorganisierte Kommunikationsguerilla gegen russische Propaganda. Den Hintergrund bildet der weltweit von autoritären Regimen und demagogischen Parteien geführte (Des)Informationskrieg gegen freiheitliche Demokratien unter Einsatz von Lügen und Verschwörungserzählungen. Zwar sind NAFO-Aktivitäten auf den Ukrainekrieg bezogen, deren medialer und politischer Kontext und die zugehörigen Strategien eignen aber auch im Kampf gegen andere Varianten populistisch-demagogischer Gegenaufklärung.

„Flood the zone with shit!“. Diese mittlerweile vielzitierte Empfehlung gab Steve Bannon der extremen Rechten („Alt-Right“, „MAGA“) in den USA mit auf den Weg, um in ihrem Sinne die öffentliche Meinung und die Überzeugungen der eigenen Gefolgschaft zu beeinflussen. Als Herausgeber des Fake-News- und Propaganda-Internetoutlets „Breitbart News“ und nicht zuletzt als Wahlkampfberater und Chefstratege im Weißen Haus unter Donald Trump (bevor er nach etwa einem halben Jahr aus Gründen persönlicher Animositäten abgesägt wurde), wusste er am besten, wie moderne Propaganda heute zu funktionieren hat: In analogen Zeiten, also vor dem Siegeszug von Internet und Social Media ging es noch darum, Sachverhalte und Fakten im Eigeninteresse zu fälschen, Wahrheiten zu manipulieren oder gänzlich umzudrehen (man denke an George Orwells berühmte drei Wahlsprüche der Partei des „Großen Bruders“ im Roman 1984: „Krieg bedeutet Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“). Immer schon wurden Informationen, speziell im politischen Wettkampf oder gar in Kriegszeiten, mit bewusst manipulierten Zahlen und Statistiken in Umlauf gebracht, wurden missliebige Tatsachen verdreht und ins Gegenteil gewendet.

Die neue Qualität im Digitalzeitalter ist aber, dass nunmehr die Wahrheit nicht mehr „nur“ gefälscht, sondern als solche gleich mit abgeschafft wird. Sie wird zersetzt im Säurebad bewusst gestreuter Lügen und Desinformationen, sie wird zerrieben zwischen Gerüchten und absichtlich gesätem Zweifel am Wahrheitsgehalt von Tatsachen. „Flood the zone with shit!“ meint deshalb: Flutet die Informationszone und die Diskursebenen der digitalen Informationsgesellschaften permanent mit Lügen und Gerüchten, wiederholt sie so oft wie möglich, bombardiert die User mit Fakes und Provokationen, auch wenn sie sich widersprechen sollten, desorientiert sie, bringt sie zum Zweifeln, ob, und wenn überhaupt, wem sie noch Glauben schenken können und sollen!

Die russische Diktatur ist diesbezüglich unerreichtes Vorbild aller rechtsrechten (wie auch linkslinken) Influencer und Propagandisten: Der gelernte KGB-Agent Putin hat früh das Potenzial der modernen Informationstechniken und -kulturen erkannt, ohne dass Russland als Wirtschafts- und Technologiestandort diesbezüglich führend gewesen wäre oder ist. Es reichte schon, zynisches Machtkalkül und Skrupellosigkeit mit der Funktionsweise sozialer Medien zu kombinieren und nicht zuletzt reichlich manpower und finanzielle Ressourcen für dergleichen Aktivitäten zu mobilisieren. Es war bekanntlich „Putins Koch“, Jewgeni Prigoschin, der spätere Führer des Söldnerunternehmens Wagner, der in St. Petersburg die berüchtigte „Troll- und Bot-Fabrik“ gründete: Eine Organisation von Informatikern und Geheimdienstlern, die mithilfe geeigneter Programme, williger Lohnschreiber und diplomatischem Personal den Auftrag befolgte und befolgt, westlich-demokratische Informationsräume mit pro-russischer, ja überhaupt allen Feinden liberaler Demokratien in die Karten spielender Propaganda zu fluten. Mittels verwirrender, spaltender, zersetzender, emotionalisierender Desinformation soll Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse zerstört, sollen Gesellschaften polarisiert und destabilisiert und soll nicht zuletzt der falsche Eindruck erweckt werden, prorussische und andere autoritäre Ansichten seien im Internet und letztlich gesamtgesellschaftlich in der Mehrheit. Das niederländische Medienforschungsinstitut Trollrensics etwa hat analysiert, wie eine koordinierte russische Aktion mit vergleichsweise wenigen Personen, die aber über 5000 künstlich generierte Accounts allein auf Twitter/X verfügten, im Vorfeld der Europaparlamentswahlen 2024 bspw. für die AfD und andere prorussische Gruppierungen vom äußersten rechten Rand kampagnisierten.

Dem Aspekt der Emotionalisierung kommt dabei speziell mit Blick auf die Funktionsweise der „toxischen Algorithmen“, nach denen Soziale Medien funktionieren, besondere Bedeutung zu: Schließlich werden dort solche Nachrichten und Infos aufmerksamkeitsökonomisch privilegiert, die hohen Traffic auslösen, also oft geteilt oder geliked werden. Das gezielte Streuen von Gerüchten, Halb- und Unwahrheiten setzt dabei auf das Unvermögen einer inhaltlichen Überprüfung des Behaupteten angesichts der oft mangelhaften Medienkompetenz vieler User. Sie speisen damit einen grassierenden „Postfaktizismus“, ein „age of post-truthism“, gekennzeichnet durch „alternative Fakten“ (so die legendäre Bezeichnung der ehemaligen Pressesprecherin Trumps, die mit dem Besitz selbiger den Vorwurf der Lüge und Falschbehauptung konterte) und „gefühlte Wahrheiten“ (geglaubt oder überhaupt zur Kenntnis genommen wird nur, was dem eigenen Weltbild und den eigenen Überzeugungen entspricht).

Zur Meisterschaft erhob diese Strategie Donald Trump während seiner Präsidentschaft: Laut der Fact-Checker von der Washington Post verbreitete er in vier Jahren sage und schreibe 30.573 falsche oder irreführende Aussagen. Die Erkenntnis dahinter war, ist und bleibt freilich: Irgend etwas davon bleibt immer hängen, vor allem aber stumpft diese „Infodemie“, die Inflation der Lügen und Fake News, auch den kritischsten Geist ab, irgendwann kapituliert jeder Faktenchecker und es folgen Gewöhnung, Gleichgültigkeit, gar Zynismus. Dergleichen gilt vor allem dann, wenn die Sachverhalte, über die gelogen wird, dem Laien nicht unmittelbar verständlich scheinen und es in Einzelfragen tatsächlich zu Meinungsverschiedenheiten unter Expert:innen kommt. Während der Pandemie etwa wurden vom rechtslastigen Sender „Servus TV“ in lehrbuchartiger Weise subtile Desinformationsstrategien praktiziert, die sich unter den Begriffen „false balance“ und „both-sideism“ subsumieren lassen: Unter Ausblendung tatsächlicher Mehrheitsmeinungsverhältnisse werden Wissenschaftler:innen mit zueinander konträren Ansichten gleichgewichtig gegenübergestellt. Nicht-Sachkundigen wird somit suggeriert, „die“ Wissenschaft sei sich selber uneins und streite um Fakten oder deren Interpretation: Wie kann ich als Nicht-Experte da überhaupt noch entscheiden, wer recht und wer unrecht hat? Ein gar nicht seltenes Beispiel: Ein Vertreter der These, der Klimawandel sei nicht von Menschen qua Treibhausgasemissionen verursacht, sitzt dann gleichrangig einem antithetischen Klimaforscher gegenüber, der in dieser Rolle jedoch praktisch 99,9% der Klimatologenzunft vertritt.

Wissenschaft indes ist keine Meinung, es lohnt, dies an dieser Stelle kurz zu erläutern, zumal Österreich in Sachen „scientific literacy“ (Wissenschaftsverständnis, -wissen) innerhalb der EU in einschlägigen internationalen Vergleichsstudien regelmäßig auf Schlussrängen landet: Wissenschaft ist ein erkenntnisgeleitetes Verfahren zur Überprüfung von Hypothesen (Vermutungen über die Beschaffenheit und Gesetzmäßigkeiten der Welt) an der Realität durch ein gezieltes, methodisch-systematisches Vorgehen. Diese Überprüfung erfolgt direkt oder indirekt über „Messungen“ (Experimente, Befragungen, Beobachtungen, Inhaltsanalysen) und führt hierdurch zu empirisch erhobenen Daten. Empirisch heißt, diese Daten wurden direkt oder indirekt (mit technischen Hilfsmitteln) an der erfassbaren Realität gewonnen, also nicht auf spekulative oder anekdotische Art und Weise. Auch logische Analysen und Schlussfolgerungen ohne direkte Messung eignen zudem als Techniken einer rationalen Erkenntnisgewinnung. Diese Hypothesen bzw. den Prozess der empirischen Datensammlung und -auswertung gilt es dann auf intersubjektive Art und Weise (also seitens anderer, vom Vertreter der Hypothese unabhängiger Forscher:innen) zu überprüfen, um die Ergebnisse letztlich entweder zu reproduzieren oder aber zu widerlegen („falsifizieren“). Entsprechend geht es der Wissenschaft zwar nicht um „die“ Wahrheit, aber erst recht existieren auch keine alternativen oder gar gefühlten Fakten, sondern eben empirische Daten, über deren methodisches Zustandekommen sich genauso streiten lässt wie über deren Interpretation. Jedoch ist der systematische, methodische Vorgang der Datengewinnung und Erkenntnisgewinnung transparent, weil er öffentlich publiziert wird (normalerweise in speziellen Fachjournalen) und zudem in der Regel bereits durch Qualitätskontrollen seitens unabhängiger Expert:innen vorab ihrer Veröffentlichung überprüft wurde („Peer-Review-Verfahren“). Ein Wesensmerkmal von Verschwörungsnarrativen hingegen ist, dass sie sich grundsätzlich nicht falsifizieren lassen, mögliche Gegenbeweise sind vielmehr eine Fälschung und immanenter Bestandteil einer unterstellten Verschwörung durch Politiker und „Eliten“, zu denen ja auch Wissenschaftler:innen zählen. Im Zeitalter der „post-truth“, der Postfaktizitäten und der „Contrarians“, also der notorischen Besserwisser („epistemische Selbstermächtigung“, „Dunning-Kruger-Effekt“) und trotzigen Dagegenseier (bezogen auf den Common Sense einer liberal-demokratischen Bürgergesellschaft) wird die Realität freilich stets der eigenen Überzeugung angepasst. Behauptungen, aber auch Tatsachen werden nur dann zur Kenntnis genommen oder als zutreffend erachtet, sofern sie der eigenen Gesinnung entsprechen. Nicht selten verschmilzt der Verschwörungsglaube dann mit der eigenen Identität, wird total mit ihr, weil er Orientierung, Sinn, Kontrolle und soziale Distinktion ermöglicht (ich bin etwas Besseres als all die anderen Leichtgläubigen, weil ich exklusiv die Wahrheit hinter der Inszenierung und den Lügen „des Systems“ und „der Eliten“ kenne). Realitätsverlust und Radikalisierung sind dann aber unvermeidlich.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 ergoss sich seitens der Troll-Fabriken und angeschlossener pro-russischer Parteien, Medien und Sympathisanten eine Flut von Propaganda-Narrativen in die Informationsräume des Internet (aber auch analoger Medien), eine Mélange aus sich im weiteren Verlauf des Krieges teils haarsträubend widersprechenden Behauptungen, und doch: Gerade darin lag und liegt auch ihre Stärke im oben besprochenen Sinn: Es ist völlig egal, ob dieses Potpourrie aus Propaganda und kruden Ideologismen ein kohärentes Ganzes bildet oder nicht: Hauptsache, irgend etwas bleibt hängen und alles wird für möglich gehalten, weil es die dazu passenden Zielgruppen bedient und bestimmten politischen Milieus gefällt. Dergleichen ist Sinn und Zweck der hybriden Kriegsführung in den digitalen Informationsräumen, zu dem neben Fake News meistens auch Cyberattacken wie Sabotage-Hacks zählen.

Kurz nach dem russischen Überfall auf das Staatsgebiet der Ukraine passierte im Netz jedoch Bemerkenswertes: Ohne ein konkretes Datum oder gar einen einzelnen Namen nennen zu können (wiewohl diesbezüglich oft der Mai 2022 und der Account @Kama_Kamilia angeführt werden), bildete sich im Zuge von Kommunikationsdynamiken und Selbstorganisationsprozessen eine Art von „Kommunikationsguerilla“ aus weltweit verstreuten Internetaktivist:innen, die der Dominanz pro-russischer Propaganda nicht länger die Foren und Drukos (Drunterkommentar) der Internetplattformen überlassen wollten: Zunächst nur vereinzelt auf Twitter, dann zunehmend auch auf anderen Social Media-Outlets wie Facebook, Instagram, TikTok etc. trat dieser Aktivismus immer deutlicher und mit koordinierter Vehemenz in Erscheinung: So etwa beim Entlarven und Kontern von Fake News mittels Daten und Fakten, beim Sabotieren einschlägiger prorussischer Fake-Polls (Umfragen auf social media) oder beim Outen und „Bonken“ (Niederschlagen mittels Gegeninformation oder Memes) einschlägiger Russentrolle und sonstiger pro-faschistischer „Tankies“ und „Proxys“ (Stellvertreter). Bei all dem gaben sich die Aktivist:innen zwecks Kenntlichmachung der eigenen Vielzahl bald schon die scherzhafte Bezeichnung „NAFO“, die „North Atlantic Fellas Organisation“, also, unter bewusster Bezugnahme auf die von links- wie rechtsradikalen Russenfreunden so verhasste NATO, frei übersetzt: die Organisation der Nordatlantikkumpel, die sich als Avatare fantasievolle Outfits für Comicfiguren japanischer Hunde der Shiba-Inu-Rasse zulegten. Wer als erster auf diese schräge Idee kam, einen japanischen Shiba-Inu-Hund als Markenzeichen für die Bewegung zu wählen, geschweige denn, warum, dazu gibt es gleichfalls nur Spekulationen. Mittlerweile hat es die Initiative tatsächlich zu einiger Berühmtheit gebracht, die etwa auch durch eine ganze Reihe prominenter Politiker:innen wie etwa Ursula von der Leyen, Sanna Marin oder Kaja Kallas durch von ihnen getragene oder publicityträchtig präsentierte NAFO-T-Shirts wie auch durch einschlägige Plaketten und Aufkleber auf ukrainischen Uniformen und Waffensystemen befördert wurde. Auch über eine eigene Homepage (https://nafo-ofan.org) verfügt diese gleichwohl schon aus Sicherheitsgründen durch und durch dezentrale, informelle Organisation, deren Sympathisanten sich mittlerweile auch auf Vernetzungstreffen kennenlernen können.

Letztlich handelt es sich bei der NAFO somit um eine satirische, im Kern aber bitterernstgemeinte Kampagne zum „Counter-Trolling“ und „Counter-Shitposting“ pro-russischer Desinformation. Eine Grassroots-Initiative, die Lügen entlarvt, Trolle identifiziert und vor allem mittels origineller Memes russische Narrative kontert, bestenfalls zerstört. Gemäß der Devise: Ein gutes Meme sagt mehr als tausend Worte, wird hier auch die alte, bewährte Strategie von Charlie Chaplin praktiziert, die dieser in „Der große Diktator“ verfolgte: Gegen den faschistischen „Strong Man“ mit seiner Politik der Einschüchterung, der Drohung und nackten Gewalt hilft nur das Lächerlichmachen und das Beschämen der oft genug ja wirklich erbärmlichen Führerfiguren dieser Welt, die bei genauerer Betrachtung doch nur Witzfiguren sind, sei es ein Putin, ein Kim Jong-un, ein Trump, einer der Mullahs oder aber eben, im Falle Chaplins, auch ein Hitler. Nicht zuletzt umfassen NAFO-Retweets, -Likes, -Kommentare und kommentierende Memes aber auch Szenen aus dem Kriegsgeschehen selbst. Der moderne Drohnenkrieg eröffnet heute die auch für Dritte transparentesten Gefechtsfelder aller Zeiten: Ohne Überwachungssatelliten oder Luftaufklärung vermag heute jeder Mensch mit Internetzugang auf den Accounts der einschlägigen Influencer und „War-Blogger“ direkt mitzuverfolgen, wie harte Wirkungstreffer gegen Kriegsgerät, insbesondere aber auch gegen „Weichziele“ (Soldaten) erzielt werden. Das Popularisieren und Teilen einschlägiger Erfolge, oft genug mit zynischen Kommentaren und Memes hinterlegt, kann einerseits als Ausdruck der Verrohung gelesen werden, ist heute aber auch Teil der modernen psychologischen Kriegsführung, um den Gegner zu demoralisieren und die eigene Seite optimistisch zu stimmen. Schadenfreude und Genugtuung über das Leiden des Aggressors lindern eigene Ohnmachtserfahrungen, öffnen eigener Wut ein Ventil und sind motivationspsychologisch deshalb entsprechend leicht zu erklären. Schuld an dergleichen Tendenzen und Aktivitäten ist freilich immer der, der den Krieg, den Militärischen wie den Infokrieg, mit all seinen destruktiven Folgen begonnen hat.