»A big black steel trunk labelled k a goddard«

Klaus Hollinetz über den am 9. Oktober 2009 verstorbenen Keith Goddard, Komponist, Aktivist, Musikforscher und -promoter aus Harare, und seine Hinterlassenschaft.

Was bleibt von unseren Dingen bestehen, wenn wir – wie sagt man so treffend – aus dem Leben gerissen werden? Ein Regal voll Unvollendetem, ein Fußboden verstreuter Blätter ohne Zusammenhang, Schubladen voller Krimskrams, der sich plötzlich seiner Bedeutung nicht mehr sicher ist und Säcke voller Dinge, die gestern noch wichtig schienen und morgen vielleicht auf den Müll geworfen werden?

Als Keith Goddard das letzte Mal in Linz war, trafen wir uns in einem Café um Pläne für weitere gemeinsame Projekte zu besprechen. Es war ein paar Tage nach der PARADE, diesem wunderbaren Musik-Projekt für Linz09, das viele Gruppen von durch Teile der Stadt wandernden Musikern für eine unvergessene gemeinsame dreitägige Performance versammelte. Keith war einer der treibenden Köpfe hinter dem Projekt gewesen.
Wir erwogen die Möglichkeit, die Tonaufnahmen, an denen wir gleich nach dem Ende der Parade begonnen hatten zu arbeiten, in eine neue Art Komposition zu transformieren. Befeuert von vielen Vierteln Rotwein – Keith konnte einige wenige Dinge perfekt auf deutsch bestellen – begannen wir uns in wilden Plänen zu ergehen. Ich erinnere mich genau, was wir damals besprachen, und es erschien mir genauso fantastisch wie schwer machbar. Das war das letzte Mal, das wir uns sahen. Die Tonaufnahmen sind längst auf CD erschienen, doch aus dem wilden Projekt ist dann nichts mehr geworden.

Keith, schon geschwächt durch seine lebenslange Krankheit, starb im Oktober 2009 an einer Lungenentzündung in einem Krankenhaus in Harare. Am Ende drückte seine verkrümmte Wirbelsäule noch mehr auf Magen und Lunge, Nahrungsaufnahme und Atmen waren immer schwerer gefallen. Mag sein, dass er sich zusätzlich auch durch Alkohol und Zigaretten ruinierte, es ist müßig darüber zu spekulieren.

Als Erinnerung an die mannigfachen Tätigkeiten und als Plattform für zukünftige Projekt hoben Freunde und Partner von Keith die Website kunzwana.net ins Leben, die im Mai 2011 in Harare offiziell vorgestellt wurde. »KUNZWANA comes from the Shona word nzw(an)a which means listening, hearing and understanding one another«, der von Keith 1991 gegründete Kunzwana-Trust war über all die Jahre organisatorische Basis für verschiedene internationale Projekte.

Jeder der Keith kannte, erinnert sich gerne an diesen kleinen Mann, dessen markante Stimme doch selbst im Lärm mit sonorer Autorität hörbar war. Er nahm sich als Künstler hinter den Projekten stets uneitel zurück und wagte sich als Aktivist für andere bis in die gefährlichsten Bereiche vor. Als langjähriger Menschenrechtsaktivist und Sprecher der GALZ (Gays and Lesbians of Zimbabawe), war er eine international bekannte Figur, einer der Proponenten der Diskussion über eine neue Verfassung in Zimbabwe, die als erste in einem schwarz-afrikanischen Land die Rechte von Schwulen und Lesben entkriminalisiert hätte.

Keith war in den letzten Jahren wieder in das Haus seiner betagten Mutter im Stadtteil Mount Pleasant gezogen, bot es doch eine gewisse Sicherheit nach den Jahren des Umherziehens während immer prekärer werdender Umstände eines wirtschaftlich, politisch und sozial scheiternden Staates. Haus und Garten boten nun einen ruhigen Platz zum Arbeiten, das Büro bei der GALZ war ja ständig von Aktivität umlagert. Keith war von Linz09 eingeladen worden, eine größere Orchesterarbeit in Form eines Violinkonzertes zu realisieren.
Doch 2008 kam jemand am hellen Nachmittag über die hintere Gartenmauer gestürmt und entriss Keith das Macbook vom Terrassentisch, an dem er gerade arbeitete. Die Versuche, das Gerät am Schwarzmarkt zurückzukaufen, was eine durchaus gängige Praxis ist, scheiterten. Die Backups, soweit vorhanden, waren längst nicht mehr ganz aktuell, und die Softwarelizenzen waren auch weg. Eine mittlere Katastrophe für jede Arbeit, schwer zu rekonstruieren und fortzuführen. Wenige Monate später drang eine Gruppe von Leuten nachts in das Haus ein, fesselten und schlugen ihn und die greise Mutter und hinterließen in dem ausgeplünderten Haus Chaos. Nun war auch das Geld weg. Man kann sich vorstellen, welche Folgen eine solche Demütigung hinterlassen kann. Keith differenzierte selbst unter seinen Peinigern und nahm einen sogar in Schutz. Das lange geplante Violinkonzert war nach diesen Ereignissen verloren, Keith fand keine Kraft mehr, die Partitur zu vollenden.
Vieles schien sogar darauf hinzudeuten, dass Angehörige der Sicherheitsdienste den Überfall geplant hätten. Keith war ja kein Unbekannter, als Aktivist war er immer wieder in den Fokus der Behörden geraten, bedroht, verhaftet und misshandelt worden. Als er vor Jahren jemanden an einer Hauptstraße in Harare, die zufällig auch die Grenze zur Residenz des Staatspräsidenten Mugabe ist, aussteigen ließ, nahm ihn die Präsidentengarde fest und verprügelte und verletzte ihn schwer, als sie seine Identität feststellten. Keith konnte damals nur durch Intervention der Polizei aus dieser bedrohlichen Lage befreit werden. (Als ich vor ein paar Tagen in der Nähe vorbeikam und nur mit dem Finger auf das Areal deutete, meinte mein Taxifahrer »you are not supposed to point your finger at this place«. Man hätte mich dabei also nicht beobachten dürfen.)

Bei meinem vorletzten Besuch im Mai 2011 konnte ich auch sein Arbeitszimmer in diesem Haus aufsuchen und ein paar von seinen Notizen und Aufzeichnungen durchsehen. Die Fülle an Material an verstreuten Noten, Büchern, Notizbüchern, Tonbändern, Briefen, Fotos etc. war beträchtlich. Dabei war doch so viel während der vielen Umzüge und der Wirren der Überfälle abhanden gekommen. Es erschien dringend notwendig, diese Unterlagen zu sichern und vielleicht zu bearbeiten, bevor auch sie verloren gehen würden.

Im November 2011 kehrte ich noch einmal auf Einladung der österreichischen Botschaft nach Harare in das Haus der Familie Goddard zurück um weiter am Nachlass zu arbeiten. Inzwischen lag die 95jährige Mutter schwer erkrankt im Krankenhaus, nur der Musiker William Rusere, der sich in den letzten Jahren um alles gekümmert hatte, versuchte das Anwesen so gut es ging zu betreuen. Auf Ersuchen der Freunde von Keith und seiner Mutter sollte ich gleich den wichtigsten Bestand bestimmen, aussortieren und sichern.

Was für eine Vorgabe für ein paar Tage! Wie soll ich außerdem dem Künstler gerecht werden, der in den verbliebenen Rest der Aufzeichnungen immer schwerer zu fassen schien? Was sollte von all den Projekten bleiben? Keith war neben vielem Anderen Teil des wieder entfachten weltweiten Interesses an MbiraMusik, er leitete einige der Aufnahmen der ersten CDs mit dieser Musik, die in Europa erschien, er leitete internationale Symposien wie »Houses of Stone«, er war jahrelang Manager von Musikern wie Oliver Mtukudsi oder Black Umfolosi, er war nicht zuletzt der Promoter und große Unterstützer der ngoma buntibe Musik der Tonga im Zambezi-Tal, die durch seine Arbeit auch in Österreich bekannt wurde und mit der auch 1996 der Beginn meiner Zusammenarbeit mit Keith begann.
Bei Durchsicht und Einscannen der Unterlagen tauchen Briefe auf, die manches in ein neues Licht rücken, Notizen und Skizzen, die auf eine genaue Analyse noch warten. Dennoch fehlen viele Aufzeichnungen, oder es gab sie vielleicht nie. Als Künstler kennt man das: Es gibt Notizen zu vielen Vorstadien und Studien, für das fertig werdende Werk selbst gibt es dann zur Dokumentation keine Zeit oder Energie mehr. Die leider nur spärlich vorhandenen digitalen Aufzeichnungen, die schnell nach seinem Tod gemacht wurden, und die verschiedenen Backups, die in Keiths Archiv verblieben waren, ließen sich nur mehr teilweise lesen. (Ein Beispiel dafür, dass auch CDs oder DVDs ein nur unzureichendes Archivmedium sind.)

Mit Hilfe von Rupi, als servus.at und Funkfeuer-Mitarbeiter bekannt, der gerade in Harare mit einem opensource workshop seine Tour durch Zimbabwe beendete – im Rahmen von tonga.online, ein Projekt, das ja auch auf die Zusammenarbeit mit Keith zurückgeht – und der Hilfe der Schriftstellerin Mirirai Moyo, die bei den Texten half, konnte ich die Vielzahl an Sachen einigermaßen ordnen.
Der künstlerische Nachlass liegt nun zur weiteren Bearbeitung in zwei stählernen Truhen bei Freunden sicher verwahrt. Eine nehmen dabei nur die wichtigsten Noten ein, obwohl hier nicht einmal die großformatigen Orchesterpartituren enthalten sind, Schriften, Notizbücher, Fotos und anderes füllen die andere. Eine befreundete Journalistin überlegt eine Biographie zu schreiben, vielleicht gelingt es auch, mehr Zusammenarbeit mit dem Zimbabwe College of Music zu erreichen, wo Keith in den letzten Jahren Komposition unterrichtete.
Das gesamte Archiv an Tonbändern und anderen Medien, die ich vor Ort nicht bearbeiten konnte, ist auf dem Weg nach Österreich, in einer dritten großen schwarzen Stahltruhe, auf der in großen Lettern K A GODDARD gepinselt ist. Die österreichische Botschaft hat angeboten, bei ihrem Umzug die Kiste mit nach Österreich zu nehmen. Ironie ist ja, dass jetzt, wo nach Jahren unserer sehr losen Zusammenarbeit mit der Botschaft dank neuem Personal diese sich radikal gebessert hat, man in Wien beschlossen hat, aus Kostengründen diese Botschaft mit Jahresende zu schließen. In Zukunft wird Österreich im südlichen Afrika leider nur mehr durch die Botschaft in Pretoria, Südafrika, vertreten sein.

Vieles aus den gefundenen und geretteten Unterlagen wird nun stückweise in der nächsten Zeit auf kunzwana.net veröffentlicht um Diskussions- und Studienunterlagen für inter- und transkuturelle Projekte zu sein.

Eine Biografie ist die Erinnerung, die man in anderen Menschen hinterlässt, in den Dingen die in der Welt verbleiben, wie lose, verzwickt oder umfassend auch immer. Möge der Geist von Keith auf vielerlei Weise weiterleben!

Links:

www.kunzwana.net (Biografie, Arbeit)
tonga.online: www.mulonga.net (Projekte im Tonga-Gebiet)
GALZ: www.galz.co.zw
Rupis Blog: mulonga.linz.funkfeuer.at
PARADE Documentary: bei www.extraplatte.com