Diese provokante, oft unüberlegte Ansage tut behinderten Menschen weh. Sprache ist nicht nur ein Aneinanderreihen von Worten. Worte ergeben Sätze und jedes Wort, wie auch jeder Satz, hat einen Inhalt, den die GesprächspartnerInnen wie auch die LeserInnen mit ihrem eigenen Vorwissen füllen. Ganz betroffen macht es mich, wenn ich von Jugendlichen oder auch Erwachsenen die Redewendung höre: »Bist behindert?« Mit mir und meiner Behinderung assoziiert die nichtbehinderte Gesellschaft ein Nicht-Fähigsein, das eigene Leben in den Griff zu bekommen und in weiterer Folge, nicht mit der derzeitigen Leistungsgesellschaft mithalten zu können und somit der Allgemeinheit – sprich: den SteuerzahlerInnen zum Beispiel durch Mindestsicherung oder Pflegegeld auf der Tasche zu liegen.

Der nichtbehinderten Bevölkerung auf der Tasche zu liegen, stimmt so nicht ganz. Behinderte Menschen sind, oft trotz guter Ausbildung, sechs Mal öfter von Arbeitslosigkeit betroffen als nichtbehinderte Personen. Das liegt aber nicht an ihrem »Behindertsein«, sondern oft an falschen Bildern, wie sie zum Beispiel auch die Sendung »Licht ins Dunkel« vermittelt.

Licht ins Dunkel

Kampagnen wie Licht ins Dunkel, die nur auf Mitleid setzen, erschweren eine umfassende Integration, wie sie behinderte Menschen fordern. Auch deshalb, weil sie – anstatt behinderten Menschen eine Beschäftigung zu geben, Firmen dazu verleiten, sich werbewirksam durch Werbeauftritte von ihrer sozialen Verantwortung freizukaufen.

Aufgrund der enormen Medienpräsenz werden diese Klischees im großen Stil weitertransportiert und sind oft das Einzige, was über behinderte Menschen in den Medien gezeigt wird. Ausgeblendet bleibt, dass die Realität eine andere ist. Menschen mit Behinderungen sind oft berufstätig, werden aber so gut wie nie in diesen Spots gezeigt.

So gut diese Aktion für Unbeteiligte erscheinen mag - für behinderte Menschen hat sie mehr Nachteile, als es auf den ersten Blick scheint.

Welchen Inhalt beschreibt das Wort behindert?

Das Wort »behindert« beschreibt eine bestimmte Eigenart eines Menschen. Undifferenziert gebraucht beschreibt es allerdings die ganze Person - und nicht nur ein ganz bestimmtes Charakteristikum einer Behinderung wie zum Beispiel das Stottern – negativ.

Maria Brandl, Leiterin von Integration Österreich, schreibt im Vorwort zum Buch der Begriffe: »Bilder und sprachliche Definitionen von und über Menschen mit Behinderungen, die im Laufe der Geschichte geprägt wurden, beherrschen unser Alltagsgeschehen. Dies betrifft den Bereich der medialen, sprachlichen und schriftlichen Darstellung gleichermaßen. Die Verwendung herkömmlicher Bezeichnungen ist gewohnt und oftmals unüberlegt sowie kaum reflektiert, jedoch meist negativ besetzt. Diskriminierende und verfälschte Begriffe werden spontan angewendet, aber ohne über die Wirkung und Auswirkungen viel nachzudenken.«

Begriffe sind ein Spiegel der Gesellschaft

»Ich bin in erster Linie Mensch und erst viel später behindert«, das denke ich mir immer wieder, wenn neben mir die Floskel »bist behindert?« fällt. Diesem Satz werden vermutlich alle Personen, die behindert sind, zustimmen. Trotzdem wird in der Öffentlichkeit häufig von »den Behinderten« gesprochen. Viele behinderte Menschen empfinden diese Verallgemeinerung als diskriminierend, weil sie nicht in erster Linie über ihre körperliche Eigenart definiert werden wollen. Sie sind Menschen, die einen Namen haben, ihre individuelle Geschichte und ihre eigenen Lebensumstände. Werden behinderte Menschen auf das Schlagwort »behindert«» reduziert, bleiben negative Einstellungen in den Köpfen der Menschen verankert. Die undifferenzierte Wortwahl kann leicht verbessert werden. Behinderte Personen empfinden es jedenfalls angenehmer als behinderter Mensch oder Mensch mit Behinderung bezeichnet zu werden. So gibt es auch unter behinderten Personen behinderte JournalistInnen, behinderte PolitikerInnen, behinderte MusikerInnen; jede und jeder ist individuell. Man sollte behinderte Menschen nicht nur an dem messen, was sie angeblich alles nicht können. Ich kann zum Beispiel auch bei allergrößten Bemühungen keine Treppen mit meinem Rollstuhl ohne fremde Hilfe bewältigen. Allerdings habe ich auch Fähigkeiten, ich kann gut organisieren, kann moderieren, kenne mich mit behindertengerechtem Bauen aus...

Menschen mit besonderen Bedürfnissen

In letzter Zeit hat die Formulierung »Mensch mit besonderen Bedürfnissen« in den Sprachgebrauch Einzug gehalten, etwa in Gesetzestexten oder in den Medien. Behinderte Menschen werden damit in der Öffentlichkeit augenscheinlich als Personengruppe mit besonderen oder mit speziellen Bedürfnissen gezeigt oder beschrieben. Dabei wird jedoch ausgeblendet, dass diese Formulierung nicht alleine auf behinderte Menschen zutrifft, sondern auch auf obdachlose, drogenkranke oder alte Menschen. Auch Kinder oder VegetarierInnen sind Personengruppen, die besondere Bedürfnisse haben, denn eigentlich hat jeder Mensch besondere Bedürfnisse.

Zitat:
»Die Begriffe, die man sich von etwas macht, sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.« Bertolt Brecht

Zum Buch:
Das Nachschlagewerk »Buch der Begriffe« listet nicht nur eine Reihe von Begriffen und Redewendungen auf, die Menschen mit Behinderungen sprachlich diskriminieren. Es bietet auch Anleitungen für einen nicht-diskriminierenden, respektvollen Sprachgebrauch. Abrufbar unter info.tuwien.ac.at/uniability/documents/Buch_der_Begriffe.pdf


Radioprojekt »Radiabled«
Jeden 4. Dienstag im Monat auf Radio FRO, Von 19.00 - 20.00 Uhr

»Radiabled« ist ein Radioprojekt von Radio FRO 105.0, das gemeinsame Redaktionskollektive von Menschen mit und ohne Behinderung im Freien Radio etablieren will. Aus den barrierefreien Radioworkshops ist eine monatliche Radiosendung entstanden.

»Radiabled« – die Sendung für Barrierefreiheit von Menschen mit und ohne Behinderungen für alle – ist jeden 4. Dienstag im Monat von 19.00 bis 20.00 Uhr und in der Wiederholung am Folgetag um 14.00 Uhr auf Radio FRO 105.0 zu hören.

Interesse? Reinhören, Weiterlesen und Mitmachen!
www.fro.at/radiabled