In einem Interview zu seinem 2007 veröffentlichten Roman »Musik« erwähnte Thomas Meinecke schon einmal die Idee, Figuren aus seinen Romanen in andere Romane reinzuschicken, um »mal (zu) kucken, was da passiert« (bei »Musik« werden die ProtagonistInnen ja schon kurz in Kitty Hansons 1978er-Klassiker über die Disco-Ära »Disco Fieber« reingeschickt). Bei Meineckes neuem Roman, »Lookalikes«, durchqueren sich nun quasi (mindestens) zwei Meinecke-Romane.
Da wären einmal die Lookalikes von Josephine Baker, Marlon Brando, Elvis Presley, Justin Timberlake,Serge Gainsbourg, Greta Garbo, Shakira und Britney Spears (»eigentlich Günter«) die auf der hippen Düsseldorfer Königsallee herumflanieren, biologisches und impersoniertes Geschlecht gerne crossen, einen Freiwilligen Lacan-Lesekreis oder »School of Spears« besuchen wollen und dazu Bücher u.a. über Lacan und Burlesque-Shows lesen (bzw. sich gegenseitig vorlesen, mailen, facebooken).
Andererseits geht es um einen deutschen Schriftsteller, der zu Studienzwecken nach Brasilien, konkret nach Salvador da Bahia, geschickt wird. Dort soll sich auf den Spuren des sexuell andersdenkenden und der afro-brasilianischen Religion des Candomblé mehr als zugeneigten Ethno-Poeten Hubert Fichte an die Arbeit gemacht werden. Dass der Schriftsteller (Meinecke selber) sowohl Fan von Fichte wie des Candomblé (der auf Kuba Santeria und auf Haiti Voodoo genannt wird) ist, mag zuerst als Startvorteil angesehen werden, verkompliziert sich jedoch zusehends. Nicht nur, weil es zwischen den Düsseldorfer Lookalikes und den synkretistischen afro-brasilianischen Religionen, bei denen die Gottheiten gleichzeitig afrikanische wie »katholische Undercover-Heilige« (Meinecke) darstellen, die von den bei den Zeremonien in Trance Gefallenen ihrerseits wieder impersoniert werden, zig transatlantische Querverbindungen gibt (die jedoch auch erst mal genauer erforscht werden wollen).
Statt also einfach Figuren in andere Romane zu schicken, wird nun der Autor selbst wo reingeschickt und tut dort vor allem »mal kucken, was da passiert«.
Und so geht es gleich direkt rein in einen Strudel aus Orixás, Voodoo, Voguing, Maya Deren (»Divine Horsemen«), Marlene Dietrich (»Hot Voodoo«), Synkretismus (dessen Erscheinungsform »in Reinkultur« zur verzweifelten Suche wird), Afro-Futurismus (erneut Paul Gilroys »Black Atlantic«-Komplex), Signifying (das »uneigentliche Sprechen« und das ebenso gedachte Aussehen/Erscheinen/Performen) sowie jeder Menge neu zu entdeckender (brasilianischer) Musik, die Meinecke fasziniert mit »unglaubliche Polyrhythmik, afrikanische Rhythmen, europäischer Kontrapunkt« zu umschreiben versucht und bei der auf unglaubliche Art und Weise immer noch »die Harmonien exilierter deutscher 12-Ton-Komponisten« durchschimmern.
Wie bei allen Romanen Meineckes dreht sich auch bei »Lookalikes« das Diskursrad um Identitätszuschreibungen entlang der Kategorien race, gender, class, nur dass es sich diesmal sehr deutlich um mehrere Räder handelt, die sich da stets durchqueren, auch mal zum Stocken kommen, die Positionen wechseln, ins Leere laufen. Immer wieder werden Diskussionen abgebrochen, auf Morgen verschoben, oder es wird sich vorgenommen, das eine oder andere Thema doch auch endlich einmal angehen zu wollen (weil es eh schon seit Langem quasi unter der Haut brennt). »Lookalikes« verkompliziert das alles noch, weil hier die Identitäskonstruktionen (jene in Düsseldorf wie jene in Baiha) selber alle »in drag« erscheinen. Als »doubled doubles« wie es in Ishmael Reeds »Mumbo Jumbo« heißt, die »das Leben als Palimpsest« erfahren und sich analog zu Roland Barthes Kulissen, Situationen und Charaktere »erborgen«. Nicht umsonst heißt es an einer Stelle dann auch »some fakes are prettier than the real ones«. Selbst Josephine Baker sprach ja immer von »Doing Josephine« und ließ sich dabei auch von biologisch männlichen Josephine Baker-Lookalikes zu ihren eigenen Shows inspirieren. Dolly Parton wurde gar bei einem Dolly Parton-Lookalikes-Contest »von einem riesigen Transvestiten auf den zweiten Platz verwiesen«.
Alles, was um Meineckes Bücher herum passiert, der Wust, das Ausufern, das Wuchern jenseits des konkreten Textes, ist schon als Teil des jeweils neuen Buches konzipiert, bzw. als das, was sich in den jeweiligen Leerstellen, den Diskurs/Denk-Abbrüchen, dem »das-schauen-wir-uns-mal-später-an« jenseits der Buchdeckel abspielt. Hier rhizomelt es nicht nur im intertextuellen Widerschein zwischen den Büchern, sondern auch zwischen den Büchern und den LeserInnen.
Für Florence Feiereisen fungiert daher in ihrer unlängst erschienenen Untersuchung »Der Text als Autor – der Autor als DJ« über Meineckes »Klangliteratur« auch »der Leser als DJ« – jederzeit kann das Buch zur Seite gelegt werden und selber einem gerade angerissenen Strang gefolgt werden (egal, ob dazu zum Platten- oder zum Bücherschrank gegangen werden muss). Dadurch, dass in »Lookalikes« sowieso hauptsächlich via Facebook und mittels Youtube-Links kommuniziert wird, verdichten sich diese Interaktionen zu einem vergnüglichen Hin und Her zwischen Buchlektüre und Internetherumsurfen. Was auch unheimlich Spaß macht und zuweilen auch etwas unheimlich wirkt. Etwa wenn beim Lesen schnell mal pausiert und auf Youtube nach dem gerade eben erwähnten Video gesucht wird und fast zeitgleich im Roman das selbe passiert, wir also quasi gleichzeitig genau das tun, was sich auch im Roman gerade ereignet. Genau hier finden wir jedoch auch jene »utopischen Lücken« von denen Feiereisen spricht. Romanstellen, die wie Breaks daherkommen, einen Cut markieren von dem aus es auch ganz anders weitergehen könnte. Kurz: Die Rollen können sich relativ schnell vertauschen. Das lesende Subjekt posted etwas auf Facebook und findet sich wenig später als Romanfigur wieder.
Auch der in Baiha auf den Spuren »›des hamburgerischen Pioniers der Popliteratur‹ Hubert Fichte wandernde Popliterat Meinecke« muss relativ schnell feststellen: »Thomas Meinecke ist jetzt eine Romanfigur«. Der Autor ist zum eigenen literarischen Lookalike geworden und verliert sich selber immer mehr in einer Geschichte, die sich nicht beherrschen lässt, die aber gerade deshalb auch ungeheuer Spaß macht. »Alles immer vergleichen müssen in der popistischen Verweishölle. Immer ein Äquivalent finden wollen. Und sich dann aber an den kleinstmöglichen Unterschieden ergötzen.« Genau mit diesem Anspruch (andere mögen dazu Tick oder Zwangsneurose sagen) durchstreifen die »Lookalikes« ihre jeweiligen »Referenz/Verweishöllen«. Feiereisen spricht von »Assoziationsnetzen« als Remixe von sich zuvor schon während des Schreibens als »Materialsammlungsprozess« gebildeten Rhizomen. Meinecke lässt uns ja immer auch an »Denk-, Transformations-, Lese-, Hör- und auch Verzweifungsprozessen« teilhaben und benennt dabei auch stets worum es gerade geht, bzw. wo wir uns gerade befinden: Stotternd stehen wir in »einem Teppich aus Worten, um den Punkt zu vermeiden«, umringt von »Haufen von Begriffen«. Und wie bei Fichte plötzlich eine Hauptfigur (der Verleger Pierre Verger) einfach aus dem Roman abhaut (Fichte: »Der ist jetzt vermisst, der kann doch nicht einfach aus meinem Roman verschwinden.«), so verschwindet im »Gewusel von Wörtern« von »Lookalikes« die »Romanfigur Meinecke« auf ein mal selber und gilt fortan als lost in the »Verweis-Dschungel«, in jenen für Meinecke so typischen Schachtelsätzen, die Feiereisen als »zu lang, um sich am Ende des Satzes an den Anfang zu erinnern« diagnostiziert.
Aber wie meinte schon dereinst Lacan: »Meine Écrits, ich habe sie nicht geschrieben, damit man sie versteht, ich habe sie geschrieben, damit man sie liest.«
Nicht auszudenken, wenn es zu Lacans Écrits auch eine so tolle CD wie die von Meinecke zusammen mit Move D für »Lookalikes« gegeben hätte. Die zeigt mit ihrem Mix aus Candomblé- Digi-R&B- und House-Rhythmen (die sich alle in erstaunlichen Verwandtschaftsverhältnissen bewegen), dass Meineckes »Text als Soundtrack« auch in Sachen »Hörspiel« locker die Grenzen zwischen den Genres überschreitet (wie es beim Vorgängerwerk »Work« ja auch schon der Fall war). Schrift, Sprache, Klänge und Rhythmen wirbeln dabei in einem ständigen Tanz herum, ohne die literarische Vorlage einfach zu illustrieren. Viel eher gehört die CD selber zu den Wucherugen, die der Roman generiert. Aber denken und tanzen hat sich hier ja noch nie ausgeschlossen.