Siegbert Janko (geb. 1945) war zwischen 1990 und 2010 Kulturdirektor der Stadt Linz und maßgeblich an der Entwicklung des ersten Linzer Kulturentwicklungsplans (kurz KEP) beteiligt. Dieser wurde im Jahr 2000 im Gemeinderat beschlossen und hat die kulturelle Entwicklung der Stadt stark beeinflusst. Unter Leitung seines Nachfolgers Julius Stieber wird derzeit in einem partizipativen Prozess ein neuer Kulturentwicklungsplan erarbeitet. Thomas Philipp (qujOchÖ) und Thomas Diesenreiter (backlab) sprachen aus diesem Anlass mit Janko über Kulturentwicklungspläne, politische Versprechungen und die Auswirkungen auf
die Freie Szene.
Thomas Philipp: Die Stadt Linz arbeitet derzeit am neuen KEP. Wieso eigentlich? Was ist deiner Meinung nach der Hintergrund?
Siegbert Janko: Der erste KEP war von vornherein auf etwa zehn bis 15 Jahre angelegt und stand auch unter dem Aspekt »work in progress«. Damit war schon geplant, dass Entwicklungen während dieser Zeit immer wieder Berücksichtigung im KEP finden sollen. Der zweite Aspekt, der dazu gekommen ist, war das Europäische Kulturhauptstadtjahr. Damit hat es relativ schnell nach dem Inkrafttreten des KEP markante Änderungen in verschiedenen Bereichen gegeben. Ich glaube, es scheint die Zeit sehr richtig, dass jetzt über eine Neuformulierung des KEP nachgedacht wird.
Thomas Philipp: Was sind für dich die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Prozess zum ersten und zum neuen KEP?
Siegbert Janko: Wir hatten damals das Problem, dass wir auf keine oder wenig bestehende Modelle aufbauen konnten. Wir mussten suchend beginnen, viele Diskussionen mit Expert/innen und mit Künstler/innen führen. Es war ein sehr langer Diskussionsprozess, um überhaupt eine Struktur zu finden. Beim neuen KEP finde ich es sehr gut, dass eine wissenschaftlich erarbeitete Grundlage vorliegt, wie der Prozess laufen soll, welche Prozessziele erreicht werden sollen und damit eine stärker zielgerichtete Diskussion von Beginn an erfolgt.
Thomas Diesenreiter: Das Büro Linz Kultur achtet beim neuen KEP darauf, dass möglichst viele Menschen eingeladen werden. Das heißt, es sind nicht nur Expert/innen aus dem Kunst- und Kulturbereich dabei, sondern ein sehr viel größerer Kreis. Trotzdem gibt es nach den ersten zwei Workshops erste Stimmen, die von einer Scheinpartizipation sprechen. Was denkst du dazu?
Siegbert Janko: Partizipation ist immer gut und wichtig. Auch beim ersten Prozess war der Versuch da, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen in den Diskussionsprozess einzubinden. Ich glaube, dieses Ziel wird jetzt richtiger Weise wieder verfolgt. Ich denke, dass mehrere Gründe dafür ausschlaggebend sind: Möglichst viele Potenziale zu nutzen, die in der Gesellschaft vorhanden sind, nicht nur in der Kunst- und Kulturszene. Eine breite Identifikation sowohl mit dem Prozess als auch mit dem KEP und mit dessen Zielen herzustellen. Und das gelingt nur mit einem möglichst breiten Prozess. Ich habe beim ersten KEP immer gesagt, dass der Weg zum KEP mindestens so wichtig war wie das Ergebnis, das heißt eine breite Aktivierung von vielen Menschen, sich mit Kunst und Kultur in dieser Stadt zu beschäftigen und damit eine wesentlich größere Akzeptanz und Aufmerksamkeit bei den Entscheidungsträger/innen zu erlangen. Ich glaube auch, dass in so einem Prozess sehr viele »Talente« entdeckt werden können und sehr viele neue Ideen auftauchen, auf welche die Insider/innen nicht kommen.
Thomas Philipp: Welche Themen werden deiner Meinung nach im Zuge der Neuerstellung des KEP die bedeutendsten sein?
Siegbert Janko: Die Frage einer »Kultur für Alle«, einer Chancengleichheit beim Zugang zu Kunst und Kultur, sowohl für die Produzent/innen als auch die Konsument/innen. Damit natürlich verbunden die Kunst- und Kulturvermittlung. Das wird in den nächsten Jahren die zentrale Frage sein: Wie gelingt es, mehr Menschen an Kunst und Kultur heranzuführen, sie dafür zu interessieren, sie auf Kunst und Kultur neugierig zu machen und sie auch zu Teilhabenden und Interessent/innen an Kultur zu machen? Abgewandelt nach Bert Brecht: Aus einem kleinen Kreis der Kenner/innen einen großen Kreis der Kenner/innen zu machen.
Thomas Philipp: Sonstige Themen?
Siegbert Janko: Da gibt es viele Schlagworte: Internationalisierung, internationaler Kunst- und Kulturaustausch ist sicher ein wichtiger Punkt. Aufmachen, neugierig sein für Entwicklungen. Was man sich ansehen muss: Die Schwerpunkte des ersten KEP, offene Räume, Technologie und Neue Medien sowie Freie Szene. Inwieweit konnte das eingelöst werden?
Thomas Diesenreiter: Stichwort Freie Szene. Obwohl sie ein Schwerpunkt im ersten KEP war, begleiten uns permanent Diskussionen über deren prekäre Situation. Gerade vor kurzem hat es dazu wieder einen offenen Brief gegeben. Warum glaubst du, ist der große Schub für die Freie Szene, den man sich aus dem ersten KEP versprochen hat, ausgeblieben?
Siegbert Janko: Ich glaube nicht, dass der Schub ausgeblieben ist. Es gab in der Zwischenzeit das Europäische Kulturhauptstadtjahr mit vielen Auftragsverhältnissen für die Freie Szene. Jetzt kann man natürlich sagen, es waren zu wenige. Aber es gab auf jeden Fall viele Kooperationen. Man muss Linz auch mit anderen Landeshauptstädten und Städten in Österreich vergleichen. Da liegt die Förderung der Freien Szene in Linz sicher mit an der Spitze. Das heißt, es ist sehr viel in dieser Zeit geschehen und eingelöst worden. Die Frage wird in Zukunft sein, wie bei voraussichtlich geringeren Mitteln der öffentlichen Haushalte Weiterentwicklungen im Bereich der Kultur möglich sein werden. Da muss man über viele Dinge diskutieren: Kooperationen, Vernetzungsprojekte, ein Aufmachen aller vorhandenen Ressourcen, die Schaffung von Möglichkeiten zur Einbindung von freien Künstler/innen und Kulturschaffenden.
Thomas Diesenreiter: Aktuell stehen wir vor Einsparungen bei einzelnen Initiativen der Freien Szene, etwa bei der interkulturellen Medienwerkstatt PANGEA. Die KAPU hat mit verschiedenen Aktionen auf die verschärfte, prekäre Situation aufmerksam gemacht. junQ.at ist ein weiteres Beispiel, Social Impact wurde massiv gekürzt, Kreditsperren wurden ausgerufen. Der Unmut in der Freien Szene ist hoch. Ist das für jemanden wie dich nachvollziehbar?
Siegbert Janko: Ich war in der letzten Woche bei drei unterschiedlichen Diskussionen zu den desaströsen Entwicklungen, die in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten stattfinden. Und es war jedes Mal das Resümee, dass es beängstigend ist, vor welchen Entwicklungen wir stehen. Aus diesem Bereich müsste es meiner Meinung nach ein Aufbegehren von vielen Menschen geben, dass nicht wir die Suppe, die uns die Finanzhaie und Finanzspekulanten eingebrockt haben, auslöffeln müssen. Aus dieser Sicht lässt sich der Kulturbereich nicht isoliert herauslösen. Es wird in den nächsten Jahren schwierig sein, die öffentlichen Haushalte ausreichend zu finanzieren. Einer der wichtigsten Punkte wird auch beim neuen KEP sein, dass es gelingt, in allen gesellschaftlichen Gruppen und insbesondere in der Politik das Bewusstsein zu schaffen, dass Kunst und Kultur ein genau so wichtiger Teil von Stadtentwicklung ist wie andere kommunalpolitische Bereiche.
Thomas Philipp: Inwieweit hat der Schwerpunkt »Freie Szene« deiner Meinung nach im neuen KEP überhaupt noch etwas verloren?
Siegbert Janko: Ich habe in allen meinen Äußerungen und Diskussionsbeiträgen immer betont, dass die Freie Szene wesentliche Beiträge zur Entwicklung von Linz geleistet hat. Wesentliche Initiativen und Impulse sind immer wieder von der Freien Szene gekommen, die dann in Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse in der Stadt Eingang gefunden und in irgendeiner Form Einfluss darauf genommen haben. Das setzt aber voraus - und da bin ich überzeugt davon - dass in Linz eine sehr starke Freie Szene vorhanden ist, auch im Verhältnis zu anderen Städten. Alleine aus diesem Grund wird sie in den nächsten Jahren wesentlich für die Kulturentwicklung in der Stadt sein. Die Freie Szene war auch der erste und wichtigste Faktor, der sehr stark Internationalität in die Kunst- und Kulturentwicklung der Stadt gebracht hat. Also es gibt viele Aspekte, wo die Freie Szene sehr wichtig für die Kunst- und Kulturentwicklung war, aber auch in den nächsten Jahren wichtig sein wird - egal ob das dezidiert ein Schwerpunkt im neuen KEP sein wird oder nicht.