Zucht und Ordnung

Mit »Fascist Pigs« legt Tiago Saraiva eine transnationale Geschichte technisch erzeugter Organismen im Faschismus vor. Barbara Eder über dessen Histoire croisée von Kartoffeln, Schweinen und Karakulschafen.

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen – eine totalitäre Herrschaftsform mit unterschiedlichen nationalen Ausprägungen und zahlreichen kolonialen Ausläufern. Tiago Saraivas 2016 erschienene und 2018 neu aufgelegte Studie »Fascist pigs. Technoscientific organisms and the history of fascism« bringt all diese Schauplätze unter einen Hut. Die transnationale Verflechtungsgeschichte beginnt im präfaschistischen Deutschland der Zwanzigerjahre, erstreckt sich über Mussolinis Herrschaft in Italien, Äthiopien und Libyen und berücksichtigt ebenso Salazars Regime in Portugal und seinen ehemaligen Kolonien Angola, Mozambique, Guinea-Bissau, Timor und Macao. 
    
Saraiva rekonzeptualisiert die Geschichte des europäischen Faschismus mit Blick auf jene neuartigen Allianzen zwischen Körper und Staat, die am Beginn der biopolitischen Wende standen. Michel Foucault zufolge ist es seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr das Schwert des Souveräns, das über Leben und Tod entscheidet; vielmehr rückt das, was die aufkommende Demografie als »Bevölkerung« entdeckte, ins Zentrum neuartiger Regierungsformen – mit dem Ziel, durch breit angelegte Maßnahmen der Verhaltenssteuerung und Techniken der Manipulation einen homogenen »Volkskörper« zu erschaffen. Ein solcher ist keine »natürliche« Entität, die anderen gegenüber als überlegen erscheint; mittels rassistischer Lehren, reproduktiver Reglements und hygienischer Maßnahmen musste diese Fiktion erst plausibilisiert werden. Die Idee der Nation rechtfertigt alle Opfer und Saraiva zufolge stand ihre Konstruktion im Zentrum einer »alternativen Moderne« (S. 3): Ihre Grundfesten sind nicht Klasse oder Ideologie, sondern Blut und Boden. 

 

Eber »Robust 301« im Alter von ca. 8 Jahren, abgebildet in »Die wichtigsten Blutlinien in der Zuchtgenossenschaft für das Meißner Schwein in Meißen (Sachsen).« (1921) (Bild: anon. Public Domain)

 

Für Saraiva bilden Faschismus und Biopolitik breite Allianzen, die Kontrolle des Lebens selbst ist ihr eigentlicher Nukleus; daraus resultiere auch das außergewöhnliche Interesse des NS-Regimes an einer Neuerfindung der Natur – Tiere und Pflanzen sollten zu seinen sinnbildlichen Verkörperungen werden. Jene, die sie anbauen und kultivieren mussten, firmieren bei Saraiva eher im Hintergrund, ihn interessiert vielmehr, wie bestimmte Organismen im Labor und am Acker zu Objekten nationalsozialistischen Wissens werden konnten. Die Liebe zum Schwein stand am Beginn dieser eigentümlichen Ätiologie: Nicht nur aufgrund des ihm zugebilligten Vermögens, ganze Völker zu ernähren, wurde es zum »Leittier« auf deutschem Boden; Richard Walther Darré, von 1933 bis 1942 Minister für Ernährung und Landwirtschaft und zugleich wichtigster Agrarideologe Nazi-Deutschlands, begründete diese Vormachtsstellung auch damit, dass es unter »Ariern« das beliebteste Opfertier gewesen sei; im Verzehr von Schweinefleisch manifestiere sich zudem der Unterschied zwischen Sesshaften und Nomaden – in der Sprache der Nazis: zwischen verwurzelten Deutschen und entwurzelten Juden. 
    
Ohne Schwein keine Deutschen – für Darré war dies eine unverrückbare Devise. In den hungerreichen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sorgte er für neue Maßstäbe in der Schweinezucht: Eine Elite-Armee von rund 32.000 »Frontschweinen« diente ihm als Experimentierfeld, unter strengen Auflagen – so etwa der rigiden Kartoffeldiät – wurde ihr Fettgehalt generationenübergreifend optimiert. Aufzeichnungen über Abstam-mung, Futteraufnahme und Krankheiten füllten die Tabellen der NS-Züchter:innen, gefolgt von einer langen Liste an biometrischen Vermessungsdaten: Voluminöse Rümpfe und ein tief liegender Brustkorb sollten dazu beitragen, die nationale Fettlücke zu schließen und das Land fit für den Krieg zu machen. Mit der Erfindung des »Frontschweins« war auch eine »Volksgemeinschaft« im Entstehen begriffen, die produktiv gedeihen und neue Gebiete besiedeln sollte. Bereits nach der NS-Machtergreifung im Jahr 1933 wurde der sogenannte »Reichsnährstand« gegründet, seither sorgte er für die »Bodenständigkeit« aller deutschen Tiere und Pflanzen. Schweinearten, die nicht zur Ernährung des »Volkskörpers« beitrugen, wurden eliminiert – in Saraivas Worten: »Only fat bodenständig pigs were fascist pigs, and they were the only ones that deserved to be part of the new fascist collective.« (S. 13). 
    
Der nationalsozialistische Kampf am Acker richtete sich gegen »Schädlinge« aller Art – während auf Ebene der Propaganda die Gleichsetzung von Jüd:innen mit schädlichem Getier vehement betrieben wurde, entstand auf deutschen Boden ein eigenes Forschungsinstitut für Kartoffelbau, das 1923 in die Biologische Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Berlin-Dahlem integriert wurde. Von den 1.500 bislang kultivierten Kartoffelarten waren im Jahr 1935 nur mehr rund 24 Varianten zum Anbau freigegeben; Orts- und Kreisbauernführer:innen kontrollierten die biologischen Aktivitäten und sorgten neben Sanktionen bei Zuwiderhandeln auch für andere Aktionen. Im Juli 1936 fuhr die erste Patrouille des »Kartoffelkäfer-Abwehrdienst« durch die Weiten des Saarlandes und seine Mannschaft setzte auf breite Beteiligung. Für die geplante Durchsuchung eines Kartoffelackers unterteilten sie alle Anrainer:innen in Kolonnen und einen Kolonnenführer; wer den ersten Kartoffelkäfer fand, erhielt eine »Kartoffelkäfer-Ehrennadel«; 1937 rühmte sich die NS-Propaganda dafür, dass bereits 80 Prozent des gehandelten Saatguts warzenfrei wäre – dank gezielter Züchtung galt die Pilzkrankheit als ausgerottet, der im Feld lauernde Feind als besiegt.
    
Verbreitung fand die faschistische Ideologie mitsamt ihren Vernichtungsplänen durch Arbeit auch in den italienischen und portugiesischen Kolonien in Afrika. Noch drei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgte António de Oliveira Salazar dort ein gigantisches Baumwollproduktionsprogramm, zu dem Mussolini ihn inspiriert hatte. Während der portugiesische Faschismus vor allem den Weizenanbau forcierte, begann Hitler 1943 mit der Kolonialisierung der Ukraine. Sowjetische Experimentierstationen vor Ort wurden zwecks Anbau einer Pflanze, aus der Gummi für die kriegswichtige Produktion gewonnen werden konnte, geplündert. An der Grenze zwischen der Ukraine und Weißrussland ließ Heinrich Himmler, der von Göring zum Bevollmächtigten für Gummi-Plantagen ernannt wurde, Lager für Frauen und Kinder errichten, die zur Arbeit auf den von der SS verwalteten Kok-Sagyz-Plantagen gezwungen wurden. Aufgrund der Beschaffenheit ihrer Hände wurden sie als besonders geeignet für das Jäten und Ernten von Kok-Sagyz angesehen – eine traditionell im Kaukasus angebaute Kautschukwurzel, die auch als »russischer Löwenzahn« bekannt ist. Die in den peripheren Regionen der Sowjetunion kultivierte Pflanze war in Osteuropa exotisch, was ihren Anbau besonders beschwerlich machte – aufgrund der Sklavenverhältnisse vor Ort bezeichnet Saraiva das nur drei Kilometer von Auschwitz entfernte Arbeitslager in Rajsko auch als koloniale Außenstelle des KZs; dem Vernichtungslager war eine Zwangsarbeitsplantage vorgelagert.

Saraivas Blick auf das Geschehen in den Kolonien erweitert die Faschismusgeschichte um einen bislang wenig akzentuierten Aspekt – über Mussolinis Genozid in Äthiopien ist bis heute zu wenig bekannt und Hitlers »Osterweiterungen« wurden bislang nur bedingt unter Gesichtspunkten kolonialer Herrschaft betrachtet; was in »Fascist Pigs« weitgehend fehlt, ist eine Antwort auf die Frage danach, in welcher Weise die »Zuchtlehren« des NS über Flora und Fauna hinausgingen; faschistische Rassenlehren beschränken sich nicht allein auf Kartoffel, Weizen und Karakulschafe – sie betrafen vor allem jene, die als »inferiore Rassen« und »Arbeitstiere« die Versorgungsketten des NS aufrechterhalten mussten – unter Todesdrohung und am Ende aller Kräfte, doch niemals ohne Widerstand dagegen.

Tiago Saraiva: Fascist pigs. Technoscientific organisms and the history of fascism, MIT Press, 2016, 326 Seiten