DOORDIE

Im März finden in der Stadtwerkstatt zwei Konzerte ohne physisches Publikum statt – das wäre in diesen Zeiten nicht weiter bemerkenswert: Das Haus geht aber noch einen Schritt weiter und macht die Veranstaltungen zur kompletten Black Box, weil es diese auch nicht via Stream übertragt. Elitäres Gehabe? Mutiges Statement gegen die Zumutungen der Pandemie? Gelebte Solidarität mit den betroffenen Künstler/innen? Christian Wellmann nimmt die Idee socially distanced in Augenschein.

Niemand hört oder sieht zu, aber ein Affe spricht, schreibt also vor sich hin: Was hätte sein können, oder: Ist das wahrscheinlich Gewesene unter gewissen Umständen bedeutender, wenn es wie gewohnt abgelaufen wäre?
Mittels eines mit Duftrosen geschmückten Schleifchens samt Streichmusik-Grußkarte wurde mir kürzlich eine »Kritik« für ein Konzert angetragen, das ich nicht sehen werde, das niemand sehen wird. Klingt doch verlockend, wild, endlich was Vernünftiges, unmöglich das nicht zu machen. Ratterratter. Zen-gleiche Leere bewirkt eine Sinnbefreiung der Kultur. Nichts kann auch Alles sein. Da kann ich dann auch endlich mal das Credo »Corona ist die Rache der Tierwelt am Menschen« anbringen – mehr dazu siehe unten. Final möchte ich nun...                              

 

 



                                                                                                                                                                 … ja, was? Eben das, was ich dazu meine, ich hab‘s ja hier geschrieben. Gegenbeweis? Oder ist an dieser Stelle die Druckerschwärze nicht getrocknet? Ein Layout-Fehler? Gar Zensur? Zu viele Einsen, wo Nuller stehen sollten?

RISE FROM THE KRISE

Aus der Krise rausdenken und ein starkes Statement setzen, eine mutige Aussage zur Unzeit: Das sind diese Konzerte, zwei Live-Auftritte an der Zahl, die im März im Veranstaltungssaal der STWST, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, über die Bühne gehen und sich im Bewusstsein des Nicht-Publikums gemütlich niedersetzen werden. Irgendwie als – unrühmliche – Ein-Jahres-Cov19 -Feier geplant, irgendwie natürlich auch nicht. Irgendwie gibt es noch keinen Titel dafür, irgendwas was mit Universum soll es werden. In der Schwebe bleiben.
Schon vor dem Virus-Vergeltungsschlag vom letzten Jahr stand das STWST-Jahresthema »More vs. Less« fest: Stille, Ruhe, ein gefrorener Zustand und ungewollte Vorwegnahme der ganzen Chose, irgendwie. More Virus Less. Das alles wurde dann auch gleich passenderweise ins 2021-Motto gepackt: »Still More Vs. Less«. Recycled, weiter verfeinert, abermals zeitkonform. Und das ist dann eben und vor allem ein Konzert vor keinem Publikum. In situ, also wie bei einer »normalen« Konzertsituation, mit Technik und allem Klimbim, wird dies abgehalten, ohne Gäste, und das meint auch hauseigene. Wehe, da schnuppert auch nur EINE/R rein!
Während des Lockdowns wurde im dösenden STWST-Saal bereits ein bestehendes Szenario aufgebaut, wo eine Lilie im Mikroständer, vor voll aufgebautem Sound-Brimborium, zum Stillleben wird, zum Trauersymbol der Zeit. Eine Installation im musealisiertem Zustand. Stillie im Wind.

Dinge zu machen, darauf kommt‘s letztendlich an – ob im Kulturbereich oder anderswo. Nichts zu machen ist kein Ausweg. Der Kern von Kunst/Kultur ist eben das Machen. Das soll nicht versauern, mit dieser »surreal« anmutenden Tat soll klar gemacht werden, um was es wirklich geht. Hinter der an sich radikalen Ansage stecken unzählige, auch widersprüchliche Intentionen des STWST-Veranstaltungskollektivs. Eine Idee, wie heißt es so schön, die im Haus geboren wurde. Dieses Statement ist keineswegs eine Verzweiflungstat, eher eine Flucht nach vorne, Frust inklusive.
Die Ausgangslage für die STWST ist erstmal, Veranstaltungstermine im März durchzuführen, die natürlich äußerst ungewiss sind. Neben diesen Konzerten ohne Publikum gibt es dann, als weitere Veranstaltungen im Mai, vier Auftritte, die mit Streams geplant sind. Meistens sind Streams aber eh nur Abklatsch, das Bindeglied Publikum fällt weg. Ob für kein Publikum oder als Stream, das ist nicht unterscheidbar, unterstreicht das Kollektiv. Auf die Dauer wird digital auch fad. Ein Vorschlag wäre, Bezahlstreams zu machen, also vielleicht einmal pro Monat ein Livekonzert nur via Stream, die Bezahlung wäre das Eintrittsgeld. Solidarität und trotzdem exklusiv. Das geht aber in A wahrscheinlich nur mit Opernformaten gut.
Zeit, etwas zu unternehmen. Aufmerksam machen auf die Situation, in der sich die Kultur, vor allem die Live-Kultur, befindet. Alles ist auf Standby, wie gelingt der Wiedereinstieg? Wie eine Generalprobe vor dem Aufsperren, ein Vakuum muss gefüllt werden. Ja, das Team kämpft ums Überleben, wie so ziemlich alle, aber hier ist es das Überleben vom Einfach-nichts-machen-können. Und dieses Weiterleben (der Kultur) will im Jetzt auch ein Wörtchen mitreden. Underfucked as Fuck.
Der Ansatz mag abstrakt erscheinen, aber er ist eine Grundsatzhinterfrag-ung, wie mir das Kollektiv versichert. Eine Frage, die dahintersteckt ist, was ist das eigentlich, das eine Veranstalterin tut? Nichts ist da, es entlädt sich etwas, bevor der Deckel zur Decke steigt. Nichts zu machen ist keine Alternative. Es MUSS was geben, so tickt Linz, so tickt die Bombe. 

SCHWARZES PULSIEREN

Die spielerische Absurdität des Ganzen ist eine Absage ans Gewuschel und ein Best Practice-Beispiel, dass Geldflüsse wie geplant fließen sollten. Also grob gesagt, dass Förderungen mehr oder minder direkt an die KünstlerInnen gehen. Als wichtige Intention wird herausgestrichen, dass die STWST einfach Auftritte zur Verfügung stellt, und dass die MusikerInnen in der Stagnation Geld bekommen. Geld für tatsächlich Geleistetes, allein das ist schon für das Selbstwertgefühl unabdingbar. Angst essen KünstlerInnen-Seele auf.
Alles muss vor Ort – im Konzertsaal – im Fluss sein: gecheckt, gewartet, geputzt werden. PA, Licht, Ton, Kabel, Boxen, Techniker, MusikerInnen, etc., das alles droht einzurosten. Wie die Bauindustrie versucht man sich aus der Krise rauszuinvestieren, man will den darbenden KünstlerInnen eine Möglichkeit für faire Bezahlung ermöglichen.
Diese »Aktion« ist klarerweise nicht die Antwort auf die Misere, keine Lösung, aber ein Vorschlag zur Güte, ein Experimentieren mit Vorhandenem. Auch eine Absage an die Kennzahlenkonzerte (Subventionierung pro BesucherIn): Diese Simplifizierung von Kunst und -ltur, mit ihren Fördersummen-Spielen und den unendlichen Formularen.
Wer jetzt »Konzeptkunst«, »Fake« oder gar »elitär« posaunt, hat nichts verstanden. Es gibt keine Beweise, wer die brauchen sollte, wie gesagt: Es zählt das Statement. Über das man eigentlich nicht zu viel rumsülzen sollte. Es steht ohnehin für sich, bitte lass es sein Eigenleben führen. Und jetzt nicht Meme sagen! 

Wie war das noch gleich? Ein Live-Konzert, eine Party, vor richtigem Pub- likum, ohne Restriktionen, ohne Fallschirm? Wie verschwommen ist deine (letzte) Erinnerung daran? Ich will erst gar nicht an die Wiedereröffnungen denken, ob nur Getestete reinkommen und was sonst noch Tagespolitik ist. Und wie lange es denn dauert, bis wir wieder zum Start, oder so ähnlich, zurück können. Bis dahin läuft bei mir »Coltrane at Birdland« in Dauerschleife, überhaupt gerade viel zu viele Live-Aufnahmen, ächz.
Nun genug des Überbaus, des Abschweifens, hin zum Wesentlichen, warum dies alles eigentlich hier steht: Wer spielt, wen darf man nicht sehen. Einer der Acts, der die Bodenkacheln im STWST-Saal zum Vibrieren bringen wird, ist BLACK PULSE. Bernhard Breuer, ja, der, BB, der mit Bands wie Elektro Guzzi, Innode oder Tumido im Graubereich zwischen Techno und Noise schlagwerkelt. In elektronischer oder experimenteller Musik simultan daheim, jetzt endlich mit seinem Solo Projekt BLACK PULSE. Phosphoreszierende, polyrhythmische Loop Hypnose – digitale Sounds treffen auf eine altmodische Trommelbatterie – Hallspirale schwingt vor sich hin. Purer Rhythmus. Ein Vorabvideo zeigt jemand, der Dub »verstanden« hat und im elektronischen Soundkosmos gekonnt einsetzt. Leider heißt es nun, auf die nächste Tanzgelegenheit zu warten, wenn denn das alles wieder möglich sein wird. Wäre wohl »die Bombe« über eine große Anlage...

FAUNAS RACHE 

Eine kaminrote Abendstimmung wird das nicht mehr, mit den Menschen und den Tieren. Corona ist die Rache der Tierwelt am Menschen. Die in der Nahrungskette aufgestiegenen Fledermäuse geben jetzt Batman als Rächer. Beißen Wildtiere, die der Mensch verputzt. Biologische Sackgassen führen zum Chaos in der Tierwelt. Ende ist keines in Sicht, es kann nur schlimmer werden. Was wird die nächste Mutation? Welche Tierart wird als nächste eine Pandemie auslösen? Was kommt nach den Nerzen?
Auf diesem Planeten frisst man sich, die anderen, bis nichts mehr übrig ist. Die Kleineren haben gute Chancen zu gewinnen, passen nicht alle Covids der Erde in eine kleine Getränkedose? Im Werbesprech der türkisen Agenturen ist das dann wohl ein Zuckerstreuer für Nasenbären.
Vom Baby, natürlich.
(Achtung: es folgt Fiktion!) Ausgerottete Tierarten könnten uns ihre Viren auf Besuch vorbeischicken. Sind sie schon unter uns? Oder in der Zeit reisende Terminator-Dodos, die den Satan-Sapiens vor seiner Geburt bewahrt. Dodo or Die.
Doch Obacht: Es gibt bereits erste Clone-Versuche von ausgestorbenen Tieren, De-Extinctions, die prinzipiell möglich scheinen.

Der Baum, der im Wald umfällt, auch das findet statt. Irgendwann trifft‘s sowieso jeden. Baum, Mensch, Planet. Haha, nur die Viren leben ewig. Hab gerade von einer Studie gelesen, dass Paläoviren in einem Mammut nachgewiesen wurden. Oder unbekannte Lebensformen im Eis, die gerade entdeckt wurden und mit großer Wahrscheinlichkeit eine der nächsten Arten sind, die der Mensch dahinraffen wird. Das Feedback, das von der Natur bösartig auf uns zurückprallt, findet eben seine Antwort u.a. im Virendesaster. Das passiert jedoch, auf die eine oder andere Art, seit Ewigkeiten auf diesem Planeten, der sich eigentlich selbst reguliert. Merke: Ganzkörper-Schutzanzug-TrägerInnen sind ganz klar im Vorteil!
Nicht ganz so bunt, wie es sich die WürdenträgerInnen der Republik ins Gebetbuch malen, wird dann der Immer-Wieder-Auferstehungsmythos der Kultur zu Ostern werden. Dauernd diese Palmwedel vor unseren Gesichtern... (Anm.: Schon im Vorjahr war von Auferstehung nach dem Lockdown die Rede) Testen und dann zu zehnt zum Minikonzert, ob das gut gehen kann?
Dann gleich so ehrlich sein, wie die »Berliner Clubcommission«, die erst Ende 2022 wieder mit »Normalbetrieb« rechnet, Pre-Covid-Style. Wird es dann langweiliger, vorsichtiger, ekstatischer, endzeitstimmungsmäßiger oder so wie »vorher«?
Irgendwie wirkt zZ alles vergebens, warum also nicht gleich das Nichts zelebrieren, dass die unverzichtbare Live-Zutat Publikum terminiert? Thomas Bernhard hätte seinen Spaß gehabt, das wäre »seine Zeit« gewesen. Ärger, Aufregung und Armutszeugnisvergabe inklusive.