Dieser Tage kursierte in den internationalen Medien die Meldung, wonach laut der Universität Cambridge das »Schürfen« von Bitcoins mehr elektrische Energie verbrauche als ganz Argentinien. Anhand dieser Meldungen auf Basis des »Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index« könnte man viel diskutieren: Etwa, dass Medien vorsätzlich solche Informationen aufgreifen, die sich als kuriose Faktenhäppchen präsentieren lassen (siehe Kolumne nebenan), dass es Kapitalbestrebung gibt, sich vermittels Kryptowährungen von den Fesseln (supra)nationaler Währungen zu befreien (was sicher nicht aus Liebe zum Universalsubjekt Menschheit geschieht), oder aber, warum bestimmte Aktivitäten von uns Geiseln des kapitalistischen Globalsystems (ob mit oder ohne Stockholmsyndrom, ob im goldenen Freilandgehege, ob im verseuchten Kellerloch) eher problematisiert werden als andere. Das Schürfen von Bitcoins für Energieverschwendung zu halten ist zwar schön und gut, krankt aber oft an der irrigen Annahme, dass Ressourcenallokation im Kapitalismus primär an realen Bedürfnissen orientiert sei.
Wenn man davon ausgeht, hat man eigentlich nur noch die Alternative, unsympathische Spinner wie Elon Musk und sein Technotopia zu verteidigen, oder sich über seine Dreistigkeit und fehlendes ökologisches Bewusstsein zu empören. Das hielte dann zwar die Foren am Laufen und förderte im besseren Fall (meist gar nicht mehr benötigte) Erkenntnisse über tendenziell antisemitische Argumentationen (»böse« Finanz- vs. »gute« Realwirtschaft) in diversen real existierenden Ökobewegungen zu Tage – tatsächlich zeigt die Eingangs angeführte Meldung aber sehr deutlich, dass das Verhältnis von Ökologie und Technologie zunächst einer fundierten Kritik bedarf.
Sowohl Erwin Riess, als auch Johannes Hauer kommen in ihren Auseinandersetzungen mit aktuellen ökosozialistischen Ansätzen (der »Deep Green Resistance«-Bewegung bzw. den Schriften Andreas Malms) zum Schluss, dass deren Analysen gehaltvoller sind, als die präsentierten Lösungen. Thomasz Konicz zeigt in seiner Darstellung der jüngeren Geschichte der Insel Nauru auf, wie stark sich ökologische und soziale Katastrophen in ihrer politischen Dimension bedingen. Ein anderes Fallbeispiel kommt von Felix Riedel, der die gemeinsame Agrarpolitik der EU mit ihren kontraproduktiven Anreizen beleuchtet.
Ideologiekritik finden geneigte Leser/innen auch in den Rezensionen von Mathias Beschorner und Till Schmidt zu neu erschienenen Sammelbänden über Autor/innen der Gegenaufklärung und Faschismustheorien, Schriftstellerinnenportraits von Robin Becker und David Hellbrück zu Gisela Elsner und Annie Ernaux, ein Interview von Aylin Aichberger mit dem Schriftsteller Richard Schuberth zu seinem neuen Roman und dem Vorwurf »kultureller Aneignung«.
Magnus Klaue untersucht in seinem Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen des Begriffs der »narzisstischen Persönlichkeitsstörung« zwischen vage metaphorischem Gebrauch und psychoanalytischer Gesellschaftsdiagnose.
Auch das SARS-Cov-2-Virus beschäftigt sich (samt seiner neu-entstandenen Sippschaft) weiterhin mit uns, weshalb wir – mehr notgedrungen als höflichkeitshalber – die Aufmerksamkeit erwidern. Die gesellschaftlichen Folgen werden immer massiver spürbar: Svenna Triebler wundert sich (nicht) über die Widerstände gegenüber Home-Office-Regelungen und Paul Schuberth stellt mit der »Interessensgemeinschaft Freie Musikschaffende« einen Versuch vor, die soziale Absicherung von Musikerinnen und Musikern zu verbessern.
Nachdem der Kunst- und Kulturbereich weiterhin mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen hat, geht der letztjährige Claim der Stadtwerkstatt mit »STILL More vs. Less« in eine aktualisierte und aktualisierende Verlängerung. Manche Pläne des Hauses reagieren auf die Situation zwischen Stillstand und Stille mit deren Zuspitzung und einer Absage an unbefriedigende Notlösungen: So werden einige Konzerte unter völligem Ausschluss von – physischem wie virtuellen – Publikum stattfinden; ein Setting, zu dem sich Christian Wellmann einige Gedanken macht. Andere Teile des Jahresprogramms, das in dieser Versorgerin auszugsweise vorgestellt wird, zeigt sich von den Einschränkungen unbeeindruckt, bzw. versuchen sie, einige ihrer Aspekte längerfristig künstlerisch nutzbar zu machen und unter anderem den Digital-Hype zu reflektieren.
Auf den Technologie-Pol konzentrieren sich am Ende der Ausgabe Michael Aschauer, der sich einer verzichtbaren Entwicklung im »Internet der Dinge« widmet (einer Kombination aus Peer-to-peer-Netzwerk und Blockchain), sowie auf der servus-Seite Matthias Schäfer, der einen Überblick zu Smart-Assistance-Ansätzen in jüngerer und fernerer Vergangenheit liefert. Barbara Eder wiederum hat sich für uns mit dem »Project Xanadu« befasst, das als unabgeschlossener digitaler Traum der Post-Hippie-Ära in die Gegenwart ragt.
Die Stadtwerkstatt wühlt insgesamt weiterhin im Komposthaufen der Kunst- und Kulturlandschaften, bzw. trägt Materialien zusammen, die brauchbaren Humus versprechen. Ähnlich geht auch Roland Röder vor, der mit seiner Kolumne »Der letzte linke Kleingärtner« debütiert.
Die Saat ist gesät und mit STWST 2021 STILL More vs Less bleibt der Redaktion vorerst nur mehr die Frage:
Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht STILL dazu tanzen kann?