(D)ra(h)tlose Revolution

Michael Aschauer berichtet anhand des Startups Helium Systems Inc. über ein People’s Network, über Long Range Wide Area Networks (LoRaWAN), Blockchain und Revolutionen im Internet der Menschen und Dinge. Dispatches from the West Coast.

Mit Schlagworten wie Peer-to-peer und Blockchain kann man einige Millionen an Venture-Kapital einsammeln – wenn man gut vernetzt ist. Peer-to-peer ist jene Technologie, die sich gerne einer Kommerzialisierung entzieht und daher ergibt es Sinn, sie mit der Blockchain zu verbinden. Das ist, nochmal kurz gesagt, jene Technologie einer verteilten Datenbank für eine Welt, in der niemand niemandem mehr vertrauen kann, deren eindrucksvollste reale Anwendungsszenarien bis jetzt das Anziehen von spekulativen Investments und Kryptokatzen sind. Passt also perfekt. Warum auch Technologie entwickeln, die die Welt braucht, wenn man die Welt verändern und an die Technologie anpassen kann? Damit in Medias Res:

»The People‘s Network, das auf die [sic!] Helium-Blockchain beruht, stellt einen Paradigmenwechsel für eine dezentralisierte drahtlose Infrastruktur dar. Von Menschen betriebene Netzwerke. Starten Sie eine drahtlose Revolution.«

So steht es auf der Website von Helium Systems Inc., einem 2013 gegründetem Startup aus San Francisco, das im Laufe der letzten Jahre 50 Millionen Dollar an Kapital eingesammelt hat, um eine Revolution auszurufen. Also eine kleine, stinklangweilige Silicon Valley Firma unter vielen, auf der Mission, die Welt zu verbessern? Oder doch innovative Technologie? Ist es die Revolution, auf die wir schon sehnsüchtig warten? Was steckt dahinter?

Dichtung und Wahrheit, Mythos und Fakt sind in Firmenhistorien - vor allem im Silicon Valley - schwer zu trennen. Es geht vorerst um die Idee eines drahtlosen Peer-to-peer-Netzwerks, unter anderem mitgetragen vom ehemaligen Napster-Mitgründer Shawn Fanning. Laut Selbstbeschreibung mit dem Ziel, »die Herstellung angeschlossener Geräte zu vereinfachen.« So klingt das auch gleich etwas ehrlicher: Mit Menschen hat das mal wenig zu tun.

»Wir haben das menschliche Genom sequenziert und glauben, dass sich der Mensch weiterentwickelt und immer fortschrittlicher wird. Anstatt jedoch Technologien zu entwerfen, die Vertrauen bildet und fördert, entwerfen wir immer noch Technologien, die Knappheit annehmen und Selbstsucht fördern.«[1]

Damit wieder zu Helium: Mit der Entwicklung eines eigenen Funknetzstan-dards unter dem Namen LongFi hatte sich das Startup etwas verlaufen und ist 2019 offiziell auf das existierende, offene Protokoll LoRa (Long Range Wide Area Network) umgeschwenkt.

LoRa ist an sich keine uninteressante - und keine ganz unbekannte - Technologie. Es ist ein drahtloses Netzprotokoll, das energiearm ist und Reichweiten bis zu 10 Kilometer erzielt. Es reichen also wenige Gateways oder Sender, um eine ganze Stadt abzudecken. Auch im Umkreis der Stadtwerkstatt wird damit experimentiert, öffentliche Verkehrsmittel übermitteln damit (auch in Linz) Positionsdaten, die Schweizer swisscom betreibt laut ihrer Website ein LoRaWAN, das 96.7% der Schweizer Bevölkerung abdeckt. Ähnliche flächendeckende kommerzielle Netze gibt es unter anderem in den Niederlanden und in Korea. The Things Network (TTN) ist eine communitybasierte Initiative, die 2015 in Amsterdam gegründet wurde und inzwischen große Teile der Niederlande versorgt. Sie deckt aber auch Städte wie Berlin oder Zürich größtenteils ab. Der Name »Low Range« spricht aber für sich: Für Fotos und Katzenvideos sind die erzielten Datenraten viel zu gering - LoRa ist kein Netzwerk, das Menschen mit Menschen verbindet, sondern Sensoren mit Maschinen. Ein Netzwerk für das Internet der Dinge. Und zwar primär kommerziell betriebene Dinge wie Sensoren in Landwirtschaft, Transport, Logistik oder E-Scooter Sharing.

Aber was ist nun das Geschäftsmodell von Helium? Vordergründig scheint es der Verkauf überteuerter Router zu sein, die gleichzeitig Miner für die Kryptowährung Helium Network Token sind. Der Betrieb des Netzwerks wird also ausgelagert auf Menschen, die sich einen Hotspot für 500 Dollar kaufen und dann mit den durch Netzabdeckung und bei Übertragung erzeugten HNT bezahlt werden. Zum Vergleich: Einen ähnlichen LoRa-Router kriegt man um weniger als 100 USD. Klingt unglaublich? Zurzeit sind laut Helium Explorer 18.093 Hotspots weltweit aktiv und es ist das größte, öffentliche LoRaWAN-Netzwerk in den USA. In einem Land, wo man von einem Mindestlohn - so er überhaupt existiert - selten Miete bezahlen kann und viele von ihrer Pension – so überhaupt vorhanden – nicht leben können, ist das aber vielleicht gar nicht so erstaunlich. Der Druck, immer neue Nebeneinkommen zu finden, ist groß, und damit kann man auch Geschäfte machen.

Vielleicht steckt noch mehr dahinter. Laut Website schafft The People‘s Network »eine völlig neue drahtlose Wirtschaft, die das traditionelle Telekommunikationsmodell zum Aufbau einer drahtlosen Infrastruktur auf den Kopf stellt.« Sollte das – jetzt mal ganz hypothetisch gesehen – gelingen, ist Helium Telekomprovider, ohne selber eine Infrastruktur betreiben zu müssen. Auch genial. Und Helium ist dann Gatekeeper und Marktmacher dieser neuen Wirtschaft.

Damit sind wir doch eher wieder beim »klassischen« Plattformkapitalismus und bei »disruptiven Technologien« im Sinne von Innovationen, die bestehende Dienstleistungen und Geschäftsmodelle vom Markt verdrängen, um eine Monopolstellung zu erobern, um bei allen - und vor allem: von anderen - erbrachten Leistungen mitzunaschen. Ausgerüstet mit einer App und dem langen Atem von Venture-Investment-Millionen kann man auch existierende Modelle neu erfinden und vom Markt verdrängen. Oder bisher nicht verwertbaren Bedürfnissen oder Ressourcen eine bis dato nicht existente, kommerzielle Logik aufdrücken.

»Ich hatte wirklich an die Ideologie geglaubt, dass der Aufbau eines Unternehmens der beste Weg ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen [...] Das Gewinnmotiv ist der einzige Weg, um die Probleme in großem Maßstab zu lösen. Ich habe das wirklich geglaubt.«[2]

So tritt auch der Klassenprimus Uber – der mit Milliarden an Venture-Capital das Taxi und Sammeltaxi auf App-Basis neu erfunden hat und damit Arbeitsrechte mit Füßen tritt – mit dem erklärten Ziel an, nicht nur das etablierte Taxigewerbe obsolet zu machen, sondern den öffentlichen Verkehr – oder zumindest große Teile davon - zu ersetzen. Erste Kleinstädte wie Innisfil in Kanada haben sich dazu entschlossen, Uber-Fahrten zu subventionieren, statt in ein Bussystem zu investieren.[3] Das wird in Zukunft natürlich von selbstfahrenden Elektroautos erledigt – nach Marskolonien und Geoengineering ist das der größte Traum kalifornischer Technoenthusi-asten. Durchaus verständlich, wer verbringt schon gerne seine Freizeit mit dem Lenken von Fahrzeugen auf zwölfspurigen Freeways. Apropos Elektroautos: Tesla, nach Börsenwert der wertvollste Autohersteller der Welt, der – sicher innovative – Elektroautos für die Oberklasse baut, lebt im wesentlichen von Subventionen und dem Verkauf von Emissionszertifikaten, neuerdings auch von der Spekulation mit Bitcoins[4] – ein Musterschüler des freien Marktes also.

Aber wieder zurück zu Helium: »Das Mining von HNT erfolgt durch die Aufstellung eines einfachen Gerätes an Ihrem Bürofenster. Das ist alles. Ernsthaft.« Klingt doch noch einfacher als: »Setze dich hinters Steuer und erziele Umsätze« (Uber) oder: »Tritt einer vielfältigen Community von Gastgebern bei, schaffe unvergessliche Erlebnisse für Reisende und verdiene dir etwas dazu, um das zu tun, was du liebst.« (AirBnB). Fast so gut wie: »Let your car work while you finally go fly fishing.« (Turo)

Klingt alles nach Satire – lachen können sicher diejenigen, die Weltraumfahrt als Zweithobby haben – wenn es nicht so ernst wäre.
Sollten wir es nicht schaffen, jemals genug Besitz anzuhäufen, damit der für sich selbst und für uns arbeiten kann, können wir immer noch »Teil einer enthusiastischen Gemeinschaft von Campern werden« (Amazon‘s CamperForce), die von der Mindestpension nicht leben kann, Haus oder Wohnung aufgibt, um in einen Kastenwagen oder ein Wohnmobil zu übersiedeln, und dann als Wanderarbeiter durchs Land zu ziehen. »The last free place in America is a parking place«.[5] Noch.

Als Saisonarbeiter für Amazons Weihnachtsgeschäft kann man sich dann auch im Alter fit halten und pro Schicht einen Halbmarathon durch Amazons Lagerhallen laufen – man wird dafür sogar mit knapp 10 Euro pro Stunde bezahlt! Vom Countdown des Barcodescanners angetrieben oder hinter Robotern hechelnd:

Netzwerke, die von Menschen - für Maschinen von Menschen - betrieben werden, eben.

Lesetipps

Xiaowei Wang: Blockchain Chicken Farm. And Other Stories of Tech in China‘s Countryside
Adrian Daub: What Tech Calls Thinking: An Inquiry Into the Intellectual Bedrock of Silicon Valley
Jessica Bruder: Nomadland. Surving America In the Twenty-First Century
Wendy Liu: Abolish Silicon Valley. How to Liberate Technology from Capitalism
Ben Tarnoff & Moira Weigel: Voices From the Valley: Tech Workers Talk About What They Do - And How They Do It
Anna Wiener: Uncanny Valley. A Memoir

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[1] Xiaowei Wang: Blockchain Chicken Farm. And Other Stories of Tech in China‘s Countryside
[2] Ben Tarnoff & Moira Weigel: Voices From the Valley: Tech Workers Talk About What They Do - And How They Do It
[3] The Guardian, 16.07.2019, https://www.theguardian.com/cities/2019/jul/16/the-innisfil-experiment-the-town-that-replaced-public-transit-with-uber
[4] LA Times, 10.02.2021, https://www.latimes.com/business/story/2021-02-10/tesla-bitcoin Bloomberg, 27.01.2021, https://www.bloomberg.com/news/articles/2021-01-27/tesla-credit-revenue-may-rise-to-2-billion-credit-suisse-says
[5] Jessica Bruder: Nomadland. Surving America In the Twenty-First Century
 

LoRaWAN und TTN in Linz

Das LoRaWAN bildet nicht nur die Technologie für fancy Westcoast-Startups wie Helium Systems Inc, sondern ist, wie Michael Aschauer in seinem nebenstehenden Text auch erwähnt, als TheThingNetwork (TTN) in vielen Städten bereits in Funktion. Der Energieanbieter Linz AG betreibt zum Beispiel seit Jahren ein flächendeckendes LoRaWAN Netz in Linz. Einige Linienbusse haben z. B. ein weißes, halbrundes Ding am Dach, ein LoRaWAN-Gerät, vermutlich zur Positionsbestimmung und für Fahrzeug-Telemetriedaten. Die LinzAG testet auch Strom/Gas/Wasserzähler über LoRaWAN. Es wurde an den Anbieter auch herangetragen, sich am TheThingsNetwork zu beteiligen - so wie viele andere kommunale Netzbetreiber es auch tun; oder das Netz der Öffentlichkeit auf andere Art zur Verfügung zu stellen. Was bisher – meist mit Verweis auf »technische Beschränkungen in diesem Netz« – nicht gemacht wurde. Was ein freies LoRaWAN-Netz betrifft, ist Linz allgemein im Vergleich zu anderen Städten deutlich abgeschlagen, allerdings sind im letzten Jahr doch ein paar Standorte auf TTN dazugekommen.

Hier in der Stadt betreibt Roland Jankowsi einen LoRaWAN-Sender im TTN Verbund, bzw. arbeitet er auf DIY-Basis mit dieser Technologie. Von ihm kommen auch die Informationen zum LoRaWAN-Standort Linz, sowie die Bilder mit Sendestandorten im Vergleich Wien/Linz. Die blauen Strahlen illustrieren im Vergleich die erfolgreichen Übertragungen der letzten drei Monate.

Zu LoRaWAN ist außerdem ein Workshop von Roland Jankowski in der STWST geplant, sobald Covid das zulässt.

TTN Linz (Bilder: Roland Jankowski)
TTN Wien (Bilder: Roland Jankowski)