Der Umzug von Twitter zu Mastodon fühle sich an, als müsse man plötzlich in einer Landkommune leben, nachdem man vom Nazi-Vermieter aus der Stadtwohnung vergrault worden sei. Das schrieb ich Mitte 2022, nachdem Elon Musk seine Übernahme der Plattform mit dem Vogel-Logo angekündigt hatte – damals noch ebendort, denn seinerzeit war ich noch zweigleisig unterwegs, in der vagen Hoffnung, der Putsch lasse sich vielleicht doch noch abwenden.
Der endgültige Abschied fiel dann aber doch nicht allzu schwer und nach drei Jahren auf dem Land ist es mal Zeit, über die Erfahrungen mit dem etwas anderen Sozialen Medium zu berichten; zumal ja unter dem Motte »Unplug Trump« (auf Deutsch in etwa: »Trump den Stecker ziehen«) seit dessen Amtsantritt eine allgemeine Bewegung weg von den US-amerikanischen Tech-Konzernen im Gange ist.
Um Mastodon zu erklären, muss man nicht allzu sehr in die technischen Details gehen – das haben andere Medien zur Zeit der großen Twitter-Abwanderungswelle 2022/23 bereits in großer Ausführlichkeit getan und damit vermutlich etliche Menschen durch den Eindruck abgeschreckt, das Ganze sei höllisch kompliziert und man brauche mindestens ein Informatik-Diplom, um mitmachen zu können.1
Nicht ganz unschuldig daran ist allerdings auch die Gründungskultur des Projekts: Als der Jenaer Entwickler Eugen Rochko im Jahr 2016 die gemeinnützige Mastodon GmbH als geschäftliche Basis eines dezentralen, nicht-kommerziellen, auf freier Software basierenden Netzwerks ins Leben rief, zog das in erster Linie eine Community an, die sich schon mal eingehender mit Dingen wie Datensouveränität, Open Source und der Kritik am Geschäftsmodell der monopolistischen Plattformbetreiber beschäftigt hatte, also kurz gesagt: Nerds.
Teilweise prägt dies, ebenso wie die zumeist eher nach links neigende politische Einstellung der Early Adopters, noch immer die Mastodon-Kultur (mehr dazu später). Und der überschaubaren Größe dieser demografischen Gruppe entsprechend herrschte anfangs auch recht wenig Aktivität, was wiederum kaum einladend wirkte, wenn man auf Twitter, Facebook oder sonstwo seit Jahren ein größeres Netzwerk und eine gewisse Reichweite aufgebaut hatte.
Aber zurück zum grundlegenden Ansatz, der auf Wikipedia folgendermaßen beschrieben wird: »Mastodon ist als dezentrales Netzwerk konzipiert, das nicht auf eine Plattform beschränkt ist: Verschiedene Server, von Privatpersonen oder Institutionen eigenverantwortlich betrieben, können miteinander interagieren.« In der Praxis heißt das, dass die jeweiligen Betreiber*innen quasi das Hausrecht auf ihren Servern (auch Instanzen genannt) innehaben; sie legen also Moderationsregeln fest, können User*innen bei Verstößen rauswerfen und entscheiden auch darüber, mit welchen anderen Instanzen ihr Server sich verbindet (»föderiert«) und welche geblockt werden.
Kein Informatik-Diplom nötig
Das ist eigentlich schon alles, was man für den Einstieg wissen muss. Man braucht also keinen eigenen Server zu betreiben – wie vermutlich manche glauben, die zum ersten Mal von dem Konzept hören –, und die eigentliche Registrierung ist nicht komplizierter als bei kommerziellen Angeboten. Verwirrend ist allerdings die Vielfalt der Instanzen, schließlich existieren davon mittlerweile fast 16.000 mit unterschiedlichen Aufnahmekriterien, Moderationsregeln und inhaltlichen Schwerpunkten.2
Das ist allerdings kein grundsätzliches Problem; man kann sich für den Anfang auch bei einer der »großen« Instanzen wie etwa mastodon.social (von Rochko selbst gegründet) anmelden, sich erst einmal ein bisschen umsehen und später – mitsamt Followern und Gefolgten – auf einen anderen Server umziehen, der einem vielleicht mehr liegt.
Die Wahl, welchen Accounts – egal ob auf eigenen oder föderierten Servern – man folgen sollte, wird einem ebenfalls nicht durch irgendwelche Algorithmen abgenommen. Dankenswerterweise führte zu meiner Zeit der große Exodus dazu, dass viele Twitterati gleichzeitig den Umzug wagten; zudem bastelten technisch versierte Fluchthelfer*innen Tools, mit denen sich andere Umsteiger*innen leicht wiederfinden ließen, sodass ich letztlich einen recht großen Teil meiner Community in die Landkommune mitnahm.
Auch ein Begrüßungspost mit dem Hashtag #neuhier und vielleicht ein paar Neulings-Fragen können helfen. Da sieht man an den Antworten auch gleich, wer sich um einladende Umgangsformen bemüht und wer das Fediverse-Klischee bedient, demzufolge sich hier nur Besserwisser*innen tummeln, die auf alle herabsehen, die nicht mindestens schon mal ein Linux-System aufgesetzt haben.
A propos Hashtags: Dass man diesen ebenso folgen kann wie einzelnen Accounts, ist ein absoluter Pluspunkt. Auf diese Weise bekommt man automatisch alle Posts angezeigt, die mit den entsprechenden Schlagworten gekennzeichnet sind; in meinem Fall sind das etwa News aus verschiedenen Naturwissenschaften und Beiträge aus der Fahrradbubble.
Stadt vs. Land
So baut man sich nach und nach ein Netzwerk auf und lernt vor allem auch den allgemeinen Umgangston kennen. Der ist nämlich deutlich anders, als man es von der Vogelplattform gewohnt war, je nach Standpunkt im Guten oder im Schlechten.
Denn der Massenexodus brachte auch einen Clash of Cultures mit sich: Während die Neuankömmlinge versuchten, sich im digitalen Exil zurechtzufinden, fühlten sich die Dorfhippies von arroganten Städter*innen mit Konsummentalität überrannt, die nicht mal wussten, wie man einen Traktor fährt, dafür aber meckerten, dass es im Hofladen keine Avocados gibt, und sich von der Bitte bevormundet fühlten, ihren Müll nicht auf die Straße zu werfen.
Die Alteingesessenen hatten sich ja nicht ohne Grund ein virtuelles Zuhause jenseits der krawalligen Kommerzplattformen eingerichtet, und zwar lange, bevor deren Aufregungsmechanismen ganz offiziell vom Technofaschismus gekapert wurden. Die Zugezogenen wiederum vermissten ihre alte Reichweite, die ja häufig auf eben jener Empörungsökonomie basierte, monierten das Fehlen dieser oder jener Funktion3 und waren von dem – aus ihrer Sicht übertriebenen – Beharren auf Rücksichtnahme überfordert.
Etwa in Sachen Bildbeschreibungen, die blinden und seheingeschränkten Menschen eine Teilhabe via Screenreader ermöglichen. Anfangs fand auch ich die ständigen Appelle, Fotos, Gifs und Videos doch bitte zu betexten, ziemlich belehrend. Meine Meinung änderte sich schnell grundlegend: Das Feature steht beispielhaft dafür, das Fediverse so inklusiv wie möglich zu machen, und mittlerweile habe ich es mir zum Prinzip gemacht, nicht nur eigene Bilder mit Beschreibung zu versehen, sondern auch keine Posts zu teilen, die darauf verzichten. Und ja, ich gehöre zu denjenigen, die diese ach so nervigen Appelle weiterverbreiten.4
Auch die sogenannten Content Notes, hinter denen sich Beiträge mit für andere möglicherweise verstörenden oder zumindest unerwünschten Inhalten verbergen lassen, mögen manchen überzogen scheinen, gerade wenn man so weit geht wie etwa die Instanz chaos.social, auf der politische Themen grundsätzlich mit entsprechenden Hinweisen versehen werden sollen. Tatsächlich aber hilft so etwas, die Doomscrolling-Spirale zu unterbrechen, und trägt zu der entspannteren Atmosphäre bei, die das Fediverse gegenüber anderen Plattformen auszeichnet.
Nazis raus
Ein anderer, vermutlich entscheidenderer Grund dafür ist die keinesfalls unpolitische Haltung, die das Fediverse prägt. Zwar kann im Prinzip jede*r eine eigene Instanz eröffnen und dort allerhand unappetitliche Gestalten reinlassen – wer allerdings Trollen oder rechter Hetze eine Plattform bietet, wird sich schnell allein auf weiter Flur wiederfinden, weil ein Großteil der anderen Instanzen den Server blockt und so vom übrigen Fediverse abkoppelt. Bislang funktioniert diese Deföderierung recht gut und die sozialmediale Aufregung, die aus einer dahingerotzten Menschenfeindlichkeit einen rechten Talking Point macht, bleibt den Faschos zumindest hier verwehrt.
Perfekt ist das Netzwerk natürlich trotzdem nicht. Während Nazis es schwer haben, einen Fuß in die Tür zu bekommen, gibt es beispielsweise etliche Instanzen, die kein Problem mit übelster Hamas-Propaganda haben, solange sie von irgendwie links kommt, und im Fediverse dennoch weithin geduldet werden.
Andere, darunter auch mastodon.social, sind ziemlich lax im Umgang mit Spamschleudern, und dann sind da eben noch die viel beklagte Besserwisserei sowie technische und moralische Überheblichkeit, also die unangenehmen Seiten auch der progressiven Nerdkultur.
Wer etwa nach empfehlenswerten Mastodon-Clients (also Apps mit einer handytauglichen Benutzeroberfläche) für iOS fragt, darf neben hilfreichen Tipps auch mit naserümpfenden Kommentaren rechnen, warum man sich denn bitte vom proprietären Apple-Ökosystem abhängig macht; und dann sind da noch die berüchtigten »Reply Guys«: Leute, die ungefragt ihren Senf dazugeben, sei es in bierernsten Antworten auf alberne Wortspiele oder als sogenanntes Mansplaining, also das ungebetene Erklären von Dingen, von denen die angesprochene Person mehr Ahnung hat, typischerweise von Männern gegenüber Frauen.
Ansonsten wurden bei einer nicht repräsentativen Umfrage in meiner Timeline vielfach die Hakeligkeiten bemängelt, die eine dezentrale und vielfach ehrenamtlich betriebene Infrastruktur so mit sich bringt: So läuft die Föderierung nicht immer ganz ruckelfrei, ebenso wie das Umziehen auf eine andere Instanz – was manchmal nötig ist, wenn privaten Betreiber*innen eines Servers der Arbeitsaufwand über den Kopf wächst oder Spenden die Kosten nicht decken, und der Stecker gezogen wird.
Inwieweit die jeweilige Kritik berechtigt ist, ist natürlich auch eine Frage der Ansprüche. Wem Krawall und Algorithmen fehlen oder wer auf größere Reichweite hofft, ist zumeist ohnehin längst zu Bluesky weitergezogen, der Plattform des einstigen Twitter-Gründers Jack Dorsey, und die Beschwerden über technische Unzulänglichkeiten klingen ein bisschen so, als nörgele man über Blattläuse im Salat vom Ökohof, während die Alternative im makellos gespritzten Supermarktgemüse besteht, dessen Erzeuger auch schon mal mit Reichskriegsflagge durch Berlin treckert.
Wer mit den Blattläusen leben kann, statt Trollarmeen lieber den einen oder anderen Reply Guy in Kauf nimmt und idealerweise auch keine Einwände gegen das Verfassen von Bildbeschreibungen hat, findet auf Mastodon jedenfalls eine virtuelle Heimat – die eben kein Ersatz für das »gute alte« Twitter oder eine Konkurrenz zu Bluesky ist, sondern eine ganz eigene Community voller Geeks, Queers, Programmierer*innen, Ökos, Plüschtiere, Solarpunks und Antifas. Quasi ein permanenter virtueller Chaos Communication Congress.
User @jollysea@chaos.social fasst seine sieben Jahre Fediverse-Erfahrung so zusammen: »Mir gefällt es hier besser als auf Twitter, denn: 1.) Ich bekomme deutlich mehr Reaktionen auf meine Hirnfürze. 2.) Kostenloser Linux-Support.« Und @GayDeceiver@mstdn.social protokolliert eine Unterhaltung mit einem Freund: »Auf Mastodon gibt es Wissenschaftler*innen und Fachleute auf ihrem Gebiet, und alle sind supernett. Auf Bluesky eher nicht so« und präzisiert: »Mastodon ist Star Trek. Bluesky ist Star Wars.« Dem ist nichts hinzuzufügen.