Das Ergebnis von Beharrlichkeit

Anlässlich der im Frühjahr in der Kunsthalle Wien gelaufenen Ausstellung Radical Software, Women, Art & Computing 1960–1991 hat Tanja Brandmayr zwei Protagonistinnen der Ausstellung, Gudrun Bielz und Ruth Schnell, befragt.

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STWST: Ihr beiden seid mit gemeinsamen Arbeiten in der Ausstellung »Radical Software: Women, Art & Computing 1960-1991« vertreten, eine vielbeachtete und international programmierte Schau. Wie fühlt man sich inmitten dieses bedeutsamen Line-ups? Und wie fühlt es sich an, doch relativ weit in die Vergangenheit der eigenen Arbeit zu blicken? Wo liegen Kontinuitäten zwischen diesem Beginn und eurer künstlerischen Weiterentwicklung?

Gudrun Bielz: Hm, es war fein, diese Arbeiten zu sehen, denn ich finde, sie sind ganz gut. Sie haben die Zeit überstanden, sozusagen. Ruth und ich haben bis 1991 zusammen Projekte gemacht, so kann ich über die Kontinuitäten nur sagen, dass ich immer noch Geschichten erzähle, sowohl literarisch als auch filmisch oder künstlerisch Narrative entwickle, und dabei verschiedene Techniken verwende, aber eigentlich kein Kontinuum angestrebt habe. Die Überschneidung ist vielleicht, dass wir mit diesen Videos Dinge ausgetestet haben, die damals möglichen Computerprogramme, wir haben auch kodiert (okay, Simon‘s Basic gelernt) und wir waren damals wirklich neugierig und haben geforscht. Und ich bin immer noch neugierig und forsche, so habe mich mit  Aspekten von Transhumanismus und Artificial Intelligence/Life in einer künstlerischen, philosophischen und kritischen Dissertation auseinandergesetzt. Über das bedeutsame Line-Up, das du erwähnst, das ist wirklich nett, aber wie wichtig das ist, kann und will ich nicht beurteilen. Fazit ist, ich mag unsere Arbeiten in der Ausstellung. Sie haben gehalten!

 

Gudrun Bielz und Ruth Schnell, Plüschlove, 1984, Filmstill (Bild: Courtesy der Künstler*innen, © Bildrecht, Wien 2025)

 

Ruth Schnell: Was mich an der Einladung zur Ausstellung besonders freut, ist, dass diese frühen Arbeiten in einen breiteren historischen und internationalen Kontext gestellt werden – nicht als Fußnote, sondern als aktiver Beitrag. Es ist natürlich auch ein Moment der Rückschau: auf Improvisation, auf Neuanfänge, auf kollektives Forschen mit begrenzten Mitteln. Trotz des Abstands sehe ich Kontinuitäten: Die medienreflexive Perspektive, das ästhetische Experiment, das Interesse an Körperwahrnehmung im Raum und an sprachlichen Strukturen zieht sich durch meine Arbeit. Damals wie heute geht es mir darum, Technologien nicht nur zu nutzen, sondern auch kritisch zu befragen – und genau das hat sich über
die Jahre weiterentwickelt.

STWST: Die zeitliche Einschränkung der Ausstellung war mit etwa drei Jahrzehnten zwischen 1960 und 1991 angelegt – und es ist erstaunlich, was sich schon sehr früh getan hat. Ich nenne beispielhaft die von Jasia Reichardt 1968 organisierte Ausstellung »Cybernetic Serendipity: The Computer and The Arts« in London, mit zahlreichen weiteren Etappen, oder die »tendencije 4« in Zagreb; später, 1985, das Cyborg Manifesto von Donna Haraway. Um nur wenige Bezugnahmen zu nennen. Eure gezeigten Arbeiten entstanden Anfang bzw. Mitte der 1980er Jahre, an der Schwelle des durchschlagenden Erfolgs der Personal Computer. Die Zeit, wo nur in staatlichen Institutionen oder Firmen mit eigenen Forschungsabteilungen über gigantische Rechenanlagen Zugänge möglich waren, war schon vorbei.  Andererseits kam erst 1991 das World Wide Web, und erst ab da startete die Version des Internets, wie wir es heute kennen. Wie verortet ihr eure Arbeiten zwischen Zugang und künstlerischem Wollen – ich meine: Ihr hattet Basic, sechs Farben plus Schwarz und Weiß und einen C64? Was war für euch besonders interessant? Welche Erfahrungen, Arbeiten und Vorarbeiten, die andere Künstler:innen mit den Maschinen bereits gemacht haben, bilden persönliche Markierungspunkte?

Gudrun Bielz: Weil du Maschinen erwähnst, und nicht unbedingt Computer, ich mochte Rebecca Horns Federmaschinen, generell kinetische Skulpturen – Computer waren ja eben mehr die riesigen IBM-Rechen-anlagen in Firmen oder Forschungsinstituten oder die Kontrollanlagen für Weltraum-abenteuer, Raketen und Mondlandung. Die kleinen Commodores und Amigas waren schon handlich, nett, und es gab Computerspiele – einfach, aber doch aufregend. Ich habe ja Super-8- und 16-mm-Filme gemacht und mich hat das Filmische, die Narration sehr interessiert. Mit diesen Computern konnte man noch erweitern, von analogen Schnittcomputern zu digitalen Computern. Das hat die Ästhetik verändert. Das Arbeiten mit Ruth hat auch Spaß gemacht, wir haben unsere Fähigkeiten, unsere visuellen Vorstellungen eingebracht, verknüpft,
was Neues, Gemeinsames geschaffen.

Ruth Schnell: Für mich war diese frühe Phase ein Terrain des Experimentierens. Der C64 war kein High-End-Werkzeug – aber ein Instrument, mit dem sich neue Denkweisen entwickeln ließen. Die Ästhetik des Mangels, die Begrenzung auf sechs Farben, die Trial-and-Error-Programmierung – all das hat uns gezwungen, kreativ mit den Bedingungen umzugehen.

 

Ausstellungsansicht Radical Software, Kunsthalle Wien 2025 (Bild: kunst-dokumentation.com)

 

Wir waren fasziniert von den unvorhersehbaren Reaktionen der Geräte – von Störungen, Glitches, Signalfehlern. Genau darin lag für uns ein ästhetisches Potenzial: Brüche, Verzerrungen und Übergänge wurden zu gestalterischen Mitteln. Wir filmten vom Monitor ab, um technische Grenzen zu umgehen, oder nahmen Fehler gezielt auf. Es ging nicht darum, die Technik zu beherrschen, sondern sie zu befragen – und manchmal auch auszutricksen. Dieser experimentelle Zugang hat meine Arbeitsweise stark geprägt.

STWST: Ich komme zu den historisch überaus bekannten Persönlichkeiten zwischen Kunst und Wissenschaft: Ada Lovelace,
die Tochter Lord Byrons, setzte 1843 zahlreiche Notizen zu einer Übersetzung über das Konzept der »Analytischen Maschine«, der ersten mechanisch arbeitenden Rechenmaschine von M. Charles Babbage. Ada Lovelaces »Note G« gilt heute als erster Algorithmus, sie gilt als erste Programmiererin. Ada war eine kultivierte Frau, die, in ihren eigenen Worten gesagt, »poetische Wissenschaft« betrieb. Andere Referenz, auch mindblowing: 1942 erhalten die Schauspielerin Hedy Lamarr und der Avantgardekomponist George Antheil ein Patent für Frequenz-sprungverfahren, später wesentlich für Wi-Fi, Bluetooth und GPS, die Basistechnologie für den Mobilfunk. Also: Kunst, Avantgarde, poetische Wissenschaft. Was meint ihr, was ist das tieferliegende Interesse, mit Maschinen zu arbeiten oder Kunst in den Maschinen-Kontext einzubringen? Vor allem auch im Zeitsprung in die jüngere Geschichte der Ausstellung gefragt: Wollte man in dieser Zeit von 1960-1991 eine neue Poetry, eine andere Art von Kunst? Einige am Panel der Ausstellung sprachen davon. Was wolltet ihr aus der Maschine herausholen? Was hat euch interessiert? Und gibt‘s eine solche Pionierhaftigkeit heute noch – oder ist alles nur mehr Dystopia im neuen Techno-Feudalismus der Broligarchy?

Gudrun Bielz: Ich selbst war nicht so sehr interessiert an der speziellen Computertechnik, der Ästhetik, die sich entwickelt hatte. Gab‘s ja schon seit den 60er Jahren und es hat mich meistens nicht so berührt. Zu wenig Drama vielleicht. Mit Film und Video und der Verknüpfung Computer war das ein bisschen anders, zumindest für mich. Ich hab auch so meine Probleme mit der Fixierung auf Kunstepochen, die ja oft von der Kunstgeschichte und -theorie deklariert werden, ich bin da ein bisschen ‚anarchistischer‘ in meiner Einstellung. Künstler:innen haben total verschiedene Motive und Ästhetiken, die natürlich auch von Technik und Technologie beeinflusst werden und vice versa, bloß ist das nicht eine einheitliche Ausrichtung. Wir alle sind verschiedene Persönlichkeiten – und das zeigt sich auch in unseren Arbeiten, ob jetzt Technologie verwendet wird oder nicht.

Hinsichtlich der Videos in der Ausstellung: Es war interessant, die Möglichkeiten auszutesten, auszureizen, an die Grenzen zu stoßen und zu versuchen, sie auszudehnen, auszutricksen, etc. Es war eine Kommunikation zwischen uns, den Künstler:innen, den Produzent:innen und den Computern, der Computersprache, der teilweisen Begrenztheit (und Dummheit) der Maschinen – und dem Spielen mit Möglichkeiten.

Ruth Schnell: Für mich waren Maschinen nie bloß Werkzeuge, sondern immer Medien – Systeme, die Wahrnehmung, Körper und Sprache mitprägen. In ihrer Begrenztheit und ihren Fehlfunktionen lag für mich ein gestalterisches und erkenntnistheoretisches Potenzial. Es ging nicht darum, Effizienz zu steigern, sondern um Subversion: darum, der Maschine etwas zu entlocken, was sie so nicht vorgesehen hatte.

Was wir aus ihr »herausholen« wollten, war eine andere Form von Bildlichkeit, eine andere Zeitlichkeit, eine andere Sprache. Kein lineares Erzählen, keine Illusion von Kontrolle – sondern das Sichtbarmachen der Brüche, Übergänge, Verdrehungen. Diese Haltung zieht sich bis heute durch meine Arbeit – auch wenn sich die Technologien geändert haben.

STWST: Was diese Ausstellung eindrucksvoll belegt: Frauen waren von Anfang an Teil der Geschichte, waren etwa seit 1757 belegter Teil der ersten »Computer«, das waren Teams von menschlichen »Rechner:innen«. Oder auch, wie im Katalog formuliert wird: »Als Computer noch riesige Systeme aus Transistoren und Ventilen waren, die mühsam zum Laufen gebracht werden mussten, waren es Frauen, die sie einschalteten. Als Computer zu miniaturisierten Schaltkreisen aus Siliziumchips wurden, waren es Frauen, die sie zusammensetzten. Als Computer wirkliche echte Maschinen waren, schrieben Frauen die Software, mit der sie arbeiteten. Und als Computer ein Begriff war, der auf Menschen aus Fleisch und Blut angewandt wurde; waren deren Körper die aus Frauen. Hardware, Software, Wetware: Von ihren Anfängen und über ihr Ende hinaus waren Frauen die Simulatorinnen, Assembliererinnen und Programmiererinnen der digitalen Maschinen«1. Insgesamt auf die Ausstellung geschaut: Wieder einmal lässt sich eine lange Geschichte der Bedeutung, aber auch der Diskriminierung und der Mehrfachdiskriminierung erzählen. Besonders bitter ist auch, dass die Kunst hier oft auch wenig Schutz geboten hat: Die frühe Auseinandersetzung mit »den Medien auf der Höhe der Zeit« gereichte den Frauen oft zum Nachteil. Sie wurden oft gar nicht an die Geräte gelassen, forschten in Nischen und zu Zeiten, wo niemand sonst Interesse hatte. An den Unis wurden sie oft schlechter beurteilt, weil das, was sie machten, ja »keine Kunst« war, während die männlichen Studierenden oft die Pioniere und Avantgardisten waren. Zusammengefasst: Die von der klassischen Kunstgeschichte und vom Patriarchat relativ unbesetzten Felder wie Fotografie, Video oder Computerkunst wurden, so gesehen, in den Anfängen für Frauen leider auch zum Bumerang. Ist das zu drastisch zusammengefasst? Wo waren die Freiheiten und Möglichkeiten? Wie seht ihr das?

Gudrun Bielz: Ich denke, Kunst von Frauen generell wurde lange als minderwertig angesehen. Es gibt etwa auch seit einiger Zeit die Aufarbeitung der Frauen im Bauhaus, die ja auch lange als die Musen und Ehefrauen angesehen wurden. Dass Frauen unterbewertet wurden, hat Tradition in der patriarchalen Geschichte vieler Kulturen. Frauen bekommen jetzt endlich Anerkennung, ihre Arbeiten und Leistungen werden sichtbar gemacht. Ich hoffe, dass die neuen rechtsgerichteten politischen Entwicklungen uns nicht wieder ‚entmachten‘, unsichtbar und klein machen werden. Computer waren künstlerische Werkzeuge, Tools. Und diese Tools haben wir weiblichen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, wir Forscherinnen und Autodidaktinnen uns auch angeeignet, modifiziert und der Welt mit einem ‚weiblichen‘ Blick zurückgegeben.

Ruth Schnell: Ja, dieses Bild trifft leider zu. Es gab – und gibt – strukturelle Ausschlüsse, subtile wie offene Formen der Entwertung. Gerade in medienkünstlerischen Kontexten wurde viel über Technik gesprochen, aber wenig über jene, die sie anders nutzten. Dass viele Frauen in der Computerkunst übersehen wurden, lag nicht an der Qualität ihrer Arbeiten, sondern an der Machtverteilung im Kunstsystem. Gleichzeitig war genau diese Randständigkeit auch ein Möglichkeitsraum. Wir mussten keine Erwartungen erfüllen. Wir konnten experimentieren, hybride Formate erfinden, mit der Maschine sprechen, statt sie nur zu bedienen. Diese Freiräume waren produktiv – aber sie waren kein Geschenk, sondern das Ergebnis von Beharrlichkeit.

STWST: Welchen Impact haben Ausstellungen wie Radical Software – ich meine hinsichtlich History, Langzeitwirkung, Archiv, also auch nach dem Ausstellungsende im Mai?

Gudrun Bielz: Es ist bestimmt wichtig für die (feministische) Kunstgeschichte und -theorie. Wichtig war, dass diese Arbeiten sichtbar gemacht und kontextualisiert wurden.

Ruth Schnell: Solche Ausstellungen verschieben Perspektiven – nicht nur rückblickend, sondern auch vorausblickend. Sie schaffen neue Referenzrahmen, bieten Verknüpfungen, schlagen Linien zwischen scheinbar entfernten Praktiken. Der Impact liegt in der langfristigen Rezeption, in Lehrmaterialien, in Archiven, in künftigen Ausstellungen. Und sie zeigen: Die Geschichte der Medienkunst war nie rein männlich, nie rein technikgläubig. Sie war komplexer – widersprüchlicher, politischer, oft auch poetischer. Diese Vielschichtigkeit sichtbar zu machen, ist eine Aufgabe, die über den Ausstellungszeitraum hinausreicht.

STWST: Ich muss am Schluss noch erwähnen, dass ihr beide Mitgründerinnen der Stadtwerkstatt seid – und wir reden da jetzt von 1979. Ihr habt die Stadt aber, meines Wissens, bald wieder in Richtung Kunststudium in Wien verlassen. Wie habt ihr Linz zwischen Kunsthochschule und Stadtwerkstatt damals empfunden?

Gudrun Bielz: Es war doch einiges möglich, die Stadtwerkstatt, dann an der Kunstuni die Klasse Ortner, die Visuelle Kommunikation. Ich hatte ja Kunsterziehung und Malerei studiert und das war wirklich sehr rückständig und korsetthaft, obwohl Dietmar Brehm ein Lichtblick war. Die Stadtwerkstatt hat mich Kunst leben lassen, Art – Life – Social Events.

Ruth Schnell: Linz war für mich damals zweigeteilt: Ich war in der Grundklasse bei Laurids Ortner – das erste Jahr war intensiv und gut. Dort haben wir uns auch kennengelernt, die die Stadtwerkstatt gegründet haben. Mein Studium der Malerei und auch der Wechsel zur Kunsterziehung waren dagegen geprägt von einem rigiden, unzeitgemäßen Kunstverständnis. Die Stadtwerkstatt war ein offener, sozialer, künstlerischer Freiraum. 1982 bin ich nach Wien zu Peter Weibel gewechselt. Aber diese Erfahrung war entscheidend: Sie hat mir gezeigt, dass sich Kunst nicht nur in der Form entscheidet, sondern im Format – im Raum, im sozialen Kontext, im Handeln.

 

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KONTEXT UND INFO

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Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991

https://kunsthallewien.at/ausstellung/radical-software/

Die Ausstellung ist von 28. Februar bis 25. Mai 2025 gelaufen.

 

Alle Panels des Radical Software Symposiums sind online:

Radical Software Symposium - alle Panels: https://www.youtube.com/playlist?list=PLXLgCOp090YZLxBcs8jW5zU8sotB65WFQ

Artists Panel: https://www.youtube.com/watch?v=2KZJ49KKvUM&list=PLXLgCOp090YZLxBcs8jW5zU8sotB65WFQ&index=11

 

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Ruth Schnell ist außerdem aktuell in der Ausstellung »THE UNEXPECTED – Enquiries on Human AI Interaction« im Interdisciplinary Lab der Angewandten in Wien vertreten:

 

THE UNEXPECTED

Enquiries on Human AI Interaction
Pamela Brenda, Patricia J. Reis, Ruth Schnell
7. Mai – 28. Juni 2025

Mehr Infos: dieangewandte.at

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[1] Zitiert aus dem Ausstellungskatalog zu Radical Software, S. 82. Die Quelle wird dort so angegeben: Sadie Plant, Zeros + Ones: Digital Women + The New Technoculture, London: Fourth Esate, 1997, S. 37