Die Nackten und die Toten

Der letzte linke Kleingärtner, Teil 18

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In einem Garten verdichten sich, wie in einem Brennglas, die großen Ereignisse der Menschheitsgeschichte ebenso wie die Extreme des eigenen Seins. Obwohl ich noch nie mit einem Gewehr geschossen habe, mit Ausnahme meiner Cowboy- und Indianerspielerei als kleiner Bub an Karneval, streife ich zurzeit zweimal täglich als Jäger durch meinen Garten und sammele fleißig Jagdtrophäen. Mit einem Küchenmesser bewaffnet, gehe ich die Gemüse- und Salatbeete ab und befördere Nacktschnecken in die ewigen Jagdgründe. In der Tat, das ist brutal und herzlos. Aber es muss sein. Wenn ich sie nicht ins Jenseits befördere, fressen sie meine zarten Rucola- und Pflücksalatpflänzchen. Entweder die oder ich.

Es ist in der menschlichen wie in der pflanzlichen Natur ziemlich gleich. In den ersten Lebenstagen sind die Geschöpfe, die auf die Welt kommen oder sich als aufgehendes Samenkorn durch den Boden gen Himmel strecken, am empfindlichsten. Sprich, sie müssen behütet und geschützt werden: Gegen Kälte, gegen Hitze und gegen Fressfeinde. Und das sind nun mal für Pflanzen unter anderem Nacktschnecken. Die gibt es im Überfluss, wenn Feuchtigkeit und Wärme sich aufs Intimste verbinden.

 

Nacktschnecke, Arion vulgaris

Arion Vulgaris (Bild: Xauxa (CC BY-SA 3.0))

 

Ehe hier jemand meine dem Leben zugewandten Gartenplaudereien aus dem Alltag an die recht lebensfremde Fraktion der Tierrechtler durchsteckt, bitte ich darum, innezuhalten. Denn was ist die Alternative? Wenn ich irgendwann Salat und Gemüse ernten will, setzt dies voraus, dass die zarten und wehrlosen Pflanzen in ihren jungen Tagen nicht weggefressen werden. Entweder bekommen die Nacktschnecken ihre Mahlzeit oder ich. Und ohne das wirkungsvolle Bekämpfen von Nacktschnecken würdest du, liebe Leserin und lieber Leser, dir weder im Supermarkt noch im politisch korrekten Bioladen Salat kaufen können. Denke mal darüber nach und dann erkennst du in mir den Helden, der ich bin.

Wer sich mal den Rücken mit Gartenarbeit wie dem Jäten und Anlegen von Beeten, wenn nicht ruiniert, so doch zumindest ramponiert hat, weiß, wovon ich rede und hat angesichts des Schicksals der armen Tiere keine Tränen der Rührung in den Augen. Wozu soll man all diese Mühen der Gartenarbeit auf sich nehmen? Doch nicht, um am Ende erntetechnisch mit leeren Händen und ohne Ergebnis dazustehen. Also mutiere ich in der kurzen Phase des Anwachsens der Nutzpflanzen lieber zum umtriebigen Jäger, der morgens und abends auf die Pirsch geht und alles wegmetzelt, was Nacktschnecke genannt wird.

Natürlich kommen trotzdem welche durch. Es wäre ein Ausdruck von klassisch männlicher Selbstüberheblichkeit, ginge man davon aus, man könne seinen Gemüsegarten nacktschneckenfrei halten. Man kann den Bestand zwar ordentlich reduzieren, muss sich jedoch soweit mit den Schnecken arrangieren als man ihre Existenz akzeptiert, ihnen aber ihre Grenzen aufzeigt.

Angesichts dessen muss ich zugeben, dass sich unter den Kleingärtnern und Kleingärtnerinnen jede Menge Flachpfeifen befinden, die schon damit überfordert sind, vom Anfang bis zum Ende ihres Gartens zu denken. Die streuen das Schneckenkorn großflächig aus und erreichen damit das gleiche wie der letzte linke Kleingärtner, der mal wieder deutlich klüger ist. Ich weiß nämlich, dass Schnecken Kannibalen sind und benötige für das gleiche Ergebnis daher nur einen Bruchteil des Materials: Man kauft sich für wenig Geld einen Zehner- oder Zwanzigersatz Schneckenfallen, die gut und gerne ein ganzes Kleingärtnerleben halten, und klemmt in jeder dieser Fallen zwei bis vier Schneckenkörner fest. Die Schnecken kommen und lecken an dem Korn, schleimen aus, die nächsten Schnecken kommen, fressen den Schleim der anderen, schleimen ebenfalls aus und so weiter. Diese Methode hat zudem den Vorteil, dass die Körner vor Regen geschützt sind und nicht von Igeln gefressen werden können, was diese bei größerer Menge verenden lassen kann.

Was meine geistig arg beschränkten Kollegen und Kolleginnen mit ihrer Bullshit-Methode »Viel hilft viel« machen, ist in etwa so, als wolle man drei während eines romantischen Tête-à-Tête angezündete Kerzen durch die Feuerwehr löschen lassen. Das Unheil nimmt dann seinen Lauf: Um auf Nummer sicher zu gehen und jede Kerzenflamme zu löschen, setzen die mit ihren Hochdruckpumpen gleich das ganze Haus unter Wasser. Die Kerzen sind dann zwar aus, aber mit der romantischen Zweisamkeit ist es ebenfalls vorbei. Das war jetzt die Geschichte, wie aus dem ursprünglich friedliebenden und handzahmen letzten linken Kleingärtner ein nimmermüder Nacktschneckenjäger wurde. Und jetzt freue ich mich auf große, üppig hergerichtete Salate aus dem eigenen Garten. Wohl bekomm‘s. 

Drei Praxistipps:

1. Nacktschnecken musst du jagen: Entweder bekommen die oder ich den Salat.
2. Übertreibe es nicht mit der ökologischen Reinheit: Ein bisschen Chemie im Gemüsegarten kann durchaus hilfreich sein.
3. Babys und junge Pflanzen brauchen deinen Schutz. Kümmere dich um sie.

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Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), einer allgemeinpolitischen NGO in Deutschland, die bundesweit arbeitet, u.a. zu Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus, Fairer Handel. Er mag den Begriff „Hobby“ nicht und lebt einen Teil seines Lebens als aktiver Fußballfan. Die Gartenkolumne erscheint auch in der Luxemburger Wochenzeitung WOXX .