Looking for a Way Out?

Aileen Derieg sortiert digitale Bedürfnisse und zeigt auf, wie sie abseits von Big-Tech zu befriedigen sind.

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In der ersten Reihe bei der Angelobung des 47. Präsidents der Vereinigten Staaten am 20. Jänner 2025 standen die Chefs von Google, Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp) und Amazon, während der Chef von Twitter (aka X) auf der Bühne mit einem Hitlergruß feierte, dass er sich die Macht des Präsidentenamts erkauft hatte. Spätestens da zeigte sich, dass es höchste Zeit ist, sich von diesen kommerziellen Internetdiensten zu verabschieden. Das Ziel ist also klar, aber wie findet man den Ausgang?

In diversen Medien kursieren Empfehlungen für Alternativen, als ob es genügen würde, wenn sich alle für die nächste Plattform entscheiden und gemeinsam umziehen. Dann landen unzählige neue Personen bei meistens sehr großen Mastodon-Instanzen und sind verwirrt oder irritiert, weil ihre vielen Followers fehlen und sie ihre Lieblingsaccounts von Twitter nicht finden. Vielleicht ist aber »Was sind Alternativen?« einfach die falsche Frage. Die Frage nach Bedürfnissen und Erwartungen könnte zielführender sein.

 

Bild: Public Domain

 

Besteht die Erwartung, ob bewusst oder nicht, dass man einfach einen Account auf einer anderen Webseite anlegen kann, um gleich mit denselben hundert oder tausend Followers und liebgewonnenen Twitter- oder Instagram-Accounts in Verbindung zu sein, wird diese Erwartung ganz sicher enttäuscht. Von kommerziellen Plattformen ins »Fediverse«1 umzusteigen, bedarf erst einiger Vorentscheidungen, die wiederum etwas Grundsatzwissen voraussetzen. Um sich für eine Instanz zu entscheiden, muss man zumindest eine Ahnung haben, was ein Server ist. Doch durch die jahre- oder jahrzehntelange Benutzung kommerzieller Plattformen haben wir eine gewisse Hilflosigkeit antrainiert. Als Facebook, ursprünglich eine Plattform, um die sexuelle Attraktivität von Studentinnen zu bewerten, für die Allgemeinheit geöffnet wurde, sind viele, nicht unbedingt tech-affine zivilgesellschaftliche und gemeinschaftliche Initiativen aufgesprungen, weil es einfach war und man keine technischen Vorkenntnisse brauchte, um eine Gruppe zu organisieren und mehr Menschen erreichen zu können. »User-friendly« wurde zwar als Vorteil gepriesen, aber in Wirklichkeit bedeutet diese leichte Bedienbarkeit eine Entmachtung, eine Infantilisierung. Wir müssen nichts wissen, nichts verstehen, sondern nur »bedienen«. Diese angelernte Hilflosigkeit steht nun im Weg, sodass es dann heißt, ein Umstieg sei »zu kompliziert«.

Dazu kommt, dass kommerzielle Plattformen, die vordergründig Menschen miteinander verbinden, tatsächlich individualisierend wirken. Wir sind nicht mehr auf Expert*innen angewiesen, wir können alles selber machen – von Bankgeschäften über Reiseplanung bis hin zu medizinischen Ratschlägen und bürokratischen Anmeldungen. Das Ergebnis ist, dass sich immer mehr Menschen einfach erschöpft und überfordert fühlen. Wie schön wäre es, wenn wir alle diese Aufgaben einfach delegieren, auslagern könnten. Und schon treten KI-betriebene Virtual Assistants auf den Plan. Auch wenn ChatGTP, Siri, Alexa & co das Leben vordergründig erleichtern können, stehen im Hintergrund auch schwerwiegende Nachteile, zum Beispiel Datenklau, Verletzung der Privatsphäre und der enorme Verbrauch an Energie und Ressourcen, um KI-Systeme zu betreiben. Wie finden wir hier einen Ausweg?

Statt uns zu fragen, wie wir mit den vielen Anforderungen und der Flut an Information zurechtkommen, könnten wir mit der Frage anfangen: Was sind tatsächlich unsere Bedürfnisse?

Will ich vorwiegend einfach mit Freund*innen und Verwandten in Kontakt bleiben? Will ich meine künstlerische Arbeit bekannt machen? Suche ich einen Austausch mit Wissenden und Gleichgesinnten zu bestimmten Themen? Will ich hauptsächlich über lokale Veranstaltungen und Aktivitäten informiert werden? Will ich bei bestimmten politischen Entwicklungen einfach mitlesen? Suche ich Community?

Um diese unterschiedlichen Bedürfnisse abzudecken, gibt es keine einheitliche Lösung, sondern unterschiedliche Möglichkeiten. Aber wenn wir einmal wissen, was wir eigentlich wollen, wird es schon etwas weniger kompliziert.

Servus.at2 ist eine seit den 90er-Jahren bestehende Netzkultur-Initiative in Linz, die aus den frühen multimedialen Experimenten der Linzer Freien Szene in den 80er- und 90er-Jahren entstanden ist und heute notwendige Infrastruktur für künstlerische und gesellschaftspolitische Arbeiten bereitstellt. Schwerpunkte sind FOSS (free open source software), Schutz der Privatsphäre und ein kritischer Umgang mit Technologie. Als Netzkultur-Initiative hat servus keine Kund*innen, sondern Mitglieder, und die Tools3, die servus den Mitgliedern zur Verfügung stellt, sollen nicht einengen oder etwas vorgeben, sondern ermöglichen.

Zurück zum Anfang: Wie finden wir einen Ausweg aus den »Walled Gardens« kommerzieller Social-Media-Plattformen?

Auch wenn es manchmal so ausschaut, als ob es nicht möglich ist, ohne Google im Internet unterwegs zu sein, gibt es durchaus Alternativen. Servus stellt allen Mitgliedern Emailadressen und Nextcloud4 zur Verfügung, um Grundbedürfnisse abzudecken. Darüber hinaus bietet servus auch die Einrichtung von Mailinglisten5 an, eines der frühesten Tools für Organisation und Austausch. Zur Selbstdarstellung von Initiativen, Organisationen, Vereinen, Kunstschaffenden uvm. stehen Webspace und Newsletter zur Verfügung. Eine Website oder ein Newsletter sind zwar keine neuen Kommunikationsmöglichkeiten, aber sie werden wieder wichtiger, da kommerzielle Plattformen immer weniger vertrauenswürdig sind. Immer mehr Musikschaffende und unabhängige Journalist*innen, zum Beispiel, greifen jetzt auf Newsletter zurück, um sicherzustellen, dass ihre Arbeit ein interessiertes Publikum erreicht, was auf Werbung ausgerichtete Algorithmen keineswegs garantieren können.

Neben diesen erprobten, wieder in Mode kommenden Tools, ist servus auch bestrebt, die tatsächlichen Bedürfnisse der Mitglieder mit neuen Möglichkeiten abzudecken. Eine davon ist die Mastodon-Instanz social.servus.at.6 Mastodon ist eine sogenannte Microblogging-App, mit der kurze Texte (mit oder ohne Bilder) geteilt werden können. Da Mastodon keine zentrale Plattform ist, laufen Mastodon-Instanzen dezentralisiert auf vielen eigenen Servern, können aber mit allen anderen Mastodon-Instanzen wie auch mit anderen Fediverse-Apps, wie z.B. Pixelfed, interagieren. Jede Instanz hat eigene Verhaltensregeln und Schwerpunkte. Weil social.servus.at für Mitglieder von servus eingerichtet wurde, drehen sich viele Posts um Linz und kritische Netzkultur. Wer einen Account bei social.servus.at einrichtet, kann Posts von anderen servus-Mitgliedern in der »Local Timeline« lesen, aber auch Posts von Accounts auf anderen Instanzen folgen.

Für Leute, die etwa von Twitter kommen, wird manches gewöhnungsbedürftig sein. Von Menschen, die mit anderen interagieren wollen, wird erwartet, dass sie sich zunächst in der Bio kurz vorstellen und eigene Interessen benennen. Wenn man sich mit dem ersten Post kurz vorstellt und Hashtags wie #NeuHier oder #Intro verwendet, wird man schneller von anderen Accounts aufgenommen. Auf Mastodon wird außerdem erwartet, dass Bilder mit Alt-Text, kurzen Bildbeschreibungen, versehen werden. Durch Alt-Text können Menschen, die Screenreader verwenden, sich am Austausch besser beteiligen, aber Alt-Text ist nicht bloß ein Zugeständnis an sehbehinderte Menschen. Manche Menschen, die sich mit Bilder-Lesen eher schwertun, schätzen Alt-Text ebenfalls, und viele merken, dass sie durch die Formulierung von Alt-Text um einiges bewusster mit Bildern umgehen.

Mit Hashtags, denen man folgen oder die man stumm schalten kann, oder mit Listen, die man nach eigenem Bedarf gestalten kann, lässt sich besser bestimmen, was und wie viel davon man aufnehmen will. Das könnte als umständlich oder kompliziert betrachtet werden – oder als eine Chance, die Kontrolle zu übernehmen.

Seit Anfang des Jahres bietet servus nun auch eine weitere Möglichkeit, um den Austausch unter den servus-Mitgliedern zu fördern: Clusters.7

Clusters ist eine Diskussionsplattform auf Basis der Open-Source-Software Discourse8. Diskussionen lassen sich in verschiedenen Kategorien organisieren, um einen besseren Überblick zu behalten, doch diese Kategorien können je nach Bedarf auch ergänzt werden. Ebenso lassen sich Kategorien einrichten, die nur für bestimmte Gruppen zugänglich sind. In einer Kategorie wird die Mailingliste LOOP für Mitglieder der servus/AMRO Community gespiegelt, wo Mitglieder sich frei entscheiden können, ob sie lieber auf der Plattform oder via Email reagieren wollen. Dadurch, dass Clusters textbasiert ist, können auch die persönlich bevorzugten Übersetzungsdienste verwendet werden (obwohl wir von Google Translate selbstverständlich abraten), um mögliche Sprachbarrieren zu überwinden.

Andere, bereits bestehende Kategorien sind z.B. »Skill-Sharing«, wo Mitglieder nachfragen können, ob andere schon mehr Erfahrung mit Mastodon, Listmonk oder anderen Tools haben. Veranstaltungen können in der Kategorie »What’s Happening?« gepostet werden, wo im Gegensatz zur Signal-Gruppe »Seitenblicke« Fragen oder Kommentare durchaus erwünscht sind. Andere Kategorien sollen die Vernetzung und den Austausch unter servus-Mitgliedern9 fördern. Dieses Ziel ist wichtig, weil servus.at kein Dienstleistungsbetrieb, sondern ein Teil des Linzer Kulturlebens ist und bleiben will.

Wenn wir einen Ausweg aus den »Walled Gardens« der großen, US-amerikanischen Medienkonzernen suchen, führt die Suche nach dem »Next Big Thing« nur in eine Sackgasse. Lokal und gut vernetzt bleibt unsere beste Hoffnung: The Future is Federated.

Der Titel des Textes verdankt sich der Betreffzeile eines servus Newsletters vom 17.02.2025, verfasst von Aimilia Liontou.

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Als Reaktion auf Elons Musks politische Einflussnahmen wurde die EscapeX-Kampagne initiiert, die das Verlassen des Kurznachrichtendienstes X erleichtern soll. Eine der beteiligten Initiativen ist BAN X in EU, die eine Petition für das Verbot der Plattform in Europa zum Ziel hat:

https://www.change.org/p/ban-x-in-europe-elon-musk-must-be-stopped-in-eu

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