Pathische Projektionsmaschinen

Seit Donald Trumps Amtsantritt wurde die Inhaltsmoderation auf Online-Plattformen erheblich eingeschränkt; angesichts bestehender Alternativen plädiert Barbara Eder für einen Totalboykott.

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Noch am Tag seiner Vereidigung unterzeichnete Donald Trump die »Executive Order 14149«, lautend auf »Restoring Freedom of Speech and Ending Federal Censorship«. Dieses Dekret beinhaltet keine direkten Vorschriften für die Regulation von Inhalten auf privaten Online-Plattformen, enthält aber Richtlinien für die Nutzung derselben durch staatliche Stellen. Letzteren wird fortan untersagt, die »Meinung« von US-Bürger:innen einzuschränken – sie darf selbst dann unzensiert erscheinen, wenn sie sich in rassistischen, sexistischen und (neo)faschistischen Ressentiments erschöpft. Das Löschen derartiger Postings gehörte bislang zum Tagesgeschäft von Content-Modera-tor:innen – und solange diese nicht im Auftrag staatlicher Stellen handeln, solle ihnen das auch weiterhin möglich bleiben. Die wirtschaftlichen Verflechtungen der führenden Figuren in Trumps Regierungskabinett lassen jedoch vermuten, dass genau dies zur Disposition steht.

 

Bild: Public Domain

 

Kurz nach Donald Trumps Amtsantritt regte sich bei dessen Verantwortlichen für »Regierungseffizienz« mehr als nur Tatendrang. Zweimal hintereinander hob Elon Musk während einer Rede vor jubelnden Trump-Anhänger:innen in der Capital One Arena in Washington den rechten Arm mit ausgestreckter Hand nach oben. Die Geste ist eindeutig: Musk zeigte vor begeistertem Publikum den Hitlergruß. Dass er zuvor die Hand auf die linke Brust gelegt und damit verkündet hatte, er werfe dem Publikum sein Herz zu, ändert wenig daran – dieselbe Bewegung ist auch von Hitler dokumentiert. Der »Führergruß« des Plattformunternehmers kam nicht von ungefähr: Schon seit längerem dient Musks X ultrarechten Parteien als Werbetrommel, AfD und Fratelli d’Italia verbreiten ihre rassistische und antisemitische Hetze millionenfach über ihre dortigen Accounts. Der reichste Mann der Welt, so macht es den Anschein, wollte nicht einfach nur provozieren; sein »Gruß ans Volk« war eine bewusste Demonstration dessen, was in Zukunft »Freedom of Speech« heißen könnte. 

Donald Trump – Milliardär qua Geburt, Reality-Star, gescheiterter Immobilienmogul und in den Augen vieler Anhänger:innen eine Art politischer Messias – hat sich zu Beginn seiner zweiten Präsidentschaft einen besonders mächtigen Mitstreiter gesucht. Musk, SpaceX-Gründer und selbsternannter Vordenker einer technologisch beschleunigten Zukunft, inszeniert sich neuerdings nicht nur als Unternehmer, sondern auch als politischer Akteur mit Sendungsbewusstsein. Im Auftrag Trumps sollte er den staatlichen Verwaltungsapparat umbauen – durch ein Netzwerk von treu ergebenen Gefolgsleuten. »Is anybody unhappy with Elon?«, fragte Trump während seiner (bzw. Musks) Inauguration im Duktus des American Showman; er brüstete sich damit, dass seine Kabinettsmitglieder es mit Tech-Entrepreneuren zu tun hätten, die über Millionen Follower auf den von ihnen kontrollierten Plattformen verfügten und dafür bekannt sind, jeden anzugreifen, der es wagt, ihnen zu widersprechen. Neben Musk ist Vizepräsident J. D. Vance der zweite Mann an seiner Seite. Er gilt nicht nur als Sprachrohr des Kremls, sondern auch als jemand, der offen Sympathien für die rechtsradikalen Positionen der AfD hegt.

In Oligarchien ist die enge Verflechtung von Ökonomie und Politik kein Ausnahmefall; der Einfluss der Trump-Regierung auf die US-dominierte Plattformindustrie ist ihres Gewichts wegen dennoch der Erwähnung wert: Darauf, dass der META-Konzern nach Trumps Amtsantritt die Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Faktenprüfer:innen eingestellt hat, hat die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin und nunmehrige Whistleblowerin Frances Haugen bereits im Vorfeld des Wahlsieges hingewiesen; die Folgen reduzierter Inhaltsmoderation machten sich schon dazumal auf Facebook bemerkbar. Der META-Konzern hatte seine Regelungen zur Hassrede geändert: Trans Personen oder andere queere Menschen dürfen von nun an als »psychisch krank« oder »abnorm«, Frauen mit »Haushaltsgegenständen, Besitz oder anderen Objekten« verglichen werden; LGBTIQ-Inhalte für Jugendliche wurden durch META-Apps monatelang blockiert. Seither schreitet der Umbau unter dem proklamierten Bekenntnis zur »Meinungsfreiheit« voran – mit prominentem Vorbild: Kurz nach der Übernahme von Twitter im Sommer 2023 hat Elon Musk bewiesen, wie schnell sich ein »soziales Medium« in den Lieblingsort von Rechtspopulist:innen und russischen Bots verwandeln lässt. Während Faktenchecks für den META-Konzern in den USA gezielt heruntergefahren werden, dürfen Faktenchecker:innen EU-weit vorerst weiterarbeiten – der Digital Services Act (DSA) bietet ihnen die Möglichkeit, gezielt gegen Hassrede vorzugehen: Was die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, muss, wenn es von Nutzer:innen gemeldet wird, demnach auch gelöscht werden. Daher hat die Europäische Kommission TikTok zuletzt ange-wiesen, alle Daten bis zum 31. März 2025 zu speichern. Diese Maßnahme wurde im Rahmen des DSA ergriffen, um potenzielle Beweise für Desinformationskampagnen und Falschmeldungen zu sichern. Anlass war der Verdacht, dass bei der rumänischen Präsidentschaftswahl im November 2024 Wahlmanipulationen im großen Stil vorlagen – der rechte Kandidat Călin Georgescu hatte sich überraschend erfolgreich gezeigt.

Noch bevor sich Faktchecker:innen aus Europa ans Werk machen, passieren Social-Media-Inhalte ganz andere Stellen: Im Dokumentarfilm The Cleaners haben Hans Block und Moritz Riesewieck fünf Frauen aus Manila bei ihrer Tätigkeit als commercial content moderators (CCM) begleitet, die im Auftrag eines Subunternehmens von META arbeiten.
In einem Cleaningcenter auf den Philippinen – einer der letzten christlichen Kolonien in Ostasien – sehen sie täglich Bilder von Bombenan-schlägen und Enthauptungen, Gewalt im Drogenkrieg, Spam, pornografische Bilder aus globalen Sexindustrien, Selbstmordnachrichten und Hilferufe von allen erdenklichen Orten der Welt. Sie werden zu Dumpinglöhnen beschäftigt und leiden aufgrund ihrer Tätigkeit oft an posttraumatischen Belastungsstörungen.

Dafür, dass ein Medium Massage bleibt – wie der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan sich zuletzt eingestehen musste –, wird weltweit viel an Arbeitskraft vernutzt. Auch die Sender:innen plattformbasierter Postings haben daran Anteil: Mit contentzentrierten Simulationen weben sie mit an einer neuen Form von »Wirklichkeit«, die nach und nach in den Alltag einsickert. Vielleicht werden wir schon in wenigen Jahren an einem Punkt angelangt sein, wo sich diese Realität nicht mehr als digitales Erzeugnis kennzeichnen lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir dann noch in einer gemeinsamen Welt leben, wäre äußert gering. »Wir haben jetzt eine US-Regierung, die stolz auf unsere führenden Unternehmen ist, die der amerikanischen Technologie Priorität einräumt und die unsere Werte und Interessen im Ausland verteidigen wird«, hat Mark Zuckerberg kurz nach Trumps Amtseinführung zu verstehen gegeben; in der Gegenwart kommen selbst soziologische Theorien –  so etwa die der »gesellschaftlichen Singularitäten« von Andreas Reckwitz – den »Singletons« aus dem unheimlichen Tal des Silicon Valley gefährlich nahe.

Im Kapitalismus ist jede Ware ein schillernd‘ Ding – übersinnlich, weil Sinnlichkeit nur simulierend. Nicht anders verhält es sich mit dem Content, den seine im Dienst des Kapitals operierenden Apparaturen transportieren: Wäre das Medium tatsächlich die Message, dann bestünde diese aus nichts weiterem als aus Datenformaten, Zahlencodes und den Inhalten von Kommunikationsprotokollen – den unsichtbaren Steuerungselementen, die unter der Oberfläche den Fluss von (visuellem) Content regeln. Wer sie zu lesen versteht, kann innerhalb weniger Stunden einen eigenen Signal-Server aufsetzen. Doch das bleibt bis auf weiteres die Ausnahme: Die Mehrheit aller Nutzer:innen verliert sich im Dickicht bildlastiger Inhalte und in der Rasanz von abgefeuerten Tweets. Seit Twitter zu X wurde, nehmen die Abwanderungsbewegungen zwar zu, doch nicht alle, die gehen, bleiben dauerhaft weg. Erst ein massenhafter Exodus hätte transformative Wirkungen – und wann, wenn nicht jetzt, wäre es dafür an der Zeit!  

Bereits die Rollenverteilung zwischen Gefolgschaft und Feed-Verfolgern verweist auf die dahinterliegende, asymmetrische Kommunikations-ordnung, sie ist dem technischen Modell von Server und Clients nachempfunden. Kommen Bilder an der Oberfläche ins Spiel, übernimmt das sprechende Porträt nicht selten die Funktion eines medialen Über-Ichs. »Gewählt« – im Sinne von »geklickt« – wird fortan, was den eigenen Interessen diametral entgegensteht – infolge eines »Aufgehens« im falschen Ideal: Der von Adorno und Horkheimer freigelegte Mechanismus pathischer Projektion sieht es nicht nur vor, eigene Ohnmachtserfahrungen bei Bedarf auf den Nächstschwächeren abzuwälzen, auch Handlungsfähigkeit und politisches Wollen können dem imaginierten Anderen projektiv zugeschrieben werden. Das Prinzip des »delegierten Genießens« (Slavoj Žižek) scheint auf Online-Plattformen perfekt zu funktionierten – und im schlimmsten Fall führt es zum Appell »Führer, befiehl, wir folgen«. Am 20. Januar dieses Jahres hat Elon Musk im Oval Office der Capital One Arena in Washington den Hitlergruß gezeigt. Seinen Propagandakanälen zu folgen, ist seither mehr als Zeitverschwendung; es ist vor allem eines: ein Akt der Barbarei.

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