Das zweite Hauptstück im Band I, Teil III handelt vom Fortschreiten der journalistischen Profession, und von den Hauptmitteln dazu.
Welche Mittel tragen am meisten zum Fortschreiten bei?
Die sechs folgenden: Die Versammlung, die Herzensfriedung, der Inkubator, die Selbstverleugnung, die Seichtmuth; endlich die
vollkommene Ergebung.
Wie und wodurch soll man sich sammeln?
Ob Sauschädelessen, Törggelen oder Hintergrundgespräch vorm Kamin hinter den Wäldern: Geselligkeit ist eine journalistische Tugend. In informeller Atmosphäre kommen sich Subjekte und Objekte von Berichterstattung zwanglos näher.
»Ich hab grad‘ mit dem Gemeinderat in der Salettl-Bar einen Kir Royal g‘nommen – natürlich auf seine Rechnung … Was? Das ist der mit den Kickback-Zahlungen? Also, das kann ich nicht glauben … auf mich macht der so einen soliden Eindruck … Außerdem hat er mich eing‘laden, ihn Pfingstsonntag auf die Jagd zu begleiten … Wenn ich die Reportage dazu als Aufmacher unterkrieg‘, können die Kollegen brausen geh‘n … Unethisch? Aber geh … Du hast seine Nummer doch auch sicher eing‘speichert, oder?«
Auf welche Weise wird die Friedung des Herzens gehörig begründet und bewahrt?
Durch Preise, Thementage und überhaupt Würdigungen aller Art verpanzert sich das journalistische Herz in seligem Frieden: Bescheidenheit ist eine Zier, an die Spitze schaffst du‘s ohne ihr – fama omnia vincit! Die Konkurrenz aber ist groß und die Chance, ausgezeichnet zu werden, eo ipso gering – wer in Österreich bei Journalist des Jahres, Horst-Knapp-Preis, Concordia-Preis, Prälat-Leopold-Ungar-JournalistInnenpreis, Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreis, Österreichischem Zeitschriftenpreis, Robert-Hochner-Preis, Kurt-Vorhofer-Preis oder Claus-Gatterer-Preis leer ausgeht, kann sich am Welttag der Pressefreiheit mit einem (oder mehreren) der zahlreichen feelgood-movies über journalistischen Heroismus trösten und in der eigenen erträumten Anerkennung schwelgen – oder spornstreichs in die Literatur wechseln, wo die Preis-Palette reichhaltiger ist.
Worin besteht der Inkubator?
Im Journalismus mangelt es nicht an Nachwuchs – was auch daran liegt, dass es sich um keine geschützte Berufsbezeichnung handelt, und die Nivellierung Richtung Grasnarbe durchaus im Interesse der powers that be ist.1 Wer dagegen Publizistik studiert, tut gut daran, Eltern zu haben, die eine Zeitung gründen (bzw. erwerben) können oder muss sich selbst berufliche eine Kate zimmern.2 Bevor für die Sprösslinge allerdings das Gerangel um unbezahlte Volontariate oder Praktika losgeht – wo erstmals die Unterweisung in die Erzeugung jenes geistigen Sägemehls stattfindet, das nach dem späteren Wechsel in die freiberufliche PR das Arbeitsleben ausfüllt –, muss die journalistische Reservearmee erstmal rekrutiert werden. Was bei der Kriegskonskription das Abfüllen mit Branntwein, ist im Journalismus das workshopping, das als Destillat aus den »Akademien« sickert.
Was erfordert die Selbstverleugnung?
Die summa neglectio gegenüber der eigenen Position: Jede ernstzunehmende Journalistin würde zwar ein Kommunikationsschema als unzureichend bezeichnen, das sich – wie das Shannon-Weaver-Modell – mit einem Sender und einem Empfänger begnügt. Zugleich wähnt sie sich aber als jenes Infinitesimal, das die Übertragung störungsfrei gewährleistet: Schrödingers Katze ist weder tot noch lebendig – sie ist not even in the building.
Was wird unter dem Geiste der Seichtmuth verstanden?
Erstens die Leichtigkeit gegenüber allen Pflichten des geselligen Lebens, welche keine Bitterkeit im Pressmenschen aufkommen lässt: Egal ob im Stahlbad von Onlinekommentaren, »Leserdialogen«, »Live-Chats« oder sonstigen Emanationen der »Community«-Fron bleibt die Seichtmüthige gelassen wie Butter und sollte das Joch doch einmal zu schwer werden, gibt es empathogene Linderung (MDMA oä).
Zweitens eine unüberwindliche Standfestigkeit in allen Widerwärtigkeiten, wie sie die Chefredaktion gelehrt hat: Geh, ich sende euch wie Aufdecker mitten unter die Hütchenspieler.
Worin besteht die vollkommene Ergebung?
Wie soll eine vollkommene Resignation den Journalismus voranbringen? Nachdem beständig von einem »Krieg gegen den Journalismus« die Rede ist, würde eine Kapitulation derer, die tatsächlich unter Beschuss sind, den Kolleginnen und Kollegen helfen, die das Ganze vom Bunker aus beobachten – die einen liefern den moral highground (etwa aus dem Straflager), auf den sich die anderen stellen, um mehr Reichweite zu generieren. Waiter, the double-check, please!
Das nächste Hauptstück handelt von dem übernatürlichen oder außerordentlichen Wege.
Bonus-Sentenz I: Journalismus verhält sich zu »Social Media« wie Kant zu De Sade. Das klingt löblich – als wäre er the cool side of the pillow –, verbände beide nicht ein objektiver Wahn: Richtstuhl der Vernunft und Folterkammer des Fleisches gieren beide nach Clicks.
Bonus-Sentenz II: In einer weniger unvernünftigen Welt würden Menschen für die Aussage »Österreich verliert den Anschluss in der KI-Kompetenz« mit Exkrementen beworfen werden.