Rund 500 Menschen haben sich im Pollheimerpark in Wels vor dem Jüdischen Mahnmal versammelt. Sie sind am 6. November der Einla-dung der Welser Initiative gegen Faschismus gefolgt und gedenken 85 Jahre nach der Pogromnacht vom 9. auf 10. November 1938 der jüdischen Opfer, die verfolgt, misshandelt, verschleppt und ermordet wurden. Überall in Österreich und Deutschland haben Nationalsozialisten Geschäfte von Jüd*innen geplündert und Synagogen in Brand gesetzt. Das diesjährige Pogromnachtgedenken stand aber auch im Zeichen aktueller Ereignisse: des Angriffes auf Israel und des Antisemitismus heute. Hauptredner Bundespräsident Alexander Van der Bellen stellte klar, dass die »Antwort auf Antisemitismus jeglichen Ursprungs hart, klar und unmissverständlich« sein müsse. Seine Teilnahme an der Gedenk-Kundgebung hat im Vorfeld viel Aufmerksamkeit erhalten. Für die Veranstalter*innen war sie eine Ehre, für den FPÖ-Bürgermeister Andreas Rabl ein Ärgernis.
Dieser empfing den Bundespräsidenten jedenfalls nicht und erteilte der Präsidentschaftskanzlei als Antwort auf ihre Anfrage eine Abfuhr. Rabl hatte einen anderen Termin. Eine Reise nach Moldawien, wo er im Auftrag des Europarates als Wahlbeobachter für einen »reibungslosen Ablauf« der dortigen Kommunalwahlen beitragen sollte. Warum gerade ihm diese Aufgabe zuteil wurde, darüber wird in Wels gerätselt. Die Reise bietet jedenfalls wieder Anlass, um über mögliche Zukunftspläne Rabls zu munkeln, nämlich eine aktive Rolle in der Bundespolitik.
Zwei Kundgebungen
Die Teilnahme Van der Bellens an der Kundgebung verärgerte Rabl ohne Zweifel, denn die Welser Antifa würde die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt Wels immer wieder »mit Interventionen torpedieren«, beklagte er gegenüber den OÖN. Richtig gelesen: In Wels gibt es zwei Kundgebungen zum Gedenken an die Pogromnacht. Zwei Tage nach der Veranstaltung der Welser Zivilgesellschaft lud ausgerechnet der FPÖ-Teil der Stadtregierung in den Pollheimerpark zur Kranzniederlegung beim Jüdischen Mahnmal. Laut Rabl sei das Gedenken immer eine offizielle Veranstaltung der Stadt gewesen. Als FPÖ-Bürgermeister, der sich durchaus liberal-bürgerlich präsentieren möchte, scheut er wohl davor zurück, mit dieser Tradition zu brechen.
Mit seiner Annahme liegt er allerdings falsch: das Pogromnacht-Gedenken ist originär keine städtische Veranstaltung, sondern wird seit 25 Jahren von der Welser Initiative gegen Faschismus durchgeführt. Von 2001 bis 2015 fand sie in Kooperation mit der damaligen SPÖ-dominierten Stadtregierung statt. Mit dem Machtwechsel von Rot zu Blau hat die Welser Initiative diese Kooperation beendet. »Für uns ist es unmöglich und unglaubwürdig, dass ein freiheitlicher Bürgermeister mit uns ein Gedenken durchführt. Jemand, der Mitglied einer Partei ist, die sich derartig viele rechtsextreme ‚Einzelfälle‘ leistet«, begründet der Vorsitzende Werner Retzl die Entscheidung. Eine gemeinsame Kundgebung wäre eine Verhöhnung der Holocaust-Opfer.
Der Welser Antifa gehe es um ein »ehrliches Gedenken«, sagt Retzl. »Wir wollen ein Gedenken, das sich nach so vielen Jahren als das erweist, was es sein soll: ein Annähern an die Opfer, an die Geschehnisse, und nicht ein plumpes Sich-Hinstellen, um der Sache genüge
zu tun.«
Kranzniederlegung bei der Gedenkveranstaltung der Welser Zivilgesellschaft (Bild: Welser Antifa)
Plump wirkt vor allem die wortgleiche Presseaussendung, mit der die Stadt Wels in den vergangenen Jahren die »offizielle« Gedenk-Kundgebung angekündigt hat. Jedes Jahr das Motto »Niemals vergessen« und jedes Jahr setze man »erneut ein Zeichen für das Erinnern und gegen das Vergessen«. Ausgetauscht wird lediglich das Datum.
Blaue Parallelwelten
Soweit die Geschichte hinter der Entstehung von zwei Gedenk-Kundgebungen in Wels. Sie reiht sich an Ereignisse, die vom versuchten Aufbau blauer Parallelstrukturen in der Stadt zeugen. Vom Versuch einer Schwächung der Zivilgesellschaft. Etwa im Fall des FreiRaum Wels, dem der Bürgermeister im Herbst 2020 die städtische Subvention entzog. Dem Projekt stand das Aus bevor, während zeitgleich ein FPÖ-naher Verein in die Öffentlichkeit trat, der dem FreiRaum Konkurrenz zu machen drohte. Dass der FreiRaum immer noch existiert und heute sogar größeren Zuspruch erhält, ist dem unermüdlichen Engagement des ehrenamtlichen Vereinsvorstands sowie den vielen Unterstützer*innen zu verdanken.
Als das Medienkulturhaus Wels im Vorjahr neu ausgeschrieben wurde, schien sich die Geschichte zu wiederholen (siehe auch Versorgerin #138). Neben dem bestehenden MKH hatte es eine Einreichung aus dem Umfeld des lokalen Fernsehsenders WT1 gegeben. Die Nähe von beteiligten Personen zur FPÖ ließ bei den Unterstützer*innen des MKH die Alarmglocken schrillen. Ein weiterer Versuch, unabhängige Initiativen zu verdrängen. Zwar gelang es auch dieses Mal nicht, doch in beiden Fällen – FreiRaum und MKH – mussten die Beteiligten viel Energie und Ressourcen für die Rettung ihrer Projekte aufwenden, anstatt sich auf den tatsächlichen Vereinszweck fokussieren zu können: unabhängige Kulturarbeit und die Ermöglichung von zivilgesellschaftlichen, kreativen Räumen. Beides muss in einer Stadt wie Wels immer wieder neu erkämpft werden.
Geld für Gedenken
Zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt beweist das Pogromnacht-Gedenken der Welser Initiative gegen Faschismus, das von Kirchen, den Gewerkschaften sowie mehr als 40 Organisationen mitgetragen wird. Aus den politischen Reihen waren dieses Jahr Vertreter*innen von SPÖ, ÖVP, Grünen, NEOS und KPÖ vor Ort. Schüler*innen des BRG Wallerstraße lasen zudem die Biografien jüdischer Opfer aus Wels vor.
Schüler*innen hätte Bürgermeister Rabl lieber zwei Tage später bei der Kundgebung der Stadt Wels gesehen und dafür sogar Geld angeboten: 200 Euro für Schulprojekte hätten Schulklassen für ihre Teilnahme erhalten sollen. Dubios, ungeheuerlich, der falsche Weg, eine Instrumentalisierung von Schüler*innen – so die Kritik der politischen Mitbewerber*innen. 200 Euro, um Teilnehmer*innen für eine von Beginn an schwach besuchte Veranstaltung anzulocken. Schlussendlich ging das Vorhaben nicht auf. Die Bildungsdirektion hat das Ansuchen der Stadt abgelehnt und die Kundgebung nicht als Schulveranstaltung genehmigt.
Judenhetzer auf Straßenschildern
Während der Gedenkveranstaltung der Welser Antifa wurde indes der Umgang der FPÖ mit der NS-Vergangenheit offen gelegt: »Während wir hier der jüdischen Opfer gedenken, wird wenige Kilometer entfernt auf Straßenschildern glühender Judenhetzer und NS-Verbrecher gedacht«, so Antifa-Vorsitzender Retzl in seiner Rede. Er spricht damit die Debatte um Straßenumbenennungen in Wels an. »Judenhetzer und NS-Verbrecher haben im Straßenbild definitiv nichts verloren!«
Konkret geht es um drei Straßen in Wels, die nach Franz Resl, Karl Heinrich Waggerl und Richard Kuhn benannt worden sind. Resl, der auf dem Straßenschild verharmlosend als »Mundartdichter und Humorist« bezeichnet wird, war ein glühender NS-Propagandist. Er war bereits ab 1933 illegales NSDAP-Mitglied und später Ratsherr in Linz. Seinen Judenhass verpackte er in Mundartgedichte. Auch nach dem Krieg blieb er seiner antisemitischen Grundhaltung treu. Ein Straßennamenbericht des Stadtarchivs vom Juli 2023 führt Resl gemeinsam mit Karl Heinrich Waggerl und Richard Kuhn in der Kategorie »erheblicher Diskussionsbedarf« an. Waggerl war als Mitglied im Bund Deutscher Schriftsteller Österreichs »in die NS-Literaturpropaganda voll integriert«, heißt es darin. Richard Kuhn beteiligte sich als Chemiker in der NS-Forschung und entwickelte ein militärisches Kampfgiftgas.1
SPÖ, Grüne und NEOS haben einen gemeinsamen Antrag für die Umbenennung dieser drei Straßen in die Gemeinderatssitzung vom
23. Oktober eingebracht. Straßennamen seien eine »wirkmächtige Form der Anerkennung von Personen«. Es handle sich um eine »Ehrung durch permanente Präsenz im öffentlichen Raum«. Für NS-Verbrecher darf es eine solche Präsenz nicht geben. Doch wird sie in Wels noch weiterhin bestehen, denn FPÖ, ÖVP und MFG haben den Antrag mit ihrer Stimmenmehrheit abgelehnt.
Zusatztafeln beschäftigen den Gemeinderat
Die Debatte im Gemeinderat drehte sich großteils um die Frage von Zusatztafeln. Die ÖVP plädierte dafür, die bestehenden Straßenschilder mit Infotafeln zu ergänzen, anstatt die Geschichte der Stadt »auszulöschen«, wie sie es bezeichnet. Sprich: man solle dokumentieren, wie falsch der Zugang zum Nationalsozialismus in den 1960er-Jahren noch war, als die Straßen benannt worden sind. Die Dummheit von damals stehenlassen? Ein saloppes »es war halt früher so«? Und ist es denn heute anders, wenn Judenhetzer weiterhin im Straßenverzeichnis aufscheinen? SPÖ, Grüne und NEOS haben zwar Zusatztafeln vorgeschlagen. Allerdings nach einer Umbenennung. Festgehalten werden solle dabei nur, warum es dazu gekommen war.
Abschließend noch ein Kommentar zum erwähnten Straßennamen-bericht, den das Stadtarchiv im Auftrag von Andreas Rabl nach drei Jahren Arbeit fertig gestellt hat. Ziel war es, jene Personen zu identifizieren, »deren Handlungen Diskussionsbedarf erfordern«. Untersucht wurde nach den Kriterien Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus, antidemokratisches Handeln sowie strafrechtlich relevante Verbrechen. Heraus kamen 20 Namen. Warum aber neben NS-Apologeten auch Namen wie Bertolt Brecht oder Dwight D. Eisenhower zu finden sind, ist mehr als fragwürdig. Schon im ersten Satz des Berichts heißt es: »In den letzten zweieinhalb Jahrzehnten wurden wiederholt auch in Wels Straßenbenennungen kritisch hinterfragt – so unter anderem Ottokar Kernstock oder Dwight D. Eisenhower.« Kernstock, der Dichter des »Hakenkreuzliedes«, wird somit in einem Atemzug mit einer Person genannt, die wesentlich für das Ende des NS-Terrors in Europa verantwortlich war. Zum Thema Ottokar-Kernstock-Straße in Wels: diese wurde in den 1990ern umbenannt, in Thomas-Mann-Straße. Es geht also doch.