Der letzte linke Kleingärtner, Teil 16: Die Leiden des Gärtners

»Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln.« Wer kennt den Spruch nicht. Er wird meist von männlichen Bescheidwissern zum Besten gegeben, die damit ihre soziale Umgebung auf ihre Kompetenz und ihr überbordendes Wissen um die Geheimnisse der Pflanzenwelt aufmerksam machen möchten. Dass die meisten dieser Akteure mit Landwirtschaft rein gar nichts am Hut haben, und schlichtweg ahnungs-los sind, geschenkt. Es zeichnet nun mal Teile der Spezies Mann aus, sich mit lässig daherkommender Zurückhaltung bevorzugt über Themen zu äußern, von denen sie nichts weiß. Zugegeben, das ist ein schöner Move, der einem Selbstvertrauen gibt in einer Welt, die einen ansonsten eher ängstigt. Aber es ist ein brüchiges Selbstvertrauen, das nur dadurch einen Anflug von Stabilität bekommt, indem man sich mit der Aura des Experten umgibt und sein Wissen mit viel Pathos der restlichen Menschheit im näheren Umfeld mitteilt. Wie gut, dass es da den letzten linken Kleingärtner gibt, der wieder Ordnung in das Chaos bringt und für die männliche Zunft rettet, was noch zu retten ist.

Zurück zu den Kartoffeln: Ihr Ruf ist nicht der beste, viele denken, für ihren Anbau brauchst du nicht viel unter der Haube, die sich oberhalb deines Halses befindet. Denkste. Der Anbau von Kartoffeln ruft viele Fressfeinde auf den Plan. Mal sind es die Kartoffelkäfer, die bereits als Larven – nachdem sie aus den Eiern geschlüpft sind – die Blätter der Pflanze kahlfressen. Im Ergebnis stirbt die Pflanze ab, die Knollen bleiben recht klein und der Ertrag ist bescheiden. Da hilft alles nichts, jedes der drei Entwicklungsstadien – Eier, Larven, Käfer – muss bekämpft werden, chemisch oder mechanisch. Jede getötete Larve und jeder getötete Kartoffelkäfer ist eine Wohltat für die Menschheit, weil er den Ertrag an Kartoffeln sichert. Dabei heißt der Kartoffelkäfer eigentlich gar nicht so. Die korrekte Bezeichnung ist Colorado-Käfer, was auch seine Herkunft beschreibt. Er kommt von drüben und ist ein Migrant, der unser schönes Europa – zumindest was die Kartoffelfelder anbelangt – kahl frisst. Das macht er schon recht lange, seit ungefähr den 1870er-Jahren, als er über den Hafen von Rotterdam illegal und ohne Papiere nach Europa einreiste und dafür die internationalen Handelswege nutzte. Ohne Globalisierung und mit mehr nationalem Protektionismus wäre dies bestimmt nicht geschehen. In Europa verbreitete er sich mangels natürlicher Feinde mit Lichtgeschwindigkeit und frisst seitdem ganze Kartoffelfelder kahl; sowohl im Erwerbsanbau wie in den schnuckeligen kleinen Gemüsegarten von uns Kleingärtnern.

Da die Menschen aber liebend gerne eine schöne Geschichte aufgetischt bekommen – die Kommunikationsforschung spricht dabei von story telling – statt sich mit den schnöden Fakten zu beschäftigen, erfanden die Nazis die Legende, dass die US-Bomber diesen Käfer im Zweiten Weltkrieg und danach über Deutschland abwarfen, um der deutschen Heimatfront die Ernährungsgrundlage zu entziehen. Das einzige, was daran stimmt, ist die Herkunft des Käfers aus den USA. Der Rest ist Legende und passt in jede Tasche mit der Aufschrift »Verschwörung«.1 Diese Legende »Made in Germany« hielt sich jahrzehntelang auch in der ehemaligen DDR. Die war ja auch »Made in Germany«.

Der zweite Fressfeind ist weniger gut sichtbar: Wühlmäuse. Wer es schon mal erlebt hat, dass die sprichwörtlich dicksten Kartoffeln vom hoch intelligenten Kleingärtner von ganzen Heerscharen von Wühlmäusen weg gefuttert wurden, ohne dass die Tierchen dir den Gefallen taten, in deine aufgestellten Fallen zu schlüpfen, kann schon mal den Glauben an das Schöne im Leben verlieren.

Der dritte Fressfeind ist noch weniger sichtbar. Von den Wühlmäusen hat man zumindest eine ungefähre Vorstellung und kann alle Schaltjahre mal eine fangen. Aber dieses Jahr war es wieder anders. Die Kartoffeln standen gut im Kraut. Ich war stolz wie Oskar und freute mich auf eine überbordende Ernte. Aber auch hier kam es anders als gedacht.

Es hatte ordentlich geregnet, was prinzipiell gut ist für landwirtschaftliche Dinge. Aber auch hier gilt, dass zu viel Regen schnell zu viele Probleme mit sich bringt. Ich hatte die Reihen und die Kartoffeln extra weiter auseinander angelegt, damit das Kraut bei Regen schneller abtrocknet. Aber es kam, wie es kommen musste, die Krautfäule, eine Pilzkrankheit, die um 1840 ebenfalls aus den USA über Flandern nach Europa einwanderte, bemächtigte sich der Blätter und die welkten dahin. Der Effekt ist ähnlich wie beim Kartoffelkäfer. Ohne Blätter wachsen die Knollen nicht mehr. Der Ernteausfall war zwar nicht total, aber man musste sich mit der Hälfte der Kartoffeln zufriedengeben.

Drei Praxistipps:

  1. Kartoffelanbau verlangt Sachverstand. Von wegen dicke Kartoffeln von dummen Bauern.
  2. Ziehe den Hut vor Kartoffelbauern und -bäuerinnen. Die können etwas. 
  3. Genieße den Anblick (d)einer Kartoffel und bereite sie behutsam zum Essen vor. Es steckt viel Arbeit dahinter.

[1] Ein Bericht (2020) über die Kartoffelkäfer-Legende in der frühen DDR findet sich hier: https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/umwelt/kartoffelkaefer-plage-verschwoerung-propaganda-usa-100.html

Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), einer allgemeinpolitischen NGO in Deutschland, die bundesweit arbeitet, u.a. zu Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus, Fairer Handel. Er mag den Begriff „Hobby“ nicht und lebt einen Teil seines Lebens als aktiver Fußballfan. Die Gartenkolumne erscheint auch in der Luxemburger Wochenzeitung WOXX .