Als »Schlag ins Gesicht der IT:U«, also in das der sogenannten Digitaluniversität in Linz/Oberösterreich, bezeichnete der oberösterreichische Raumplanungs-Landesrat Markus Achleitner (ÖVP) Anfang Oktober 2024 den Stopp von Umwidmungsplänen durch den geschäftsführenden Vizebürgermeister der Stadt Linz, Dietmar Prammer (SPÖ). Es ging um einen Grüngürtel am Stadtrand von Linz, der für den geplanten Bau der IT:U als Standort bereits abgemacht schien. Mittlerweile, im November 2024, wurde der dauerhafte Schutz des Grüngürtels im Linzer Gemeinderat beschlossen, der Vorschlag stammte von der Klimastadträtin Eva Schobesberger (Grüne), beantragt durch Grüne und SPÖ. Nicht alle haben dem Antrag zugestimmt.
Die Autorin hat die IT:U-Straßenbahn bereits benutzt und einen
Hauch Zukunft verspürt. (Foto: Tanja Brandmayr)
Fangen wir aber nochmal von vorne an, beim »Schlag ins Gesicht« dieser sogenannten Digitaluniversität: Was sich wie eine Meldung aus der Lokalpresse mit begrenzter Relevanz jenseits des betroffenen Gebiets liest, ist zwar genau das – mit Anhebung des Abstraktionsniveaus zeigen sich aber verbreitete Mechanismen, die mitunter auch in der bürgerlichen Presse als Defizite in der politischen Kultur beklagt werden: Instrumentalisierung administrativer Macht für Image- oder Parteizwecke, Klientelismus, Hinterzimmerentscheidungen ohne Einbeziehung Betroffener, etc. Und genau darum soll es in diesem Beitrag gehen – anders formuliert: Wie kam das Watschengesicht IT:U zustande?
Um den paradigmatischen Charakter der beschriebenen Zustände hervorzuheben, entschlacken wir die Geschichte von den konkreten Personen und erwähnen lediglich deren Funktion – müssen allerdings gleichzeitig anerkennen, dass sich in diesen konkreten Personen ein bestimmtes Politikverständnis manifestiert. Genauer: Eine bestimmte Gutsherrenmentalität in der Verfügung über öffentliches Eigentum.
Begeben wir uns in die erste Jahreshälfte 2024 und betrachten wir eine Kernkonstellation aus Raumplanungs-Landesrat, dessen städtischem Pendant (dem Raumplanungs-Stadtrat), Landeshauptmann und Bürgermeister. Dazu gesellen sich ein Hochschulrektor, sowie ein (dank Inseratenkorruption mittlerweile ehemaliger, aus dem Jahr 2020 aber nachwirkender) Bundeskanzler, mit dem zusammen Landeshauptmann die Gründung einer »Technischen Hochschule für Digitalisierung« verkündete.
Zwar war weder Stadt noch Land bis dahin bewusst gewesen, dass sie eine derartige Institution schmerzlich missten (so wie manche Menschen kein Problem damit haben, dass sich unter ihren Küchenutensilien kein Bananenschneider befindet oder ihr Hals nicht von einem Kropf geziert wird) und auch die Scientific Community sah keinen dringenden Bedarf. Eine Stellungnahme sprach von einer »Berufsschule mit illusionärem Harvard-Anspruch«, eine andere verglich den Fokus auf ein Querschnittsthema wie Digitalisierung mit der Idee, eine »Uni für Weltfrieden« gründen zu wollen.
Nachdem die Schaffung der Digitaluni aber bereits großspurig proklamiert worden war, musste Landeshauptmann beim Plan bleiben, der zumindest von der Industriellenvereinigung begeistert aufgenommen wurde, die sich ein »bahnbrechendes Pionierprojekt für Österreich«1 wünschte. Denn wer bildet nicht gerne Industriecluster, also Industriestandorte, die sich angewandter Forschung bedienen?
War kurz nach der feierlichen Ankündigung noch von einem »großen Wurf für den Standort Oberösterreich« die Rede, fokussierte sich diese bereits bald auf die Landeshauptstadt – obwohl auch andere Städte Interesse bekundeten (etwa Wels, Steyr oder Leonding). Derartige Verteilungskämpfe um Bauprojekte von Rang werden auch dadurch befeuert, dass Österreich zwar nicht groß, bei der Kompetenzverteilung aber sehr föderal strukturiert ist und Ländern und Gemeinden in puncto Raumplanung umfassende Befugnisse zugesteht, die diese auch gerne nutzen. Im Gründungsgesetz der IT:U wurde allerdings Linz mittlerweile als Standort kodifiziert – sie in einer anderen Stadt zu errichten, wäre somit gesetzeswidrig.
Hochschulrektor baute ebenfalls auf Linz als Franchisenehmer für den großen Traum vom Digital, da er hoffte, dass die neue Digi-Klitsche – nach offizieller Nomenklatur »Institute of Digital Sciences Austria« (IDSA) – doch noch in die bereits bestehende und von ihm geleitete Hochschule integriert werden würde. Und das, obwohl er in die Konzeption der IDSA nicht eingebunden worden war und von Landeshauptmann und Bundeskanzler mit ihrer Ankündigung mehr oder minder überrumpelt worden war – (übrigens ebenso wie der zuständige Bildungsminister, der jedoch sogleich gute Miene zum abgekarteten Spiel machte). Nachdem daraus aber nichts wurde, sollte die IDSA – wenn schon institutionell getrennt – zumindest in unmittelbarer Nachbarschaft des Campus der vorhandenen Universität buchstäblich auf die grüne Wiese gestellt werden. Und wenn die Tür zur digitalen Zukunft schon aufgestoßen ist, kann man auch gleich versuchen, einen Fuß reinzukriegen.
Hochschulrektor, der sich offenbar nach mehreren Amtszeiten neu orientieren und eine angesagtere Einrichtung leiten wollte (auch andere Alma Matres haben reputable Tochtergesellschaften), bewarb sich für die Position des Gründungspräsidenten des neuen Elfenbein-Leuchtturms, der später den Rufnamen »Interdisciplinary Transformation University« (IT:U) – oder eben Digitaluni – erhielt. Beim akademischen Schaulaufen wurde vom Gründungskonvent aber eine Person bevorzugt, die tatsächlich aus der Informatik und nicht (wie Hochschulrektor) aus den Rechtswissenschaften kommt und außerdem weiblich ist. Einige Zornestränen und Aufsichtsbeschwerden gegen das Auswahlverfahren später waren die Augen aber wieder trocken und die Wahl in ebensolchen Tüchern. Zwar wurde Hochschulrektor nicht bestellt (obwohl er Favorit der Industriellenvereinigung war, die als bestimmende Kraft in Bundes- und Landespolitik ihre Wünsche normalerweise gar nicht aussprechen muss, um sie erfüllt zu bekommen), zumindest wurde aber ein geschützter Grünstreifen in unmittelbarer Nähe seiner bisherigen Wirkungsstätte zum Bauort erkoren. Dieser kühlt und belüftet zwar einen ganzen Stadtteil, aber was ist das schon gegen das höherwertige Interesse an einem weiteren Prestigebau, oder eben generell am Weitertreiben eines Industrieclusterlandes, sodass die Umwidmung eigentlich reine Formsache hätte sein sollen. Vor allem, weil die Entscheidung über den Bau an diesem Ort bereits lange vor dem Widmungsverfahren via 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Land getroffen worden war. Auch ein architektonisches Siegerprojekt war Mai 2024 bereits präsentiert worden.
Also alles wie gehabt im neofeudalen Kapitalismus mit seinen Standortkämpfen, die nicht allein durch Verwertungsimperative, sondern auch durch das Geltungsbedürfnis von (meist) Alphamännchen angetrieben werden? Narzisstischer Potlatch im Kleid repräsentativer Demokratie, dessen Ziel es ist, sich selbst möglich reich zu beschenken, wo Interessen weniger vertreten und verhandelt, als Pfründe verteidigt und Protzprojekte ausgeklüngelt werden? Diesmal nicht ganz.
Die Naturschutzabteilung der Stadt kam in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass das Bauprojekt am Grüngürtel sich gravierend nachteilig auf das Klima in Linz auswirken würde (neben der Blockierung der Kaltluftschneise für das Grüngebiet würde sich auch die Gefahr von Hangwasser2 erhöhen). Dieses Gutachten floss auch in die Zusammenfassung durch das Land Oberösterreich ein, die letztlich den Ausschlag gab, das Vorhaben in der Form zu begraben und stattdessen auf die Verwendung bereits versiegelter Flächen zu setzen.
Es war aber noch was anderes ins Rutschen gekommen – der zwanglose Zwang des besseren Arguments ist bekanntermaßen so zwingend nicht und jedes noch so starke Gutachten kann jederzeit schubladisiert, bzw. durch ein genehmes Gegengutachten konterkariert werden. Man könnte es kurz auf die Formel bringen, dass Gutachten nicht Hilfsmittel sind, um zu Entscheidungen zu kommen, sondern diejenigen legitimieren sollen, die bereits getroffen wurden.
In den oben skizzierten Konstellationen hatte sich dann zuletzt im September 2024 manches verschoben: Raumplanungs-Stadtrat (zugleich Vizebürgermeister) hatte geschäftsführend den Platz von Bürgermeister eingenommen, da dieser einem Bekannten durch die Weitergabe von Bewerbungsfragen eine Leitungsstelle in einem großen Konzerthaus verschafft hatte, das Teil der städtischen Veranstaltungsgesellschaft ist, in der Bürgermeister Aufsichtsrat war. Nachdem er diese Funktion ebenfalls abgegeben hatte, nahm die daraus resultierende vakante Stelle in Folge wiederum der leer ausgegangene Hochschulrektor ein, der so karmische Wiedergutmachung in Form eines Entschädigungspostens erfuhr.
Raumplanungs-Stadtrat/geschäftsführender Bürgermeister scherte damit aus dem bekannten Schema aus, gegen jede stadtplanerische Vernunft an Vorhaben festzuhalten. Der Linzer Gemeinderat zog Anfang November nach und beschloss nach einem entsprechenden Antrag der Klimastadträtin den Schutz des Grüngürtels.
Dieser Regelverstoß provozierte wiederum eingangs zitierte erboste Aussage von Raumplanungs-Landesrat3 – er hatte schließlich gemeinsam mit Bürgermeister, Landeshauptmann und natürlich auch Raumplanungs-Stadtrat vereinbart, dass das öffentliche Interesse an einer »digitalen Universität« höher sei, als an touchy-feely Hippiezeug wie Lebensqualität. Kein Wunder also, dass er sich auf den Schlips getreten fühlte und ihm sonach der Kragen platzte.
Raumplanungs-Landesrat ortete jedenfalls ein »wahltaktisches Manöver«, während die Gründungsverlautbarung im Vorfeld der oö. Landtagswahlen durch Landeshauptmann und Bundeskanzler dessen scheinbar völlig entbehrte. Die Frage ist, worin dieses Manöver bestanden haben mag: Zwar bildete sich eine Bürgerinitiative zur Rettung des Grüngürtels, die 7.000 Unterschriften gegen die Baupläne sammelte – generell ließe sich die Stimmung gegenüber der IDSA samt Standortwahl bestenfalls aber als indifferent bezeichnen. Die Digitaluni ist zwar nicht populär, jeder gestrichene Gratisparkplatz ruft aber mehr und heftigere Emotionen hervor. Selbst bei jenen, die sich der klimatisch nachteiligen Effekte von Betonwüsten bewusst sind, lassen sich kaum verhaltensmodellierende Konsequenzen beobachten.
Dass eine Bevölkerung nach mehreren Jahrhunderthochwassern binnen weniger Jahre nicht innehält und einen Ideen-Wettbewerb vorantreibt, wie denn der Stoffwechsel mit der Natur so zu organisieren wäre, dass derartige Katastrophen zumindest abgeschwächt werden, sondern (wie auch viele Andere in der Welt) hingeht und sich bei Wahlen für Parteien entscheidet, die mit tödlicher Sicherheit dafür sorgen werden, dass das genau nicht passiert, ist durchaus beeindruckend.
Also: Lokal steht eine Wahl an – nämlich diejenige zu dem Bürgermeisterposten, der durch die oben anskizzierte freihändige Postenvergabe vakant wurde.
Klimastadträtin und geschäftsführender Bürgermeister sind nun beide Kandidat:innen in der Bürgermeister:innenwahl im Jänner 2025 in Linz. Der Aufruf, dass sich Verantwortliche des Bundes, des Landes und der Stadt Linz ohne Verzögerung und gemeinsam mit der IT:U an einem Strang ziehen sollen, um einen neuen geeigneten Standort zu finden, liest sich nach diesem Vorlauf nun umso dringlicher, aber auch bizarrer.
In diesem Konglomerat liegt vielleicht eine Chance: Die Hinwendung zu bereits versiegelten Flächen würde zudem verwaiste Bauten reduzieren – konkret wurde das ehemalige Postverteilerzentrum neben dem Linzer Bahnhof genannt. Aber fix ist noch nichts. Einstweilen fährt die IT:U als Straßenbahn herum.