Journalistischer Katechismus.

Der Journalistische Katechismus ist eine Handreiche für all jene, die dauernd irgendwas mit Medien machen und darum keine Zeit haben, Machiavellis Il Principe zu lesen. Deshalb erscheint er auch häppchenweise in Serie.

Siebentes Hauptstück: Von einem tüchtigen Presseführer

Welches sind die Gaben eines guten Presseführers?
Diese drei: Klugheit, Wissenschaft und Eifer.

Worin besteht die dem journalistischen Führer nöthige Klugheit?
Zuvorderst darin, daß er seine Leitung nach Beschaffenheit derjenigen, deren Führung er übernommen hat, einrichte, und sie nach Erforderniß der Sache verändere. Hierzu sei unterschieden zwischen inhaltlicher Direktion durch Vorgesetzte in der Redaktion und der indirekten durch die wirtschaftliche Leitung (Herausgeberschaft). Weiters ist zu beachten, daß diese beiden Machtpole sich potentiell in einem Konkurrenzverhältnis zueinander befinden; wenngleich es ein scheinbares ist, da der gesamten Kongregation klar ist, dass in einer hierarchisch strukturierten Welt eine Formulierung wie primus inter pares keinen Sinn ergibt – außer als moralisches pick-me-up für ersteren und pseudoegalitäres Trostpflästerchen für letztere.1 Eine der vornehmlichen Aufgaben beider ist die Anleitung des journalistischen Nachwuchses, solange sich dieser noch des eigenen Verstandes bedienen kann – erst wenn nicht mehr eine individuelle Person denkt, sondern primum omnium die Auflage in ihr, ist dieser Prozess zur allgemeinen (i.e. herausgeberischen) Zufriedenheit abgeschlossen. Die Edelfedern von Morgen sind dergestalt zu führen, dass sie überzeugt sind, selbst auf jene hot lead gekommen zu sein, nach der sie sich verzehren. Zwar fängt eine Katze mit Handschuhen keine Mäuse, Kittens in Mittens sorgen aber für viele Clicks und wenn sie mit ihren Fäustlingen tüchtig vor dem Gesicht des Publikums herumwedeln, wirkt das besser als die üblichen Nebelgranaten, weil es dem Publikum Feenstaub in die Augen streut, der sich langsamer legt und auch noch weniger Giftstoffe birgt.

Mit welcher Wissenschaft soll ein Führer ausgerüstet seyn?
Nebst der Wissenschaft der heiligen Offenbarung (Walter Lippmans Public Opinion) und apokryphen Schriften (den Erzeugnissen journalistischer »Mitbewerber«), sowie der Kenntniß von sonst vielen Dingen, welche zum Amte eines Führers journalistischer Seelen erforderlich sind, ist hauptsächlich die Wissenschaft des Geistes nothwendig. Da sich diese Wissenschaft ihres Gegenstands nicht restlos gewärtig zu sein scheint, erklärt sie ihn kurzerhand zur quantenphysikalischen Angelegenheit, dessen Beschaffenheit sich gar nicht genau bestimmen lässt, weshalb er einigermaßen volatil gehandhabt werden kann: Nach welchen Kriterien der Zusatz eingefügt wird, wonach »die Angaben nicht unabhängig geprüft werden können«, erschließt sich nicht so ohne weiteres (vor allem stellt sich die Frage, ob die Angaben unabhängig geprüft wurden, wenn der Zusatz fehlt). Vielleicht sollte der Satz einfach zum generellen Disclaimer gemacht werden - dann lebt es sich viel ungenierter, weil alles irgendwie unsicher und zuverlässige Gewissheit ohnehin unerreichbar ist (ignoramus, ignorabimus et volumus ignorare). Das sichert auch bis zu einem gewissen Grade vor unschönen Folgen ab, wenn die Berichterstattung von anderen für Propagandazwecke verwendet wird und nicht vom eigenen Haus, bzw. dessen stake- und shareholdern.2

Worin muß der Eifer des Führers bestehen?
Auch vom Stinkenbrunner Chronicle wird ein Kommentar zu den US-Präsidentschaftswahlen erwartet, samt Spekulationen über die Gründe für Wahlsieg, bzw -verlust. Die sakrale Pflicht inhaltlicher Führung ist es, aus dem Furor ihrer inneren Aspirationen Treppchen zu bauen, um zur Illusion von Augenhöhe mit den Mächtigen aufzusteigen und ihnen von dort aus alleweil resolut darzulegen, worin sie freveln. Undankbarerweise werden sie bestenfalls in sogenannte Pressstunden eingeladen, in denen sie dann schwallartig jene Weisheiten predigen können, die sie ansonsten nur tröpfchenweise versprühen dürfen. Dabei müssen sie aber zugleich ihre Kränkung verbergen, dass sich die Mächtigen keinen Deut darum scheren (als wär’s in den Wind geflüstert oder unter ein x-beliebiges Youtube-Video kommentiert). Kein Wunder, dass sie keinen anderen Ausweg sehen, als nun doch selbst einen Podcast ins Leben zu rufen. Diese Mediengattung, die die enervierende Serienform mehrteiliger Hörspiele mit der selbstverliebten Redundanz nächtlicher Talk-Radio-Shows verbindet, scheint ad tempus das bevorzugte Betätigungsfeld für Pressmenschen zu sein, die dem engen Korsett herkömmlicher Kanäle entfliehen wollen, um flotte Ständchen auf der Meinungsklaviatur zu orgeln und öffentliche Politikberatung zu betreiben. Nichtsdestotrotz nähren sich auch die Beliebtesten im Podcast-Biom nur mühsam und blicken neidvoll auf den dominanten siamesischen Zwilling des Journalismus: Die PR-Branche, die sich viel ungenierter an die tatsächliche – und nicht bloß prekär geborgte – Entscheidungsmacht heranwanzt.3

Bonussentenz: Die Forderung, daß Journalismus eine größere Rolle spielen soll, wirkt nur in Unkenntnis des Umstands unterstützenswert, dass der österreichische durch Figuren wie Grasl, Fellner/Schima oder Dichand repräsentiert wird. Inwieweit man deren Produkte öffentlich als Scheißblatt bezeichnen darf, ist in Österreich Sache der Gerichte.4

Bonussentenz II: Die Demokratisierung medialer Kommunikationsmittel erscheint nur so lange als gute Idee, bis man berücksichtigt, daß sehr viele Menschen Trottel sind.

Bonussentenz III: Die Verwendung des Wortes »Flächenbrand« abseits echter Feuer sollte geächtet werden.

Bonussentenz IV: Sinnvolle Medienförderung würde Medienhäuser dafür vergüten, keine Podcasts zu produzieren.

 

Das kommende Erste Hauptstück im Band I, Teil III handelt von den Hindernissen der Medienförderung und den Mitteln, sie zu erlangen.

[1] Wenn Spitz auf Knopf steht, ist die Hackordnung klar: Jeff Bezos hat als Herausgeber entschieden, dass die Washington Post keine Empfehlung für die US-Präsidentschaftswahl abgibt, woraufhin Chefredakteur Robert Kagan zurücktrat. Das umgekehrte Szenario zu imaginieren wäre nicht nur kontrafaktisch, sondern ergäbe ohne aktiven utopia-mode unweigerlich die Fehlermeldung void-function.

[2] Mitte Oktober 2024 brachte ein russischer Fernsehsender manipulierte Auszüge aus einer ORF-Reportage über die Haltung zum Ukraine-Krieg in der russischen Bevölkerung. Dass dafür keine Erlaubnis eingeholt wurde, braucht wohl nicht erwähnt zu werden.

[3] Darum ist nicht verwunderlich, dass ein journalistisches Branchenblatt in helle Verzückung gerät, wenn sich ein PR-Fuzzi (nennen wir ihn Fudi Russi) für den Vorsitz einer Partei bewirbt: Schließlich ist er part of the family.

[4] Im August 2024 hatte ein Wiener Pensionist die »Zeitung« Heute auf X als »Scheißblatt« bezeichnet und war darauf hin von Herausgeberin Dichand im Namen des AHVV-Verlages wegen Beleidigung geklagt worden. Die Klage endete Anfang November mit einem Freispruch, gegen den Dichand Berufung einlegte.