Die Über-Männchen

Zur Debatte über »toxische Maskulinität«.

Ende Januar beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus, es anderen Bundesländern mit protestantismusbedingtem Mangel an freien Tagen nachzutun und einen neuen offiziellen Feiertag in seinen Kalender aufzunehmen. Während die meisten nord- und ostdeutschen Länder ihrer Bevölkerung an Halloween, pardon: zum Reformationstag am 31. Oktober freigeben, entschied man sich in der Bundeshauptstadt für den 8. März, also den Internationalen Frauentag. So weit, so unspektakulär - nicht arbeiten zu müssen, ist schließlich immer ein Grund zur Freude, sollte man denken.
Nicht so allerdings für jene Sorte von Internetbewohnern, der die sozialen Medien ihren schlechten Ruf zu verdanken haben. »Gendergaga«, hieß es da etwa, oder: »Da haben die Weiber mal Zeit zum Putzen, höhö«, und natürlich »Denkt denn auch mal jemand an die Männer?«.
Es durfte auch die Klage nicht fehlen, dass sich heutzutage™ alles nur noch um Frauen und sonstiges Minderheitengedöns drehe. Bittesehr: Im Namen der Geschlechtergerechtigkeit und aus Rücksicht auf maskuline Empfindlichkeiten soll es an dieser Stelle einmal nur um das schwache Geschlecht gehen.

Von Rasierern und Kastrationsängsten

Wie verletzlich Männer[1] so sind, das zeigten exemplarisch die Reaktionen auf einen Werbespot, den der Rasiererhersteller Gilette für den US-Markt produziert hat. Marketingkampagnen mit politischen Inhalten sind dort nicht so unüblich wie in Europa, und so nimmt das Rasierer-Filmchen explizit Bezug auf die »MeToo«-Bewegung und vermittelt eine simple Botschaft: Hey, Jungs, seid keine sexistischen Arschlöcher, befreit euch aus der Mackerkultur, erzieht eure Söhne zu anständigen Menschen: »The best a man can get.«[2]
Nun könnte man kritisieren, dass das ein wenig heuchlerisch von einem Unternehmen ist, das sein Geld ja nicht nur
mit dem männlichen Bartwuchs verdient, sondern auch mit einem Schönheitsideal, das weibliche Körperbehaarung als etwas ganz Furchtbares hinstellt. Aber nicht das beschäftigte die Kommentarmeute auf YouTube und quer durchs Internet: Vielmehr fühlten sich die Herrschaften dermaßen angegriffen durch die Aufforderung, sich nicht zu benehmen wie auf dem Pavianhügel, dass sie sich bemüßigt sahen, so ziemlich alles zu bestätigen, was schon seit einigen Jahren als toxische Maskulinität beschrieben und nun eben auch in dem Spot kritisiert wird.
Manche scheinen zu glauben, man wolle ihnen die Männlichkeit rauben, indem man ihnen das Grillen verbietet (weil in einer Szene ganz klischeemäßig gegrillt wird, in der es eigentlich darum geht, eine Klopperei unter den Söhnen nicht einfach nach der Devise »boys will be boys« achselzuckend hinzunehmen), und viele, sehr, sehr viele finden offenbar, dass unflätige und sexistische Beschimpfungen ihre Boykottaufrufe am überzeugendsten unterstreichen. Kurzum, man fühlt sich an diese Schilder im Zoo erinnert, die im Primatenhaus warnen: »Vorsicht, Affen werfen mit Kot.« Ein ganz besonders Empörter gelangte zu von ihm in dieser Form sicher nicht gewollter Online-Berühmtheit, indem er sich dabei filmte, wie er einen (natürlich bereits bezahlten) Rasierer in der Toilette herunterspülte. Leider ist nicht bekannt, ob er anschließend den Klempner rufen musste oder – selbst ist der Mann! – eigenhändig ins Klo gegriffen hat, um das verstopfte Rohr wieder freizukriegen.

»Gilette: Men can be better. – Men: #NOTALLMEN«. So fasst ein vielfach kopierter Twitter-Post unbekannter Urheberschaft den Werbespot samt anschließendem Shitstorm treffend zusammen. Leider aber ist die ganze Aufregung nicht nur eine große Lachnummer, sondern zugleich Symptom eines Männlichkeitsbilds, das weder seinen Vertretern noch deren Mitmenschen gut tut.

Was uns härter macht, bringt uns um

Einen wichtigen Anstoß zur Debatte über toxische Männlichkeit leistete der Autor Jack Urwin, zunächst mit einem Beitrag im Magazin »Vice« mit dem Titel »A Stiff Upper Lip Is Killing British Men«. Darin setzt er sich mit dem frühen Tod seines Vaters und der eigenen Unfähigkeit auseinander, mit seiner Trauer umzugehen; der Vater starb mit nur 51 Jahren an einem Herzinfarkt – laut Obduktion nicht der erste, zum Arzt gegangen war er jedoch deshalb nie. Er selbst sei danach zum Klassenclown geworden, schreibt Urwin, obwohl er lieber weinend zusammengebrochen wäre.
Seine private Tragödie ist für Urwin nur eine von unzähligen, die auf ein Ideal des »harten Kerls« zurückzuführen sind, der keine Gefühle zulässt und dem das Eingestehen von Schwächen schon Schwäche an sich ist. Das Resultat: Die Sterblichkeitsrate von Männern unter 50 ist eineinhalbmal so hoch wie die von Frauen, hauptsächlich durch Unfälle, Suizide, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs – allen Gesundheitskampagnen zum Trotz, die vom Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen überzeugen sollen. Auch Alkoholismus ist unter Männern stärker verbreitet, und wo nicht der Suff die zwischenmenschlichen Beziehungen ruiniert, da tut es die Unfähigkeit, über Emotionen zu sprechen. Der Autor schließt mit dem Satz: »Redet miteinander. Ich will kein ganzes Buch über diesen Kram schreiben müssen.« Gereicht hat das offensichtlich nicht: 2017 erschien Urwins Buch »Man Up: Surviving Modern Masculinity« (auf Deutsch erschienen unter dem Titel »Boys Don‘t Cry. Identität, Gefühl und Männlichkeit« bei Edition Nautilus), das das Thema noch einmal gründlicher beleuchtet und mittlerweile quasi als Standardwerk in Fragen ungesunder Maskulinität herangezogen wird.
Untermauert werden diese Betrachtungen durch eine Studie der australischen Queensland University, für die 1.000 Männer im Alter von 18 bis 30 nach ihren Rollenbildern befragt wurden. Dabei kristallisierte sich rund ein Drittel heraus, das das Forschungsteam der von ihm so genannten »Man Box« zuordnete, also eine konsistente Zustimmung zu Aussagen zeigte wie »Ein Mann, der über seine Sorgen, Ängste und Probleme spricht, verdient keinen Respekt«, »Ein Schwuler ist kein ‚echter Mann‘« oder »Ein Mann sollte in einer Beziehung stets das letzte Wort haben«.[3]
Das Forschungsteam setzte das Rollenverständnis in Beziehung zum seelischen Befinden und dem Verhalten der Probanden und kam zu dem Ergebnis: Die Angehörigen der »Man Box«-Gruppe berichteten zwar ähnlich häufig von depressiven Verstimmungen wie ihre Geschlechtsgenossen, die Frage nach Suizidgedanken innerhalb der letzten zwei Wochen bejahten jedoch doppelt so viele. Sie waren mehr als dreimal öfter an Verkehrsunfällen beteiligt und gaben häufiger an, sich regelmäßig zu betrinken.
Und nicht zuletzt das Verhalten der Über-Männchen gegenüber anderen lässt zu wünschen übrig: 56 bzw. 47 Prozent gaben an, sich im vergangenen Monat an verbalem respektive Online-Mobbing beteiligt zu haben (von den übrigen Befragten 24 bzw. 10 Prozent); ebenfalls 47 Prozent gestanden Handgreiflichkeiten ein, außerhalb der »Man Box« waren es sieben Prozent – ziemlich genau das gleiche Zahlenverhältnis übrigens wie bei der Frage nach anzüglichen Bemerkungen über fremde Frauen.

Harte Schale, brauner Kern

Wie gefährlich eine solche Persönlichkeitsstruktur ist, lässt sich an der Kriminalstatistik ablesen: In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet, in Österreich wurde die Öffentlichkeit seit Anfang des Jahres durch eine Reihe von Morden und Angriffen aufgeschreckt. Wie leider nicht anders zu erwarten, wird über Gewalttaten gegen Frauen jedoch so weit vom Kern des Problems wegführend und so rassistisch wie nur möglich diskutiert.
Große Schlagzeilen sind den Redaktionen zumeist nur Taten wert, die von Migranten begangen werden; die Herkunft autochthoner Täter hingegen erkennt man schon daran, dass entsprechende Fälle üblicherweise als Kurzmeldung im Vermischten auftauchen und mit der Überschrift »Familiendrama« verniedlicht werden. Und wer der Behauptung der »importierten Gewalt« noch einmal einen besonders irren Dreh verleihen will, legt nahe, dass sich die Eingeborenen frauenfeindliche Gewalt quasi von Zugewanderten abschauen, wie es kürzlich etwa die österreichische Staatssekretärin im BM für Inneres, Karoline Edtstadler (ÖVP) mit ihrer Rede von angeblichen Nachahmungstätern tat. Im eilends von der schwarzbraunblauen Regierung beschlossenen »Gewaltschutzpaket« stehen denn auch erleichterte Abschiebungen ausländischer Straftäter ganz weit oben auf der Liste – die gleiche Regierung hat erst vor wenigen Monaten autonomen Frauenhäusern und feministischen Projekten massiv die Finanzierung gekürzt.

Die eigenwüchsige toxische Männlichkeit nach Kräften kleinzureden, kann man getrost als Klientelpolitik bezeichnen: Kaum etwas macht schließlich so empfänglich für reaktionäre und autoritäre Denkmuster wie ein hypermaskulines Selbstbild - der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit hat diesen faschistischen Männertypus bereits in seinem 1977 erschienenen Buch »Männerphantasien« ausführlich untersucht, er charakterisiert ihn durch die Unfähigkeit zu menschlichen Beziehungen und ein aggressionsgesättigtes, chaotisiertes Inneres. Der »soldatische Mann«, wie ihn Theweleit jüngst in einem Interview mit dem Deutsch-landfunk nannte, befinde sich »immer in Notwehr«, sein Inneres sei immer von Fragmentierung bedroht, »von erotischer Weiblichkeit, von zu starker Lebendigkeit, von jeder Menge Gefühlen, die nicht integriert werden können«.
Das natürliche Biotop solcher Persönlichkeiten ist jede Art von Männerbund, sei es beim Militär, der Polizei oder in Burschenschaften mit ihren Sauf- und Mensurritualen. In jüngerer Zeit ist auch noch die Gamer-Szene hinzugekommen, die für ihre Aggressivität berüchtigt ist, mit der sie jeden Versuch bekämpft, mehr Vielfalt und Weiblichkeit in ihren Jungsclub zu bringen, und die ein nicht unerhebliches Rekrutierungsfeld für die US-Nazis der »Alt Right«-Bewegung und sonstige Rechtsradikale darstellen dürfte.

Sicherlich waren es nicht alleine pickelige, misogyne Computerspieler, die Donald Trump an die Macht gebracht haben, den Jack Urwin als »die toxische Männlichkeit in Person« bezeichnet. Dennoch kommt man, will man die Ursachen des weltweiten Rechtsrucks verstehen und bekämpfen, nicht um die Beschäftigung mit einem Männlichkeitsideal des »harten Kerls« herum, dessen Aufrechterhaltung so viel Kraft kostet, dass es zugleich durch die leiseste Infragestellung zu erschüttern ist. Mit dem Kauf eines bestimmten Rasierers ist es nämlich nicht getan.
 

[1] Jaja, nicht alle Männer sind so (diese Klage ist in der englischen Version #notallmen bereits als Internet-Mem verewigt) – aber es scheint ein wenig willkürlich, speziell in diesem Punkt Differenzierung von einer Sprache einzufordern, in der sich Frauen vom generischen Maskulinum gefälligst mitgemeint fühlen sollen. Wer sich in den hier geschilderten Männlichkeitsbildern nicht wiederfindet, möge sich bitte als ausgenommen betrachten.
[2] Besser hat das unübersetzbare Wortspiel des jahrzehntealten Werbeslogans wohl selten gepasst, schließlich kann er nicht nur bedeuten: »Das Beste, was ein Mann kriegen kann«, sondern auch: »So gut, wie ein Mann nur werden kann«.
[3] Immerhin: Wurden sie gefragt, ob die Gesellschaft Männern ein solches Selbstverständnis abverlange, stimmten sogar jeweils circa 50 Prozent der Befragten zu – nicht jeder unterwirft sich also dem subjektiv empfundenen Konformitätsdruck. Zusammen mit denen, die diesen gar nicht erst verspüren, sind das 70 Prozent, um die man – und insbesondere frau – wenigstens nicht gleich von vornherein einen weiten Bogen machen sollte.

(Bild: pexels)