Der Filmregisseur, Theatermacher, Theoretiker und schlecht stillsitzende Sergej Michailowitsch Eisenstein (1898 – 1948) gilt als einer der bildgewaltigsten Vertreter des sowjetischen Kinos. Mit seinen bereits für die Bühne entwickelten Montagekonzepten, die den_die Zuschauer_in als das »Material« voraussetzen, das es im Sinne des sozialistischen Gedankens zu bearbeiten gilt, konzipiert er ab den 1920er Jahren die avantgardistische Ästhetik einer Bewegung der Massen. Filme wie Bronenosec Potemkin (Panzerkreuzer Potemkin), Stachka (Streik) und Generalnaia Linia (Die Generallinie) gelten diesbezüglich als Gebrauchsanweisung. Eisenstein ist ein Vielarbeiter und handelt künstlerisch stets übermäßig. Seine Arbeit ist gekennzeichnet von einem Ideenreichtum, der sich zu Projekten verzweigt, die regelmäßig aufgrund politischer Einwirkungen gekappt werden. Eine Zeit des Nichtfertigstellens ist Eisensteins USA-Phase, deren abgebrochene Baustellen ich im Folgenden skizzieren möchte.
Paramount, unüberwindbar
Wer viel schafft, scheitert ab und zu. Zahlreiche Ideen, waghalsige Ansätze, diese Ideen in eine konkrete Form zu gießen, engstirnige und ungeduldige Geldgeber und politische Machtträger mit rigorosen Repräsentationsvorstellungen legen die Pläne lahm, und so weist das Gesamtwerk Eisensteins eine Sammlung von unfertigen Projekten auf, die sich unter anderem aus einem mehrjährigen Aufenthalt in den USA speisen. Von 1930 bis 1932 ist Eisenstein dort Gast und das kam so: Im April 1930 trifft Eisenstein Jesse Lasky in Paris. Lasky ist der Produktionschef von Paramount – eines der zu diesem Zeitpunkt erfolgreichsten US-amerika-nischen Filmproduktionsstudios – und verhandelt mit dem sowjetischen Regisseur über einen Filmdreh. Bereits neun Tage nach diesem Treffen wird Eisenstein von Paramount unter Vertrag genommen. Er reist mit seinem Kameramann Eduard Tisse in die USA, Grigori Alexandrow – Co-Regisseur und Drehbuchautor – folgt ihnen bald. Eisensteins Rekrutierung findet in einer Zeit statt, in der die Hollywood-Industrie unverwundet von der Großen Depression scheint, die Umsätze sind hoch, doch schon in den nächsten Monaten werden sich die Zahlen ins Negative wenden.[1]
Doch bevor es soweit ist, garantiert Paramount Eisenstein in der Umsetzung seines Projektes freie Stoffwahl und Hand bezüglich der Regie, lässt es sich aber nicht nehmen, Vorschläge zu machen: darunter Lion Feuchtwangers Jud Süß, RAR von Karel Čapek oder Jonathan Swifts Gulliver‘s Travels. Eisenstein lässt Paramounts Wünsche liegen und konzentriert sein Interesse auf eine andere literarische Vorlage – den Roman L‘Or des französischen Schriftstellers Blaise Cendrars, in dem der Autor die Geschichte des Kolonialisten Johann August Sutter erzählt, dessen Reichtum buchstäblich von den Goldrauschenden überrannt wurde. Paramount zeigt sich angetan, Eisenstein verfasst mit seinen Kollegen und Freunden Ivor Montagu und Grigori Alexandrow in wenigen Tagen das Drehbuch und Paramount lehnt das Projekt wegen – so erläutern die Eisenstein-Spezialist_innen Oksana Bulgakova und Dietmar Hochmuth – »sozialer Zuspitzung«[2] ab.
Ein weiteres Projekt, das »beinahe realisiert wurde«[3], ist die Verfilmung von Theodore Dreisers Roman An American Tragedy, die Geschichte eines Mannes aus bescheidenen Verhältnissen, der Gefallen an der Idee des sozialen Aufstiegs findet und dafür moralische Prinzipien vollkommen über Bord wirft. Wiederum hat das Dreiergespann Eisenstein/Alexandrow/Montagu ein Drehbuch verfasst, das von Paramount zurückgeschmissen wird. Auf der Allunionskonferenz sowjetischer Filmschaffender 1935 wird Eisenstein rückblickend und systemkonform berichten: »Uns interessierte das Thema des allmählichen Verfalls eines jungen Mannes des 20. Jahrhunderts, der zum Schmarotzer wurde, in einige für die bürgerliche Gesellschaftsordnung charakteristische Situationen geriet und dann nach und nach zum Verbrechen getrieben wurde. Dieses Thema interessierte uns als eine Art negative Gegenüberstellung zu jenem Typ eines jungen Menschen des 20. Jahrhunderts, den es nur bei uns geben kann.«[4]
Wie bei L‘Or ist es der sozialkritische Schwerpunkt, an dem sich die Verantwortlichen von Paramount stoßen, neben der politisch motivierten Ablehnung hat das Produktionsstudio aber auch die Kinokassen im Blick und wünscht sich mehr Melodrama und Crime.[5] Letztendlich wird der österreichische Exilregisseur Josef von Sternberg den Film drehen, obwohl sich Dreiser für Eisenstein ausgesprochen hat.
Nachspiel – Black Majesty / Chernyi konsul
Gleichzeitig mit Paramounts Zurückweisung von An American Tragedy kommt auch das Nein für ein weiteres Projekt, für das sich Eisenstein begeistert. Es handelt sich um die Verfilmung eines Romans von John W. Vandercook mit dem Titel Black Majesty. Im Zentrum steht die historische Figur Henri-Christophe, der gemeinsam mit Toussaint Louverture und Jean-Jacques Dessalines in der Haitianischen Revolution gekämpft hatte und sich 1811 zum König von Nord-Haiti ausrufen ließ.
1931, als sich Eisenstein in Mexiko aufhält und dort Material für seinen Film QUE VIVE MEXICO! – ebenfalls ein nie zu Ende gebrachtes Unterfangen – dreht, fertigt er Skizzen für einzelne Szenen an. 1932 kehrt der Regisseur in die Sowjetunion zurück und wird dort vom Autor Anatoli Winogradow kontaktiert[6], der – und das kommt dem Interesse des Regisseurs klarerweise entgegen – gerade an einem Text mit dem Titel Chernyi konsul/Der schwarze Konsul arbeitet, Thema: die Haitianische Revolution. Anders als Vandercook legt Winogradow Toussaint Louverture als Protagonisten fest, der von Solomon Michoëls verkörpert werden sollte. Für die Rolle des Henri-Christophe hat Eisenstein den charismatischen Sänger, Schauspieler, Footballplayer, Juristen und Bürgerrechtsaktivisten Paul Robeson im Auge, dessen Schallplatten er in seiner Zeit in New York gehört hat.[7] Robeson ist außerdem ein großer Freund der »sozialistischen Idee«[8], ein Umstand, der ihm während der McCarthy-Ära einen sicheren Platz auf diversen Schwarzen Listen verschaffen wird.
Nachdem Eisenstein und Vinogradov mit Sojuskino, der zentralen Behörde für Kinowesen in der Sowjetunion, 1932 einen Vertrag über das Drehbuch zu Chernyi konsul abschließt[9], kommt es im Dezember 1934 am Moskauer Bahnhof endlich zum ersehnten ersten Treffen zwischen dem Regisseur und Paul Robeson. Die beiden verbringen zwei Wochen miteinander, der Regisseur führt den Schauspieler und seine Frau Eslanda in seine Kreise ein, Robeson ist beseelt von der Offenheit, mit der ihm die Menschen begegnen. Zurück in den USA überzeugt der Star den Regisseur James Whale, den Komponisten Jerome Kern und den Theatermacher Oscar Hammerstein II, wiederum die Filmrechte an John Vandercooks Black Majesty zu erwerben. 1936 planen Eisenstein und Robeson, sich erneut zu treffen, doch die Pläne fangen an, im Sand zu verlaufen, bis sowohl die Verfilmung von Black Majesty als auch von Chernyi konsul 1937 zu Grabe getragen werden (müssen).
Die Zusammenschau des Anbahnens und Verworfenwerdens von Eisensteins gescheiterten US-Projekten lässt erahnen, dass sie am allerwenigsten an ihm selbst gescheitert sind. Vielmehr devastieren sowohl das politische Klima des Westens als auch des Ostens seine Pläne. Die Filmproduktion in Hollywood ist ab den 1930er Jahren geprägt durch den Hays-Code – einer Anleitung zur vielfachen Selbstzensur, um den Filmen Leinwandpräsenz zu garantieren. Und die Kulturpolitik der Sowjetunion setzt auf die Massentauglichkeit von Filmen und bemüht sich redlich, der künstlerischen Arbeit von Eisenstein und Co. die Avantgarde auszutreiben.
Glücklicherweise fanden sich hie wie dort Wege, machthaberische Vorstellungen von Repräsentation durch in ihrer Überzeichnung subversive Bildsprachen der Lächerlichkeit preiszugeben. Wer die Realität nicht brechen kann, kann sie zumindest beugen.
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[1] vgl. James Goodwin: »Eisenstein. Lessons with Hollywood« In: Al La Valley & Barry P. Scherr: Eisenstein at 100. A Reconsideration. New Brunswick u. a. 2001, S. 91.
[2] Anmerkung zu Sergej Eisenstein: »Rede auf der Allunionskonferenz sowjetischer Filmschaffender« (1935) In: ders.: Das dynamische Quadrat. Schriften zum Film. Übersetzt und herausgegeben von Oksana Bulgakova und Dietmar Hochmuth. Leipzig, 1988, S. 359.
[3] a.a.O., S. 120.
[4] ebd.
[5] vgl. Goodwin, »Eisenstein. Lessons with Hollywood«, S. 93.
[6] vgl. Anmerkung zu Eisenstein, »Rede auf der Allunionskonferenz sowjetischer Filmschaffender«, S. 359.
[7] So berichtet es Robesons Sohn Paul Robeson Jr., vgl. Charles Forsdick & Christian Høgsbjerg: »Sergei Eisenstein and the Haitian Revolution: ‚The Confrontation Between Black and White Explodes Into Red‘« In: History Workshop Journal, Issue 78/2014, S. 167.
[8] vgl. dazu Lauren McConnell: »Understanding Paul Robeson‘s Soviet Experience« In: Theatre History Studies, Vol.30/2010, S. 138-153.
[9] vgl. Anmerkung zu »Rede auf der Allunionskonferenz sowjetischer Filmschaffender«, S. 359.