»Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht!« Auf der Bühne des Berliner Theaters HAU Hebbel am Ufer steht der Schauspieler Robert Stadlober, er schreit die Worte geradezu heraus, rhythmisiert sie, während die Hamburger Band Die Sterne den instrumentalen Beat dazu gibt. Die knapp zweistündige Revue mit dem Titel »Die Technik des Glücks« ist eine Annäherung an das aufregende Leben des 1888 geborenen und 1963 gestorbenen Franz Jung. Die künstlerische Leitung lag bei Annett Gröschner und der ehemaligen Edition-Nautilus-Verlegerin Hanna Mittelstädt, in deren Verlag die Werkausgabe von Jung erschienen ist, die Regie führte Rosmarie Vogtenhuber. Dass die Revue nun in der Spielstätte HAU2 am Halleschen Ufer 32 zur Aufführung kam, hat auch eine Verbindung zu Jung. Am gleichen Ort stempelte er einst gemeinsam mit Genossen Spartakus-Parolen auf Geldscheine, auf dem Schreibtisch lagen Pistolen und Kokain. Eine weitere Episode aus einem an solchen Begebenheiten ausgesprochen reichen Leben, das auch den Mittelpunkt der Revue bildet. Jung war nicht nur ein unermüdlicher Kämpfer für die Revolution, sondern selbst auch Theaterschriftsteller und -macher. Erwin Piscator führte seine Stücke auf, er wirkte in den zwanziger Jahren im dramaturgischen Kollektiv der Piscator-Bühne, er arbeitete mit Bertolt Brecht, John Heartfield und Hanns Eisler. Doch zurück zur aktuellen Revue: Die Schauspielerin Corinna Harfouch wird in Videoaufnahmen eingeblendet, auf der Bühne wirbeln Stadlober und Wolfgang Krause Zwieback, sprechen Texte von und über Jung, schieben Möbel hin und her, werfen Blätter in die Luft und wickeln sich in Stoffbänder. Der rote Faden, er ist manchmal mehr im unliterarischen Wortsinne auf der Bühne. Das ist natürlich der Lebensgeschichte Jung selbst geschuldet, die man im Detail wechselhaft nennen kann, bei einigen Konstanten. Eine Stange mit roten Stoffelementen symbolisiert die über dem Geschehen schwebende rote Fahne der kommunistischen Weltbewegung. Als Jung kurzerhand mit Genossen ein Schiff entführte, um in die Sowjetunion zu fahren und mit Lenin über die Aufnahme der ultralinken Parteiabspaltung KAPD zu verhandeln, landete er in Murmansk und nahm an einer Versammlung mit Liedern und Reden teil. »Es ist das große Erlebnis meines Lebens geworden. Das war es, was ich gesucht habe und wozu ich seit Kindheit ausgezogen bin: die Heimat, die Menschenheimat«, schreibt er später. In der Sowjetunion baute Jung in den zwanziger Jahren eine Zündholzfabrik auf. Der studierte Ökonom hatte zur Streichholzindustrie gearbeitet, seine Promotion zu dem Thema wurde allerdings abgelehnt. Immer wieder verdient er Geld mit ökonomischen Analysen. Produktion und Glück gehören für ihn zusammen. »Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht!«, was heute im Zuge der neoliberalen Umgestaltung der Welt wie eine Drohung klingt, war damals ein Versprechen. Jung schöpfte beispielsweise seine Erfahrungen aus den revolutionären Unruhen am Ende des Ersten Weltkrieges. Kaum hatte er am 9. November 1918 nämlich ein paar herumstehende Soldaten angestiftet, mit ihm gemeinsam eine zentrale Nachrichtenagentur zu besetzen, stürmten die Truppen der neuen Regierung heran und Jung wäre fast von einem engagierten sozialdemokratischen Journalisten erschossen worden. Der Redakteur des Vorwärts fuchtelte ihm, wie Jung in seiner Autobiographie »Der Weg nach unten« in seinem gewohnt lakonischen Ton berichtet, mit einem Revolver vor der Nase herum. Der Auftrag: Säuberung der Ämter und Reichsstellen von Saboteuren und Plünderern, Ausräucherung der Spartakistennester. Jung beobachtete schon mit der Plan- und Ziellosigkeit der Novembertage, dem Opportunismus der Sozialdemokratie und der Verlogenheit ihrer politischen Führer eine einsetzende Enttäuschung von der Revolution, die sich später zum Hass auf sie steigern sollte.
Der Faschismus speiste sich nach Jung aus dieser durch Verrat begünstigten Niederlage.
Die 1921 und 1923 erschienenen Schriften »Die Technik des Glücks« und »Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht« bilden das theoretische Hauptwerk Franz Jungs. In denen diagnostizierte er eine durch die Vereinzelung bedingte umfassende gesellschaftliche Kälte, der nicht individuell, sondern nur gemeinsam zu entkommen sei. Gegen den »Rhythmus der Profitrate« und gegen die »Melodie das Kapitals« müsse es um die »Erkenntnis des Ichs« und dessen »Eigenrhythmus« gehen, »der mitschwingt in der Gesamtmelodie«. Jung war ein Denker der Gemeinschaft, nicht der Gesellschaft, deren Institutionen von Familie über Kirche bis zum Staat er ablehnte. Seine Überlegungen zum Rhythmus treffen sich beispielsweise mit denen von Roland Barthes über die Struktur der Communitas in dessen Vorlesung »Wie zusammen leben«, in der er den Begriff der Idiorrhythmie prägte. Für Jung waren es Arbeit und Klassenkampf, die zu einem Erleben des Lebendigen, der Gemeinschaft führen. Den Kapitalismus kritisierte er hingegen als Zwang zur Arbeit bei gleichzeitiger Unmöglichkeit zu einer freien Organisation der Arbeit. Jung hatte einen positiven Begriff der Technik, seinen erklärten Rousseauismus begriff er nicht als verkitschte Rückkehr zur bukolischen Idylle, sondern als »Gemeinschaftsbewusstsein, Mitströmen im Strom des Lebendigen des All«. Jungs eigentümliche Mischung aus Marxismus, Psychopolitik und Revolutionsbegeisterung erinnert am ehesten noch an den Proletkult der frühen Sowjetunion, an Alexander Bogdanov und Andrej Platonow. So mag es im Grunde kaum verwundern, dass Jung nach einer expressionistischen und einer dadaistischen Phase ein großer Außenseiter der deutschen Arbeiterbewegung blieb und auch die Versuche, ihn einer originären proletarischen Literatur zuzuordnen immer etwas leicht Verqueres hatten. Tempo bedeutete Steigerung der Intensität des Erlebens, Glück das Bewusstsein von Gemeinschaft oder gemeinsames Bewusstsein und Macht die Steigerung des Ich-Gefühls in dieser Gemeinschaft. Auch das Geschlechtliche fällt nahezu in die Kategorie einer rhythmischen Übung. Die Basis all dessen war für Jung aber die Arbeit. Jung zielte auf einen politischen Universalismus, das unterschied ihn von allen nur lebensreformerischen Bewegungen und Gedanken. »Die Menschen und wir und ich und du werden sich als Gemeinschaft bewusst. Das Erleben bekommt Tempo. Der Rhythmus macht das Glück bewusst. Glück steigert. Steigert das Erlebnisbewusstsein zur Macht. Die Technik intensiviert das Lebendige, und das Dasein formt sich in Arbeit und Liebe, den Rhythmus des Gemeinsamen. Der Mensch wächst über sich hinaus. Er wird menschlicher.« Ohne diese Orientierung auf eine künftige politische Form wäre manches von Jung wohl so abwegig, wie es teils heute auch klingt, wo der New-Age-Jargon sich als eine weitere Technik der Selbstoptimierung verallgemeinert hat. Hanna Mittelstädt sieht in der »Technik des Glücks« eine unvergängliche Einsicht Jungs. »Dass die Energie der Einzelnen auch zu der einer Gemeinschaft werden kann, dass sie im Fluss ist, dafür hat Jung bis zu seinem Lebensende gekämpft. In seinen späten Jahren hat er sich auch mit Wilhelm Reich und Ernst Fuhrmann beschäftigt. Jung war auf der Spur dieser Art Lebensenergie und wusste, dass man sich dabei nicht auf die gegebenen Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften verlassen konnte«, so die Verlegerin. »Die Situationisten, die Jung noch kennengelernt hat, knüpften daran in den fünfziger und sechziger Jahren an, indem sie die Kritik an den großen ideologischen Formationen auf die Spitze getrieben haben.
Die Situationisten stehen in derselben Tradition wie Jung.« Und zum Beispiel in dem Denken der Communitas des Unsichtbaren Kollektivs dürfte diese Traditionslinie dann bis in die Gegenwart führen.
In der Edition Nautilus, deren Programm vor allem durch die Surrealisten, Dadaisten, Anarchisten und Situationisten geprägt war, wurden die Verleger Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt schon früh auf Franz Jung aufmerksam. »1961, zwei Jahre vor Jungs Tod, erschien ›Der Weg nach unten‹ bei Luchterhand, seine Autobiographie und zugleich die Schilderung eines unglaublichen Lebens in einer wahnsinnigen Zeit. Lutz Schulenburg und ich haben das Buch in den siebziger Jahren verschlungen, auch weitere kleinere Schriften, die damals in einer Sammelausgabe erschienen waren. Und dann kamen schon die Experten zu uns und wollten die Werkausgabe veröffentlichen«, erzählt Mittelstädt. »Jung war ja ein Geheimtip – im Westen wie im Osten. In Ost-Berlin gab es eine Gruppe um den Dichter Bert Papenfuß und weitere, die auch den BasisDruck-Verlag gemacht haben. Es gab Zeitschriften wie ›Sklaven‹ und die Abspaltung ›Sklaven Aufstand‹ nach einer Idee von Jung, später dann die Zeitschrift ›Gegner‹, dann ›Abwärts!‹. Armin Petras initiierte 1988 in der Zionskirche in Ost-Berlin eine Aufführung von ›Die Technik des Glücks‹. Er probte bis kurz vor Mitternacht des Tages, an dem er die DDR verlassen musste. Die Premiere fand ohne ihn statt. Annett Gröschner war auch bei den endlosen Jung-Lesungen in der Kneipe Torpedokäfer dabei. Im Westen wurde Jung nach 1968 wieder bekannter. Zu der Zeit wurde überhaupt Literatur, die durch den Nazifaschismus beiseite gedrängt war, wiederentdeckt. Dazu gehörten expressionistische Texte wie auch die Tradition der
proletarischen Literatur. Das betraf auch die Texte von Jung. Seine Autobiographie stand dem Etikett des proletarischen Schriftstellers allerdings krass entgegen, die war zu negativ und selbstzerfleischend.« Die Werkausgabe umfasst die zahlreichen Romane, weitere Prosa, Aufsätze, Theaterstücke, Konzepte, Dokumente und Autobiographisches. An ihr hat der Verlag 16 Jahre gearbeitet, es sind über 6 000 Seiten in zwölf Bänden mit Teilbänden geworden. Eine Arbeit, die in den achtziger und neunziger Jahren Wissenschaftler, Forscher und Interessierte wie Sieglinde und Fritz Mierau, Walter Fähnders, Helga Karrenbrock und Martin Rector verband. Viel Material lagerte bei Jungs zweiter Ehefrau Cläre Jung in Ost-Berlin. Der im vergangenen Jahr verstorbene Fritz Mierau hat unter dem Titel »Das Verschwinden des Franz Jung« eine Biographie vorgelegt. Den Titel kann man im Grunde wörtlich nehmen. Denn außer mit seiner anekdotenreichen Autobiographie »Der Weg nach unten« ist der Schriftsteller und Revolutionär wohl kaum einem größeren Publikum bekannt. Die Revue »Die Technik des Glücks« kann man dementsprechend als Teil des Versuchs begreifen, Franz Jung wieder zu popularisieren.