Quasikunst ist systemisch-performative Recherche seit längeren Jahren, sie ruft je nach Projekt Koordinaten aus, erhöht und performt Widersprüche. Quasikunst widmete sich 2015 mit »I like Trees and Human Rights« den Bäumen: Menschen wurden zu Bäumen verkehrt, Kollektive aus Bäumen sowie lebenden und toten Menschen gebildet. Im Untergrund eines Waldbodens stecken Menschen mit dem Kopf im Boden, Zusammenhänge befragten Kontexte, unter anderem, um unter den gereinigten Oberflächen die Moral der Geschichte und die Verschmutzungsgrade von Welt festzustellen.
Das »Nebelballett« setzte 2016 den Akteur mit dem Netzwerk gleich: Eine menschliche Figur wurde auf Nebel projiziert, als Projektion und Fiktion einer dreidimensionalen Figur inmitten eines sich permanent mit Nebel befüllenden Raumes. Inmitten von Auflösung und innerhalb dieser tendenziell gleichsetzenden Nivellierung wurden Ungleichgewichte durch Luftströme aufrechterhalten, sprich die unterschiedlich dicht mit Nebel befüllten Raumzonen ermöglichten überhaupt eine Projektion. Es wurde ein kontrapunktisch gesetzter »dialectic turn« einer menschlichen Behauptung ausgerufen. Einerseits als hypothetische Behauptung, dass gleichsam unter der projizierten menschlichen Figur der Nebel der eigentliche Akteur sei. Andererseits konnte diese, nur mehr fragmentarisch und sich mit den Nebelschwaden verziehende und wieder zart zusammensetzende menschlichen Figur als trotzige, melancholische oder sich erst neuformierende Behauptung verstanden werden, als Behauptung des Menschen an sich, nämlich im Sinne seiner Weigerung zu verschwinden.
2017 wurde mit »Iceberg/The Entity« ein 2-Tonnen-Eisblock in der dunkel ausgeleuchteten Werkstatt der Stadtwerkstatt inszeniert, und damit ein Bedeutungstheater der unvereinbaren Widersprüche. Das Projekt ging von den Zusammenhängen und Widersprüchen aus, die hinsichtlich Natur und Technologie mit dem Material Eis einhergehen, und zeigte mit der massiven Entität Eis einen 48-Stunden-Meltdown, dem das Publikum beiwohnen konnte. Das Material performte sich selbst, indem es schmolz. Im systemisch-performativen Sinn bedeutete die erweiterte, in viele Richtungen kontextualisierte kalte bis schmelzende Materialität aber erhöhten Zusammenhang und Widerspruch: im global-ökologischen Gegensatz bedeuteten dies nichts weniger als die Aussage, dass während unserer Zivilisation die Polkappen wegschmelzen, die technologisierte Welt zunehmend enorme Energiemengen und Datenkühlschränke benötigt, um ihre digitalen Transaktionsketten von Smart Homes bis Blockchain bewältigen zu können. Wenig überraschend deshalb, dass nicht nur die benötigte Energie für die Herstellung eines Eisblockes ihren unerwartet hohen Preis hat, ebenso haben vor allem diejenigen Energiemengen ihren Preis, die etwa für das Betreiben von Serverfarmen notwendig sind – in Cash und auf der ökologischen Bilanz. Weiters thematisierte der Eisblock eine Form von Abgeschlossenheit und Materialität, die gleichermaßen für die Abgeschlossenheit und Materialität von Natur und Technologie steht, und zwar als ausgestelltes, in sich abgeschlossenes und unzugängliches Territorium, vom ewigen Eises bis zur Machbarkeits-Hybris. Einige Worte zum ausgestellten 2-Tonnen-Eisblock: Diesem war auf beeindruckende Weise anzusehen, dass Wasser beim Gefrieren verschiedenste Strukturen formt, deren physikalische Eigenschaften sich durchaus brachial bis fragil in verschieden gefrorenen Schichten zeigte. Bei der Anlieferung sprengte der Block sein Gehäuse um dann, in sich gebrochen, durch das Schmelzwasser, das in den Riss gelaufen und neuerlich gefroren ist, seine Ganzheit zuallererst selbst wiederherzustellen. Und abgesehen vom Schmelzvorgang an der Oberfläche bildeten sich beim Schmelzen innerhalb der Eisstruktur kleine Kapillargefäß-artige Tunnel, die sich auf unerklärliche Weise wie aus sich selbst mit Luftbläschen füllten, deren Luft dann, sobald diese Tunnel sich zur Oberfläche hin öffneten, in den Raum entweichen konnten – eines von mehreren »Phänomenen«, denen das Publikum fasziniert zusah. Dass weder das Gefrieren noch das Schmelzen – zumindest in nicht ideal abgeschlossenen Systemen und überhaupt ganz generell schwierig – von der Physik exakt berechnet werden kann, ist darüber hinaus eine erstaunliche Tatsache. Ebenso eine kurze Erwähnung wert ist, dass geschmolzenes Eis eines der klassischen Beispiele für Entropie ist, im Sinne eines unumkehrbaren Prozesses, was etwa den Temperaturangleich des Materials an die Umgebung anbelangt. Dass die neun Zehntel oder sieben Achtel unter der Wasseroberfläche eines Eisberges liegenden Eismassen derjenige unsichtbare Teil ist, der als unsichtbare Materie erst das Gebilde Eisberg vor dem Absaufen bewahrt, ist ein schönes Sinnbild von unter der Oberfläche liegenden Ressourcen, und ein massives Bild, das fast schon einem Manifest gegen den gleichverteilt durchmischten Zustand und einer permanenten Sichtbarkeitsdiktatur gleichkommt. Und zum kalten Abschluss: Dass Kälte ein Faktor ist, der weitere Assoziationen eröffnet, indem sie, in Richtung absolutem Nullpunkt nach unten getrieben, eine Gedankenlinie zum adiabatischen System eines Quantencomputers eröffnet, mag vielleicht schon ein wenig weit gehen, aber Tatsache scheint zu sein, dass Quantencomputer nur abgeschirmt, im Hochvakuum und wenig über minus 270 Grad funktionieren, um dann jedoch, auf merkwürdig andere Weise Informationszustände zu prozessieren. Also Welt verstehen bei totaler Herausnahme von Welt – ein bizarr bewusstseinserweiternder Widerspruch. Jedenfalls, in textlicher Reflexion und mit einem systemisch-performativen Ansatz wurden bei »Eisberg/The Entity« all diese assoziativen Kontexte, die mit dem Material Eis einhergehen, sozusagen materialimmanent dem Block Eis mitgegeben. Eine vorhandene Definition von negativer Entropie, nämlich die Erhöhung von Komplexität, wurde in all diese gleichzeitig vorhandenen und teilweise sehr weitläufig assoziativen Systeme zwischen Natur und Technologie erweitert. Sie wurde in die sprachliche Beschlag-wortung einer »Erhöhung von Widerspruch« dieser Kontexte gewendet.
Dem künstlerischen Rechercheaufbau von Quasikunst folgte 2018 nach diesen beinahe immateriellen Materialien Untergrund, Nebel, Eis der Wind. Der Kunst- und Kontextresearch zeigte in diesem Jahr »vier verblasene Koordinaten zwischen Kunst-Agens und Körper-Movens«. Der Fokus lag auf Luft, Transparenz, Ungreifbarkeit und der Vergrößerung von Distanz. Luft und Wind standen gleichermaßen für Atmen und Denken, für Körperliches und Abstraktes zugleich, standen für Geist und unsichtbare Massen von Molekülen – unverbunden und weitläufig. In »Windlines« sollte Luft durchs Haus der Stadtwerkstatt geblasen werden, als Luftzug der freien, bzw befreiten Wahrnehmung, in einer zunehmend durch starre Netzwerke definierten Welt. Fragen nach einer anderen Art der Organisation von Denken und Fühlen wurden gestellt, im Sinne eines Bekenntnisses von »Lieber verblasen als vernetzen«. Letzten Endes wurde die Idee eines kräftigen bis säuselnden Luftzuges durchs Haus, der durch eine starke Windmaschine erzeugt werden sollte, aber zugunsten einer Ventilatormaschine aufgegeben. Diese verwirbelte die Luft größtenteils nur mehr statisch in einem vergleichsweise kleinem Umfeld – in dem Sinn, dass die Moleküle nicht einmal mehr zu einem Luftstrom organisiert werden sollten, während der Wind als sich über große Distanzen bewegenden Luftmaterie, als sinnlich spürbare unberechenbare Kraft ohnehin mit der ausgestellten Maschine assoziiert wurde und schlichtweg dort belassen wurde, wo er ist, nämlich in der Natur und in Freiheit; bzw sollte keine Anordnung eines künstlerischen Artefaktes von Wind, der den Affekt von Freiheit und Natur nachstellt, geboten werden. Stattdessen wurde innerhalb des Projektkonzeptes der Luftverwirbelung der ungeordnet in sich und durch zufällige Bewegungen im Raum verwirbelten Moleküle konzeptuell ein Video beigestellt, das exemplarisch an einem weit entfernten Ort einer Sandwüste auf ein körperliches Movement in einem Sandsturm verwies. Das Video hielt eine Körperbewegung fest, die durch Wind angetrieben wurde. Weitere derartige Aktionen von Movement wurden an anderen Orten ausgeführt, etwa am Meer. Diese Videos wurden allerdings nicht gezeigt - denn Unverbundenheit, Freiheit, die Erfahrung von Distanz und Weite liegen außerhalb des Ortes und der Zeit, die Referenzen wurden jenseits einer ausgestellten Gegenwart gelegt, die Erfahrung kann nur mehr in einem Körper erinnert werden, der sich selbst mit dieser Erfahrung jedoch nicht ausstellt. Es war einmal, ist woanders, und wird auch niemandem mehr zur Verfügung gestellt.
Drei weitere Projektkoordinaten innerhalb des Wind-Zusammenhangs: »Movement A« war eine Referenz auf Walter Benjamins Engel der Geschichte, der mit weit aufgerissenen Augen auf die Explosion der Geschichte starrt, wie auf ein kosmologisches Ereignis, während er angesichts der Katastrophe rückwärts in die Zukunft geblasen wird: Im – hier tatsächlich gezeigten – Video wandert als Impression eine rückwärtsgehende Figur über einen Platz, sozusagen nach dem ersten Sturm der Geschichte – auf ewig und in geometrischen Mustern. Sie zeichnet eine momenthaft erinnerte gleichförmige Erinnerungsspur. Anstoß ist aber nicht mehr die mächtige Katastrophe, sondern es spulen sich Schleifen von Geschichtslosigkeit an sich ab, die vielleicht
größere Katastrophe.
Als weitere Projektkoordinate wehte bei »48 Hours of Drifting« eine beinahe transparente Flagge im Wind – für ein Land der großen inneren wie äußeren Entfernungen, für ein driftendes Land ohne Territorium, für ein Land of Unconsciousness, für unbestimmte Verhältnisse unter den Netzwerken.
Besonderes Augenmerk gilt jedoch der vierten Projektkoordinate »Disappearing (50.000)«, bei der gar nichts gezeigt wurde, die ein Projekt verankerte, das nicht gemacht werden wollte und das sich, aus seiner Konzeption heraus, von vorneherein seiner Umsetzung entzog. Dieses Projekt bezog sich mit dem angedeuteten Titel auf eine große Zahl von Akteuren, auf deren Unsichtbarkeit, Auflösung und Aufhebung, und wurde programmatisch nicht ausgearbeitet. Es stellte in diesem Sinne die größte Immaterialität dar, in dem es gar nicht, nicht mehr oder noch nicht umgesetzt wurde – mit Verweis auf Projektfiktionen, die im Untergrund des lediglich Imaginierten belassen werden sollten. Das bedeutete ein grundsätzliches nicht-Sichtbarmachen-Wollen von etwas, das NICHT an die Oberfläche gehoben werden soll. Es handelt sich hier um eine tatsächliche Sehnsucht nach dem Dunklen, dem Schatten, der Ruhe und der inneren Verschiebungen, aber vor allem um eine Kritik an der Totalität, an Rücksichtslosigkeit, an sichtbarer Oberfläche, an den Gewaltakten der Produktion und der Rationalisierung. Es handelt sich - mit diesem Gegenstatement zur Sichtbarkeit - möglicherweise um eine Kritik an der großen Zahl, ganz sicher aber um eine Kritik an einer Verrechnung und Big Data-Kontroll-Verramschung von Welt, und an der Tendenz dessen, dass die Karte zum realer-than-real-1:1-Modell von Wirklichkeit zu werden droht, an einer potentiellen Möglichkeit der Observation und der digitalen Überwachung eines jedes Gedankens und jedes einzelnen Atoms der Welt, als totalitäres Nullsummenspiel des Vorhandenen, wo es doch um das Nicht-Nullsummenspiel mit offenen Systemen gehen sollte, oder, mit hier eingeführten Systemen des nicht-Vorhandenen, während sich diese Welt überhaupt in einem Dystopia der Bekanntmachung auflöst. Einige Referenzen auf das Immaterielle bis nicht-Vorhandene wurden bereits oben gemacht. Im Sinne des Nicht-Nullsummenspieles denke ich aber manchmal daran, die Referenzpunkte noch weiter außerhalb von Gegenwart und/oder Realität zu legen, bzw die Themen der großen Datenmengen in formlose Fiktionen oder Absurditäten hineinzuführen. Im Sinne des Dystopias der Überwachung der großen Zahl und eines normalerweise unsichtbar bleibenden Untergrunds denke ich etwa manchmal an ein behauptetes »Projekt« mit etwa einer großen Anzahl an Insekten, am besten mit allen Insekten des Planeten. Aber dieses »Projekt« läuft bereits als ihre systemische Dystopie – für den Menschen, on the long run wahrscheinlich nicht für die Insekten –, und jeder thematisierende Ansatz einer Realisierung wäre euphemistisch.
In einem bizarren Gedanken denke ich außerdem manchmal daran, in der wind- und sandverwehten Umgebung einer Wüste in einem Sandloch ein ausrangiertes Flugzeug einzugraben. Michel Serres hat etwa den Schlaf während eines Langstreckenfluges als Quasi-Tod bezeichnet, also in gewisser Weise den Widerspruch von Ruhezustand innerhalb von hochbeschleunigter Technologie benannt. Ich assoziiere mit diesem Bild eine merkwürdig stimmige Karte, was diese Bedeutungskoordinaten von Sand als ehemaligem Leben bis Quarzsand für die Halbleiterindustrie anbelangt. Ich assoziiere bei den amorphen Sanddünen und der erwähnten formlos gegrabenen Grube auch ein permanent verwehtes, in ihren unzählbaren kleinsten Sandpartikeln in sich abrutschendes Gegen-statement zur Erz- und Stahlgeschichte unserer Zivilisation, denke an ein Gegenstück zum Herausschlagen von Sinn, Zweck und Profit aus festem Material. Man kennt das Herausschlagen von Kultur aus der Natur ja quasi als Kernkompetenz unserer neueren industrialisierten Sozial- und Kulturgeschichte. Man findet diesen gleichsam mythologischen wie sozialphilosophischen Ansatz auch in den verschiedenen Ring-Mythologien, die bekanntermaßen den Übergang der Vormoderne zur Moderne verhandeln: Zuerst Erz aus dem Berg schlagen, dann durch technologischen Voodoo einen Ring schmieden, dann folgen Verträge und Kapital – und bereits zu diesem Zeitpunkt sind alle unglücklich. Jetzt erleben wir diese Zyklen in immer schnelleren Abfolgen, Stichwort Hochfrequenztrading und Systemelemente, die überhaupt nicht mehr von Menschen überwacht werden. Das alles, all diese Widersprüche beschreiben in gewisser Weise ein beschleunigtes High-end des Untergangs, des Quasi-Todes einer Gesellschaft von schlafenden Luftreisenden, das permanente Verwehen und Abrutschen von fest wie unflexibel konstruierten Dingen im sandig gewordenem Untergrund, auf dem wir herumrutschen, den wir mit alten Werkzeugen neu zu kultivieren versuchen … und das alles markiert am Ende der bisherigen gemachten Verträge eine Politik am Wende-punkt ihrer Verflüssigung.
Viele dieser Projekte und gedanklichen Ansätze hantieren mit Begriffen wie Nivellierung, Auflösung, Gleichförmigkeit, Totalität – und markieren damit den kritischen Punkt der Arbeiten. In dieser Kritik der Totalität berühren sie damit auch eine Definition von Entropie, nämlich in dem Sinn, dass, wenn maximal gleichförmig unterschiedslose Zustände eines Systems erreicht sind, zum einen die Maßzahl für Entropie hoch ist, zum anderen dieses System durch seine Unterschiedslosigkeit in sich keine Information mehr bietet und, außerdem in Bezug zu seiner Umgebung problematisch ununterscheidbar geworden, seinem eigenen Tod ins Auge sieht. Mit den oben erwähnten Quasikunst-Projekten werden jedenfalls die systemisch widersprüchliche Kontextualitäten, die zunehmend abgeschlossene und in-sich-vermischte Ausgangslagen in ihrem gleichzeitig gleichförmigen wie äußerst widerspruchsvollen Zusammenhang inklusive Ausschaltung ihrer Historizität, beschreiben, in Richtung noch mehr Nivellierung, Auflösung, Gleichförmigkeit, Totalität oder schlichtweg auch in Richtung ökologisch/ökonomischen Zusammenbruch argumentiert. Die Strategie innerhalb dieser Quasikunst-Projekte ist, innerhalb dieser dystopischen Dynamiken die Gleichförmigkeit oder die in ihren kleinsten Teilen gleichzeitig vorhandenen Ja/Nein-Zustände in ihrer Widersprüchlichkeiten insofern zu durchbrechen, als dass etwa bei den Projekten »I like Trees and Human Rights« oder dem »Nebelbalett« mit Subsoil, Verschmutzungsgraden oder wie beim Nebel mit einer Umdefinition von Akteuren oder mit systemisch aufrechterhaltenen Ungleichgewichten gearbeitet wird. Mit der Hereinnahme von Welt, Moral, Technologie, Historizität und Interpretation in ein System Kunst wird durchaus auch mit Verschmutzungsgraden einer ästhetischen Diskussion von »reiner Kunst« gearbeitet, die sich auch in zeitgenössischen Kunstströmungen oft genug nur als Kunstkonvention herausstellt. Quasikunst-Projekte verstehen sich insofern als Kunst und gleichzeitig nicht als Kunst (Quasikunst = Kunst = ja/nein), als dass sie die Systeme und Subsysteme von Gesellschaft in ihren ebenso vorhandenen Ja/Nein-Zwischenzuständen ihrer Mitwirkung gleichzeitig verhandelt, in dem sie jenseits der Konvention eine »Ästhetik« von logisch paradoxen Ableitungen und systemischen Gegenüberstellung herstellen. Die Systeme performen in der Realität ohnehin schon ihre Dekonstruktion – besonders in ihrer Einschreibung von Kapital und Technologie bis in die kleinsten Bereiche von menschlicher Existenz, oder auch bis in die größten Bereiche der ökologisch/ökonomisch globalen Zusammenhänge. Das oben genannten Plädoyer für Verschmutzung, Ungleichgewicht, etc wird innerhalb der Quasikunst-Projekte »Eisberg/The Entity« und den diversen Immaterialitätsaspekten bei den oben genannten »vier verblasenen Projektkoordinaten« jedenfalls auch angereichert, wird auch zu einem insgesamten Plädoyer für die Erhöhung von Widerspruch – oder einer Vergrößerung von Distanz, oder zu einem Plädoyer für nicht-sichtbare tragende Untergründe, systemische Unzugänglichkeiten, die Reservoirs bilden, oder Formen von Bewusstseinszuständen und Bewusstseinsfeldern, die sich den direkt rational-mechanistisch-technologischen Zugriffen entziehen. Die Vergrößerung, bzw unangetastet gehaltenen, nicht-umgesetzten, verdunkelten oder vielleicht sogar an sich unbekannten immateriellen Ressourcen der Imagination sind dabei ein zentraler Faktor. Ohne diese Reservoirs unter der Oberfläche säuft alles ab. Diese Speicher dürfen nicht noch mehr rationalisiert und kapitalisiert werden. Die Ressourcenfrage ist ohnehin eines der großen Knappheits-Themen der Zeit, hinsichtlich Energieversorgung, Datenkapazität, Umweltthematik und wegen der allseits herrschenden Ausbeuterei bereits global vor/am/über einem Point of no Return angelangt. Aber es gibt auch andere Ressourcen, die gegen die gleichgemachten Oberflächen (wieder)hergestellt werden müssen: Auch die Speicher der Passivität und der verdunkelten Vorhaben sollten abgeschirmt gehalten werden, die Speicher der Kreativität, der Gefühle und der Selbstwirksamkeit, der anderen Bewusstseinszustände und der Areale des Unconsciousness – dies alles darf nicht kolonialisiert werden, muss in sich sakrosankt sein. Das vor allem deswegen, um damit für eine Art von Ressource zu plädieren, deren Erhalt am Ende für nichts weniger als für eine Dialektik von Leben/Nicht-Leben von Relevanz ist.
Ich komme am Ende nochmals auf den Begriff der Entropie. Entropie meint in ihrer umgangssprachlichen Verwendung oft den Grad der Unordnung, des Chaos oder der Unumkehrbarkeit. Der Grad der Unumkehrbarkeit der Prozesse ist für uns Menschen intuitiv zu verstehen: etwa ein geschmolzenes Stück Eis, ein abgebranntes Stück Holz, der eigene Tod oder auch der angerichtete Mess der Informationsge-sellschaft. Die lebensweltliche Anwendung des Begriffes Entropie ist allerdings problematisch. Des Öfteren wird als Beispiel für Entropie etwa ein Teig angeführt. Dieser Teig kann nicht mehr in seine Ingredienzien entmischt werden, in seiner korrekten Bezeichnung als Vermischungs-entropie ist er aber weder unordentlich und chaotisch, sondern in sich, sofern gut durchgeknetet, sogar maximal gleichförmig. Der Grad der Entropie ist deshalb hoch, weil jeder kleinste Teil des Teiges der großen Gesamtheit entspricht. Das System bietet in sich keine Unterschiede mehr und damit auch keine Information über seine Ganzheit hinaus. Negative Entropie hingegen ist aber durchaus noch einmal etwas ganz anderes als eine hohe oder niedrige Maßzahl für Entropie. Sie scheint als »freie Energie« außerhalb des eigenen Systems zu liegen. Erwin Schrödinger, der von der negativen Entropie als »freier Energie« geschrieben hat, definiert dahingehend Leben als etwas, das, Zitat Wikipedia, »negative Entropie aufnimmt und speichert. Das bedeutet, dass Leben etwas sei, das Entropie exportiert und seine eigene Entropie niedrig hält: Negentropie-Import ist Entropie-Export.« In sehr einleuchtender Weise lässt sich das als Konzeption des Lebens lesen. Leben erhebt sich sozusagen aus der Gleichförmigkeit heraus, indem es Unterschiede zu machen imstande ist, in dem es fähig ist, freie Energie aus anderen Systemen zu importieren und Entropie (= Gleichförmigkeit) zu exportieren. Jedenfalls, wenn alles gleichförmig ist, ist es tot. Aber immerhin könnte der »tote« Teig des einen zur freien Energie des anderen werden – indem er schlichtweg gegessen wird, denn des einen Gleichförmigkeit ist des anderen Neuordnung, zumindest solange die Systeme offengehalten werden können, oder sich durch jeweils von außen zugeführte Energie neu formieren können. Mir ist bewusst, dass diese Gedanken sehr bildhaft sind und Entropie ein Begriff ist, der jenseits der Physik mitunter sehr disparat bis albern verwendet wird. Mir ist auch bewusst, dass man wahrscheinlich erst, wenn man den oft zitierten zweiten Lehrsatz der Thermodynamik halbwegs rechnen kann, versteht, wie sehr interpretativ und far away diese interpretativen und symbolischen Überlegungen sind. Ich weiß auch, dass der Begriff Entropie von Informations- oder auch Systemtheorie bis hin zur Kunst oder Kulturtheorie jeweils andere Verwendungen findet. Dennoch fasziniert der simple Satz, dass Leben der Import von negativer Entropie ist, also von Hereinnahme freier Energie von außerhalb in das eigene System, bei gleichzeitigem Entropie-Export aus dem eigenen System. Ich verstehe den Satz, dass jedes in sich und mit seiner Umgebung komplett gleichförmige System tot, bzw auch totalitär ist, und dass Leben die Fähigkeit ist, gegen diese Gleichförmigkeit Unterschiede herzustellen. Mir gefällt der Gedanke, dass die Herstellung von Unterschieden, also die Organisation von Entropie im Innen- und Außenverhältnis als Bewusstsein gelesen werden könnte, vielleicht also Bewusstsein als Verfahren von Leben zu lesen ist, Entropie zu organisieren, also ein »energetisches« oder »informatives« Innen und Außen zu verhandeln, während sich das bewusste Leben sozusagen selbst – als Ich – im Gegensatz zum anderen konstituiert. Ob es eine solche Gedanken-führung schon gibt – ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ja, vermutlich anderswo besser.
Alles in allem: Ich verstehe die Notwendigkeit dieser freien, dunklen, ungereinigten, widersprüchlichen bis immateriellen Untergründe oder Ressourcen im Sinn einer negativen Entropie, die ich so zumindest auch in meinen Quasikunstprojekten bedenke. Zudem bedeutet es bei den oben genannten Projekten – bis hin zu diesem Text – auch oft, die Gedanken aufzufangen, die sich neben den aktiv angearbeiteten Fakten quasi wie aus dem Nichts, aus dem Subsoil der Körperlichkeit, des Minds, der Erfahrungen, der Erinnerung, der indifferenten Bedeutungsbereiche des Bewusstseins – sprich: aus anderen Quellen – hocharbeiten und dann keine Ruhe mehr geben: Nicht nur Leben, sondern auch Inspiration ist schließlich das, was den Unterschied macht.
Aus den großen dunkel gehaltenen Zonen von Natur, Body and Mind, und den überhaupt anderen Bewusstseinszuständen, erhebt sich für mich eine Vermutung, dass diese Ressource, oder das Bewusstsein als Organisator dieser »freien Energie«, oder auch als Organisator von Information, oder vielmehr von Wissen und größerem Zusammenhang, mitsamt der Quellen von Irrationalität, des Dunklen, des Körperlichen, oder einer in der Natur, die sich evolutionär über Jahrtausende bis Jahrmillionen gemeinsam entwickelt hat, von Ontogenese bis Phylogenese und Sternenhimmel, also dieses Bewusstsein auf einer anderen Ebene diese Ressourcen viel besser zu verstehen und zu nutzen imstande ist, als das kultivierte und erzogene Wachbewusstsein des Menschen das für möglich hält … In diesem Sinne bleibt am Ende nochmals ein Plädoyer für den tragenden Untergrund, die dunkle Bedeutung und ein Mehrfaches an möglichen Bewusstseinszuständen als Organisatoren dieser freien Ressourcen – an einer Notwendigkeit der Unterscheidung von Leben und Nicht-Leben.
Mit dieser neuen Dialektik von Leben/Ja/Nein zurück zum Quasikunst-Beginn: Ich bin in meiner dritten Person. Entropie, das sind die anderen. Wahr sind nur die Vorgänge, die sich selber nicht verstehen.