»Freiheit ist keine Metapher«

Adrian Jonas Haim über einen neu erschienenen Sammelband zu Antisemitismus, Migration, Rassismus und Religionskritik.

Mit 37 Texten auf knapp 500 Seiten ist im vergangenen Oktober unter dem Titel »Freiheit ist keine Metapher – Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik« der fünfte Band der sogenannten Kreisch-Reihe im lesbisch-schwulen Querverlag erschienen. Gemein mit den anderen Publikationen der Reihe (u.a. Beißreflexe) ist dem Band eine harsche Kritik an der Identitätspolitik jener politischen Strömungen, welche der Herausgeber Vojin Saša Vukadinović in einer Vorbemerkung unter den Begriffen Genderfeminismus, Antirassismus und Queerfeminismus subsumiert. Diese seien, so Vukadinovićs harte Prämisse, zu Karikaturen von geschlechter-, migrations- und sexualpolitischen Emanzipationsregungen verkommen.

Der Sammelband ist in sieben thematische Blöcke gegliedert: Iran – Psychonalyse des Rassismus/Jihadismus – Antisemitismus – Judith Butler – Queer/Genderfeminismus – Kulturrelativismus – Identitätspolitik. Die Autor_innen sollen dem Herausgeber nach unterschiedliche politische Positionen einnehmen, was vor dem Hintergrund, dass die benannten Themen gleichsam die sieben Steckenpferde der (post-)antideutschen Kritik bedeuten, etwas zu viel verspricht. Dennoch soll bereits an dieser Stelle eine Leseempfehlung ausgesprochen werden, da sich neben redundanten Szenegebeten auch viel Spannendes entdecken lässt.

»Obama ist nicht schwarz«

Besonders spannend liest sich der Beitrag des Psychoanalytikers Sama Maani (siehe Erstabdruck in der Versorgerin #111). Anhand des vordergründig widersprüchlichen Umstandes, dass Obama von Teilen der Black Community in den USA als »nicht-schwarz« gesehen wird – da er nicht von »westafrikanischen Sklaven« abstamme – jedoch dennoch von weißen Rassist_innen »Nigger« geschimpft wird, stellt Maani die Frage nach dem Verhältnis zwischen negativer und positiver Identität, die er anhand Jean Amérys Essay »Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein« beantwortet. Améry, der seinen assimilierten jüdischen Vater kaum kannte, wuchs als katholischer Bub in einem österreichischen Dorf auf. Seine Identität als Jude materialisierte sich negativ mit den nationalsozialistischen Rassegesetzen und den Gräueln, die ihm in Auschwitz wiederfuhren. Über eine positive Identität, daher über ein Gefühl von Zugehörigkeit, von Stolz und Würde, verfügte er deshalb keineswegs. Maani zieht die Parallele zu der Obama-Debatte insofern, als dass sich Améry eben keine positive Identität ableiten wollte oder konnte und erklärt die Identität psychoanalytisch als etwas imaginiertes, innerliches, das mit dem Außen korrespondiert und in letzter Konsequenz nach Selbstwertschätzung trachtet – was jedoch das Potential der negativen Bewertung des Äußeren oder Anderen mit einher bringt
und die Differenzierung zwischen Eigen- und Fremdzuschreibung notwendig macht.

Materialistische Rassismusanalyse

Dennis Schnittler gelingt mit seinem Text »Der ewige Neger« eine bemerkenswert stringente, historisch-materialistische Analyse jener 300-jährigen Geschichte des globalen Rassismus, in welcher sich dieser entlang der ökonomischen Verhältnisse des Kapitalismus entwickeln konnte. Frei von Pathos und Polemik schließt er dieses must-read mit einer präzisen Kritik an postmodernen Ansätzen, die auf der textuellen, vermeintlich performativen Ebene stehen bleiben und es also dabei belassen, die real nicht-existente Gleichheit zu behaupten: »Diese Gleichmachung des Ungleichen im Denken behindert eine wirkliche Analyse der von den falschen Trennungen des kapitalistischen Alltags bestimmten, gesellschaftlichen Verhältnisse. Diese speisen bis heute eine über alle ideengeschichtlichen Entwicklungen der letzten 300 Jahre hinweg in ihren Inhalten weitgehend gleichgebliebene, rassistische Ideologie.« (S. 75)

Exklusiver Universalismus?

Im Themenblock Antisemitismus finden sich multiple Zugänge, so etwa eine Untersuchung des Antisemitismus im HipHop, eine Kritik des »Pinkwashing«-Vorwurfs seitens queerer Aktivist_innen oder eine Exegese der Verschränkungen von Feminismus und Antizionismus, die beispielsweise sehr anschaulich an der Person Linda Sarsour dargestellt wird. Besagte Verschränkung bezieht sich nach den Autor_innen Lisa Bertel und Oliver Vranković auf signifikante Teile der aktivistischen, akademischen und institutionellen Öffentlichkeit in den USA; so hat etwa die National Women’s Studies Association (NWSA), die größte nordamerikanische, feministisch-akademische Organisation, begründet durch das Theorem der Intersektionalität den Boykott des Jüdischen Staates auf ihre Agenda gesetzt, was ob der Realität, in welcher Israel in Sachen Feminismus eine Oase in der Wüste bedeutet, paradox wirkt. Den antizionistischen Feminismus, der den Ausschluss proisraelischer Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen aus Gruppen und Organisationen forciert, bezeichnen Bertel und Vrankovi´c ob seiner Widersprüchlichkeit treffend als »exklusiven Universalismus«. (S. 114)

»Freiheit ist weder westlich noch östlich, sondern universal«

Im Zentrum der thematischen Abschnitte zu Kulturalismus und Migration kritisieren die Autor_innen - unter ihnen bekannte Namen aus der ex-muslimischen Politszene, wie Kacem El Ghazzali oder Fathiyeh Naghibzadeh – die Schieflage des Islambildes in der westlichen Linken, welche eben nicht mit universalistischen, sondern vielmehr mit partikularistisch-kulturalistischen Kategorien arbeiten. Dabei wird eindringlich auf die Situation von ex-muslimischen Religionskritiker_innen verwiesen, die im Sujet der westlichen Linken kaum Berücksichtigung finden und völlig zu Recht die peinliche Stille angeprangert, die gegenüber der Unterdrückung progressiver Menschen in islamistisch dominierten Ländern herrscht. Der Titel »Freiheit ist keine Metapher« entstammt einem Zitat der Kritikerin Naghibzadeh und die argumentativ starken Texte der Rubrik machen klar, dass der Titel kompromissloses Programm ist.

Die Gesamtbewertung des Sammelbands »Freiheit ist keine Metapher« fällt entsprechend der unterschiedlichen Qualität und Themenrelevanz der Beiträge ambivalent aus. Bestimmt wäre es dem Unterfangen zuträglich gewesen, weniger und dafür thematisch konkreter gewählte Texte auszusuchen – so kritisiert und diskutiert etwa der Block zu Judith Butler wirklich alles, was man an der dubiosen Antizionistin und ihrem Gefolge kritisieren kann und längst vielfach kritisiert hat, nur eben nicht jene Werke, welche ihr Standing im akademisch-feministischen Diskurs ausmachen. Auch wäre es der Ernsthaftigkeit des Bandes zugutegekommen, etwas an Polemik zu sparen – und damit sind noch nicht einmal die Texte »Mein nackter Hintern« von Amed Sherwan oder »Räumt die geistigen Ausländerbehörden« von der Gruppe gegen migrantische Weinerlichkeit gemeint. Gleichsam mag darin eine positive Qualität des Sammelbandes liegen: er setzt den postmodernen Sprechverboten eine gewaltige Ladung Frechheit entgegen, welche jenem autoritär-moralistischen Teil der politischen Linken, dem das Buch negativ gewidmet wurde, bestimmt und treffsicher vor den Kopf stößt.

Wer sich also für den Stand der deutschsprachigen Debatte zwischen (post-)antideutschen und postmodernen Politikströmungen interessiert, dem sei »Freiheit ist keine Metapher« dringend empfohlen.

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Vojin Saša Vukadinović (Hg.): Freiheit ist keine Metapher - Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik. Querverlag 2018, 400 S., Broschur
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