anthro po zähne. can the intellectual not speak?

Einladung an Stefan Schmitzer, sich ans anthropozäne Denken heranzuschreiben – direkt an die Subjektfrage, als Essay und Poem.

theorie

ein begriffsimport aus der geologie ins theoretische und künstlerische: »anthropozän« als bezeichnung desjenigen teils des holozän, dessen korrespondierende geologische strata durch die sicht- und messbare präsenz des menschen bestimmt sind. wir hören von politisch-philosophischen denkschulen, die den begriff weiterdenken, die drüber nachdenken, was seine existenz indiziert; wir hören in konkreten politischen diskussionen, wo es um konkrete politische kämpfe und kräftefelder zwischen konkreten leuten geht, plötzlich [(wieder)|(erstmals)] ganz über-konkrete, utopische entwürfe aufpoppen. und zwar [(entwürfe)|(postulate)] des posthumanen [(denkens)|(fühlens)], die erstens auf praktische überwindung der engen körpergrenzen des subjekts [(menschentier)] hinauswollen; und zweitens solche, die v. a. auf theoretische überwindung des kolonial-idologischen begriffs davon hinauswollen, was ein vollwertiger mensch, ein vollwertiges humanes subjekt wäre. 

das klingt plausibel, klingt nach erweiterung des franchises der aufklärung. im ersten fall (cyborg): »theoriefähiges subjekt« muss nicht mehr genau fünf finger pro hand, zwei augen pro angesicht, ein gehirn pro sprecherin usw. haben; fuzzy spaces erschließen sich, hurra. und im zweiteren fall (postcolonial dingsbums): »theoriefähiges subjekt« sei nicht notwendig bezogen auf den hintergrund des großen weißen abendlandes, brauche nicht mehr notwendig einen pimmel, einen descartes  und usw.

weniger plausibel wird‘s, wo jene theorie-autorinnen offen lassen, ob sie das franchise erweitern oder abschaffen wollen; wo schlicht, weil die alten erstbegründer der aufklärung rassistisch-koloniale saubarteln waren, ihre überwindung als verkehrsform im raum steht – und zwar wodurch? … beim durchlesen der arbeiten von autorinnen wie spivak (»can the subaltern speak«), haraway (»cyborg manifesto« ff), latour (»das terrestrische manifest«) erscheint dem autor dieser zeilen: die explizite überwindung der aufklärung durch blanke, im engen sinne grund-lose, also boden-lose poesie. poesie als explosion des möglichen, als rückgriff der sprache aufs »unmittelbare« subjekt. nicht vermittelbar. auch der theoriesprache, auch dem theoriesubjekt nicht. 

genaue diskussionen über die vokabeln der einzelnen systeme und die plausible herleitung derselben wären hier fällig, nicht unter dissertationslänge. die fragen laufen – nach dem bescheidenen dafürhalten des verfassers – letztlich darauf hinaus,  ob jenes denken in subjekt-möglichkeitsformen dort, wo es sich politisch gibt, den boden von empirie und materialismus tatsächlich verlässt oder nur kokett so tut als ob. 

es gibt sie ja wirklich, diejenigen antikolonialen abwehrkämpfe, wo die rollen tatsächlich so klar und einfach verteilt sind wie im kinderfernsehen von 1985 – HÜBEN die verteidiger*innen eines stücks urwalds oder sonst einer naturresource, so sehr an leib und leben bedroht wie, »theoretisch«, in der dimension ihrer (vormodernen) weltdeutung attackiert, und DRÜBEN die angreifer*innen, betreiber*innen der industriellen vernutzung der jeweiligen ressource und/oder blanke raubmörder*innen, besitzerinnen von werkzeugen wie etwa der motorsäge, dem kant‘schen subjektbegriff, dem schießgewehr oder dem bagger. 

doch als spielmarke in akademischen, theoretischen bündnispolitiken, als kritischdiskursiver impuls, läuft solche art von »kritischem denken« hinaus auf die ablösung von prinzipiell hinterfragbaren vernunftkriterien als öffentliche gesprächsgrundlage durch prinzipiell unhintergehbare, im »hörenden subjekt« aufsteigende »empfindungen von solidarität« mit »nicht-menschlichen akteur*innen«: auf die wiedereinführung des finstersten mittelalters als emanzipatorischer impuls gegen die zumutungen des ausdiskutieren-sollens. 

praxis

»schöne literatur«, überhaupt »die schönen künste«, die an den vokabeln, postulaten, dem sagen wir lebensgefühl jener strömungen anknüpfen, werden wesentlich eine noch ganz vortheoretische verschiebung in der selbstwahrnehmung des kunstsubjekts – des subjekts IM kunstwerk – zum thema haben: 

der mensch, der sich selbst von der materialität und/oder der zeitlichkeit des menschheitszeitalters her denkt, als kohlenstoffhäufchen im sediment unter anderen kohlenstoffhäufchen – er betreibt kunst(-sprache) unterm gesichtspunkt nicht des individuellen verlöschens, sondern des verlöschens der spezies. potentiell reden wir vom großen verlust des gegenübers, an das sich die gedichte und die geschichte richten können, den verlust des betrachters der bilder, des großen sammlers im himmel … klar macht das etwas mit der sprache. es macht etwa VERSTÄNDLICHKEIT als kriterium entweder viel, viel wichtiger oder viel, viel weniger wichtig. es stellt sich zum beispiel auch die frage nach dem medium der rede neu: (buch) | (lesung) | (granittafel) | (blatt im wind) | (schaltkreis-ballett) …

der verf. vertraut darauf, dass die utopischen formen des chtuluzänen denkfühlhörsprechens sich über die nächsten sagen wir 100 jahre mit den mindesterfordernissen vernünftigen, das heißt materialistischen denkens in deckungsgleiche bringen lassen werden. in der kunst  – als allererstes fällt dem verf. die lyrik daniel falbs ein, überhaupt ganz viel zeug, das im kookbooks-verlag rauskam  –, finden wir dahingehend ein bereits jahrzehntlanges, produktives gespräch (erstmal noch ungehindert von den anforderungen der empirie): 

wie könnte mensch in seiner menschenkunst von der warte des nichtmenschlichen aus sprechen – texte, die das sprechen ALS quallen, kalkschichten, wolkenformationen simulieren?

wie weit kann mensch das treiben, ZUM nichtmenschlichen zu sprechen – texte AN quallen, kalk- und wolkenschichten gerichtet?

und: wie wäre das, politically, mit der verantwortung der texte als teil der kolonialen menschenwelt FÜR die nichtmenschliche welt – sprechen IM INTERESSE VON quallen et al.? 

weiterhin sorgen bereitet dem verf. dabei auch in diesen kunstgebilden – und nicht nur den poetischen – die entsorgung jedes noch irgendwie handlungsfähigen subjekts, das [(im text)|(beim lesen des texts)] erkenntnisse gewinnt, aufgrund derer irgendwas getan werden kann. allerdemokratierteste kunst schlägt tendenziell um in das bestaunen eines un-abänderlichen soseins der welt, auch der sozialen welt. wo adorno noch knackig formulieren konnte »das ganze ist das unwahre«, und aufgrund dessen im kunstwerk stets das nichtidentische, unaufgegangene, unabgegoltene aufzusuchen fordern konnte – da bleibt uns unter dem hier beschriebenen paradigma, vor lauter einfühlung ins partikulare, selbst noch das gewahrwerden jenes ganzen verwehrt, das wir dann als das unwahre denunzieren könnten.

liegt da also insgesamt kunst ALS idologie vor, was ja nichts neues wäre? ist, in der summe jener einträge in die chronik der gedichte und der fernsehserien, die verfasstheit des subjekts im beginnenden neofeudalismus-elonmuskismus künstlerisch gut auf den punkt gebracht? – also: HIER die große, prinzipiell nicht mehr überblickbare welt – DA das kleine ich, das sich jene welt nur durch emphase, annäherung, angleichung erschließen kann; und DAZWISCHEN vermittelt statt einer historie ein ewiges jetzt, das halt immer so weiterwummert, statt intelligibel strukturiert zu sein. 

oder ist jener [(denk-)|(schreib-)] stil schlechterdings der adäquate abdruck der (korrekten?!) erkenntnis, dass in einzwei generationen eben schluss sein wird? ruhe im karton? baba? ende gelände? 

oder lässt sich das ganze alpdrücken [(dialektisch)|(materialistisch)] erklären, irgendwie aus den arbeitsbedingungen der theorie- und kunstproduzent*innen, und hätte mit der restlichen wirklichkeit außerhalb jener felder gar nicht so viel zu tun? (das ginge ungefähr so: »im haus des henkers spreche nicht vom strick; und in der neoliberal zugerichteten uni und kulturblase nicht vom kapitalismus. wenn du aber doch das anliegen hast, dass zumindest nach wirklichkeit und kampf und fortschritt rieche, was du machst, dann bleiben dir entweder identitäre integrationsdiskurse, oder die sorte von grundlegender begriffsarbeit, die zugleich die materiellen, empirischen grundlagen antikapitalistischer kritikfähigkeit zerstört UND für den moment stets auf der seite »unterdrückter minderheiten« zu stehen scheint.

nicht immer, aber oft geht es dem verf. mit beispielen von kunst, die an den genannten stellen anknüpft – ob das die erwähnten gedichte von daniel falb sind, oder die environnements und bilder des berliner duos boehler & orendt, usw – so wie mit wagner-overtüren oder dem zeug von strawinsky: sie üben den sog desjenigen aus, das an der kante des zum jeweiligen zeitpunkt künstlerisch grade eben schon möglich gewordenen sich abspielt; zugleich spürt der verf. das grade noch nicht mögliche dahinter und weiß nicht, soll er sich fürchten oder staunen.

 

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AUS: »zwei historien aus der tiefe der planetenräume. poem.«


(…)

zivilisation kardaschow-typ eins

eineinhalb mal zehn hoch siebzehn watt. alle kraft des planeten. alles kraft planet.
raupe frisst sich blatt.
raupe puppt sich.
raupe ist schmetterling.
oooo. schmetterling. ooo. oo. o.
yooo und mondstatn. mondstatn. (lila haare wie im tv.) mondstatatatatn.
station remember. traum himmel kraft. remember. mondstation. mann in den silbermond mit silberanzug hochgesendet. silberrock remember rocketn.
kein brösel erde erde esse see erd see ess ess ssee kein stahlklump stückchen tierhaut den die das wir nicht gegriffen hätten. ge griffen umgedreht verwandelt.
nicht mensch als erdölgeist. hurra.
erdöl mit menschlichem antlitz.
uran mit menschlichem antlitz.
brennholz wie helden der vorzeit.
staudämme wie milchmädchen.
die welt eine große platine.
walfische wie menschen.
und arktische füchse wie menschen.
und weizen wie menschen.
und manjok und algen als was von uns blieb.
au ja.

zivilisation kardaschow-typ zwei

eineinhalb mal zehn hoch siebenundzwanzig watt. das heißt von venus bis neptun summsisumm. sssssssssss. aaaaaaaaa. aaaaaaaaa. aaaaaaaaa.
DAS SIND DIE PLANETEN DIE SICH UM DEN STERN DREHEN
figürchen auf den einzelnen planetoiden im gürtel zwischen mars und jupiter. auf phobos und daimos liebende. auf io liebende. liebende auf neptun. liebende irgendwo im schwerefeld jupiters zwischen den gasschichten. am südpol der venus keine liebenden sondern nur entfernte bekannte die die halt rummachen. neben den liebenden auf neptun grafitti:
»companera cordula späth was here«. »alle macht den raumschiffen«. »die clear air turbulance was here«. »dieser raum ist eine stille welt«. »für all die liebenden ist dieser raum eine stille welt«. »ganz fern hörst du die einschläge in der oort‘schen wolke«. »ja du hörst die einschläge in der oort‘schen wolke«. »du bist nämlich groß genug«.
»hier kommt die idee mit dem dyson-band«. »das ist nämlich groß genug«. »eine sonne anstelle der sonne«. »eine sonne anstelle der stelle im raum«. »der mensch was here«.

zivilisation kardaschow-typ drei

vier mal zehn hoch siebenunddreißig watt. worüber man nicht sprechen kann. unausweichlich wird ausgesehen haben. was der fall ist. die idee von einem dyson-band ums schwarze loch im angelpunkt der galaxie ist der fall. die einzelnen partikel staub im weiten rauschendleeren nichts zwischen den planetenräumen sind der fall. der fall gemäß den ordnungen der schwerkraft nach dem tiefsten punkt im schwereschacht ist der fall. immer weiter. still.
der progressor johan-lukas pickelhering war hier.
der progressor sternreh war hier.
der progressor bodo holland-moritz war hier.
sein shuttle gehört der oberth-klasse an. (…)

Dieser Beitrag steht in Zusammenhang mit einem open call der Literaturzeitschrift perspektive für die Winterausgabe 2022/23, dessen Thema das Aufgreifen wissenschaftlicher Debatten zu Anthropozän und Golden Spike durch literarische/poetische Texte ist. 
Mehr unter: https://perspektive.at/