Die MEDIA()MESSe

Eine internationale Forschungsgruppe für neue Medien / Kunst+Hacking+Diy, konzipiert von APO33 / im MAI

Abstract

THE MEDIA()MESSe versammelte eine internationale Gruppe von Artist-Researcher zum Thema Neue Medien/Kunst+Hacking+Diy. 10 eingeladene Artists-Hacker aus europäischen Kunst- und Technologielaboren und Kollektiven arbeiteten gemeinsam an einer neuen Kreation, die auf den Disconnects unserer medialen Realitäten durch intermediale Kunst, DIY (Do it yourself), DIWO (Do it with others) und Medienaktivismus und audiovisuelle Performance aufbaute.  

Gemeinsam interpretierten sie die Medien und Netzwerke im Hinblick auf die aktuelle Situation der Welt und intervenierten als Forschungsgruppe mit einer Anordnung von mehreren Bildschirmen und Soundsystemen. Als aktuelle Reaktion auf die chaotischen geopolitischen und medialen Zustände in der Welt schuf THE MEDIA()MESSe einen Kontext der Transformation von Objektivität, in dem unser Gefühl der Trennung auf der De-Konstruktion unserer Vorstellung und der möglichen Interpretation von Realitäten beruht. 

Artists

Marinos Koutsomichalis, Julien Ottavi, Gisle Froysland, Maite Cajaraville, Katerina Undo, Jenny Pickett, Tanja Brandmayr, Jan-Nahuel Jenny, Felix Vierlinger, taro

Key words  

workshop | DIWO | sound | electronics | image | clothing | instruments | code | performance

Background

Apo33 kultiviert die tiefen intermedialen Wurzeln in unserer Gesellschaft, indem es Systeme/Biotope aktueller und veralteter Technologien durch ein Spektrum unterschiedlicher Anliegen und Beziehungen rotieren lässt: die von Piraten, Hackern und Elektronik-Enthusiasten bis hin zu Aspekten von Ökologie, Umwelt, alternativer Politik und eines anderen globalen Aktivismus. Wir graben unsere Hände in den Dreck von Low- und Hightech, Posttechnologie, toter Technologie und all den Räumen dazwischen und nutzen das Potenzial der missbräuchlichen Verwendung und Abweichung. Dieser kollektive künstlerische Forschungsansatz von Apo33 hat sich im Laufe von 25 Jahren entwickelt und resultiert aus dem Wunsch, dem exponentiellen Konsum und dem zunehmenden spätkapitalistischen Individualismus zu entkommen, der unsere sozialen Hierarchien von Kunst, Bildung, Forschung, Arbeit bis hin zu einer familiären und persönlichen Sicht auf die Welt durchdringt. 

Invitation

Für THE MEDIA()MESSe wollten wir einen Forschungsraum schaffen, der Entropie, Chaos und Unordnung in die Medienkunst bringt, die normalerweise das saubere, aufgeräumte, glänzende und hochproduktive Design bevorzugt, die sozusagen regulär eine High-End-Technologie widerspiegelt und geradezu verehrt.
Apo33 lud dazu drei künstlerische Labore ein, um ein temporäres Kollektiv zu bilden und gemeinsam die Ideen hinter einem/einer Media Mess(e) zu erforschen: die Stadtwerkstatt aus Linz, Österreich; Madlab aus Limassol, Zypern; und Piksel aus Bergen, Norwegen. Das Ziel von THE MEDIA()MESSe war es, eine neue Art von Performance für das 10-jährige Bestehen der Fabrique zu kreieren, einer Neugruppierung von Musik- und Kunstorganisationen auf der Ile de Nantes.  Wir wollten den Raum der Plateforme Intermedia dekonstruieren - neu aneignen - neu interpretieren, wo Künstler:innen zu Ingenieur:innen werden und wo Wissenschaft zu Fiktion wird. 

Conception

Eine Gruppe von Künstler:innen sollte gleichzeitig gemeinsam und getrennt arbeiten. Es ging um die Herstellung eines DIY-lokalisierten, laborübergreifenden Forschungsprozesses während eines kurzen Zeitfensters, in dem sich Kunstfiktionen und Kunstfunktionen in einem Paradigma der Chaosmose in der Deterritorialisierung unserer Common Sense-Gesellschaften und medialen Rationalitäten verbanden. THE MEDIA()MESSe, obwohl im Rahmen einer Veranstaltung mit Publikum organisiert, versuchte der Opposition von Publikum vs. Performer, Publikum vs. Künstler entgegenzuwirken, indem THE MEDIA()MESSe Grenzen verwischte, wer was produziert oder wer wen beobachtet, was im Ergebnis irgendwo zwischen einer Performance und/oder einer Installation lag.

Process

Der MEDIA()MESSe war ein DIWO-Prozess (do it with others), der als Online-Konversation per E-Mail begann und es allen Beteiligten ermöglichte, teilzunehmen und Ideen in Bezug auf die Interpretation des Themas, konkrete Vorschläge für den Umgang mit Medien und die pragmatische Umsetzung in der Plateforme Intermedia zu äußern. Jan-Nahuel Jenny (STWST) stellte die erste Frage: “What would our part be in the MEDIA()MESSe?” Was wird jeder von uns in diesem Chaos tun? Julien Ottavi (Apo33) antwortete: “We don‘t know yet what is the role of each other [...] we could define that together, there are probably ideas we haven‘t thought about and this is where everyone could get in.”  Die Absicht, der Kontext und die Frage, wie die Positionen definiert werden sollten, machte eine der Schwierigkeiten des Projekts deutlich. Jan Nahuel fuhr mit einem Vorschlag fort, der den MEDIA()MESSe-Prozess und eine potentielle Forschungsmethode umriss: 

“4(or more) player chaos media mess clash: 4(or more) stations generate sound, video light outputs over 2 hours – their intensity is subject to great fluctuation – for example we could say everyone shoots for 1/3 loud 1/3 medium 1/3 minimal intensity in output. We would not tell each other how our loud to minimal schedule is programmed! So in the course of the 2 hours there could be moments of absolute silence and moments of total chaos mess. This would be a great representation of  the fun and chaos that DIWO can be. For the stations we try to use as much DIY stuff as possible.”

Research

Damit begann die Debatte und der Austausch über Methoden zur Synchronisierung, über Scores oder Richtungen als Möglichkeiten, das Projekt zu organisieren, wobei das Thema selbst umkreist wurde, indem versucht wurde, ihm einen Rahmen zu geben. Marinos Koutsomichalis von Madlab reagierte darauf, indem er die Idee einer Station ergänzte: “the paradigm of a (ham) radio-station, that is, sometimes just listening, sometimes just broadcasting, sometimes actively communicating and exchanging information - and of course such a station could comprise of more than one individual - there could be an entire micro socio-material tecnological ecosystem of things going on behind such a station. [...] On top of all this, and since the core idea is that of ‚media mess/chaos‘ I suggest that we try introduce several layers of media-mess in there, not just sound and image and video, but also objects, text, fabrics, etc - anything that could make (or maybe better NOT make) sense.”
In diesem Sinne ermöglichte sozusagen die Vervielfachung der Erweiterung jeder einzelnen Station allen Beteiligten, sich die eigene Position in einem Prozess der Medientransformation vorzustellen. Katerina Undo (Madlab) meinte: “A preiminary proposal is the generation and transmission of Messages from the Unseen World - that is a reference to Turing‘s homonymous cryptic postcards. I imagine written and oral responses between stations, but at this point, I would rather make this general theme available to your subjective interpretation. /To be continued, or not/”

Aus theoretischer Sicht fand die Idee des Unsichtbaren während der Performances ein Echo: Einige Performer hatten vor, Sensoren zu verwenden, um das Unsichtbare zwischen Publikum und Künstlern, die verteilt im Raum anwesend waren, zu materialisieren. Tanja Brandmayr (STWST) stellte daraufhin eine andere Sichtweise auf die Stationen vor: “we like the ideas of stations/personas also in a human/not-human manner. I like the context you made with the text. We thought of abstractums like sleep or water or other abstract materials like that, carrying traces of humans or even non-humans in them, maybe also of machines. [A]t least in our circulating ideas here ... its developing... At the moment we also think of the material, i.e. we ask ourselves concretely what stuff we want to work with. At the moment we think of material for sound-generating elements, visual disturbances and pulsating text parts…”
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns noch nicht mit der Terminologie der MEDIA()MESSe auseinandergesetzt bzw wie sich die Beteiligten diese vorstellen oder sie definieren. Jenny Pickett (Apo33) sprach über den Gedanken hinter dem Titel selbst: “MEDIA()MESSe - Messe which is french for »mass« (of the religious type) but sounds like a mess :) media rituals, church of social, TV, radio, media channels or something [...] Stations (suggested by Jan) - communication channels, radio TV stations, bus Train stations, stations of the cross (incidently this is »stage« in french...) But could also be territories...Obs situation in the world today is much more complex than when we last met in terms of territories and shutting down news stations (Russia but also Afghanistan and elsewhere)”

Residency

Als der Termin für die Residency näher rückte, drehten sich die Online-Diskussionen um die praktischen Materialien und Geräte, die jeder von uns verwenden wollte: von elektronischen Instrumenten bis hin zu freier Software wie puredata, PraxisLive oder Auszügen aus Texten, Videos bzw viele andere Medien, die wir in den Mess einbinden konnten, usw. Wir trafen uns dann IRL in der Plateforme Intermedia in Nantes und arbeiteten 2 Tage zusammen. Der erste Tag war dem Aufbau unserer Stationen gewidmet, unterbrochen von wiederkehrenden Umgruppierungen und dem Austausch darüber, was wir tun werden. Wie wir unsere einzelnen Positionen im Space  organisieren werden und wie die Performance während der 2 Stunden aussehen wird. Der zweite Tag war eine Art Probe und eine intensive Debatte über die gemeinsamen Ziele der Gruppe, die Art und Weise, wie das Publikum mit unseren Werken interagieren würde können, und wie die MEDIA()MESSe ihren Platz in der größeren Veranstaltung einnehmen wird. 

Performance

Das Endergebnis war eine zweistündige Performance, die die unterschiedlichsten Visionen einer MEDIA()MESSe beinhaltete. Angefangen bei einer chaotischen Invasion des Raumes selbst mit Multibildschirmen in allen Formen und Größen bis hin zu mehreren und verschiedenen Arten von Soundsystemen, zu denen eine riesige Menge an DIY-Elektronik, Mixern, Hack-TV-Maschinen und erfundenen Instrumenten hinzukam. 

Die MEDIA()MESSe begann außerhalb des Raumes mit einem von Katerina Undo komponierten Soundstück, das aus mehrsprachigen Datenansagen bestand, die über den Lautsprecher von APO33 übertragen wurden und die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Feuertreppe der Fabrique lenkten. Auf dieser Treppe installierte STWST ein improvisiertes Instrument, mit dem das Publikum spielen konnte, indem es das rohe Kupfer der herunterhängenden Audiokabel berührte. Der Hauptraum war als eine fast 360° immersive Erfahrung konfiguriert, bei der Performance und Publikum in gewisser Weise miteinander verschmolzen, indem das Publikum in die Mitte des Raums gestellt wurde, wo einige Performer auch mit dem Publikum eins wurden und in einem bestimmten Moment aus der Performance auftauchen oder sich zurückziehen konnten. 

Im Laufe von zwei Stunden schuf die MEDIA()MESSe insofern einen Unterschied zu einem regulären Konzertformat, in dem es die Zugänge des Zusehens und Teilnehmens verwischte, und darüberhinaus weitere Zugänge an den verschiedenen Stationen anbot, die Raum für Interpretationen ließen. Gisle Froysland und Maite Cajaraville (Piksel) interagierten per Video-Feedback von selbstgebauten elektronischen Geräten und Wärmesensoren mit dem Publikum, während sich das Publikum durch den Raum bewegte. STWST eröffnete die Prozeduren mit einer Performance, die den Körper, Kreide, Wasser, TV-Spiegelung, Kamera-Feedback und selbstgebaute elektronische Soundscapes einbezog. Tanja Brandmayr und taro zeichneten quasi mit Kreide Textkonzepte auf verschiedene Medien, die von Jan-Nahuel Jenny in Echtzeit neu abgemischt wurden, bevor die Kreide in einem größeren Glas mit Wasser aufgelöst wurde und dessen Sound abgenommen wurde. Danach wurde der Raum mit Bewegungen und Wegen markiert, als Dekonstruktion der Situation und der Medien. Der Sound baute sich langsam aus kleinen Klängen von Felix Vierlinger und taro auf, mit improvisierten Interventionen von Gisle Froysland und Maite Cajaraville, während sich die Soundscapes gemeinsam entwickelten. Das produzierte kollektive Momente der Ungewissheit, in dem die Teilnehmer die Aktionen der anderen verfolgten und zum Beispiel durch Klang oder durch einen Körper, der den Raum durchquert, intervenierten. Marinos Koutsomichalis tauchte aus dem Publikum auf, gekleidet in einen orangefarbenen Overall, die Intervention erinnerte an die Bewegungen von Tanja Brandmayr, bevor er den Schlüssel einer abgeschlossenen gelben Control Box umdrehte und damit irrationale Blasts und Beats of Noise auslöste. Solar Return - Jenny Pickett und Julien Ottavi (Apo33) betraten später die Performance als postapokalyptische Operatoren, die in gelben Overalls und Gasmasken Geräuschmaschinen und gehackte Radios manipulierten und einen Mahlstrom aus chaotischem, tiefschwarzem Lärm und intensiver elektronischer Statik produzierten.
Die Plateforme Intermedia bietet normalerweise Platz für etwa 50 Personen, aber inmitten dieses Messes war es sehr eng. Eine große Anzahl von Zuschauern betrat die MEDIA()MESSe, interagierte, hörte zu und beobachtete die Aufführung. Das Publikum organisierte die Dauer seiner Teilnahme selbst, so dass mehrere Wellen von Menschen die Aufführung erleben konnten, wobei einige Eingefleischte die gesamten 2 Stunden durchhielten. Die Performance endete mit einem Moment des totalen Durcheinanders von lautem improvisiertem Lärm und visuellen Effekten, was zu einem unklaren Ende führte. Die ließ einen Punkt des „minimal deep listenings“ entstehen, an dem sich das Chaos im stillen Summen des Raums auflöste.

THE MEDIA()MESSe Informations

Materials: synthesisers, DIY electronic instruments, cameras, PA system, projection screens, TVs, hydrophones, antennas, radios, computers, miscellaneous objects and appliances

Duration: 2h:00m:00s

Produced by: Apo33, supported by La Fabrique and La Ville de Nantes FR

Produced at: La Plateforme Intermédia, Nantes FR

Produced in: 2022


Autor:innen

Julien Ottavi Phd. APO33 Intermedia artist research laboratory, Nantes, France julien@apo33.org

Jenny Pickett APO33 Intermedia artist research laboratory, Nantes, France / Media Arts & Design Research Lab, Cyprus University of Technology info@jennypickett.art

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Julien Ottavi & Jenny Pickett perform together with Marinos Koutsomichalis during Stwst48x8:

DEEP()MESS - open.ended dis.connected

DEEP SOUND OPERA, Act 7
10. Sept, Saturday Night, 02:00 h

An open-ended disconnected/connected do-it-with-others performance dominated by untamed frequencies, DIY instrumentation, electroacoustic noises, animistic objects, and orchestrated acts of irrationality.