Journalistischer Katechismus

Der Journalistische Katechismus ist eine Handreiche für all jene, die dauernd irgendwas mit Medien machen und darum keine Zeit haben, Machiavellis Il Principe zu lesen. Deshalb erscheint er auch häppchenweise in Serie.

Zweiter Teil / Erstes Hauptstück: Von den Krankheiten der journalistischen Seele 

Welche sind die Hauptkrankheiten der journalistischen Seele?
Diese drei: Verhärtung, Verblendung und der übereilte Eifer im Handeln.

Was ist die Verhärtung?
Die Unempfindlichkeit gegen irrelevante, aber verkaufsfördernde Pseudo-Skandale und verbohrtes Insistieren auf Tatsachen.

Woher entsteht diese Verhärtung, und was für ein Mittel muß dagegen angewendet werden?
Durch die irregeleitete Überzeugung, dass darüber zu berichten sei, was das Publikum erfahren sollte und die Vernachlässigung dessen, was die Kämme der loud minority und damit Auflage, Zugriffszahlen, etc. anschwellen lässt. Dies ist umso unverständlicher, als ersteres Expertise und Recherche bedarf, während letzteres lediglich dem limbischen System an die Amygdala fassen muss. Beim Wort »Personaldebatte« haben gefälligst die – vom ausufernden Social-Media Abusus – verquollenen Äuglein aufzuleuchten und die Schreibgriffel zu zucken wie die Frösche in Galvanis experimentellen Anordnungen.

Worin besteht die Verblendung des journalistischen Gemüthes?
Im Verlust des journalistischen swag, welcher dem Pressmenschen wegen seines Abfalls vom Clickbaiting, bzw. fehlendem Einsatz von Screamern auf der Titelseite entzogen wird. Die Folge davon ist, daß er weder die öde Gleichförmigkeit des nut and bolt-reporting, noch die betörende Glorie des crony journalism sieht.

Was ist die Grundursache, dann das Heilmittel dieses Uebels?
Da dieses Uebel aus der Unwissenheit und von dem Toben der Leidenschaften entsteht: so muß man zu dem journalistischen Lichte seine Zuflucht nehmen, welches theils durch den Tarifvertrag, theils durch oftmaliges Nachdenken über uns selbst und über die Honorare bei unsern freelance gigs sich in uns einsenkt.

Was wird durch den übereilten Eifer im Handeln verstanden, und wie muß dieser im Zaume gehalten werden?
Der übereilte Eifer im Handeln ist ein gewisses Ungestüm, welches verursacht, daß das Gemüth sich stürmisch auf die Dinge, wonach es ein Verlangen hat, wirft und alles verkehrt thut, und beinahe nie eines innern Friedens genießt. Es ist ein löblicher Beginn, Scheindebatten loszutreten oder beherzt aufzugreifen und aria fritta zu ventilieren – diese Gäule dürfen aber nicht über deren Putreszenz hinausgeritten werden. Pitch perfect ist man erst dann, wenn die besserbezahlten Simulacra aus PR-Abteilung und Politikberatung fahrlässig zulassen, dass ihr Klientel für die Presse a capella singt und ihren message-control malfunctions freien Lauf lässt – auf dass die Scheisshausparolen wie eine La-Ola-Welle bis in die Hinterbank schwappen, um auch Gemeindefunktionären einen Kursanstieg an der Gerüchtebörse zu bescheren. Dann genügt es, auf dem bestellten Acker zu verharren und kritisch nachzufragen, da keine Gefahr besteht, die abgesteckte Scholle zu verlassen. Die Agenda ist gesetzt und steht auch nicht mehr auf – egal, ob man ihr gossipy oder soigniert daherkommt. Doch hier sollten wir nicht zu pessimistisch sein – der Lernwille auf journalistischer Seite ist vorhanden: Anders lässt sich die Adoration nicht erklären, wenn eine der Kreaturen aus dem Propagandakeller ihr Fleischi zum Trocknen nach draußen hängt und dem angstlüstern staundenden Presscorps seine Instrumente zeigt. Überambitionierter Eifer induziert auch einen Tunnelblick, der die Weiterentwicklung der Journalistin zum Content-Merchant behindert, da sie jene Opportunitäten übersieht, die sich als Side-Gig ergeben könnten.

Gibt es nebst den aufgezählten nicht noch andere und schwerere Krankheiten der journalistischen Seele?
Diese Frage ist keinesfalls ein Three-Pipe-Problem und lässt sich kurz und knapp mit Ja beantworten.

Es gibt allerdings noch so viele, als es Laster gibt; indessen entstehen sie sämtlich aus reflektierter Empathie, welche in der Wirklichkeit nichts anders ist als die unordentliche Zuneigung des Menschen zum Wohle des zivilisierten Miteinander. Emotionen sollen sein ein Werkzeug zur Steigerung der Reichweite und nicht Anlass für Nüchternheit in der Berichterstattung. Nach all diesen Unterweisungen sollte einsichtig sein, worin diese Ehre besteht: It‘s the Auflage, stupid! Bigger is bigger und es ist egal, ob die Nachrichten falsch sind, solange es nicht die falschen Nachrichten sind.

Bonus-Sentenz fürs kleine Latinum: Extra blattam nulla salus – darin treffen sich Journalist und Entomologin.

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Das nächste Hauptstück handelt von der Buße – also Richtigstellung, Gegendarstellung und Widerruf.