Beim Eintreten
Beim Eintreten in den dunklen Ausstellungsraum sind drei Screens zu sehen, die in eine U-förmige Raumnische gelehnt wurden. Auf den Screens laufen digital generierte Videos. Die Videos zeigen einerseits Bilder von menschenleeren Räumen wie von Überwachungskameras gemacht, andererseits Fahrten durch digitale, sich prozessierende Räume. Die Darstellungen scheinen formwandlerisch, lösen Gegenstände und Architektur auf, sowohl horizontal als auch vertikal, sie switchen von einer Außenraumperspektive immer wieder in das Innenleben der Maschine. Der Blick führt sozusagen vom umgebenden Raum in die Hardware und ins Programm – und wieder zurück. Leitungen, Gegenstände, Zeichen, Symbole und Bedeutungen durchwechseln einander. Die Abwesenheit von Menschen erweckt allemal ein Gefühl von da-war-mal-was. Insgesamt wirkt die Installation zeichenhaft: Drei hochgestellte Screens thematisieren Abwesenheit. Es laufen Texte und Zeichen, Mitteilungen, die nicht wirklich zu verstehen sind. Verkapselte Botschaften und die Entität dreier Screens – das assoziiert Gebotstafeln, eine Art Trinität des Maschinenzeitalters. S()ofia Braga selbst betitelt ihre Installation mit »All Watched Over by Machines of Loving Grace«. Und außerdem: Wie das bei Screens oft der Fall ist, ziehen sie den Blick magnetisch an. Hier schaut man jedoch nicht ins Feuer, sondern Tempo und Art des Blicks sind anders. Man observiert und durchscannt permanent etwas, zum Beispiel die sich verändernde Umgebung aus synthetischen Außen- und Innenräumen. Man durchsucht sich selbst nach auftauchenden Bedeutungsreferenzen. So viel zur »Loving Grace«, zur liebenden Gnade der Maschinen. Die zeitweilig zu hörende Alarmsirene aus dem hinteren Teil des Raumes tut ihr übriges.
Ausstellungsansicht Felt Cursed, Might Delete Later (Bilder: Tanja)
Zitat Ausstellungstext S()fia Braga: »Felt cursed, might delete later erforscht den Maschinenblick, um spekulative Visionen aus dem Novacene zu entwerfen, einer neuen Ära der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Nicht-Menschen für das irdische Überleben und die Verlangsamung des bevorstehenden Aussterbens des organischen Lebens, wie wir es kennen.« Das Novacene, klar, das ist das Erdzeitalter, das erst kommt. Aber die »Verlangsamung des bevorstehenden Aussterbens«, das klingt beängstigend aktuell und gleichzeitig nach feststehendem harten Schlag für die Menschheit. Hier wirkt das fies – in einer Szenerie der zuerst fast vielversprechend angekündigten »neuen Zusammenarbeit von Menschen und Nicht-Menschen«. Ähnlich fies auch der Titel »Felt Cursed, Might Delete Later«: Das Curse könnte hier nicht nur ein »verflucht«, sondern auch ein »cursed« als schon mal vom Cursor gestreift bedeuten – bevor das nächste Mal gleich endgültig auf »Delete« geklickt wird.
Im hinteren Teil des Raumes
Wir gehen damit in den hinteren Teil des Ausstellungsraumes und zitieren den zweiten Teil des Ausstellungstextes: »Neue Systeme der Post-Knappheit, die auf einer verbesserten menschlichen Selbstverwirklichung, kybernetischen Ökologien und vielen neuen Möglichkeiten beruhen, sind erreichbar, allerdings unter einer Bedingung: der Überwindung der anthropozentrischen Vision, der Akzeptanz des menschlichen Zustands als evolutionärer Schritt hin zu einer neuen Welt, die für synthetische Lebensformen gestaltet ist.«
Klingt auch nicht unbeschwert. Wir sind im ebenso dunkel gehaltenen hinteren Ausstellungsbereich angelangt, bei der Arbeit »Artificially Conjured«. Der Titel reißt Bedeutungen zwischen Beschwörung, Rettung und Heimsuchung an. Das etwa 5minütige Video ist inhaltlich-ästhetisch ähnlich aufgebaut wie die eingangs beschriebenen Videoarbeiten, allerdings hier raumfüllend installiert. Als zusätzliche Bedeutungsebene ist Text intergriert (»If you have any questions, please get in contact with us«), von der weiblichen Stimme der Maschine gesprochen sowie als Untertitel dargestellt. Der bereits erwähnte Alarm und kurz auftauchende, verschwommene menschliche Silhouetten in den Maschinenräumen (oder geschluckte Rest-Ideen von Menschen in den Innenräumen der Maschine), deuten gleichzeitig Gefahr und Rettung an – während in ruhigem Ton die Einladung ausgesprochen wird, an den neuen Möglichkeiten der verbesserten menschlichen Selbstverwirklichung teilzunehmen. Es handelt sich sozusagen um ein Angebot an einem »Point of No Return«, also um ein Verkaufsgespräch, das auf nichts weniger als auf Überleben ausgerichtet ist. Der Preis ist, den Menschen als subkulturelle Spezies einer synthetischen Lebensform unterzuordnen. Und der Weg scheint, menschliche Grundbedürfnisse und Gefühle als so eine Art Rest-Rauschen zu verstehen und in Termini von gesteigerter Kreativität, Verbesserung und Innovation zu überführen. »We will enhance your creativeness as a main path«, (…) »Thanks to your contribution we will be able to refine machine creative visions«. Und so weiter. So spricht die Firma. Und so spricht der Post-Humanismus.
Eröffnungsperformance
Konsequenterweise bestand auch die Eröffnungsperformance aus Screens and Machines. Konkret liefen die Videos, es performte ein Roboterhund. So einer, den man im ursächlichen Zusammenhang bereits seit längerer Zeit aus dem militärischen Komplex kennt. Ja, genau, die Roboter von der ganz creepy Sorte, die beim Militär als Späher eingesetzt werden oder mit Waffen ausgestattet durch die Gegend laufen sollen. Der von vielen im Publikum erstmalig in real life gesehene Roboterhund blieb jedenfalls in seiner Performance weitestgehend auf seinem Platz, ging mal in die Knie, wandte sich mal schräg und wieder gerade, seine »Augen« leuchteten in die Dunkelheit … Die Performance der nicht-organischen Lebensform wiederholte sich in reduzierter Weise und präsentierte sich in Richtung Publikum. Hin und wieder stakselte der Roboterhund etwas herum. Man wußte nicht, fährt er jetzt ein Maschinengewehr aus und erschießt alle – oder will er nur gestreichelt werden. Wenig hätte die Thematik besser auf den Punkt bringen können als dieses Setting. Im Rahmen von S()fia Bragas Arbeit als Roboter-Herrchen ausgewiesen war Amir Bastan von Creative Robotics.
In Kunst und Real Life
Mittlerweile tauchen also diese vom Militär entwickelten Geräte im Kunst- und Kulturkontext auf und natürlich war der Hund auch bereits bei der Ars Electronica. Ein Ding dieser Art lief auch herum, um die neue Linzer Donaubrücke in 3D zu vermessen. Und es kam sogar der Linzer Bürger-meister zum Fototermin, um mit dem, O-Ton Lokalpresse, »digitalen Zwilling«, der Hundekopie, zu posieren. Zu derartigem Getier baut man irgendwann wahrscheinlich sogar eine »echte menschliche Beziehung« auf. Und alles in allem kann gesagt werden, dass diese Geräte in der Zivilge-sellschaft angekommen sind. Ein kleine Internet-Recherche indentifizierte das im Rahmen der Eröffnungsperformance verwendete Gerät als QR A1 Explorer (zumindest sah es so aus) und es ist für EUR 17.400.- bei Reichelt Elektronik zu haben, lieferbar innerhalb von vier bis sechs Geschäftstagen. Allerdings einstweilen noch nur für »Gewerbetreibende, Institutionen und Behörden«.
Exkurs Science Fiction
Damit zurück zur Kultur, mit einem gedanklichen Exkurs: Zwangsläufig wecken Themen wie Roboter, synthetische Organismen und Auslöschung der Menschen durch autonom gewordene Hybride Assoziationen zu diversen Science-Fiction-Bezügen. Etwa zu Philip K. Dicks 1952 erschienener Kurzgeschichte Second Variety. Ein weniger exquisiter, aber leitmotivisch ebenso augenscheinlicher Bezug ist Terminator 2 von James Cameron. Der Film kam 1991 in die Kinos und wurde zum Blockbuster. Worauf beides hinausläuft: auf die Herrschaft der Maschinen, die Vernichtung der Menschheit, eine täuschend echte Maschinentarnung in immer neuen Varianten. Und, das ist hier nun der interessante Punkt: Während man sich bei Erzählungen wie Second Variety und Terminator 2 als Publikum mit dem menschlichen Widerstand solidarisierte, und sei der Widerstand noch so klein und noch so hoffnungslos versprengt, scheint man bei neueren Erzählungen aufgefordert zu sein, sich mit der Maschine zu solidarisieren, mit ihr »zusammenzuarbeiten«: zum eigenen Schutz, wegen des eigenen Überlebens, oder besser gesagt, eigentlich: wegen einer stressfreieren Verlangsamung des Aussterbens. Das klingt nach Opportunismus (die Sympathie für die Übermacht) – aber vor allem nach Paradigmenwechsel. Im Ausstellungstext wird auf Spekulation, Meme-Culture und ein Hinterzimmer des Internets verwiesen. Damit nocheinmal zurück zum O-Ton des Videos: »We will do our best to decelerate the extinction of organic life on earth«.
Apropos Film, Science Fiction und die in diesen Genres verdichtet vorkommenden Mythen: Der Kulturtheoretiker Georg Seeßlen hat das Kino einmal als Raum bezeichnet, in dem Filme als Mythen besonderer Form funktionieren, nämlich »als industriell produzierte Mythen«. Fragt sich nur, was die synthetisch prozessierten Mythen der neuen Welt sein werden. Da die Antwort fast auf der Hand liegt, gab es aus Anlass dieser Besprechung auch einen halbherzigen Versuch, diesen Text in Richtung AI zu drehen. Das heißt, diesen Review von einem Last-Hot-Shit-AI-Textgenerator schreiben zu lassen. Wäre angenehm gewesen (aus kurzfristigen niederen Interessen der Faulheit), hat aber leider nicht geklappt: »S()fia Braga‘s album Felt Cursed, Might Delete Later is a unique exploration of the machine gaze and its implications for the future«. Ok, Titel-Wiederholung, Ausstellungstext gefunden, ein paar aufgefundene überdeutliche Zusammenhänge. Unique ist immer gut, aber der Bezug zu einem »Album«? Stimmt schon mal nicht. Es folgten einige wohlformulierte Sätze, aber leider nur Behauptungen, Verweise zu anderen Sparten und Personen, offensichtlich alles falsch und deswegen gestrichen. Der letzte Satz war aber zumindest wieder irgendwie in Ordnung: »Overall, S()fia Braga‘s Felt Cursed, Might Delete Later is an ambitious and creative exploration of the machine gaze that offers flashes of insight into humanity‘s attention span and empathy«. Ambitious, creative, human attention, empathy, … Mehr geht nicht.
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S()FIA BRAGA: Felt Cursed, Might Delete Later
Eröffnung und Performance fanden am 8. Februar 2023 statt. Die Ausstellung wurde von 8. bis 17. Februar im Rahmen der Salzamt-Reihe L.A.S.S.O. – Local Artists Solo Show Observations – gezeigt. Die Serie LASSO präsentiert Arbeiten Linzer Künstler*innen, die aktuell ein Atelier im Salzamt nutzen. blog.salzamt-linz.at