Reclaim the Clubnight! Wider die Dominanz der Normalität

Aus Anlass der Clubreihe NIGHT CREATURE’S DEAMONS und in Vorbereitung auf eine Kooperation von STWST und Kunstuniversität Linz unterhielten sich Mika Egal und Moritz Pisk. Ein Gespräch über queeres Nachtleben, politische Dancefloors und problematische TikTok-Trends.

Moritz Pisk: Mika, du stellst die von dir kuratierte Reihe NIGHT CREATURE‘S DEAMONS in der Stadtwerkstatt Linz unter das Motto »reclaim the clubnight!« Mit dieser aktivistischen Geste rufst du eine Vielzahl an politischen Motiven ab, von Kämpfen um autonome Freiräume für Kultur bis hin zu den militanten Bildern von Underground Resistance und der frühen Technogeschichte in Detroit Anfang der 1990er Jahre. Das führt mich zur Frage, ob sich 2023 in der Aufforderung eines »reclaiming«, also einer Rückeroberung eigentlich ein Gegenüber festmachen lässt? Von wem soll die Nacht zurückgeholt werden? Wer sind die Akteur*innen?

 

Mika Egal: Für mich lässt sich ganz klar ein Gegenüber festmachen, und zwar die gesellschaftspolitische Dominanz der Normalität. Immer wieder flammt die Hoffnung auf, dass diese Begrifflichkeit und die damit verbundenen Moralvorstellungen und heteronormativen, katholischen Denkmuster aufgebrochen werden. Doch dann erfährt man von aktuellen Wahlergebnissen und da liegt der nächste Gedankensprung weiter in der Vergangenheit als einem lieb ist. Aus diesen Normvorstellungen entstehen Diskriminierungen und Stigmatisierungen, von denen vor allem BIPoC und FLINTA Personen in ihrem Alltag betroffen sind. Die Aufforderung »Reclaim!« ist für mich auch ein Kampfruf, der sich anschließt an die Frauenbewegung der 1970er Jahre. Hier wurde mit dem Slogan »Reclaim the night« die Forderung nach einem sicheren Bewegen durch die Nacht und gegen Gewalt an Frauen* ausgerufen. In Österreich, dem Land der Femizide, heute ein immer noch aktuelles Thema. Clubräume und Orte, an denen gefeiert, getanzt und konsumiert wird, sind leider immer noch Orte, an denen immer wieder Übergriffe und traumatisierende Erlebnisse stattfinden. Sei es durch eine explizite Tat, dem darauffolgenden Umgang damit oder dem fehlenden Bewusstsein über unterschiedliche Bedürfnisse. Dadurch geht das Potential der Clubkultur verloren, widerständig gegen strukturelle Diskriminierung zu agieren, bestehende Normen zu kritisieren und neue gesellschaftspolitische Strategien zu erproben. Betroffene fangen oft an, sich zurückzuziehen und Orte zu meiden, weil sie diese nicht als sichere Räume, sondern als gewaltvolle Orte empfinden. »Reclaim the clubnight!« ist ein Aufruf dazu, sich Räume der Nacht zurückzuholen. Der Aufruf ist an alle gerichtet, die Diskriminierung, Stigmatisierung und strukturelle und sexualisierte Gewalt erfahren haben. Genauso geht er aber an alle Veranstalter*innen und Clubbetreibende und ist eine Aufforderung, Räume zu schaffen, in denen es Handlungsstrategien gibt.

 

Moritz Pisk: Wie relevant und gegenwärtig dieser Schwerpunkt ist, zeigt ein schneller Blick rund um Diskussionen um rein männliche Bookings in einem Wiener Club, der sich dem Selbstverständnis nach als subkultureller, queerer Safer Space verstehen möchte. Spätestens an dem Punkt, an dem diese Programmierung auch noch mit den Worten »Qualität vor Geschlecht« argumentiert wird, hilft nur noch ein Aufstand der Night Creatures und ihrer Dämonen. Zugleich gibt es aktuell einen sehr populären Hype rund um Club- und Technokulturen. In großen Fast-Fashion-Filialen wird kinky Rave Wear angeboten, auf TikTok gibt es How-to Videos vom ‚richtigen‘ Tanzschritt bis hin zur Wahl der »Schnellen Brille« oder des ‚wahren‘ Outfits. Clubkultur und Rave werden zum hippen und urbanen Lifestyle-Accessoire. Und somit ist die Aufmerksamkeit für das Thema, auch durch Social Media bedingt, hoch wie nie. Ich möchte dein Programm in der Stadtwerkstatt auch gewissermaßen als Reaktion auf diese Entwicklung sehen. Als Versuch, die (wenigen) produktiven Strukturen des Hypes mobil zu machen. Teilst du diese Einschätzung?

 

Mika Egal: Genau diese Überlegung hat mich zu Beginn der Planung der Veranstaltungsreihe beschäftigt. Den Hype des Populär-Techno und seine mediale Repräsentation habe ich aktiv beobachtet und das sogar mit Begeisterung. Wenn man es positiv betrachtet, ist es eine neue Form von Pop-Art, nur ohne dass die Agierenden wissen, wen oder was sie zitieren. Und somit ist es am Ende natürlich eine plakative Veranschaulichung der Mechanismen des Kapitalismus, in dem sich eine Subkultur als ein für die Massen produziertes Mode-Outfit wiederfindet. Ich bin selbst großer Pop-Fan, war in den 90ern noch zu jung, um in Clubs zu gehen. Ich hab aber trotzdem in meiner Mode Elemente von Rave integriert, die ich heute immer noch als ästhetisch empfinde, damals aber keine Ahnung hatte, wo die Trends herkommen, die mir gefallen. Und ich finde es total spannend mitzuerleben, wie sich solche Dinge wiederholen und ich es jetzt ganz anders einordnen und analysieren kann. Dem gegenüberstellen kann man die Free-Tekno-Szene, die ja auch heute noch existiert und als subkulturelles Konstrukt bezeichnet werden kann. Es lässt seinen widerständigen Kern zumindest noch erahnen. In Italien zeigt sich aktuell, wie relevant Rave als Protestform ist. Die dort gerade stattfindenden Protest-Raves sind eine Reaktion auf eine Gesetzesänderung der neofaschistischen Regierung, auf deren Grundlage Versammlungen von mehr als 50 Personen schneller aufgelöst und bestraft werden können. Das betrifft wegen der vagen Formulierung nicht nur selbstorganisierte Partys, sondern auch Streiks und Proteste. Raven gegen Repressionen hat natürlich eine ganz andere Energie als ein ›Rave‹ in einer Großraumdisko, wo DJ*s im Techno-Kostüm die Menge animieren und im Publikum keine Mittelfinger Richtung Exekutive der Regierung gezeigt werden, sondern Smartphones um die Wette mit den Lasern leuchten. Diese Form des Free-Tekno erschien mir jedoch für einen Clubraum in etwa so, als würde man Street-Art und Graffiti in einem Museum zeigen. Deswegen integriert NIGHT CREATURE‘S DEAMONS Positionen, die bewusst gesellschaftspolitische und popkulturelle Aspekte der Club- und Technokultur reflektieren. Es werden zum Beispiel Elemente des Hyper-Pop und Abstract Club vorkommen, die konzeptuell mit der Dekonstruktion von Geschlechtlichkeit in der Stimme oder mit der vermeintlichen Pflicht, Musik einem Genre zuordnen zu müssen, arbeiten.

 

Moritz Pisk: Die »Berlin Clubcommission« hat kurz vor Beginn der Pandemie eine wissenschaftlich begleitete Standortstudie unter dem Titel »Clubkultur: Dimensionen eines urbanen Phänomens« in Auftrag gegeben. Dabei wurde vordergründig die historische und vor allem wirtschaftliche Relevanz der Berliner Clubs untersucht. Die klar marktlogische Ausrichtung dieser Studie zeigt auf, wie groß der Einflussbereich dieser ›Subkultur‹ mittlerweile ist. Im Vorwort der Studie wird die Konstruktion eines Clubs als Zusammenspiel von drei Faktoren, nämlich »Raum, Programm und Szene« definiert. Die Idee vom Club als Freiraum, als gemeinschaftsbildenden Safer Space bedingt immer eine Form von Ausschluss, ein Spannungsfeld zwischen Inklusion und Exklusion. Das kann ganz sanft über Ästhetik und Booking passieren: Das von dir kuratierte Musikprogramm wird eine Szene ansprechen, die dann mit ihrer Vorstellung von Clubkultur auf die Veranstaltung kommen wird. Aber auch Abschottung und Geheimhaltung, Stichwort Freetek, sind defensive Strategien in diesem Zusammenspiel. Die offensichtlichste und oft als gewaltvoll wahrgenommene Geste hingegen bleibt die Selektion des Publikums – der ‚Szene‘ – an der Türe. Je progressiver ‚Raum‘ und ‚Programm‘ konzipiert sind, umso sanfter lässt sich die Arbeit an der Türe gestalten. Doch sie ist unumgänglich, wenn das beschrieben Zusammenspiel im Sinne der Ermöglichung von Freiräumen funktionieren soll. Wird es eine ‚Türe‘ geben? Werden die eingeladenen Awareness-Teams an der Türe unterstützen?

 

Mika Egal: In der Veranstaltungsreihe sind verschiedene Kollektive eingeladen, ihre Konzepte umzusetzen, dabei habe ich bewusst unterschiedliche Strategien ausgewählt, der Fokus liegt aber auf queer-feministischem Empowerment. Die Konzepte werden personell von den Kollektiven vor Ort umgesetzt, sie bekommen Unterstützung vom Haus, wenn erwünscht. Das Ziel ist, aus dieser Erfahrung heraus, durch das Erproben unterschiedlicher Konzepte, diese Konzepte auf ihre potentielle Langfristigkeit hin zu reflektieren. So, dass sich aus dem Experimentieren dieser Veranstaltungsreihe auch ein Nachhall entwickelt. Das sind Experimente und Überlegungen, die in der Stadtwerkstatt verwurzelt sind. »Reclaim the city!« und die Frage danach, wem die Stadt gehört, sind ganz eng geknüpft mit der Entstehungsge-schichte der Stadtwerkstatt. Die Stadt zu seiner Werkstatt machen, mit ihr arbeiten, sie verändern. Moritz, du planst für das kommende Semester ein Seminar an der Kunstuni Linz, das sich mit der Besetzung von Orten und daraus entstandenen Kultur-Freiräumen beschäftigt. Das Besetzen von Häusern ist ein autonomer Reclaim, der heute, scheinbar vor allem in der Kunst- und Kulturwirtschaft, eher in die Form der Zwischennutzung übergegangen ist, einem weit weniger radikalen Prinzip. Warum denkst du hat sich die Art des Umgangs mit Orten geändert? Ziehst du daraus Rückschlüsse auch auf Veränderungen in bestehenden Kultur- und Clubräumen?

 

Moritz Pisk: Genau dieser Frage werden wir in den Workshops an der Kunstuni nachspüren. Zum einen sind die bekannten Bilder und Ideen von Hausbesetzung aus heutiger Sicht bereits stark nostalgisch aufgeladen, für viele wirken sie vielleicht geradezu aus der Zeit gefallen. Ruth Beckermanns großartiger Film über die Arena-Besetzung führt uns das recht eindrücklich vor. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Dokumentation rücken das Jahr 1976 in einer Art unbestimmte und weit zurückliegende Vergangenheit, auf die es aus der Gegenwart heraus keinen Zugriff mehr zu geben scheint. Zugleich erzählen Räume, deren Geschichte auf Hausbesetzungen basiert, wie eben die Arena oder das WUK in Wien, heute oftmals nur noch am Rande von ihrer eigenen Historie. Deswegen werden wir uns im Seminar auch nochmals mit den jeweiligen Entstehungsge-schichten beschäftigen, denn nur so lässt sich ein produktiver Vergleich mit den von dir beschriebenen, gegenwärtigen Strategien wie Zwischennutzung oder dessen gänzlich teuflischen, marktorientierten Zwilling, dem ‚Pop-Up‘ herstellen.

 

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NIGHT CREATURE’S DEAMONS: Clubreihe monatlich bis Juni in der STWST

Auf Einladung der Stadtwerkstatt hat Mika Egal die Reihe NIGHT CREATURE’S DEAMONS unter dem Motto »Reclaim the Clubnight!« kuratiert – und als Clubreihe mit Focus queerfeministisches Empowerment. 

Jede Veranstaltung folgt dabei einem anderen Konzept, das von unterschiedlichen Artists und Kollektiven umgesetzt wird. Die Reihe startete am 25. Februar 2023 mit Evita Manji, Awa* und sch4tz1, im März steht ein FLINTA* DJ Workshop am Programm.

Mtba: Termine finden monatlich statt. Das bis Juni stattfindende Programm wird laufend ergänzt. Ebenso der begleitende Diskurs und mehr zur politischen und feministischen Schlagkraft der Reihe.

nightcreaturesdeamons.stwst.at

 

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Reclaim the clubnight: Symposium Ende Juni

Die Abteilung für Kulturwissenschaft der Kunstuniversität Linz lädt in Kooperation mit NIGHT CREATURE’S DEAMONS zum Symposium.

Jahrzehntelange Erfahrungen aus dem Kampf um kulturelle Räume treffen auf das gegenwärtige Streben nach Safer Spaces. Kulturhistorisch informiert wollen wir so die Eindrücke und Experimente aus der Clubreihe mit Überlegungen und Spekulationen über die Zukunft von Clubkultur und urbanen Freiräumen verflechten. 

Interessensbekundungen an office@stwst.at, die STWST leitet das Interesse an die Abteilung für Kulturwissenschaft weiter.

 

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